Peinlich ist es schon, ein wenig wie: der portugiesischen Bedienung im Urlaub Gracias und auf der Rückreise dem spanischen Kollegen Obrigado zu sagen, ohne den Lapsus zu bemerken. Erst kürzlich wurde ich darauf hingewiesen, dass in meinem Buch V wéi vreckt, w wéi Vitess ein Name nicht stimmt. Die portugiesische Pflegefamilie, in der die Hauptfigur aufwächst, heißt Suarez. Richtig wäre: Soares. Der erste Name stammt aus dem Spanischen, der zweite aus dem Portugiesischen.
Gracias, obrigado; Suarez, Soares – wen kümmert’s, wie’s heißt? Ein Drei-Buchstaben-Fehler, war doch gut gemeint, oder etwa nicht? In Anbetracht der Tatsache, dass Leute Hitzewallungen bekommen, wenn man Café Crème und Americano verwechselt – ja, ich gehöre zu diesem Schlag –, tendiere ich zu: Gut gemeint reicht nicht, es ist eher ein Symptom als ein Fauxpas. Denn wenn die Literatur in Luxemburg an irgendetwas gescheitert ist, dann weder an ihrer Mehrsprachigkeit noch an ihrem Minderwertigkeitskomplex, sondern daran, gesellschaftliche Erfahrungen dieses Landes adäquat zu repräsentieren.
Seit mehr als einem halben Jahrhundert ist das Großherzogtum ein Einwanderungsland für Menschen aus Portugal; mehr als 100.000 portugiesischstämmige Personen und Portugies*innen erster, zweiter, dritter und vierter Generation leben im Land. Mit Betonung nicht auf arbeiten, wohnen, pendeln, schlafen, sondern auf: leben. In den literarischen Imaginationen fehlt dieses Leben bis auf einige Ausnahmen, darunter Romane, Erzählungen, Gedichte und Theaterstücke von Roger Manderscheid, Guy Rewenig, Josy Braun und Roland Meyer.
Insgesamt handelt es sich, meine ich, nicht um ein publizistisches, sondern vielmehr um ein strukturelles Problem, das in einem zweiten Schritt zu bestimmten Veröffentlichungen mit bestimmten Schwerpunkten führt. Weil es nun einmal keine reichweitenstarken Schriftsteller*innen mit portugiesischem Hintergrund gibt, wird das repräsentative Manko in den wenigen Texten, die es gibt, tendenziell auf zwei Weisen verarbeitet: In der naiven Form ist das Portugiesische ein folkloristisches Kuriosum, dann geht’s plakativ um Bacalhau, um die Fátima-Wallfahrt in Wiltz, um Wörter wie Fodes und um noch mehr Bacalhau. Und in der engagierten Form ist es Anlass zu sozialkritischen Diagnosen, in denen die portugiesischen Figuren zumeist die diskriminierten, stummen und randständigen sind, während die luxemburgischen Figuren als xenophob, laut und etabliert dargestellt werden.
Jenseits der Schablonen
So oder so: Es ist eine (mal didaktische, mal satirische) Arbeit mit und in Schablonen. Die Frauen sind Putzfrauen, die Männer Bauarbeiter, die Kids mies in der Schule. Man trinkt Super Bock und fährt im Sommer nach Portugal. Aber literarische Szenarien sollten mehr bereithalten dürfen als das angeblich Typische, das in naturalistischen Schilderungen zur Darstellung gelangt. Mehr Nuancen und Freiheiten sind aber nur zu haben, wenn mehr Leute mit unterschiedlichen sozialen, sprachlichen, nationalen und ethnischen Hintergründen an der Literatur in Luxemburg teilnehmen. Das wiederum ist zuallererst eine bildungs- und gesellschaftspolitische Aufgabe; bloß scheitern Schulsystem und Politik seit Jahrzehnten an der Verbesserung der sozio-ökonomischen Aufstiegschancen, die die absolute Grundlage für eine solche erweiterte Teilhabe ist.
Ganz unabhängig davon, wer den Text verfasst, wäre es dann so, dass jede*r quasi alles machen darf, solange es sprachlich gelingt. Wenn dabei Themenbereiche wie portugiesische Migration, Milieu- und Alltagserfahrungen nicht vorkämen, dann wäre das kein eklatantes Fehlen wie im Augenblick, sondern eine legitime künstlerische Entscheidung. Schließlich gäbe es andere, die bereits darüber geschrieben hätten bzw. demnächst darüber schreiben würden. So aber gibt es ein offensichtliches Defizit, das niemandem guttut.
Es geht dabei keineswegs darum, dass Person mit Feature X endlich mal authentisch (ein Wort, so schlimm wie unkaputtbar) über X schreibt, weil andere Schreibende angeblich kein Anrecht hätten, sich des Themas anzunehmen. Im Gegenteil, insgesamt würde sich die Erwartungshaltung an einen Roman, an Geschichten und ihre Figuren verändern, lockerer und offener werden. Kommendes Jahr wird Portugal Gastland der Leipziger Buchmesse sein. Es ist ein guter Anlass, sich zu fragen, wie das in Luxemburg so beliebte Mantra einer interkulturellen Zusammenkunft in der schriftstellerischen Praxis tatsächlich aussieht.
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