Wir brauchen es: als Durstlöscher, zum Duschen, zum Planschen im Schwimmbad oder zum Schneemann bauen. Jeden Tag haben wir mit ihm zu tun, halten unseren Zugang zu ihm für selbstverständlich. Es ist allgegenwärtig, dieses H2O-Molekül, und dennoch ist es einzigartig und macht das Leben für uns Menschen auf unserem Planeten überhaupt erst möglich. Obwohl die Verfügbarkeit von Wasser unendlich groß zu sein scheint, ist es doch eine kostbare Ressource, deren Wert in Zukunft noch weiter steigen wird.
Der blaue Planet und sein Kreislauf
Auf keinem anderen Planeten in unserem Sonnensystem kommt Wasser in flüssiger Form vor. Nicht umsonst wird die Erde als „blauer Planet“ bezeichnet, denn 71 % der Erdoberfläche ist von Wasser bedeckt. Der überwiegende Teil des gesamten Erdwassers, etwa 97 %, liegt allerdings als Salzwasser vor. Das Süßwasser wiederum bleibt dem Menschen zu zwei Drittel unzugänglich, weil es in Form von Eis gebunden ist. Die Wassermenge, die in Bächen, Flüssen, Seen oder als Grundwasser vorkommt und die letzten Endes vom Menschen genutzt werden kann, beträgt weniger als 1 % der gesamten Wasservorkommnisse.
Der natürliche Wasserkreislauf hält das Wasser auf der Erde stets in Bewegung und fasziniert uns Menschen bereits im Kindesalter: Wolken ziehen auf, Tröpfchen bilden sich, Niederschlag fällt in Form von Regen, Schnee oder Hagel auf die Erde, sammelt sich in Pfützen, taucht in den porösen Untergrund ein oder läuft in Bäche, Flüsse und Seen ab. Im Boden versickert das Wasser teilweise bis ins Grundwasser, bis es an anderer Stelle in Form einer Quelle wieder zu Tage tritt, teilweise wird es von den Wurzeln der Pflanzen aufgenommen, bewegt sich – entgegen der Erdanziehungskraft – durch die Pflanze nach oben und wird über Evapotranspiration in Form von Wasserdampf wieder an die Atmosphäre abgegeben. Dort kondensiert der Wasserdampf, und es kommt erneut zur Wolkenbildung: Der Wasserkreislauf ist geschlossen. Wasser ist also wie keine andere Substanz in allen Aggregatzuständen in unterschiedlichen Sphären der Erde vorhanden.
Die Anomalien des Wassers
Doch was macht Wasser denn nun so besonders? Und welche Rolle spielt Wasser in der Entstehung von Leben? Eine Antwort liegt in der chemischen Struktur und in den speziellen physikalischen Eigenschaften von Wasser, die auf dessen Struktur zurückzuführen sind. H2O: ein großes Sauerstoffatom und zwei sehr kleine Wasserstoffatome. Das Sauerstoffatom bildet einen negativen Pol und zieht die positiv geladenen Wasserstoffatome an sich. Die Anhäufung von Ladungen führt zu einer ungewöhnlich starken Polarität.1 Diese bewirkt, dass Wasser das am besten bekannte natürliche Lösungsmittel ist, da sich andere geladene Teilchen durch die gegenseitige Anziehung gut an seine Oberfläche anlagern können. Somit können sich Nährstoffe im Wasser lösen und über die Wurzeln der Pflanzen im Boden aufgenommen werden. Auch im menschlichen Körper hat Blut, durch einen sehr hohen Anteil an Wasser als Transportmittel für gelöste Stoffe, eine wichtige Funktion.
Die hohe Polarität von Wasser führt außerdem dazu, dass sich Wassermoleküle gegenseitig anziehen und sogenannte Wasserstoffbrücken untereinander bilden. Diese starken Bindungen bewirken, dass der Phasenübergang von flüssigem Wasser zu gasförmigem Wasserdampf erschwert wird und erst bei höheren Temperaturen eintritt. Wenn Wasser ähnliche Eigenschaften wie Moleküle mit einem vergleichbaren Molekulargewicht aufzeigen würde, wäre sein Schmelzpunkt bereits bei -93°C, der Siedepunkt bei -72°C, Wasser würde auf der Erde ausschließlich in Form von Wasserdampf vorkommen.2 Diese Anomalie des Wassers führt also dazu, dass Wasser, als einziges Molekül auf der Erde, natürlicherweise in den drei verschiedenen Aggregatzuständen flüssig, gasförmig und fest vorkommt.
Die gegenseitigen, verhältnismäßig stark ausgeprägten Anziehungskräfte der Wassermoleküle führen auch zu einer hohen Oberflächenspannung. Wasserläufer machen sich diese zu Nutze, um über die Wasseroberfläche zu hüpfen. Die Oberflächenspannung ist auch für die Formgebung der Tropfen verantwortlich. Nur kurz vor der Ablösung am Wasserhahn bildet der Wassertropfen die charakteristische, nach oben spitz zulaufende Tropfenform, um dann nach dem Abriss eine nahezu perfekte Kugelform anzunehmen.3
Die Dichteanomalie ist eine weitere besondere Eigenschaft, die ebenfalls auf die Struktur des Wassermoleküls und die Bindung der Wasserstoffbrücken zurückzuführen ist. Während sich alle anderen bekannten Stoffe beim Kühlen zusammenziehen, dehnt sich Wasser unterhalb von 4°C wieder aus, das spezifische Gewicht, die Dichte, nimmt ab. In der täglichen Praxis bedeutet dies, dass Glasflaschen im Gefrierschrank durch die Ausdehnung des Wassers zu platzen drohen. Für die Natur spielt dieses Phänomen eine erhebliche Rolle, etwa bei der Temperaturschichtung eines stehenden Gewässers: Sinkt die Wassertemperatur eines Sees im Winter unter 4°C, sammelt sich das kalte Wasser an der Oberfläche, während das Wasser mit einer Temperatur von 4°C und mehr nach unten sinkt. Das Eis schwimmt auf dem See, und der See friert im Winter nicht vom Grund aus zu. Nur aufgrund dieser Tatsache ist eine Überwinterung der Fische und anderer Lebewesen im See möglich.
Auch die Kapillarität, die bewirkt, dass manche Flüssigkeiten, wie auch Wasser, in engen Röhrchen hochsteigen, hat eine wichtige Funktion in der Natur. Dieser Effekt beruht auf einem Zusammenspiel aus Oberflächenspannung und Wechselwirkungen zwischen der Flüssigkeit und der Oberfläche der Röhre. Pflanzen nutzen diese Eigenschaft, um mit Nährstoffen angereichertes Wasser vom Boden durch die schmale Pflanzenröhre nach oben zu transportieren. Der Kapillareffekt wirkt bis in eine Höhe von etwa 130 Meter und setzt gleichzeitig dem Wachstum von Bäumen eine Grenze: Es ist die maximale Höhe, die ein Baum erreichen kann, um seine Krone mit ausreichend Wasser zu versorgen.4
Diese und weitere Anomalien des Wassers machen seine Einzigartigkeit aus und tragen maßgeblich zur Existenz von Leben auf der Erde bei.
Der Mensch und das Wasser
Seit tausenden von Jahren hat sich der Mensch das Wasser zu Nutze gemacht: zur Bewässerung der Felder oder zur Freizeitnutzung. Flüsse, Seen und Meere wurden als Wasserstraßen oder zur Energiegewinnung erschlossen. Der Einfluss auf den natürlichen Wasserkreislauf wurde dabei mit zunehmender Weltbevölkerung und technischem Fortschritt immer größer. Die Schiffbarmachung der Flüsse, wie etwa die Rheinbegradigung nach den Plänen des Ingenieurs Tulla Anfang des 19. Jahrhunderts, erforderte tiefe Einschnitte in den natürlichen Flussverlauf: Verkürzung der Fließstrecken durch „Durchstechen“ der Mäander, Bau von Dämmen zum Hochwasserschutz, Vertiefung des Flussbettes. Während im 19. Jahrhundert der Fluss als Verkehrsader für die Schifffahrt dienen sollte, hat das 20. Jahrhundert das Zeitalter der wasserbaulichen Großbauprojekte eingeläutet, wie etwa dem Bau von gigantischen Talsperren zur Energiegewinnung, Trinkwasserversorgung oder als Hochwasserschutz.
Die zunehmende Urbanisierung der Flächen geht mit der Versiegelung natürlicher Flächen einher, wodurch die Grundwasserneubildung reduziert wird. Ein Großteil des Niederschlags läuft oberflächlich ab oder wird den Flüssen und Bächen über Entwässerungssysteme ohne zeitliche Verzögerung zugeführt. Das Verschwinden der natürlichen Pufferkapazität des Bodens und der Vegetation begünstigt das Auftreten von Hochwasser und Überschwemmungen.
Die wachsende Bevölkerung verbraucht Wasser, dabei gelangen Fäkalien und Waschmittel über das Kanalnetz zum Teil ungeklärt in Bäche, Flüsse und Seen. In Luxemburg wurden in den 1950er Jahren nur knapp 5 % des Abwassers geklärt.5 Der chemische und biologische Zustand der Gewässer verschlechterte sich. Ende der 1960er Jahre standen viele europäische Binnengewässer, wie etwa der Bodensee, kurz vor dem Umkippen6: das im Waschmittel enthaltene Phosphat führte zur „Eutrophierung“. Diese Überdüngung der Gewässer löste ein erhöhtes Algenwachstum aus und brachte das Ökosystem aus dem Gleichgewicht. Dies hatte ein zunehmendes Sterben von Fischen und anderen Organismen zur Folge. Seit den 1970er Jahren bietet der Markt phosphatfreie Waschmittel an, die Hauptzufuhr an Phosphor kommt heute aus der Landwirtschaft. Das Problem: Durch intensive landwirtschaftliche Bewirtschaftung werden weitere natürliche Flächen eingenommen, der Boden wird durch schwere Maschinen verdichtet und begünstigt auch den oberflächlichen Abfluss des Niederschlags. Um möglichst hohe Erträge zu erzielen, wird künstlich gedüngt und gespritzt, Nitrate und Pestizide gelangen in das Grundwasser und die Flüsse und verunreinigen unsere Trinkwasserressourcen.
Sauberes Wasser ist die Grundlage des menschlichen Lebens, und dennoch begleitet der Respekt vor der unsäglichen Kraft des Wassers die Menschen in ihrer Angst vor den Gefahren von Hochwasser und Fluten seit jeher. Auch wenn diese Extremereignisse bereits in der Vergangenheit auftraten, herrscht heute ein breiter wissenschaftlicher Konsens darüber, dass der vom Menschen verursachte Klimawandel extreme Wettergeschehen in Zukunft noch verstärken wird. Extreme Ereignisse, wie kurze intensive Regenfälle gefolgt von langen Trockenperioden werden, auch in Luxemburg, den Konflikt zwischen Perioden des übermäßigen Wasserdargebots und der Wasserknappheit weiter verschärfen.
Virtuelles Wasser
Während durch das Eingreifen des Menschen in den Wasserkreislauf das natürliche Gleichgewicht gestört wird und die Verfügbarkeit von sauberem Trinkwasser sinkt, steigt der weltweite Verbrauch an Wasser seit 1980 jährlich etwa um 1 % an.7 Obwohl der direkte Verbrauch des Trinkwassers pro Kopf in den letzten Jahren in Luxemburg gesunken ist8, dürfte der Verbrauch von virtuellem Wasser9, welches nicht direkt als solches von den Menschen verbraucht wird, aber zur Herstellung von Lebensmitteln oder Produkten etwa aus der Automobil- oder Textilindustrie benötigt wird, die Pro-Kopf-Bilanz um ein vielfaches ansteigen lassen. So steckt zum Beispiel hinter der Herstellung eines T-Shirts aus Baumwolle ein Verbrauch von etwa 2.500 Litern Wasser, ein Kilogramm Rindfleisch schlägt mit etwa 15.000 Litern zu Buche, ein Kilogramm Schokolade, eines der verschwenderischsten Lebensmittel in Bezug auf Wasser, verschlingt sogar 17.000 Liter.10 Auch die zunehmende Digitalisierung dürfte neben einem wachsenden Energiebedarf zu einer Steigerung des Wasserverbrauchs insbesondere zu Kühlzwecken führen. Die aktuellen Debatten um das geplante Google Datacenter in Bissen verdeutlichen die bedeutenden Auswirkungen von riesigen Rechenzentren; der Wasserverbrauch zur Kühlung der Server liegt schätzungsweise bei 10 % des gesamten Trinkwasserverbrauchs Luxemburgs.11
Das blaue Gold
Es liegt auf der Hand: Der reelle weltweite Wasserverbrauch hängt von der Art der wirtschaftlichen Weiterentwicklung, von den Lebensgewohnheiten der Menschen und letzten Endes von der Globalisierung des westlichen Lebensstils ab. Die weltweit ungleich verteilten Trinkwasserreserven geraten durch die steigende Bevölkerung, Übernutzung und Verschmutzung und den bevorstehenden Klimawandel zunehmend unter Druck. Unter diesen Gesichtspunkten wird die Anerkennung der Kostbarkeit von Wasser und die Dringlichkeit des nachhaltigen Umgangs mit dieser Ressource klar, oder um es mit den Worten der Trägerin des alternativen Nobelpreises, Vandana Shiva, zu benennen: „Throughout history, water sources have been sacred, worthy of reverence and awe. The advent of water taps and water bottles has made us forget that before water flows through pipes and before it is sold to consumers in plastic, it is a gift from nature.“12
- Wolfram Mauser, Wie lange reicht die Ressource Wasser? Vom Umgang mit dem blauen Gold, Bonn, BpB, 2007, S. 31-33
- Ebd.
- https://www.tugraz.at/fileadmin/user_upload/Institute/IEP/Thermophysics_Group/Files/Teachers/DIPLOMABEIT_Literaturrecherche_und_Demonstratonsexperimente_zur_Anomalie_Wasser_Christoph_BAUER.pdf (alle Internetseiten, auf die in diesem Beitrag verwiesen wird, wurden zuletzt am 24. August 2020 aufgerufen).
- Ebd.
- https://eau.public.lu/publications/brochures/a_eist_waasser_2013/eist_waasser_2013.pdf
- „Im Jahre 1945 wurden nur knapp 5-6 % der luxemburgischen Abwässer geklärt. In den 50er-Jahren hat sich die Lage nicht gebessert, eher im Gegenteil. Wachsender Wohlstand und ein höherer Lebensstandard durch das Anschaffen von Waschmaschinen, das Einrichten von Badezimmern und Toiletten mit Wasserspülung usw. ließen die Abwassermengen schnell ansteigen, während der zunehmende Ausbau des Kanalnetzes in den Ortschaften das Abwasser direkt und ungeklärt in das nächste Gewässer leitete.“
- https://www.deutsches-museum.de/bonn/sammlungen/episoden/himmel-und-hoelle/schadensersatz/waschen-ohne-phosphate/
- https://www.unesco.de/presse/pressematerial/un-weltwasserbericht-2019-daten-und-fakten
- https://statistiques.public.lu/catalogue-publications/regards/2019/PDF-04-2019.pdf, Senkung des Wasserverbrauchs von 242,8 Litern pro Einwohner in 2010 auf 200,5 Liter pro Einwohner in 2017.
- Vgl. dazu auch den Beitrag von Jean-Paul Lickes in diesem Dossier.
- https://www.waterfootprint.org
- https://www.meco.lu/de/blog/documentcenter/hoechst-problematische-trinkwassersituation-in-sachen-google-eine-entscheidung-der-gemeinde-bissen-zur-umklassierung-des-terrains-zu-diesem-zeitpunkt-waere-fahrlaessig/
„Dies vor allem wenn man weiß, dass der Wasserverbrauch von Google aller Voraussicht nach äußerst hoch sein wird und gemäß Schätzung sogar über 10% des gesamten Trinkwasserverbrauchs Luxemburgs liegen könnte. Wohl wird von öffentlicher Seite aus behauptet, ein großer Teil des benötigten Wassers würde aus Wasserläufen und nicht vom Trinkwasserleitungsnetz der SEBES stammen; doch auch wenn dem so wäre, bliebe die Situation dennoch höchst problematisch. (…) So stellt sich z.B. die Frage, inwiefern die Versorgung, vor allem während den Sommermonaten, (integral oder primär) über die Wasserläufe erfolgen kann. Fraglich ist, ob dies angesichts deren doch begrenzten Wassermenge überhaupt machbar, sowie aus Sicht des Natur- und Wasserschutzes – für das Ökosystem – überhaupt zulässig ist.“ - Vandana Shiva, water wars – privatization, pollution and profit, Berkeley/CA, North Atlantic Books, 2016, S. 306f.
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