- Politik
Was sich geändert hat und was sich noch ändern muss
Politische Modernisierung in Luxemburg
Auch Demokratien entwickeln sich. Normalerweise sind ihre Regeln nicht in Stein gemeißelt, sondern verändern sich mit der Zeit, passen sich (oftmals mit zeitlichem Abstand) an die Gesellschaft an und folgen dem Wertewandel oder den wirtschaftlichen Verhältnissen. Die Situation, die wir heute vorfinden, ist nicht jene, die vor 100 Jahren herrschte, und in 50 Jahren wird sich wahrscheinlich auch wieder einiges geändert haben.
Die demokratische Entwicklung Luxemburgs kannte in den letzten 150 Jahren keine Revolution, aber vieles hat sich trotzdem verändert. Die halbdemokratische Verfassung von 1868 gab dem Parlament eine gewisse Macht, die es mit der Zeit gegenüber dem König-Großherzog auszubauen wusste. Der Versuch von Großherzogin Marie-Adelheid in den Jahren zwischen 1912 und 1916 die faktische Macht des Monarchen wieder auszubauen, scheiterte am Widerstand der politischen Klasse und des Bürgertums. Nach dem 1. Weltkrieg wird das allgemeine Wahlrecht eingeführt (inklusive Frauenwahlrecht) und die angeschlagene Monarchie wird 1919 über ein Referendum bestätigt. Die Verfassung behält jedoch die Unklarheiten im Hinblick auf die Situation des Großherzogs noch 90 Jahre bei. Es dauert bis 2009 bis im Zuge der Debatte um das Euthanasie-Gesetz der Großherzog seine gesetzgeberischen Prärogativen auch formal verliert.
Demokratie im Wandel
Große Veränderungen kommen erst Ende des 20. Jahrhunderts: 1988 wird die Zahl der Abgeordneten auf 60 begrenzt. 1993 wird aufgrund einer Verurteilung Luxemburgs durch den Europäischen Gerichtshof den Ausländern das Wahlrecht für die Berufskammern zugestanden. Aufgrund des Maastrichter Vertrags von 1994 wird bei den Gemeindewahlen und bei den Wahlen zum Europäischen Parlament das Wahlrecht für EU-Bürger, die im Großherzogtum leben, geöffnet (und später auf kommunaler Ebene auch auf Nicht-EU-Bürger ausgeweitet). 1996 wird auf Druck des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte ein Verwaltungs- und Verfassungsgericht geschaffen. 2008 wird die Rolle der Parteien in die Verfassung eingeschrieben. Die „Demokratisierung“ des Staatsrates wird mühsam eingeleitet; sie ist bis heute nicht abgeschlossen.
2015 folgt ein großer Versuch, das politische System weiter zu öffnen. Die Legitimität der luxemburgischen Demokratie war durch den hohen Ausländeranteil in der Gesamtbevölkerung in Frage gestellt. Doch im Rahmen des Referendums vom 7. Juni 2015 stimmen rund 80% der einheimischen Wähler dagegen, dass Bürger ohne luxemburgische Staatsbürgerschaft das Wahlrecht erhalten sollen. Das Parlament liberalisiert daraufhin im überparteilichen Konsens das Gesetz zur Erlangung der Staatsbürgerschaft, um zumindest diesen Weg zur politischen Teilhabe zu erweitern.
Eine neue Verfassung für 2019
Seit 13 Jahren arbeitet das luxemburgische Parlament parteiübergreifend an einer neuen Verfassung. So soll der Text formal an die Verfassungsrealität angepasst werden und insbesondere die Befugnisse des Großherzogs sollen weiter geklärt werden. Ziel ist darüber hinaus, die Grundrechte und -freiheiten zu benennen und mit der Sprache auch den Geist des 19. Jahrhunderts zu verlassen. Die Arbeiten sind abgeschlossen und die derzeitige Koalition aus DP, LSAP und déi gréng hatte gehofft, den Text zumindest in erster Lesung dem Parlament noch vor dem Wahlgang im Oktober vorzulegen. Bei einer Verfassungsrevision (oder wie in diesem Fall einer Verfassungsneufassung) benötigt das Parlament jedoch eine 2/3-Mehrheit, faktisch ist also ohne Zustimmung der CSV kein Fortschritt möglich. In der Hoffnung, Ende 2018 wieder an der Regierung beteiligt zu sein, hat die CSV jedoch angekündigt, den Verfassungsentwurf nach den Europawahlen 2019 dem Volk in einem Referendum vorzulegen.
Reformen, die (vielleicht) noch kommen
Die meisten politischen Mandatsträger sind sich über eine Reihe von Reformen einig, die aber gegen den Wähler und einige Partikularinteressen schwer durchzusetzen sind. Das betrifft u.a. den oben erwähnten Staatsrat, dessen Ernennungsprozedur dringend reformiert werden müsste. Zurzeit arbeitet er in einem vordemokratischen Raum, der sich schwer begründen lässt. Auch seine Aufgaben müssten weiter geklärt werden, damit er den Spielraum des Staates, insbesondere in der Frage des Privateigentums, nicht systematisch (und politisch motiviert) einschränkt.
Die Zahl der Gemeinden muss reduziert werden. Der Spitzenkandidat der CSV, Claude Wiseler hat angekündigt, dass er als Zielmarke 60 Gemeinden sieht. Wegen einer Vielzahl von Widerständen auf Ebene der Lokalfürsten ist die Neuordnung der Gemeindelandschaft eine landesplanerische Herkulesaufgabe, die unbedingt parteiübergreifend gelöst werden müsste.
Die Umwandlung der vier Wahlbezirke in einen einheitlichen Wahlbezirk wird seit langem gefordert und parteiübergreifend mehrheitlich befürwortet. Dass rund 250.000 Wahlberechtigte auf vier Wahlbezirke verteilt sind, ist wenig einsichtig, schafft Diskriminierungen und erschwert u.a. die Regierungsbildung, wo zurzeit ein ausgeklügelter Regionalproporz eingehalten wird. Die Einführung eines einheitlichen Wahlbezirks würde aber vielleicht auf Kosten der Kandidaten der kleineren Wahlbezirke (Osten und Norden) gehen, die sich gegen die Schwergewichte im Süden und Zentrum durchsetzen müssten. Den großen Parteien würde diese Maßnahme einen Vorteil nehmen, der ihnen zurzeit bei der Restsitzverteilung zukommt.
Um der Provinzialität der luxemburgischen Politik etwas entgegen zu setzen, müsste das Panaschieren zumindest eingeschränkt werden. Man könnte sich ein System ausdenken, in dem Listenstimmen und personalisierte Stimmen kombiniert werden. Damit könnte der Einfluss solcher Kandidaten geschmälert wer- den, die rein aufgrund ihrer Bekanntheit Listenplätze einnehmen und kein politisches Profil aufzuweisen haben.
Nationale Politik oder Gemeindepolitik?
Die wichtigste Maßnahme zur Modernisierung der luxemburgischen Demokratie und zur Stärkung des ausgesprochen schwachen Staates wäre aber sicherlich das Verbot des Ämterkumuls von Bürgermeister- und Abgeordnetenmandat. Zu einem guten Drittel ist die Chamber heute mit Gemeindefürsten besetzt, die sowohl ein Bürgermeisteramt als auch ein Abgeordnetenmandat innehaben. Sie bringen sich (schon aus Zeitgründen) kaum in die parlamentarische Arbeit ein, verhindern aber aufmerksam, dass der Spielraum der Gemeinden, insbesondere im Bereich Landesplanung eingeschränkt wird. Ergebnis dieser Konstellation ist, dass die Landesplanung auf dem nur 2586 qkm großen Territorium auf dem Niveau der 60er Jahre stehen geblieben ist und die (Wachstums-)Probleme sich in besorgniserregendem Maße häufen.
Dem Land, das vor großen Herausforderungen steht, könnte man fast wünschen, dass sich informell für zwei, drei Jahre eine übergreifende Koalition aus den wichtigsten Parteien bildet, die gemeinsam die überfällige Modernisierung des politischen Systems durchführt.
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