Was tun? / Que faire ?

Was soll ich nicht tun?

Was soll ich tun? Schon kleinste Kinder stellen sich und ihrem Umfeld diese Frage. Darauf eine befriedigende Antwort zu finden, ist in vielen Situationen gar nicht so einfach. Und dennoch gehört diese Frage zu den zentralen der Menschheitsgeschichte. Nicht von ungefähr zählt sie zu den vier großen Fragen von Immanuel Kant. Bereits vor etlichen Jahren hat der Performance-Philosoph Bazon Brock eine originelle und erstaunlich bestechende Antwort darauf gegeben: Nichts. Es geht ihm freilich nicht um eine Feier des Nichtstuns, sondern vielmehr um eine Ethik des Unterlassens. Und Unterlassen ist dabei insofern ein Tun, als dass ich mich bewusst dafür entscheide, etwas nicht zu tun. Ziel des Unterlassens ist es, bestimmte Folgen, die sich aus einem Handeln, das unterlassen wird, ergeben hätten, zu vermeiden. Man könnte mit Brock also Kant auf den Kopf stellen und fragen: Was soll ich nicht tun?

Genau diese Frage treibt den Architekten und Designtheoretiker Friedrich von Borries so sehr um, dass er soeben ein Stipendium fürs Nichtstun ausgeschrieben hat. „Wir leben in einer Zeit“, so die Ausschreibung, „in der man statt nach ‚Erfolg‘ und ‚Wirksamkeit‘ besser nach Folgenlosigkeit streben sollte: Welche Handlungen kann ich unterlassen, damit mein Leben keine negativen Folgen für das Leben anderer hat?“ Die Logik hat etwas Bestechendes. Ist es ein Wunder, dass acht der Zehn Gebote sich auf das Unterlassen beziehen (nicht töten, nicht ehebrechen, nicht stehlen usw.)? Vieles spricht für eine Verbreitung einer neuen Ethik des Unterlassens.

Die Folgen des Nichtstuns

Nicht Auto fahren, nicht in den Urlaub fliegen, nicht das neueste Handy kaufen, nicht tanken, nicht posten, nicht den Rasen sprengen – mögliche Unterlassungen im Kampf gegen die Klimakrise. Nicht Basketball spielen, nicht zur Olympiade oder zur Expo fahren, keinen Urlaub in der Türkei machen – mögliche Unterlassungen im Kampf für die Menschenrechte. Bisweilen gilt: Reden ist Silber, Schweigen ist Gold, Unterlassen ist Platin. Wörter können zwar Waffen sein, aber in vielen Bereichen hat die Kritik sich als zuverlässiger, doch harmloser Papiertiger und damit Partner dessen etabliert, was kritisiert werden soll. Kapitalismuskritik etwa gehört fast schon zum Kapitalismus dazu. Nicht-mehr-Mitmachen, Unterlassen, Verzichten tun ihm viel mehr weh als jedes neue linke Manifest.

Eine Ethik des Unterlassens könnte auch die Politik voranbringen. Mussten erst Corona und die damit einhergehenden Unterlassungsregeln kommen, damit der World Overshoot Day in diesem Jahr drei Wochen später erreicht war als im Vorjahr? Oder man schaue auf die Situation der Menschenrechte. Das viele Reden, man könnte es auch Symbolpolitik nennen, hat oft zu nichts anderem geführt als zur Fortsetzung von Menschenrechtsverletzungen: etwa in China. Was können wir in Luxemburg, so könnte man fragen, für die Uiguren tun? Genau! Nichts! Nicht Handel treiben, nicht für chinesische Banken tätig sein, nicht mit chinesischen Firmen zusammenarbeiten. Nichts zu tun, kann bisweilen mehr erzielen als zu tun. Und alles andere als solche Unterlassung wäre sowieso – unterlassene Hilfeleistung. HM

Als partizipative Debattenzeitschrift und Diskussionsplattform, treten wir für den freien Zugang zu unseren Veröffentlichungen ein, sind jedoch als Verein ohne Gewinnzweck (ASBL) auf Unterstützung angewiesen.

Sie können uns auf direktem Wege eine kleine Spende über folgenden Code zukommen lassen, für größere Unterstützung, schauen Sie doch gerne in der passenden Rubrik vorbei. Wir freuen uns über Ihre Spende!

Spenden QR Code