Seit dem Beginn der Covid-19-Krise übe ich mich im Spagat, zwischen Realität und Wünschen den Raum zu gestalten, in dem ich trotz aller Unsicherheiten, die derzeit meinen Beruf berühren, meine Freiheit, meine Energie und den Freiraum, den ich zum Kreieren und für Visionen brauche, geschmeidig halte. Offen und motiviert zu bleiben und nicht in Sorgen zu versinken, was die Zukunft und vor allem den sozialen Umgang, die Fülle an negativem Informationsfluss und die Belastungen des confinements betrifft.

Die Aussicht, seit Monaten und für eine noch nicht absehbare Zeit keine Auftritte zu haben und mit weiteren Absagen zu rechnen, ist alles andere als rosig und entzieht sich der eigenen Kontrolle. Das ist ein neues Phänomen. Die gesamte Situation ist für alle ein heikles und anstrengendes Erlebnis, für den Großteil sicherlich auch seelisch belastend und für viele beruflich und existenziell riskant. Die Freischaffenden trifft sie unmittelbar.

All das und mehr sehe ich, und ich beschäftige mich damit – Wegschauen gilt nicht; mein Leben und mein Schaffen sind miteinander verwoben. Es hieß, die Welt stehe still, aber das tut sie nicht. Vor allem in Momenten, in denen es außenrum stiller wird und dafür innen umso lauter. Auch ohne Krise ziehe ich mich regelmäßig zurück, um zu arbeiten, eine gewisse Ruhe bin ich daher gewohnt. Und dementsprechend ist der Drang zu arbeiten wie immer groß, nur eben empfindlich durch die Begebenheiten gestört. Vieles kostet mehr Energie: mutig sein, entspannt, wach und klug. Geschlossene Grenzen sind mir ein Albtraum, aber ich verstehe ja, weshalb das so ist. Der direkte Kontakt zu Freund*innen, Familie, das Baden – auch in der anonymen Menge – fehlen mir. Umarmungen, Hände und Haut fühlen fehlen mir. Aber ich verstehe, weshalb das so ist. Ich glaube, ein bisschen zu trauern wie um eine zerbrochene Beziehung, so ähnlich fühlt es sich an.

Alles, was konkret ist, versuche ich aktiv zu nutzen; es baut mich auf und gibt mir Kraft. Ich habe eine lockere Routine: Laufengehen, lange Spaziergänge unternehmen, im Gegensatz zu Hamstereinkäufen wenig und dafür häufiger in kleinen Läden einkaufen, fein kochen und arbeiten, derzeit vor allem an einem Projekt mit Kolleg*innen aus Deutschland und Frankreich, das im Dezember Premiere feiert (und nicht abgesagt wurde!). Eine für die Bühne inszenierte Radiotheaterperformance über die Künstlerinnen des Surrealismus und das Thema Traum. „Onirisée“, so hat die Ideenstifterin Élodie Brochier das Projekt betitelt, ist ein großer Glücksfall, mein Anker oder gar die Arche Noah durch diese Zeit. Mit im Boot sind noch Katharina Bihler und Stefan Scheib. Auch wenn wir uns bisher noch nicht wieder treffen konnten, tauschen wir uns seit April regelmäßig in Videokonferenzen aus und sammeln unsere Vorschläge in digitalen Ordnern, stellen uns gegenseitig Aufgaben, an denen jede*r im eigenen Rhythmus arbeiten kann.

Universalität erleben

Was mich an dieser Arbeit begeistert, ist die Universalität der Themen der surrealistischen Künstlerinnen und auch ihre Emanzipation; die meisten dieser Frauen haben ihren völlig eigenen Stil entwickelt und sehr eindringliche Werke geschaffen. Wir beschäftigen uns mit ihrem Schaffen, ihren Biografien und allen Formen, derer sie sich bedienten, sowie mit Träumen und Traumwelten, ganz im Sinne der surrealistischen Bewegung. Es ist eine faszinierende Welt, mit der ich mich zeitgleich zu unserem ja manchmal ebenfalls traumhaft anmutenden Ausnahmezustand beschäftigen darf, die mir neben schillernden Persönlichkeiten parallel auch viel Einsicht verschafft und neue Erfahrungen und Erkenntnisse bietet. In dem Zusammenhang versuche ich mich zusätzlich zur Musik und dem Schreiben auch an anderen Medien und spiele mit Collage, Fotografie und Video. Dabei geht es mir weniger ums Kunstmachen als um das Universelle im eigenen Erleben und das Erleben der Universalität, das ich täglich erforsche.

Bei allen Momenten der Schwermut, die gelegentlich aufkommen, schätze ich mich glücklich, meinem Leben und meinem Weg einfach weiter folgen zu können. Grundsätzlich habe ich bei herausfordernden Projekten zudem immer den Gewinn, selbst daran zu wachsen und das wiederum in weitere Arbeiten und Abenteuer einfließen zu lassen. Was ich noch tue: nachdenken, Entspannung suchen, da ich doch eher rastlos bin. Versuchen, die Welt zu verstehen und das Leben zu lieben. Eigentlich wie immer, nur anders. Diese Weltkrise stellt eine bedeutende Herausforderung dar. Und ich wünschte mir, dass wir in großer Zahl daran wachsen können. Irgendwann wird sie vorbei sein. Ich hoffe, bald.

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