Wat d’Heemecht ass, dat froen s’oft

Amerika-Luxemburger dürfen bei Chamberwahlen im Bezirk Zentrum mitwählen

Als Luc Frieden seine letzte Legislaturperiode als Justizminister absolvierte, brütete er lange über dem Entwurf für ein neues Nationalitätsgesetz. Da kam ihm, quasi als Kontrapunkt zur von seinem Chef, dem Premierminister, im CSV-internen Alleingang ersonnenen, doch für die Partei gefährlich revolutionär anmutenden Einführung der doppelten Staatsbürgerschaft, eine zündende Idee. Wäre es nicht schön (und politisch einträglich), all jenen verlorenen Ur- und Ururenkelkindern der einst bitterarmen, von Massenauswanderung gebeutelten Heimat die einmalige Chance zu bieten, ihr mehr oder weniger verdrängtes, doch latent noch in der Blutbahn schlummerndes Luxemburgertum neu zu entdecken und sie mit den Instrumenten fortgeschrittener Staatsrechtskunst generationenübergreifend wieder in die demographisch bedrohte Volks- bzw. demokratisch strapazierte Bürgergemeinschaft aufzunehmen? Das Ergebnis der Frieden’schen Reflexionen war Artikel 29 im Gesetz vom 23.Oktober 2008.1

Um es gleich vorweg zu nehmen: Das „Recouvrement Art.29“ genannte Verfahren wurde ein Knüller, ein exponentiell sich aufblasender Selbstläufer, der dem Großherzog zwischen dem 1. Januar 2009 – als das Gesetz in Kraft trat – und dem 31.März 2017 sage und schreibe 12755 neue Untertanen bescherte.2 Allein 2016 waren es deren 3950, womit die Zahl der Recouvrements jene der normalen Einbürgerungen (naturalisation) – die sich seit 2014 bei etwas mehr als 3000 pro Jahr eingependelt hat – zum ersten Mal übertraf. Bis zum 31.Dezember 2018, wenn die Maßnahme ausläuft, dürfte bei stabilem Rhythmus noch mit weiteren 8000 Wiedereinbürgerungen zu rechnen sein. Käme es, wie häufig in vergleichbaren Situationen, zu einem Last-Minute-Ansturm, könnten es noch etliche mehr werden.

Seinen größten Erfolg landete das Recouvrement, wie erwartet, in unseren benachbarten Grenzregionen: in Belgien, Frankreich und Deutschland, im Areler, Sankt Väiter, Diddenuewener und Béibreg-Neierbuerger Land. Diese Gegenden waren einmal Teil des alten Herzogtums Luxemburg; bis heute werden dort, mal mehr, mal weniger verbreitet, moselfränkische Mundarten gesprochen, die in den Ohren der Grands-Ducaux einen vertrauten, wenngleich akzentbehafteten, luxemburgischen Klang haben. Viele dort durchstöbern zurzeit die kommunalen Archive nach völkischen Verbindungen. Schließlich war die Staatsgrenze nach den drei Gebietsabtretungen von 1659, 1815 und 1839 nie wirklich ein Hindernis in Bezug auf grenzüberschreitende Partnerwahl, Fortpflanzung und die Weitergabe urluxemburgischen Erbguts.

Doch im Gegensatz zur Naturalisierung, die zusätzlich zur Aufenthaltsdauer in Luxemburg von mindestens fünf Jahren3 die Hürde einer Sprach- und Bürgerkundeprüfung vorschreibt, brauchen jene, die ihre Wiedereinbürgerung nach Artikel 29 beantragen, indem sie sich auf einen Vorfahren in direkter Abstammungs-linie berufen, der/die am 1.Januar 1900 Luxemburger(in) war, keinerlei Sprachkenntnisse nachzuweisen (die viele von ihnen, vor allem jene, deren Ahnen es in die USA oder nach Brasilien gezogen hat, eh nicht haben). Selbstredend wird von ihnen auch nicht verlangt, jemals in Luxemburg gewohnt, geschweige denn hier Steuern und Sozialversicherungsbeiträge gezahlt zu haben.

Die einzige staatsbürgerlich relevante Frage, die sich den juristisch repatriierten Söhnen und Töchtern der Heimat nach Empfang ihrer mit dem Roude Léiw verzierten Ausweispapiere im für sie zuständigen Bierger-Center der Stadt Luxemburg stellt, ist die ihrer Beteiligung am demokratischen Gemeinwesen, von dem sie jetzt, kraft eines wohlüberlegten persönlichen Willensaktes, Teil geworden sind. Als nicht ortsansässige Auslandsluxemburger sind sie nicht von Rechts wegen verpflichtet, an den Chamberwahlen teilzunehmen. Vielmehr steht es ihnen frei, vor jeder Wahl den „vote par correspondance“ zu beantragen.

Ein Flecken Grand-Duché im tiefen Midwest

Stolz zeigt Sara Jacoby ihren noch jungfräulichen Luxemburger Pass. Die energisch und bodenständig wirkende junge Frau ist Executive Director der Luxembourg American Cultural Center & Society4 im 4500-Seelen-Städtchen Belgium im US-Bundesstaat Wisconsin. Die LACS beherbergt ein schmuckes Kulturzentrum mit Versammlungsräumen, Ahnenforschungsinstitut und Shop, wo es allerlei praktische, kunstvolle, lesens- oder hörenswerte Dinge aus Luxemburg zu kaufen gibt. Neben dem funktionalen, ästhetisch gelungenen Verwaltungsgebäude befindet sich in einer originalgetreu wiedererrichteten Bauernscheune von 1872 das „Roots & Leaves Museum“. Außen ist ein kleiner Park mit Springbrunnen, Statuen und Gedenktafeln angelegt. Auf der angrenzenden Festwiese trifft man sich im Sommer zu allerlei Dëppefester. Dazu gibt’s Bierspezialitäten einer bekannten Brauerei aus Bascharage.

Fährt man durch diese dünn besiedelte Gegend im Ozaukee County am Westufer des Michigansees, erinnern die sanften Hügel, die kleinbäuerlich genutzten Flächen, vor allem aber die Bauweise der Kirchen unweigerlich an das Landschaftsbild im 6800 Kilometer entfernten Redinger Kanton.

Sara Jacobys Vorfahren sind, wie viele andere, vor über 150 Jahren aus Luxemburg eingewandert. Außer ein paar Umstandsbröckchen spricht und versteht sie kein Luxemburgisch. Aber sie ist begeistert von ihrer derzeitigen Mission. Die LACS gilt nämlich als erste Adresse in den Vereinigten Staaten für Amerikaner mit luxemburgischen Wurzeln, die sich die Rückerlangung der Staatsbürgerschaft ihrer Vorväter zum Ziel gesetzt haben. Dass sie, die Bilderbuch-Amis aus dem Mittleren Westen, damit zugleich auch Bürger der Europäischen Union werden, mit Wahlrecht für das Europaparlament, dürfte nur den wenigsten klar sein.

Allein die Zahl derer, die ihren Recouvrement-Antrag über die LACS gestellt haben, hat inzwischen die Tausendergrenze überschritten. Von nah und fern ist das Interesse ungebrochen: Aus Wisconsin und Illinois, Minnesota und Iowa sowie vielen weiteren Bundesstaaten bis hinunter nach Florida kommen die Leute nach Belgium – das übrigens nur deshalb so heißt, weil es bei Gründung der Ortschaft schon ein „Luxemburg“ in Wisconsin gab, 72 Meilen weiter nördlich im Kewaunee County. Da viele der Siedler aus dem Areler Land stammten, das 1839 den Besitzer gewechselt hatte und jetzt zu Belgien gehörte, taufte man die neue Kolonie kurzerhand „Belgium“. (Siehe auch das Interview mit Josy Arens auf Seite 44.)

Panaschieren für Trump und Clinton?

Somit könnten, jedenfalls theoretisch, vor den Chamberwahlen im Herbst 2018 bis zu 20000 neue Diaspora-Luxemburger in der nahen Großregion und der fernen Übersee Post vom Hauptwahlbüro im Cercle municipal von Luxemburg-Stadt erhalten mit der Aufforderung, ihre 21 Stimmen für die Abgeordneten des Wahlbezirks Zentrum auf einer Liste oder über mehrere Listen hinweg mittels einem oder zwei Kreuzchen hinter den Namen der kompetentesten und/oder sympathischsten Kandidaten zu verteilen bzw. den Kreis über der Parteiliste ihrer Wahl (CSV, LSAP, DP, Déi Gréng, ADR, Déi Lénk, Piratepartei, KPL, Déi Konservativ, usw.) zu schwärzen und das so ausgefüllte Wahlbulletin mithilfe der zwei beigefügten Umschläge in die „Heimat“ zurückzuschicken.

Wie werden die Amerika-Luxemburger wählen? Wie werden sie sich informieren? Welche Erwartungen knüpfen sie an die demokratische Mitsprache in einem für sie weitgehend unbekannten Land? Alles Fragen, die Sara Jacoby bis dato nicht weiter beschäftigt haben. Neben dem erbgroßherzoglichen Paar war schon eine Reihe Luxemburger Politiker in Belgium zu Gast. Sara kennt Etienne Schneider und Ehepartner Jérôme Domange („ein sehr gut aussehender Mann“); auch über Octavie Modert, die das Projekt LACS als Kulturministerin großzügig mitfinanziert hat, weiß sie nur Gutes zu berichten.

Doch wer sind drüben in Europa, in Luxemburg, die Democrats? Und wer die Republicans? Was bedeutet für einen Amerikaner „christian social people’s party“, was assoziiert er mit „socialist workers‘ party“? Macht es überhaupt Sinn, das politische Geschehen in einem fernen kleinen Land, wo der Lauf der Geschichte ganz anders funktionierende Institutionen, ganz andere soziale Bruchlinien, eine ganz andere Parteienlandschaft, ein vollkommen anderes Wahlsystem und nicht zuletzt eine gänzlich andere politische Kultur hervorgebracht hat, mit den Begrifflichkeiten und Maßstäben der heimischen, in diesem Fall der US-amerikanischen Erfahrungswelt zu analysieren?

Wie werden die Luxemburger Parteien mit dieser pädagogischen Herausforderung umgehen, wie das Zentrum fir politesch Bildung? Ein süffisantes Ignorieren des Themas würde bedeuten, dass man die neuen Mitbürger nicht ganz ernst nähme. Oder ging es dem patriotisch erregten Gesetzgeber letztlich nur darum, die nationale Vitrine mit einer neuen Kategorie Folklore-Luxemburger aufzuhübschen?

Fragen über Fragen! Gesicherte Erkenntnisse liefern bislang nur die Resultate der US-Präsidentschaftswahl vom 8.November 2016 im – wie es auf dem Ortsschild heißt – „Home of Luxembourgers“: In Belgium-Town gewann Kandidat Donald Trump 61,54 Prozent der Stimmen, in Belgium-Village waren es 65,45 Prozent.

 

1 Loi du 23 octobre 2008 sur la nationalité luxem- bourgeoise, art. 29: «Le descendant en ligne directe paternelle ou maternelle, m me né l’étranger, d’un a eul Luxembourgeois la date du premier janvier mil neuf cent et que celui-ci respectivement l’un de ses descendants a perdu la nationalité luxembour- geoise sur base des dispositions légales antérieures, peut recouvrer la nationalité luxembourgeoise par une déclaration faire dans les 10 ans qui suivent l’entrée en vigueur de la présente loi. »

2 Angaben des Justizministeriums.

3 Das neue Nationalitätsgesetz vom 8. März 2017 trat am 1. April 2017 in Kraft.

4 www.lacs.lu

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