- Geschichte, Gesellschaft, Wissenschaft
Welche Zukunft für das Historische Institut an der Uni Luxemburg?
Sehr gut in der Forschung und engagiert in der Lehre, effizient in der Erwerbung von externen Forschungsgeldern und national wie international gut vernetzt: Der im Auftrag der Regierung angefertigte und am 17.2.2017 veröffentlichte Evaluationsbericht der Schweizer Firma Interface hätte für das Historische Institut an der Universität Luxemburg kaum positiver ausfallen können. In der Tat war das Historische Institut mit seinen Forschungsprojekten und Kooperationen überaus erfolgreich: Seit 2008 konnten über 17 Millionen Euro eingeworben werden, hauptsächlich um Zeitverträge von zusätzlichen Forschern/-innen zu finanzieren. Aus dem Institut sind in 7 Jahren 23 promovierte Historiker/-innen hervorgegangen, 19 weitere schreiben zurzeit an ihren Dissertationen.
Trotz dieser Sachlage geben kürzlich vorgenommene Weichenstellungen der Leitungsgremien der Universität Anlass zu der Befürchtung, dass die Absicht besteht, das Historische Institut nach und nach abzubauen. Freiwerdende Lehrstühle sollen nicht erneuert, sondern in das 2016 auf Regierungsanordnung geschaffene Center for Contemporary and Digital History (C2DH) überführt werden. Das bedeutet, dass der seit der Schaffung des C2DH vakante Lehrstuhl für Frühe Neuzeit (16.-19. Jh.) und der Lehrstuhl für transnationale Luxemburger Geschichte, der im Herbst 2017 zur Verfügung stehen wird, weil sein derzeitiger Inhaber in den Ruhestand gehen muss, nicht mehr besetzt werden. Diese Maßnahme bringt nicht nur beide Institutionen, die ihre Aufgaben und Forschungsanstrengungen als komplementär verstehen, bei der Postenverteilung in eine ungewollte Konkurrenzsituation. Sie hat vor allem schwerwiegende Folgen für Lehre und Forschung in der allgemeinen Geschichte und in Luxemburger Geschichte im Besonderen.
Dem C2DH stehen heute schon vier Professuren für die Geschichte der letzten 100 Jahre zur Verfügung und die Stellen für vier weitere senior research scientists, die Professoren/-innen gleichgestellt sein werden, sind ausgeschrieben. Alle anderen Epochen der Geschichte von der Antike übers Mittelalter bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts müssen in Zukunft von lediglich drei Professoren/-innen abgedeckt werden: ein Ding der Unmöglichkeit. Zudem sieht sich das Institut stetig steigenden Zahlen von Studierenden gegenüber: Im Herbst 2016 haben 90 junge Menschen ein Geschichtsstudium begonnen. Wenn die beiden Lehrstühle am Institut nicht wiederbesetzt werden, stellt sich die Frage, ob der Studiengang Geschichte noch den internationalen Standards entspricht. Hat die Luxemburger Gesellschaft nicht ein Anrecht darauf, dass ihre Studierenden ein vollständiges, vielfältiges und international anerkanntes Geschichtsstudium an ihrer eigenen Universität absolvieren können? Ein Studium, das alle Epochen abdeckt? Wenn dies bejaht wird, muss dafür gesorgt sein, dass jede Epoche auch weiterhin mit einer Professur vertreten ist, und zwar in Lehre und Forschung, wie es bei einer „Forschungsuniversität“ gefordert werden muss.
Wenn die Lehrstühle für Frühe Neuzeit und für transnationale Luxemburger Geschichte im Herbst 2017 tatsächlich verschwinden sollten, wird es an der Universität künftig weder Lehre noch Forschung über viele entscheidende Ereignisse und Entwicklungen der Luxemburger Geschichte geben: über den 30jährigen Krieg, der Luxemburg 25mal mehr Tote gekostet hat als der Zweite Weltkrieg, über die Bedeutung von Karl V., Graf Mansfeld und Kaiserin Maria Theresia für das Herzogtum, über die Proto- und Frühindustrialisierung, über die Anfänge der Stahlindustrie, über Migrationen vor dem 20. Jahrhundert, über die Entwicklung des Städtenetzes vom Mittelalter bis heute, über Langzeitentwicklungen im Raum Luxemburg usw. Gerade die Frühe Neuzeit ist ein Stiefkind der historischen Forschung über Luxemburg. Die Vorgeschichte der Luxemburger Nationswerdung bliebe somit weitgehend im Dunkeln.
Auf der akademischen Landkarte Europas war Luxemburg jahrzehntelang ein weißer Fleck. Zu dessen Beseitigung hat das Geschichtsinstitut seit Bestehen der Universität einen nicht unerheblichen Beitrag geleistet. Die Einladung der Beneluxländer zum Deutschen Historikertag 2018 in Münster kommt insofern nicht von ungefähr. Werden die genannten Pläne aber in die Tat umgesetzt, werden in Zukunft solche Beiträge aus Luxemburg zur internationalen Forschung nur noch von Zeithistorikern/-innen erbracht werden können. Dabei haben Forschungen zur Geschichte des Altertums und des Mittelalters der Uni Luxemburg schon vor ihrer Gründung zu internationaler Anerkennung verholfen: Die Tagungsbände der seit 1980 alle zwei Jahre stattfindenden „Journées Lotharingiennes“ werden bis nach Japan und in die USA verkauft. (…)
Mangelnde Visibilität und fehlendes Engagement für die Luxemburger Gesellschaft kann dem Institut auch nicht vorgeworfen werden. Die Debatten um die Dissertation von Vincent Artuso zur Kollaboration während des Zweiten Weltkriegs dürften noch in aller Erinnerung sein. Die Bücher über Erinnerungsorte aus der Luxemburger Geschichte waren regelrechte Bestseller. Die öffentlichen Abendvorträge zur Geschichte (Uni iwwer Land; Let’s talk about History) erfreuen sich stets eines großen Zulaufs. Das Historische Institut hat sich an der Organisation unzähliger Ausstellungen in Luxemburger und ausländischen Museen (Kaiser Heinrich II., Johann der Blinde, die Luxemburger in Prag, Kaiser Sigismund, Luxemburger Identitäten, Geschichte der Stadt Luxemburg) beteiligt. (…)
Wir wenden uns heute an die Luxemburger Gesellschaft in ihrer Vielfalt, denn die Frage betrifft an erster Stelle sie: Hat sie nicht einen Anspruch darauf, dass ihre Geschichte in ihrer ganzen Breite und Tiefe weiter erforscht und gelehrt wird? Und zwar in einer metanationalen Perspektive, also auch für Epochen, als es noch keine Luxemburger Nation gab und der historische Raum über die heutigen Landesgrenzen hinausreichte. Gehört Geschichte in ihrer ganzen Breite nicht genau wie Sprache oder Literatur zur aktuellen Reflexion über eine wie auch immer definierte „nationale Identität“? Die Entscheidung, die historische Forschung und Lehre auf Zeitgeschichte zu beschränken, muss nach unserer Überzeugung in der Öffentlichkeit diskutiert werden. Sie betrifft eine der wichtigsten Grundlagen der Gesellschaft. Dies ist gerade für die jüngeren Generationen wichtig, denn ihnen wird sehr bald die Möglichkeit zum Erwerb fundierter Kenntnisse der Geschichte genommen.
Eine Mitteilung von Mitgliedern des Historischen Instituts
im Einklang mit dem Dekan der Faculté des Lettres,
des Sciences humaines, des Arts et des Sciences de l’éducation
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