Wenn die Demokratie so dumm ist, …

Edito

Wir gehen in den Reichstag hinein, um uns im Waffenarsenal der Demokratie mit deren eigenen Waffen zu versorgen. Wir werden Reichstagsabgeordnete, um die Weimarer Gesinnung mit ihrer eigenen Unterstützung lahmzulegen. Wenn die Demokratie so dumm ist, uns für diesen Bärendienst Freifahrkarten und Diäten zu geben, so ist das ihre eigene Sache. Uns ist jedes gesetzliche Mittel recht, den Zustand von heute zu revolutionieren. (…) Wir kommen nicht als Freunde, auch nicht als Neutrale. Wir kommen als Feinde! Wie der Wolf in die Schafherde einbricht, so kommen wir!
Josef Goebbels, in: Völkischer Beobachter,
30. April 1928

An den bekannten Leitartikel von Josef Goebbels, dem späteren NS-Reichspropagandaminister unter Adolf Hitler, muss ich dieser Tage denken, wenn ich lese und höre, wie die AfD in Deutschland, die FPÖ in Österreich, die SVP in der Schweiz, der FN in Frankreich, VB et N-VA in Belgien – ganz zu schweigen von Ungarn, Polen, der Slowakei, Schweden oder Donald Trump – zweistellige Wahlergebnisse erzielen (vgl. Beitrag von Léonie de Jonge in dieser Nummer). Und die Parteien, die (noch) auf dem Boden der demokratischen Grundordnung stehen, schauen der Entwicklung offenbar hilflos zu. Wie 1930-33 in Deutschland. Österreich wurde wegen einer Regierungsbeteiligung der FPÖ in Europa gebannt. Heute scheinen Rechtspopulisten salonfähig.

Die Profillosigkeit der traditionellen Parteien lässt ihre Wähler zu den Populisten überlaufen. Wenn viele ehemalige Linkswähler ohne Zwischenstation zu rechtspopulistischen Parteien überwechseln, die zum Teil nicht einmal ein politisches Programm haben (AfD!), so zeigt das ja deutlich, dass sie ihnen nur aus Frust über die leeren Worthülsen der sogenannten Volksparteien, nicht aber aus rechtsradikaler Überzeugung ihre Stimme geben. Das Schielen auf parteipolitische Konkurrenten, das Sich-Vorbeidrücken an klaren programmatischen Aussagen, das Dreschen leerer Phrasen haben die meisten Wähler satt. Wenn auch die Rechtswähler keineswegs in der Mehrzahl zu den minderbemittelten Schichten gehören – die bestehen de facto eher aus nicht wahlberechtigten Migranten –, so fürchten sie doch durch die fortschreitende Globalisierung in den Sog nach unten gezogen zu werden.

In Luxemburg haben die Rechtspopulisten noch keine medienwirksame Partei bilden können. Aber auf dem RTL-Blog und ähnlichen Stammtischen braut sich einiges zusammen. Denn auch hierzulande fühlen sich viele Wähler nicht mehr von den traditionellen Parteien repräsentiert. Wie zur Zeit der Weimarer Republik breitet sich bis in die Mittelschicht hinein die Überzeugung aus, dass die parlamentarische Demokratie nicht mehr fähig ist, die Interessen des Volkes zu vertreten. Politische Entscheidungen, auf nationaler und auf europäischer Ebene, werden dem Einfluss von Lobbyinteressen zugeschrieben.

Ob die Wähler der Rechtsparteien tatsächlich zu den Verlierern der Globalisierung gehören oder nur Angst haben abzurutschen, scheint keine Rolle zu spielen. Sie leben mit dem Gefühl, dass gewisse Probleme seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten, einer Lösung harren. Immer mehr Schüler verlassen die Schule ohne Abschluss, weil die Lehrergewerkschaften sich einer fundamentalen Reform verweigern. Die Einkommensschere klafft immer weiter auseinander. Die Zahl der von Armut bedrohten Menschen nimmt zu. Die Wohnungspreise steigen ins Unermessliche, aber die Regierung will auf keinen Fall eine Vermögenssteuer einführen oder Abgaben auf leerstehende Wohnungen erheben. Der Mittelschichtsbuckel wird bei der angekündigten Steuerreform leicht abgeflacht, aber von einer Umverteilung von der Belastung der Arbeit auf jene des Kapitals und des Verbrauchs von natürlichen Ressourcen ist keine Rede mehr. Und. Und. Und.

Und schon zeichnet sich eine noch größere Gefahr ab: Die etablierten Parteien, statt standfest zu ihren traditionellen Werten zu stehen, rücken ihrerseits nach rechts, lassen sich vom Stammtischgerede anstecken. Der CSV-Abgeordnete Laurent Mosar wettert unentwegt gegen die Massenflucht nach Europa oder gegen den Islam, als ob der nicht schon zur Genüge von Terroristen missbraucht würde. Die LSAP spricht sich für TTIP aus und setzt damit Arbeitsplätze aufs Spiel, von den Gefahren für Umwelt und Rechtsstaat gar nicht zu reden. Die Regierungsparteien legen ein Gesetz vor, das angeblich mehr Sicherheit garantieren soll, dafür aber fundamentale Menschenrechte einzuschränken droht (siehe Beitrag von Frank Wies in dieser Nummer). Bei der Reform der Nationalitätsgesetzgebung wird das von CSV und ADR geforderte, wenn auch realitätsferne und viele Ausländer exkludierende Sprachniveau im Luxemburgischen von der Regierung akzeptiert, wohl wissend, dass Sprachsoziologen diese Anforderungen längst als sozialen Exklusionsmechanismus identifiziert haben. In der Referendumsdebatte überließen alle Parteien den nationalistischen Gegnern des Ausländerwahlrechts das Feld, ohne nur einen Finger zu rühren, um offensichtliche Falschinformationen und Lügen richtig zu stellen; die Nicht-Regierungsorganisationen sollten die Kastanien aus dem Feuer holen, mit eigenen klaren Aussagen wollte man verhindern, nachher selbst als Verlierer da zu stehen.

Und auch die Medien lassen sich in den populistischen Sog ziehen. Die „Flüchtlingsflut“ wird als Problem dargestellt statt als Bereicherung. Die Polizeireform wird als Bedrohung für die lokale Sicherheit thematisiert, obschon die Kriminalitätsrate so niedrig ist wie in keinem anderen europäischen Land. Die Luxemburger Sprache wird kritiklos als exklusives Zugehörigkeitskriterium zur Luxemburger „Nation“ akzeptiert, womit die Nation de facto als „Rasse“ definiert wird, auch wenn man das verpönte Wort tunlichst vermeidet. Es wird weiterhin von einer Luxemburger Identität geredet, als fließe die im Blut(!) von Geburt an und als sei sie seit Jahrhunderten unverändert dieselbe. Die vom EU-Ministerrat beschlossenen Anpassungen in Sachen Bankgeheimnis, Mehrwertsteuer, alternative Energien, Akzisen, … werden als lästige Pflichten verkauft statt als Beitrag zur europäischen Solidarität, von der man ja auch mal profitiert hat.

Gefragt wäre jetzt ein „Bündnis gegen rechts“, klare, laute Aussagen, was man für nicht verhandelbar hält, welche ethischen Überzeugungen man – auch mit dem Risiko von Stimmeneinbußen bei den nächsten Wahlen – nicht aufs Spiel setzen will. Die CDU hat ja in den drei Bundesländern am 13. März nicht verloren, weil Angela Merkel die Deutschen aufgerufen hat: „Wir schaffen das!“ – die Befürworter ihrer Asylpolitik bei den Grünen und der SPD haben die Wahlen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg gewonnen! –, sondern weil es im CDU-CSU-Lager Stimmen gibt, die nicht müde werden, das Grundrecht auf Asyl in Frage zu stellen und damit die moralische Glaubwürdigkeit der Partei aufs Spiel setzen, um – erfolglos – bei AfD-Wählern auf Stimmenfang zu gehen. Und Ähnliches gilt von den nach rechts driftenden Sozialisten und den Sarkozisten in Frankreich, die Le-Pen-Schlagwörter aufgreifen und sich nichtsdestoweniger über den Wahlerfolg des FN ärgern müssen. Und genau das droht auch einer CSV, wenn sie den Verlockungen des Stammtischs nachgibt, sei es in Sachen Flüchtlinge, Radarkontrollen oder Bedeutung der Luxemburger Sprache.

Ein solches Bündnis müsste den vielen vermeintlich oder tatsächlich Zukurzgekommenen, die nun auf Menschen auf der Flucht als Sündenböcke eindreschen, die sich nicht wehren können, das Gefühl wiederbringen, dass nur die Solidarität aller Opfer des Neoliberalismus die Chance bietet, gegen das Diktat des Finanzkapitalismus zu bestehen, dass ethnischer oder sozialer Rassismus keine Lösung bringt. Ein solches Bündnis müsste aufzeigen, dass AfD, FN, FPÖ und Konsorten einer noch liberaleren Wirtschaftspolitik den Boden bereiten, auch wenn sie behaupten, mit einer restriktiven Zuwanderungspolitik den Sozialstaat retten zu wollen. Statt Rechtspopulisten auszugrenzen, gilt es deren Pseudo-Argumente zu entlarven. Statt ihre Wähler für dumm zu verkaufen, gilt es auf deren wahre Nöte einzugehen und konkrete Lösungen vorzuschlagen. Und das bedeutet eventuell, dass man das globale Steueraufkommen nicht als Wahlgeschenk herabsetzt, sondern nutzt, um die sozialen Brennpunkte zu löschen, unser Schulsystem zu optimieren, sozialen Wohnungsbau voranzutreiben, usw.

Aber auch die Medien sind gefordert: Wer immer nur die Unzulänglichkeiten der Institutionen und politischen Mandatsträger anprangert (à la Nol op de Kapp), ihnen gar Blogger-Plattformen zur Verfügung stellt, darf sich nicht wundern, wenn die Menschen kein Vertrauen mehr in die Institutionen haben, die in ihren Diensten stehen sollen. Statt die rassistischen Ausfälle in den sozialen Medien zu ignorieren, müssten sich auch die Berufskommunikatoren offensiv damit auseinandersetzen. Um dem zuvorzukommen, wurde im NS-Regime die Presse gleichgeschaltet. Die Türkei macht’s nach. Ungarn, Polen,… sind auf dem Weg dahin. „Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch,“ lernten wir bei Bert Brecht. Steht der in den Schulen noch auf dem Lehrplan?

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