Wenn Text nicht mehr ausreicht

Datenjournalismus als Wegweiser im Informationsdickicht

Wegen ihrer Schlüsselrolle in der digitalen Ökonomie werden Daten oft als das Öl des 21. Jahrhunderts bezeichnet. Doch nicht nur für ökonomisch motivierte Technologieunternehmen stellen Daten inzwischen einen wichtigen Rohstoff dar. Auch der Journalismus erkennt zunehmend den Wert von Datensätzen und die verschiedenen Möglichkeiten, um aus ihnen eine Geschichte zu schöpfen.

Durch die Open-Data-Bewegung, die den freien Zugang und die Nutzbarkeit von öffentlichen Daten fördert, sowie die Entwicklung neuer kostenloser und einfach zu handhabender Werkzeuge zur Datenauswertung und Datenvisualisierung ermöglicht, entsteht derzeit eine neue Form des Onlinejournalismus: der Datenjournalismus.

Wie aus Daten Journalismus wird

Datenjournalismus ist eine neue, bislang vor allem im angelsächsischen Raum etablierte Recherche- und Publikationsform. Im Gegensatz zu einer klassischen personenzentrierten Berichterstattung machen die darauf spezialisierten Journalist*innen Daten zu dem zentralen Gegenstand einer Geschichte. Sie versuchen, den Informationsmehrwert aus großen Datenmassen herauszuschälen, in Datensätzen Zusammenhänge zu erkennen und diese durch Visualisierung der breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Vorläufer für Datenjournalismus war der sogenannte ‘Präzisionsjournalismus‘ der 1960er Jahre – Begriff für eine Journalismusform, die auf sozialwissenschaftlichen Methoden basiert. Der amerikanische Journalist Philipp Meyer wollte damals der allgemeinen Annahme nachgehen, dass unterprivilegierte Jugendliche die Hauptbeteiligten an den Rassenaufständen in amerikanischen Großstädten wären. Durch eine Computeranalyse demographischer Daten gelang es Meyer, diese Hypothese zu widerlegen.

Der Begriff des ‚Data Driven Journalism‘ – in der deutschen Übersetzung als ‚Datenjournalismus‘ zu kurz gegriffen – wird im März 2009 vom Guardian geprägt. Sein ‚Data Store‘ verknüpft seitdem maschinenlesbare Daten miteinander und veröffentlicht sie als interaktive Visualisierungen.

Meilensteine im Datenjournalismus

Als Wikileaks 2010 über 90 000 Datensätze des US-Militärs aus Afghanistan und dem Iran veröffentlicht, erfolgt der erste große Durchbruch im Datenjournalismus. Die auf den ersten Blick völlig unübersichtliche Masse an Dokumenten wird durch The Guardian und The New York Times in wochenlanger Detailarbeit von multidisziplinären Teams aus Journalisten, Programmierern, Grafikern und Webdesignern aufgearbeitet und anschließend als Story veröffentlicht. Erstmals wird hier ersichtlich, wie zigtausende Dokumente datenjournalistisch verarbeitet werden können.

Bald darauf experimentieren auch andere Medienhäuser mit dieser neuen Art des Journalismus. Darunter u.a. Zeit Online mit ihrem ‚Data blog‘, die Süddeutsche Zeitung mit ihrem ‚DataGraph‘, die L.A. Times mit ihrem ‚Data Desk‘, dpa mit ‚RegioData’ oder der Bayerische Rundfunk mit ‚BR Data‘. Im französischsprachigen Raum zeichnete sich vor allem die Website Owni.fr durch Datenjournalismus aus, die allerdings nach drei Jahren eingestellt wurde.

2011 stellt der Grünenpolitiker Malte Spitz Zeit Online seine gespeicherten Mobilfunkdaten von einem halben Jahr zur Verfügung, die er erfolgreich bei der Deutschen Telekom eingeklagt hatte. Aus diesen Geodaten entsteht das damals Aufsehen erregende Projekt mit dem Titel ‚Verräterisches Handy‘, bestehend aus einer interaktiven Karte, die das Bewegungsprofil von Spitz über den gesamten Zeitraum anzeigt.

Bekannt wird auch das ähnlich angelegte Projekt ‚Netzwerk AFD‘. Hierbei hat die taz in Kooperation mit dem Antifaschistischen Pressearchiv und Bildungszentrum (apabiz) sowie der Zeitschrift Der Rechte Rand seit 2017 die Verbindungen von mehr als 350 Mitarbeiter*innen der AfD-Bundestagsfraktion untersucht.

Im gleichen Jahr kürt der BBC das Thema ‚Interrogation of Data‘ zum Herzstück seines aktuellen Drei-Jahres-Plans und schafft zwölf neue Arbeitsplätze hierfür.

Eigenständige, nicht an ein Onlinemedium gekoppelte Projekte, wie das Portal klimafakten.de, Preisträger des UmweltMedienpreises 2017, das komplexe Erkenntnisse aus der Klimaforschung erläutert, können ebenfalls eine datenjournalistische Dimension haben. Hier arbeiten Journalisten mit einem wissenschaftlichen Beirat zusammen.

2015 erhält der Datenjournalismus eine eigenständige Kategorie beim Deutschen Reporterpreis.

Datensätze und Datenschätze

In Zeiten komplexer Zusammenhänge und Informationsoverloads kann traditioneller, textbasierter Journalismus an seine Grenzen stoßen. Hier kommen Interaktivität und Visualisierung einer leserfreundlichen Navigation zu Hilfe und bieten Orientierung im Datendschungel.

Doch Datenjournalismus ist weit mehr als nur eine neue Darstellungsform jenseits von Infografiken und Multimedia-Storytelling. Wenn die Qualität der Rohdaten stimmt, können sich in der Analyse von Datenbergen neue exklusive Ansätze finden lassen, welche ein Thema auf eine neue Art erschließen, Thesen absichern und in spannende Erkenntnisse münden können. Kostenlose benutzerfreundliche Tools wie der ‚Datawrapper‘ der Akademie Berufliche Bildung der deutschen Zeitungsverlage e. V. (ABZV) vereinfachen Journalisten den Einstieg in das Genre.

Nicht zu vernachlässigen in Zeiten der Glaubwürdigkeitskrise ist zudem der potentielle Vertrauensgewinn für die Medien: Die Veröffentlichung und Verlinkung von Rohdaten und Quellcodes kommen der redaktionellen Transparenz und Glaubwürdigkeit zugute.

Der neue Umgang mit Informationen im Sinne einer freien Netzkultur hat jedoch Auswirkungen auf die Funktion des Journalisten. Versteht er sich traditionell als Hüter der Quellen und Erzähler von relevanten Geschichten, ist er hier ‚nur‘ Datenanalyst und Vermittler in einer Gruppe von Redakteuren, Programmierern und Gestaltern, welche sich gemeinsam mit offenen Datensätzen auseinandersetzen.

Jedoch können die Journalist*innen sich mit diesen neuen Methoden wieder auf das Kernstück des Metiers konzentrieren: Die Recherche und Überprüfung von Fakten, die Identifikation und Vermittlung von Zusammenhängen – auch ohne viel Text.

http://datajournalismhandbook.org/
https://www.datenjournalist.de/
https://www.datawrapper.de

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