Wer hat an der Uni das Sagen?

Fünf Jahre Hochschul- und Forschungspolitik der aktuellen Regierung

2003 wurde die Uni Luxemburg von der CSV-Ministerin Erna Hennicot-Schoepges aus der Taufe gehoben. Seither war ihr immer wieder versprochen worden, sobald die Aufbauphase vorbei sei, würden die Entscheidungsstrukturen demokratisiert. CSV-Minister François Biltgen hinterließ einen diesbezüglichen Gesetzesentwurf. Der folgende Beitrag eines Insider-Kollektivs vermittelt eher den Eindruck, dass die amtierende Regierung die Autonomie der Uni zwar rhetorisch aufzuwerten versuchte, de facto aber untergrub.

Am 9. Juli 2018 unterzeichneten der delegierte Minister für Hochschulwesen und Forschung Marc Hansen, der Vorsitzende des Conseil de gouvernance (CG) Yves Elsen und der Rektor der Universität Luxemburg Stéphane Pallage eine Konvention, laut der die Uni für die Jahre 2018-2021 über zusätzliche 26,4 Millionen Euro verfügen darf, um ein Medizinstudium aufzubauen. Damit soll medizinische Forschung gefördert und der Ärztenachwuchs in Luxemburg abgesichert werden. Zu dem Zweck soll ab Herbst 2020 in Belval ein Bachelor-Studiengang angeboten werden. Durch Kooperationen soll die Fortsetzung des Studiums an umliegenden Universitäten im nahen Ausland sichergestellt werden. Der Abschluss einer entsprechenden Konvention mit vier französischen Universitäten ist für 25 Absolventen der Uni Luxemburg schon am 20. März 2018 beim Staatsbesuch in Paris vereinbart worden. Damit steigt der Gesamtbetrag der von der aktuellen Regierung für Forschung und Hochschulwesen für die Jahre 2018-2021 vorgesehen ist, auf 1,44 Milliarden Euro, eine Steigerung von 25% im Vergleich zu den Jahren 2014-2017, wie das Regierungscommuniqué hervorhebt.

Überlegungen und Vorstudien zum Aufbau eines Medizinstudiums waren schon von der Vorgängerregierung in die Wege geleitet worden. Zu dem Zweck war im Dezember 2012 der Mediziner Prof. Dr. Ludwig Neyses von der Universität Manchester zum Vizerektor berufen worden. Eine von ihm geleitete Arbeitsgruppe hatte mehrere Modelle entwickelt, bis es zu der besagten Entscheidung kam. Dass der Denkprozess für eine derart wichtige Entscheidung seine Zeit brauchte, müsste eigentlich klar sein.

Dass die vorige Regierung in anderen Punkten eine nicht so gute Vorarbeit geleistet hatte, musste die Regierung schon kurz nach ihrem Antritt feststellen: In den nagelneuen Gebäuden auf Belval fehlte die gesamte Informatik-Infrastruktur. Der Bautenminis-
ter musste in aller Eile ein Gesetz durchbringen, um deren Finanzierung sicherzustellen, bevor der Umzug der Universität stattfinden konnte.

Wenn auch in diesem Fall die Eile einen nachvollziehbaren Grund hatte, so traf die Regierung in der Folgezeit, insbesondere nachdem der Sportjournalist Marc Hansen den Wirtschaftswissenschaftler und Sekundarlehrer Dr. André Bauler am 28. März 2014 im Hochschulministerium abgelöst hatte, eine ganze Reihe von Entscheidungen, die eindeutig über das Knie gebrochen waren. Ohne vorbereitende Überlegungen beauftragte die Regierung am 30. Oktober 2015 die Uni in Zusammenarbeit mit dem berühmten MIT, ein Luxembourg Centre for Logistics and Supply Chain Management (LCL) zu schaffen und vier Professoren zu berufen, die nicht im Vierjahresplan vorgesehen waren. Auch drängte die Regierung die Universität, intensiver in das politisch hoch gehandelte Feld der Weltraumforschung einzusteigen und so Luxemburgs Ambitionen im Space Mining zu unterstützen. Ein entsprechendes Lehr- und Forschungsangebot (Interdisciplinary Space Master) soll schon 2019 angeboten werden. Beide Forschungsachsen gehören bis heute zu keiner Forschungspriorität, hatten wenig direkte Anknüpfungspunkte zu bestehenden Forschungsteams, und die getätigten Investitionen werden langfristig zulasten anderer Forschungsfelder gehen.

Damit offenbarte sich, dass die Regierung von der Uni eigentlich nur angewandte Forschung einfordert, die die Universität zu einem Zulieferbetrieb für die Luxemburger Wirtschaft degradiert. Unmittelbares Return on invest wird von ihr verlangt. Da haben z.B. die Geisteswissenschaften wenig Chancen, auch wenn der aktuelle Rektor in Interviews zurecht betont, dass ohne diese Fächer eine Uni zur École technique absinkt (Land, 29.6.2018). Um sich die Uni in diesem Sinn willfährig zu gestalten, machte die Regierung 2016 Yves Elsen zum Vorsitzenden des Conseil de gouvernance. Führungspersönlichkeit bei SES (1986-2002), seit 2003 CEO bei Hitec, leitet er den CG wie ein Unternehmer, setzt rein hierarchisches Denken durch, wie es in privaten Unternehmen angebracht sein mag, und knüpft damit wieder an den Führungsstil des ersten CG-Präsidenten und ehemaligen Sparkassendirektors Raymond Kirsch an.

Von 2010-2016 hatte er als Präsident des nationalen Forschungsfonds (FNR) bewiesen, dass er Forschung als Dienstleistung für die Wirtschaft versteht. Seither werden markttaugliche Projekte ganz klar vor Grundlagenforschung gefördert, und der Generalsekretär des FNR darf sich mittlerweile als Mitglied von offiziellen Wirtschaftsmissionen im Ausland brüsten. Bei der Generalversammlung zur Begrüßung des neuen Rektors am 15. Januar 2018 verbot Elsen sich ausdrücklich öffentliche Stellungnahmen der Universitätsangehörigen zu Universitätsangelegenheiten. Und um sicher zu sein, ernannte die Regierung auch noch das DP-Parteimitglied Alain Kinsch, managing partner bei Ernst&Young, zum Mitglied desselben CG. Dass Rainer Klump, Rektor seit 2015, der die deutsche Hochschuldeontologie in Herz und Kopf hatte, mit diesen kalten Rechnern nicht gut auskam, darf im Nachhinein nicht verwundern. Sie schoben ihm die vom Verwaltungsdirektor Funck verursachte Finanzkrise, die sich seit langem anbahnte, weil dieser keine mittel-, geschweige denn langfristige Finanzplanung zustande brachte, in die Schuhe, und Klump, der mit seiner Dialogbereitschaft bei der Belegschaft gut angekommen war, musste im Mai 2017 seinen Hut nehmen.

In derselben Logik werden die Geisteswissenschaften auf politisch ‘nützliche’ Themen festgenagelt. Philosophie könnte man unter dieser Perspektive ja mal ganz abschaffen. Nur noch Zeitgeschichte und digital history, weil sie zur Regierungsstrategie Digital Luxembourg und Rifkin passen, werden gefördert, das Historische Institut in der Fakultät mit seinen Forschungsprojekten, die Luxemburg in der longue durée untersuchen wollen, hingegen ausgeblutet. Die Geschichte des ZweitenWeltkriegs immer wieder zu erforschen scheint sexier – und danach sind die Wähler immer noch hungrig – als die wahren Forschungslücken, die zwischen dem 16.-19. Jahrhundert klaffen, gezielt zu füllen. Daneben bleiben die Erziehungswissenschaften eine Priorität, die Lösungen in Sachen mehrsprachige Schülerwelt liefern sollen. Wenn aber die vom LUCET-Institut ausgewertete PISA-Studie zu unliebsamen Ergebnissen kommt, entscheidet der Erziehungsminister kurzerhand, bei dieser weltweiten Vergleichsstudie einfach nicht mehr mitzumachen.

Im Regierungsprogramm vom 3. Dezember 2013, und zwar im Kapitel ‘Kultur’, war in der Tat die Schaffung eines Instituts für Zeitgeschichte vorgesehen. Doch dann muss es zu koalitionsinternen Auseinandersetzungen gekommen sein, denn spätestens unter Hansen wurde das Dossier vom Hochschulministerium verwaltet. Dem im Januar 2015 neu angetretenen Rektor Rainer Klump, der die politischen Hintergründe noch nicht kennen konnte, war es gleich bei Amtsantritt untergejubelt worden, zum Leidwesen des bewährten Historischen Instituts an der Fakultät für Geisteswissenschaften, das sich fast einstimmig gegen eine derartige Sonderstellung der Zeitgeschichte aussprach und versicherte, dass es selbst mit einer entsprechenden finanziellen und personellen Ausstattung die Missionen erfüllen könnte, die dem fakultätsunabhängigen Zentrum C2DH zugedacht sind. In die Universität integriert wurden im selben Zusammenhang durch Regierungsbeschluss vom 5. Juni 2015 vier bis dahin selbstständige Forschungsinstitute1, eine Maßnahme, die forum schon 2003 befürwortet hatte, die nun aber den betroffenen Direktoren zum Teil ohne Vorwarnung vom delegierten Hochschulminister mitgeteilt wurde, indem er sie schon am frühen Morgen um 7 Uhr zu sich bestellte.

Autoritäres Vorgehen ist typisch für Personen, denen die Sachkenntnis fehlt, um ein Dossier zu verteidigen. Daher meiden sie in der Regel die kreative Auseinandersetzung, so auch Hansen mit seinem ersten Entwurf eines neuen Universitätsgesetzes, den er am 24. April 2017 einreichte. Die Dreiparteien-Regierung begnügte sich nicht damit, die Vorlage von Minister Biltgen anzupassen, sondern ließ ein ganz neues Universitätsgesetz ausarbeiten. Verhandelt wurde es nur mit dem Rektor und dem Conseil de gouvernance. Während die Universität nach 15 Jahren Erfahrung auf eine Demokratisierung der Entscheidungsstrukturen wartete, entpuppte sich der Entwurf als weitere Stärkung der Befugnisse des CG, während das Rektorat als Kollektiv abgeschafft und alle Macht beim Rektor konzentriert wurde. Dabei bleibt allerdings klar, dass der eigentliche Chef weiterhin der Vorsitzende des CG ist, wie ein Lapsus bei der schon erwähnten Begrüßungsveranstaltung für den neuen Rektor überdeutlich verriet, der nur Exekutivdirektor des CG ist. Außerdem wurde der Fakultätsrat abgeschafft und der Dekan soll nicht mehr von seinesgleichen gewählt, sondern vom Rektor ernannt werden.

Als der Gesetzesentwurf auf die einhellige Kritik der akademischen Kreise stieß, die sich in etlichen Leserbriefen von Professoren in der Tagespresse äußerte, musste der delegierte Hochschulminister nachgeben: Im Dezember 2017 empfing er endlich eine Delegation der Professorenvereinigung (APUL). Immerhin hatte Hansen das seinerzeit von der APUL bei Minister Biltgen durchgesetzte Prinzip der autonomen Wahl des Vorsitzenden des Universitätsrats durch die Uniangehörigen (auf Kosten des Rektors) beibehalten, musste nun aber das CG um vier Angehörige der Uni erweitern: zwei Professoren aus dem Universitätsrat, der/die Vorsitzende der Personaldelegation und ein/e Vertreter/in der Studierenden, die schon in Biltgens Vorlage als eigene Körperschaft an der Uni aufgewertet werden sollten. Leider ist vorauszusehen, dass sich der CG auch weiterhin in die Tagesgeschäfte der Universität, von der Schaffung neuer Studiengänge und Lehrposten bis zur Nominierung von Professoren und zur Bewilligung von Forschungssemestern, einmischen wird. Wenn nicht gar der Minister reinredet, wie Hansen, der dem C2DH-Direktor zwei Namen nannte, die er auf keinen Fall ins Zentrum übernehmen dürfe. Dem Conseil universitaire wurden zwar Entscheidungsbefugnisse, etwa in Sachen Studienordnung, zugestanden, doch es bleibt zu befürchten, dass gegen die eher uneinige, oft von individueller Eigensucht geplagte Professorenschaft der CG weiterhin leichtes Spiel haben wird.

Es sei denn, mit dem Beschluss des Regierungsrats vom 25. Juli 2018 käme neue Bewegung ins Spiel. Dreieinhalb Monate vor den Neuwahlen ließ die scheidende Regierung es sich nicht nehmen, den CG zu erneuern, obschon er erst am 1. November in Funktion treten wird. Überraschenderweise hat die Regierung dabei einem alten Vorwurf Rechnung getragen und die Zahl der Wirtschaftsvertreter auf zwei reduziert, eine Vertreterin der Zivilgesellschaft und einen Staatsbeamten ernannt. Mit dem Direktor des CNA und der Trierer Professorin für ältere deutsche Philologie (und Luxemburgistik) sind sogar zwei GeisteswissenschaftlerInnen unter den neun Mitgliedern, die von der Regierung bestimmt wurden. Die Hoffnung steigt, dass ein derart zusammengesetzter CG sich erfolgreicher gegen Einmischungen, auch einer vielleicht wieder CSV-geführten Regierung, in die Uni-Interna zur Wehr setzen wird und die Universität zu ihrem klassischen Geschäft, nämlich Grundlagenforschung und Lehre im Dienst der einheimischen und der auswärtigen Gesellschaft (und nicht nur Wirtschaft), zurückfinden kann.

  1. Centre d’études et de recherches européennes Robert Schuman (CERE), Centre virtuel de la connaissance sur l’Europe (CVCE), Centre de documentation et de recherche sur la Résistance (CDRR), Centre de documentation et de recherche sur l’Enrôlement forcé (CDREF).

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