- Gesellschaft, Kultur, Wissenschaft
Widersprüchlich, ungeduldig, selbstbezogen?
Anmerkungen zum Verhältnis zwischen Luxemburg und seiner Universität
Anmerkungen zum Verhältnis zwischen Luxemburg und seiner Universität
Viel ist gesagt und geschrieben worden zur rezenten Krise der Universität. Während der Rektor und enge Mitarbeiter im Zentrum der Debatte standen, fand die Rolle der Forschungs- und Wissenschaftspolitik des Landes bislang kaum Beachtung. Soll die aktuelle Krisenerzählung auch nur annähernd vollständig sein, müssen die Politik und ihre Rahmenbedingungen im Land in den Diskurs einbezogen und kritisch reflektiert werden.
Die weit überwiegende Zahl der Analysen und Kommentare der vergangenen Wochen zur rezenten Krise der Universität richteten sich auf die Uni selbst: Insbesondere der frühere Rektor und sein Budgetdirektor standen im Zentrum der Aufmerksamkeit. Dies ist zweifellos berechtigt, denn deren Handeln (und mehr noch ihr Unterlassen) gehört vermutlich zum Kern des Problems. Und doch erklärt dies höchstens den Anlass, den die Universität für ihre Aufsichtsgremien und externen Kontrolleure geliefert hat, derzeit mehr oder minder stark in das operative Geschäft einzugreifen. Hintergrund und Ausmaß der Krise sind damit noch nicht angemessen analysiert und eingeordnet. Regierung, Parlament und Administration bilden ebenso wie die Gesellschaft insgesamt das Ökosystem, das neben der unmittelbaren Ausgestaltung der Hochschul- und Forschungspolitik auch deren Rahmenbedingungen bestimmt.
Dies gilt in besonderer Weise für die Entwicklungschancen einer jungen Universität, die sich in der Konsolidierung befindet. Doch selbst etablierte Universitäten stehen massiv unter dem Diktat der Hochschul- und Forschungspolitik, wie ein Blick auf die jüngere Vergangenheit in anderen Ländern zeigt. Universitäten in Großbritannien, in den Niederlanden oder in Deutschland haben in den vergangenen zwei bis drei Dekaden ein Maß an Umbau, Transformation und Veränderung erlebt, das zumindest in ihrer jüngeren Geschichte beispiellos sein dürfte. Die passenden Stichworte sind Ökonomisierung, Wettbewerb und Exzellenzorientierung. Kombiniert mit rigidem Kostenmanagement mussten die Universitäten ihren Leistungsoutput erheblich steigern, bei gleicher oder abnehmender Mittelzuwendung. Die Vergabe von Lehr- und Forschungsmitteln erfolgte zunehmend kompetitiv, offensichtlich in der Annahme, dass Wettbewerb per se bessere Resultate erbringt. In diesem Fahrwasser gerieten große Forschungsverbünde, -netzwerke und sogenannte Cluster zum dernier cri der Forschungsförderung.
Unter Rückgriff auf diese eher ökonomisch begründeten Strategien wurden zugleich neue inhaltliche Profilierungen vorgenommen. So erfasste eine Welle von Restrukturierungen und sogenannten Prioritätensetzungen das Fächerspektrum der Hochschulen. Landläufige Favoriten waren die Naturwissenschaften, Life-Sciences (Biowissenschaften und -technologie) sowie Hochtechnologie in unterschiedlichsten Anwendungsfeldern. Dagegen galten sowohl die Wirtschaftswissenschaften als auch in besonderem Maße die Geistes- und Sozialwissenschaften – und dort vor allem die als „Orchideenfächer“ denunzierten kleinen Disziplinen – als wenig zukunftsträchtig, ungeachtet der üblichen Bekenntnisse und Sonntagsreden in Richtung Interdisziplinarität, Reflexivität der Wissensproduktion und der Schnittstelle von Wissenschaft und Praxis (Politik). Als methodologische Grundlage für beides – thematische Profilschärfung und budgetäre Disziplinierung – wurden metrische Verfahren der Leistungsmessung und -bewertung eingeführt, insbesondere Zitations- und Impaktfaktoren auf der Basis elektronischer Publikationen und der Erfassung ihrer Reichweite in den akademischen Communities. In der Lehre hat die Einführung von Studiengebühren in vielen Ländern nicht nur neue Zugangsschwellen für akademische Lebensläufe errichtet; sie hat zugleich den Status der Studierenden als Bildungskonsumenten (= zahlende Kunden) erzeugt – ein Umstand, der sich auf Freiheit und Qualität der Lehre noch ähnlich verheerend auswirken wird wie bereits Freiheit und Originalität der Forschung durch den Wettbewerbsimperativ der Wissenschaftspolitik gelitten haben.
Über eineinhalb bis zwei Dekaden hinweg fand dieser primär ökonomische Zugang zu Wissenschaft und Akademia weitgehend Konsens in der Forschungs- und Hochschulpolitik dieser Länder und darüber hinaus, etwa in der Forschungsstrategie der Europäischen Kommission. Maßgeblich vorangetrieben wurde der Wandel von Consultants oder auch Einrichtungen wie dem Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) der Bertelsmann-Stiftung in Deutschland. An kritischen Kommentaren hat es nie gemangelt, wenn auch diese Positionen selten in das Zentrum politischer Entscheidungsfindung vorgedrungen sind. In jüngster Zeit häuft sich die Kritik, was auch daran liegt, dass die neuen, mitunter sehr kostspieligen Schwerpunktprogramme nun in der Pflicht stehen zu „liefern“ (während ihre Protagonisten bereits die nächsten Exzellenzanträge schreiben müssen). Es ist jedoch eine Binsenweisheit, dass Geld allein nicht Bildung kaufen kann. Ebenso wohlbekannt ist, dass das Gras der Erkenntnis selbst dann nicht schneller wächst, wenn man unablässig daran zieht.
Wozu brauchen wir denn Universitäten? Eines der Standardwerke im internationalen Diskurs, das hierauf klare Antworten gibt, ist Stefan Collinis Schrift What are Universities for?, ein leidenschaftliches Plädoyer für die vielfältige, reflexive und kritische Wissenschaft, die nicht nur Spin-offs und Berufsabschlüsse hervorbringt, sondern Bildung vermittelt und Urteilsvermögen lehrt.1 Im deutschsprachigen Raum hatte der Mannheimer Germanist Jochen Hörisch bereits vor elf Jahren die Misere der kontextfreien Leistungssteigerung und Ökonomisierung von Forschung und Lehre bildhaft beschrieben, was auf Kosten von Kreativität und Sinnstiftung geht.2 Viele weitere Arbeiten kann man nennen, die sich einem humanistischen Verständnis von Wissensproduktion verpflichtet fühlen und das Humboldtsche Bildungsideal in die heutige Zeit transferiert sehen wollen.3
Diese Erfahrungen und Diskurse aus dem Ausland bilden die Hintergrundfolie, vor der sich die Krise der Luxemburger Universität einordnen und nachvollziehen lässt – und zwar sehr viel vollständiger, als würde man nur auf Rektor, Verwaltungschef und Aufsichtsrat der Uni blicken.4 Denn dieser Prozess offenbart bei allen Spezifika des Casus Luxemburg eine Reihe von Gemeinsamkeiten, die in die strukturelle Zurichtung der Hochschul- und Wissenschaftspolitik in den Dienst von Wirtschafts-, Technologie- und Industriepolitik münden. Im Vergleich mit den genannten Ländern erscheint Luxemburg einerseits nachgeordnet, verspätet, was auch am rezenten Gründungsakt der Universität an sich liegt. Andererseits wissen wir, dass manche Etappen in der stetigen Modernisierung dieses Landes atemberaubend schnell verlaufen können. So verwundert es im Licht der aktuellen Krise überhaupt nicht, wenn man den Eindruck hat, dass das, was in anderen Ländern 20-30 Jahre gedauert hat, sich hierzulande mitunter in wenigen Monaten vollziehen kann.5
An dieser Stelle kommt auch die Geographie ins Spiel, um einige historische Voraussetzungen der aktuellen Krise zu klären. Es ist der spezielle Stil von Politik und Machtausübung, von Governance und Gouvernementalität, der hier in den Blick rückt. Man kann das kritisieren, muss es aber nicht. Zentral ist für eine junge Universität, dass man sich dieser Mechanismen bewusst ist. Das Verhältnis von „Luxemburg“ zu seiner Universität scheint zwischen zwei Extremen zu oszillieren: Auf der einen Seite ist es Distanz gegenüber der akademischen Praxis und was diese für das Land bedeuten könnte – und zwar im Guten (etwa Orientierung geben, Reflektion ermöglichen) ebenso wie im Unpopulären (Kritik formulieren, Konsense stören). Auf der anderen Seite ist es das Verlangen nach Kontrolle und Hegemonie (budgetär, inhaltlich, diskursiv), das die Universität unter Vormundschaft stellt. Treibende Kraft ist die Spekulation auf ökonomische Verwertbarkeit und praktische Nützlichkeit von Wissenschaft, mehr nicht. Aus dieser Erwartung resultiert ein extrem schwieriges Binnenverhältnis zwischen Universität und Gesellschaft. Dieses hat der frühere Rektor in einer Mischung aus allgemeinem Wohlgefallen und botmäßiger Dienstbarkeit aufzulösen versucht, was sich frühzeitig als vollkommen erfolglos herausstellen sollte.
Geographie manifestiert sich hier zunächst im speziellen Setting des Kleinstaats, seinen politisch-administrativen Strukturen und dem Ökosystem der Forschungs- und Wissenschaftspolitik. Es spiegelt sehr exakt den immanenten Konflikt zwischen internationaler Reputation (Rankings!) und autochthonen (Verwertungs-)Interessen wider. Die Literatur über Kleinstaaten und Inselarchipele bestätigt Governance-Konstellationen, die als Kunst des „making the most of smallness“ bezeichnet wurden.6 Dass dabei nicht nur schnelles Entscheiden in einem überschaubaren Akteursspektrum eine Rolle spielt, sondern auch Fragen der Identität und Nationalität, versteht sich von selbst. Damit begibt man sich jedoch in eine natürliche Spannung zur strukturell anders gelagerten (offenen, internationalen …) Wissenschaft. Aus diesem Blickwinkel erscheint die Tatsache, dass mit Rainer Klump nunmehr der dritte in einer Reihe von Forschungsdirektoren innerhalb von zwei Jahren sein Amt vorzeitig niedergelegt hat – nach Hilmar Schneider vom LISER und Gabriel Crean vom LIST – , weniger zufällig als sie womöglich war. Könnte es sein, dass diese vorzeitigen Abgänge auch institutionelle Gemeinsamkeiten aufweisen, dass sie uns etwas über das Verhältnis von Wissenschaft und Praxis hierzulande sagen?
Last but not least kommt Geographie derzeit auch in Gestalt eines zweiten Problems ins Spiel: am Beispiel des neuen Campus Belval. Ein guter Teil der Finanzkrise wurde durch explodierende Investitions- und Unterhaltungskosten für den neuen Standort ausgelöst – teilweise unerwartet, teilweise als logische Konsequenz der immanenten Risiken, die mit Großvorhaben in der Stadtplanung verbunden sind: namentlich hohe Kosten, lange Realisierungszeiträume, komplexe Governance-Architekturen. Großprojekte wollen valide kalkuliert sein, was jedoch oft unterbleibt – teilweise absichtsvoll, um politische Mehrheiten sicher zu stellen, teilweise aufgrund von Improvisation, vulgo „Fahren auf Sicht“. Die einschlägige Literatur ist diesbezüglich sehr klar, ebenso auch die empirische Forschung: Es ist offensichtlich, dass Bau- und Planungspolitiken im Großherzogtum einen Hang zur Größe aufweisen und damit schwer beherrschbar sind. Der strukturelle Aspekt, der hier zum Tragen kommt, findet jedoch bisher keinen Ort der Artikulation.
Die Krise der jungen Universität ist weit umfassender, als dass es primär nur ums Budget gehen würde. Sie ist auch eine Frage der strategischen Orientierung, verbunden mit dem, was man beim Militär „innere Führung“ nennen würde oder sonst leadership. Über allem thront (oder droht) ein ungeklärtes Verhältnis der Universität zu ihrem Land. War es tatsächlich ein Missverständnis, die höhere Schule in Luxemburg „Universität“ zu nennen, die im Kern eigentlich nur Absolventen produzieren und Dienste für Regierung wie Unternehmen erbringen sollte?7 Man mag es kaum glauben, auch im Licht der Emphase, mit der die Universität Leistung produziert, sich dem globalen Vergleich stellt und gemeinsam mit der Forschungsförderung um internationale Reputation und Sichtbarkeit bemüht ist. Vielleicht liegt das Missverständnis eher darin, dass man lokale Verwertung und internationale Exzellenz nicht zugleich bekommen kann, erst recht nicht im Jahre 14 nach dem Gründungsakt. Die Zeitachse von Sorbonne oder Cambridge ist nun einmal definitiv eine andere.
Ein zweiter Widerspruch stellt sich mit Blick auf den berühmten ‚return on investment’ – ein toxischer Terminus, den Wissenschaft nicht einmal als politischen Kampfbegriff ernst nehmen sollte. Widersprüche wie diesen zu leugnen, hilft aber nicht. Alternativ könnte man ihnen illusionslos, mit Geduld (statt übersteigerter Wettbewerbslogik), Aufrichtigkeit und Realitätssinn begegnen. Ein Pakt auf Gegenseitigkeit würde der Uni auftragen, Budget-, Zuständigkeits- und Führungsfragen zu klären. Dann könnte sich die Politik den anderen Großbaustellen widmen, etwa dem im Grunde ungeklärten role model der CRPs in der Forschungslandschaft, oder den im Universitätsgesetz annoncierten „bis zu sechs“ interdisziplinären Zentren.
Es fehlt eine kohärente Idee davon, wie und wozu Wissenschaft in diesem Land betrieben werden soll. Universität und Gesellschaft werden sich bei der Suche nach einer Antwort auf diese Frage zusammen raufen müssen. Sie sollen sich, um mit Jochen Hörisch zu sprechen, vielleicht nicht „lieben“ müssen, aber sie sollten sich auch nicht als gegenseitige Ruhestörung begreifen.
1 Stefano Collini (2012). What are Universities for? London (Penguin).
2 Jochen Hörisch (2006). Die ungeliebte Universität. München (Hanser).
3 Vgl. „Zur Lage der Universität“, Merkur (793), 69. Jg., Juni 2015; „Universities in Crisis“, Cambridge Journal of Regions, Economies and Society 7(2), 2014; oder „Perspectives for the New University“, Krisis – Journal for Contemporary Philosophy, 2/2015.
4 Vgl. die m.E. immer noch herausragende Analyse: Jean-Lou Siweck: „Universales Vertrauen“, Luxemburger Wort 8.4.2017, S. 3.
5 Bereits 1986 wurde das Research Excellence Assessment / Framework in Großbritannien eingerichtet, ein Meilenstein auf dem Weg zur mittlerweile vollzogenen Neoliberalisierung des Hochschulwesens.
6 Adam Grydehoj (2011) „Making the most of smallness: economic policy in microstates and sub-national island jurisdictions.“ Space & Polity 15(3), S. 183–196.
7 Jürgen Stoldt (2017) „Vom Start Up-Modus zur Hochschule des 21. Jahrhunderts.“ forum 373, S. 5-7.
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