„Wir befinden uns erst am Anfang eines Umdenkens“
Ein Gespräch mit Joël Adam, Generalsekretär des Abfallwirtschaftssyndikats SICA über Luxemburgs Abfallmanagement
Luxemburg streitet sich um seinen Abfall: Seit Juli 2020 ist ein großes Reformpaket im Bereich Abfallmanagement in Ausarbeitung. Auch die EU gibt Vorgaben, an die sich das Großherzogtum halten muss. Mit einer Null Offall-Strategie möchte man diese jedoch übertreffen, sogar Vorreiter werden. Fragt sich nur, wer für die Müllabholung und -trennung oder gar die -vermeidung verantwortlich sein soll. Vor allem Privatunternehmen sind in Aufruhr, sollen sich doch in Zukunft nur noch die Gemeinden um die gewerbliche Müllabfuhr kümmern. Die SuperDrecksKëscht sorgt mit ihrer Sonderstellung ebenfalls immer wieder für Schlagzeilen. Es wollen eben alle ein Stück vom Kuchen abhaben. Joël Adam, Generalsekretär des SICA (Syndicat intercommunal pour l’hygiène publique du canton de Capellen), betrachtet die Lage eher gelassen. In einem Gespräch mit forum schildert er seine Sichtweise, erzählt von Herausforderungen, Umdenken und Zukunftsvisionen. SICA ist für acht Gemeinden im Kanton Capellen und damit für die Abfallbewirtschaftung von mehr als 40.000 Menschen zuständig.
forum: Herr Adam, wie war das in der Corona-Zeit? Im Jahresbericht des SICA für das Jahr 2020 wurde festgehalten, dass das Gesamtabfallaufkommen im Vergleich zu 2019 (bis auf Reifen, Gummi und Flachglas) angestiegen ist. Kann man behaupten, dass die Menschen während der Corona-Zeit mehr Müll produziert haben?
Joël Adam: Hier spielen zwei Aspekte eine Rolle. Zum einen wurden – das sieht man an den Zahlen der Supermärkte, die haben ein sehr gutes Geschäft gemacht – mehr Lebensmittel verkauft, weil die Menschen zu Hause aßen und kochten. Die Restaurants waren geschlossen, also fiel mehr Verpackungsmüll an. Zum anderen verreisten viele nicht und erneuerten deshalb die eigenen vier Wände. Diese Art von Abfall ist dann auch hier angekommen: alte Möbel und Bauschutt. Das haben wir schon gemerkt. Wir mussten ebenfalls eine bestimmte Zeit wegen Corona schließen. Als wir wieder aufgemacht haben, hatten wir die ersten drei, vier Wochen wirklich Mühe, den Andrang zu bewältigen. Die Bürger*innen haben davon Gebrauch gemacht, Keller oder Dachboden aufzuräumen – daher die Zahlen. Es war kein wahnsinniges Wachstum, aber es war eines.
Es wird aber größer, wenn man an Folgendes denkt: SICA, so wie alle Gemeindesyndikate, sind für Abfallbewirtschaftung von Privathaushalten verantwortlich. Für die gewerbliche Müllabfuhr sind bisher noch private Unternehmer zuständig. Der gewerbliche Müll fließt nicht in Ihre Zahlen ein.
Das stimmt, aber: In der Zeit, in der die Restaurants geschlossen waren, entstand dort ja überhaupt kein Müll, und es brauchte logischerweise keiner abgeholt zu werden. SICA wurde tatsächlich – das stimmt – für Privathaushalte gegründet. Das ist noch immer unser Hauptaufgabengebiet. Allerdings nehmen wir ebenfalls begrenzte Mengen an Wertstoffen (Abfall) von Kleinunternehmen an – maximal einen Kubikmeter pro Woche, zum Beispiel Kartons, Papier oder Glasflaschen. Besonders Kleinunternehmen haben oft das Problem, dass sie über nicht genug Platz auf ihrem Grundstück verfügen und nichts lagern können. Sie wollen aber und sind natürlich auch dazu verpflichtet zu recyceln. Deshalb haben wir ein besonderes System für Kleinunternehmen. Sie brauchen nur einen Termin zu vereinbaren, wir überprüfen, ob wir noch Platz im Container haben und nehmen uns dann der Sache an. Zudem nehmen wir die Daten auf und stellen ihnen gegen Ende des Jahres eine Bescheinigung aus, dass ihr Abfall ordnungsgemäß recycelt wurde. Die müssen sie nämlich bei der Umweltverwaltung vorlegen.
Nach dem neuen Abfallgesetzentwurf soll nun – so, wie das Ministerium sich das vorstellt – generell die Abholung und Verwertung der gewerblichen Abfälle von den Gemeinden übernommen werden. Die FLEA (Fédération luxembourgeoise des entreprises d’assainissement) läuft Sturm dagegen und versteht das als enorme Konkurrenz …
Das wird nicht der Fall sein. Es wird zwar in die Hand der jeweiligen Gemeinde gelegt; die darf allerdings beschließen, wie sie vorgehen möchte. Viele Gemeinden greifen ja auf Privatentsorger wie Lamesch, Osch, Hein und so weiter zurück. Wo das jetzt so geregelt wird, wird sich auch später nichts ändern. Die wenigsten Gemeinden werden jetzt so viel investieren, dass sie das in Zukunft selbst machen könnten. Die werden das so laufen lassen. Es gibt uns Gemeinden einfach das Recht, bei einem Privatunternehmen den Hausmüllbehälter oder den Papierbehälter zu entleeren. Aber die Entscheidung liegt letzten Endes beim Unternehmen selbst: Wenn es einen Privatentsorger beauftragen möchte, kann es das gerne tun.
Sie sehen das gelassen. Warum aber gibt es in Ihren Augen diesen Sturm der Kritik? Die FLEA hat ein Gutachten zum Gesetzentwurf vorgelegt und hat sich in der Tagespresse, in Interviews, sehr aufgebracht gezeigt.
Das stimmt. Ich bin im Vorstand der Gedeco [Association luxembourgeoise des gestionnaires communaux des déchets], dort haben wir ebenfalls unsere Meinung – ein Gutachten – zu diesem Gesetz veröffentlicht. Ich bin nicht immer mit allen Kolleg*innen einverstanden, aber habe mich nicht besonders eingemischt, da ich wie gesagt glaube, dass sich nicht viel ändern wird. Dieser Sturmlauf entstand in erster Linie durch eine gewisse Angst.
Vier EU-Direktiven, Abfall und Müll betreffend, sollen jetzt in nationales Recht umgesetzt werden. Das Umweltministerium hat dafür fünf Gesetze und drei Reglements überarbeitet und ist damit teilweise auf harte Kritik gestoßen, von verschiedenen Organisationen, aber auch vom Staatsrat. Welche Position nimmt der SICA in Bezug auf das neue Abfallgesetz ein?
Wir als SICA haben überhaupt keine Angst vor diesem neuen Gesetz, weil wir eigentlich jetzt schon alle Bedingungen erfüllen. Ich sehe keinen konkreten Punkt, bei dem sich SICA wahnsinnig anstrengen müsste, um nachzubessern und konform zum Gesetz zu sein. Für uns ist es keine Herausforderung. Das ist so, weil wir diese Arbeit seit fast 25 Jahren in dem Ausmaß leisten. Das Problem ist, dass viele Gemeinden nie konform zum Gesetz von 1994 agierten und demzufolge ebenfalls nicht konform zu dem von 2012. Jetzt bekommen sie Panik.
Der SICA existiert bereits seit 1958. Können Sie beschreiben, was die wichtigsten Etappen seit der Gründung des Syndikats waren?
Damals war eigentlich vorgesehen, dass sämtliche Gemeinden des Kantons Capellen dem Syndikat beitreten sollten. Allerdings schlossen sich nur fünf zusammen. In den Nachkriegsjahren fiel immer mehr Müll an, besonders unter dem Einfluss der Amerikaner. Sie hatten andere Essgewohnheiten und produzierten (anderen) Verpackungsmüll. Es war üblich, dass Müll einfach neben dem Haus oder Hof angehäuft wurde. Dem SICA ging es darum, die Ortschaften und Dörfer ein bisschen sauberer zu bekommen. Der Müll wurde also eingesammelt: Der Lkw fuhr jeden Tag mit zwei Leuten durch eine andere Gemeinde. Aber was passierte mit dem eingesammelten Müll? Der wurde – und so war es damals üblich – in Mooren oder in alten Steinbrüchen entsorgt. Aber es gibt noch viele alte geschlossene Mülldeponien, wie zum Beispiel der ehemalige Steinbruch zwischen Kehlen und Mamer. Es gibt sie eigentlich in fast allen Gemeinden oder Dörfern. Das sind tickende Zeitbomben wegen des Giftmülls, der bis Ende der 1980er Jahre oft an solchen Mülldeponien entsorgt wurde, wegen fehlender Recyclingparks…
Also nach dem Motto: aus den Augen, aus dem Sinn?
Genau, so war das. Man machte sich keine Gedanken. Es gab eben Löcher und die füllte man mit Müll. Weil es keine Mülldeponien wie heute gab, in denen alles abgedichtet ist und Gase aufgefangen werden. Wenn früher so eine „Mülldeponie“ voll war, wurde sie mit Erde zugeschüttet und es wurden Bäume darauf gepflanzt. Irgendwann wurde dann, zum Glück, die Verbrennungsanlage des SIDOR gegründet, und der Müll wurde dorthin gebracht, um ihn zu verbrennen.
Wie ging es dann weiter?
Mitte der 1980er Jahre kam es zu riesigen Müllbergen. Damals hat man angefangen, sich Gedanken zu machen und sich zu fragen: Wie können wir dem entgegenwirken? Bis dahin gab es ja kaum Wertstoffsammlungen. Dann wurde eigentlich das erste Abfallwirtschaftsgesetz vorbereitet, das 1994 in Kraft trat. SICA wurde im Vorfeld für ein Pilotprojekt ausgewählt. Ziel war es, die Bürger*innen zum Mülltrennen zu motivieren. Das war ein Prozess, der sich über mehrere Jahre hingezogen hat. Viele Vorbereitungen wurden getroffen. Unter anderem wurde ein verursacherorientiertes Taxen-System – also eine Gewichts- und eine Entleerungstaxe auf den Hausmüllbehältern – ausgearbeitet. Deshalb mussten wir zunächst Lkws mit Wiege- und Identsystem anschaffen, die Müllbehälter mussten mit Chips ausgestattet und Aufklärungsversammlungen veranstaltet werden, um den Bürger*innen die Angst zu nehmen. Viele dachten nämlich, die Müllentsorgung würde jetzt unglaublich teuer werden. Aber dem war nicht so, und das Ergebnis war fantastisch! Die Restmüllmengen, die noch zum SIDOR gebracht werden mussten, hatten sich halbiert. Gleichzeitig stiegen die Recyclingmengen an. Vor der Einführung dieser Taxe hatten die Menschen kein Interesse daran, ihren Abfall zu trennen, da man einen festen Betrag pro Jahr zahlte. Danach konnte man seine Mülltaxe jedoch selbst mitbestimmen: 75 Prozent der Einwohner*innen zahlten durch dieses System weniger. Bei manchen blieb es gleich und nur ein paar Prozent zahlten mehr, weil sie den Müll einfach gar nicht trennten. Eine Umfrage ergab auch, dass der Großteil der Bürger*innen sehr zufrieden damit war. Deshalb setzen wir das in all unseren Gemeinden um. Weitere Gemeinden wie Bartringen, Simmern und Garnich klopften ebenfalls bei uns an. Es ist eine Erfolgsgeschichte!
Wenn ich meinen Müll ordnungsgemäß trenne, kann ich meine Ausgaben also reduzieren. Warum gibt es dieses System nicht landesweit?
Dieses Abfallwirtschaftskonzept wurde zunächst, gemeinsam mit der Umweltverwaltung, im Rahmen eines Pilotprojektes in zwei Gemeinden (in Koerich und Kopstal) durchgeführt. Das war im Jahr 1995. Aufgrund der sehr positiven Ergebnisse wurde das Konzept in allen SICA-Gemeinden umgesetzt. Seitens der Umweltverwaltung war beabsichtigt, dieses Konzept landesweit umzusetzen. Allerdings besteht eine autonomie communale in Sachen Müllentsorgung und -taxen. Deshalb passierte lange Zeit nicht viel. Erst mit dem neuen Abfallgesetz im Jahr 2012 wurden die Gemeinden wieder ein bisschen mehr in die Pflicht genommen, sich intensiver zu engagieren.
Gibt es neben dem verursacherorientierten Taxen-System noch andere innovative Projekte oder Aktionen beim SICA?
Ja, wir haben beispielsweise schon seit fünf Jahren eine App. Mehrere Abholungen werden nämlich nur auf Abruf gemacht, damit der Lkw nicht alle Straßen abfahren muss, weil nicht jeder Altkleider, Sperrmüll, Elektrogeräte oder Heckenschnitt abzugeben hat. Wer sich einmal registriert hat, klickt auf Abholung, und zack, kommt bei uns im System eine Anmeldung rein. Sie wird auf die Liste gesetzt und dann läuft das. Auf diese Art und Weise können wir viel Zeit und Sprit sparen.
Laut Ministerin Dieschbourg soll Luxemburg zum Vorreiter in Sachen Abfallvermeidung (zero waste) und Recycling werden, und die nationalen Vorgaben sollen noch über die EU-Richtlinien hinausgehen. Das wird häufig kritisiert.
Mich stört das überhaupt nicht, weil wir im SICA ohnehin schon über die nationale Gesetzgebung hinausgehen. Repair und re-use werden in diesem Zusammenhang immer wichtiger. Wegen Platzmangels hatten wir bislang leider noch nicht die Gelegenheit, uns dem Thema repair groß zu widmen. Dennoch haben wir bereits einige kleinere Aktionen in Angriff genommen, wie beispielsweise die Instandsetzung von Gartengeräten, in Zusammenarbeit mit Ligue HMC, die sich für die (berufliche) Inklusion von Menschen mit geistiger Behinderung einsetzt. Vor fast zwei Jahren haben wir unseren ReSIC(l)Age-Buttek eröffnet, in dem Bürger*innen Gegenstände abgeben und andere wieder mitnehmen können. Natürlich mussten wir hier ein wenig investieren, zwei Mitarbeiterinnen einstellen, die den „Laden“ verwalten, aber es hat sich gelohnt. Vorher hatten wir, wie viele Recyclingparks, so eine Ecke im Eingangsbereich – das hat nicht funktioniert. Dort wurde nur rumgewühlt. Für unsere neue Form des Ladens haben wir hingegen viel Lob erhalten. Das Format wird im neuen Gesetz eigentlich auch so vorgesehen. Doch mit diesem Ergebnis hatten wir nicht gerechnet, es war überwältigend! Es ist ja kostenlos. Wir haben nur eine Waage mit verschiedenen Kategorien, die die Ware abwiegt, damit wir einen Überblick haben, was rausgeht. Das integrieren wir später in unseren Abfallwirtschaftsbericht, so wie es vom neuen Gesetz verlangt wird. Pro Monat gehen im Durchschnitt zwischen 9.000 und 10.000 Kilo über die Waage – keine Möbel, sondern Bücher, Porzellan, Kinderspielzeug, Klamotten, CDs. Das ist der absolute Wahnsinn!
Eine andere Sache, die mit den neuen Gesetzen eingeführt werden soll, ist ein drittes System der Müllabholung. Zu einem Haus-zu-Haus-Abholsystem und 26 Recyclingcentern im Land kommt der Vorschlag, zusätzliche Drive-ins einzurichten, das heißt, Sammelstellen in Drive-in-Form, wie es bereits in einem Supermarkt in Howald ausprobiert wird. Die Handelskammer und der Handelsverband haben erstmal kritisiert, dass das ein viel zu teures System sei, das sich überhaupt nicht rechnen werde. Warum sollte es das geben? Halten Sie das für einen guten Vorschlag?
Die Idee, die dahintersteckt, ist gar nicht so schlecht. Man fährt mit dem Auto zum Supermarkt, lädt das Auto mit Proviant und Verpackungen voll und fährt nach Hause. Dann könnte man seine Verpackungen beim nächsten Einkauf, theoretisch, wieder zum Supermarkt zurückbringen und dort entsorgen, bevor man erneut einkauft. Kritik gibt es vor allem wegen der Finanzierung: Man müsste ja Personal einstellen, dass den Müll annimmt, trennt und wegfährt. Hierfür muss der Supermarkt Platz zur Verfügung stellen. Macht er das kostenlos? Wer bezahlt das Personal? Am Beispiel Howald weiß man bereits jetzt, dass es sich um überteuertes Recycling handelt, insbesondere, was Verpackungen anbelangt. Valorlux hat in diesem Zusammenhang eine Studie vorgelegt. Außerdem hat Valorlux den blauen Sack gerade erst für weitere Verpackungsabfälle (wie Folien, Joghurtbecher, durchsichtige Plastikbehälter und so weiter) in zahlreichen Gemeinden geöffnet. Die Notwendigkeit, die Verpackungen zurück zum Supermarkt zu bringen, ist daher nicht mehr so groß. Die Lkws fahren ohnehin alle 14 Tage durch die Straßen und sammeln die blauen Säcke ein. Für mich ist es demnach ein bisschen überflüssig geworden.
Sie haben jetzt das Thema Verpackungen und Verpackungsmüll angesprochen. Wie sehen Sie das? Sind biologisch abbaubare Verpackungen die Zukunft? Oder sollte man versuchen, gänzlich darauf zu verzichten? Es gibt ja viele Alternativen…
Ich bin kein Chemiker oder Lebensmittelspezialist und kann daher nicht bewerten, ob man mit alternativen Verpackungen den gleichen Service und die gleiche Hygiene anbieten kann wie mit Plastikverpackungen. Aber vor 40 Jahren ging es im Tante-Emma-Laden auch ohne Verpackungen.
Und doch: Es gibt viele Gründe für Verpackungen. Neben der Hygiene kann man auf einer Verpackung Informationen zum Produkt unterbringen. Produkte können haltbarer gemacht werden. Sie können besser transportiert werden. Trotzdem haben wir in Luxemburg nun eine Strategie, die auf absolute Abfall- und Verpackungsvermeidung setzt: Obst darf, nach dem neuen Gesetz, nur noch in Mengen von 1,5 Kilogramm in Kunststoff-Verpackungen abgegeben werden. Darunter soll das nicht mehr der Fall sein. Was ebenfalls ein Problem aufwirft, ist, wenn Obst aus dem Ausland kommt, wo andere Verpackungsgesetze gelten. Was ist die Konsequenz, wenn es dennoch verpackt in Luxemburg ankommt? Packt der Supermarkt-Betreiber es dann wieder aus und legt es lose in die Kiste?
Das ist durchaus möglich. Wir befinden uns erst am Anfang eines Umdenkens. Die Zukunft wird uns zeigen, ob wir den richtigen Weg eingeschlagen haben werden. Für mich ist es sehr wichtig, dass man umdenkt. Manche Verpackungen werden nicht vermeidbar sein, andere sind hingegen eindeutig überflüssig.
Die Frage ist, wie man es lösen wird. Es gibt kleine Einheiten in größeren Supermärkten und vereinzelte Unverpacktläden, in denen verpackungsfrei eingekauft werden kann. Es gibt ebenfalls Versuche, neue biologisch abbaubare Verpackungen zu erschaffen. Doch bei der Produktion entsteht CO2 und das ist auch wieder schlecht. Also ist es, wie man es dreht und wendet, kompliziert?
Ich bin wirklich gespannt, wie es in zehn oder 20 Jahren aussieht. Wenn ich jetzt zurückblicke, hat sich seit 1996 schon einiges in Sachen Müllentsorgung und -verwertung getan. Einiges ist hinzugekommen, anderes weggefallen. Man muss innovativ sein und sich den Herausforderungen stellen. Den Weg, den wir aktuell mit unserem ReSIC(l)Age-Buttek gehen, müsste man eigentlich auch mit den Verpackungen einschlagen.
Sie würden demnach für Mehrwegverpackungen plädieren?
Ja, genau. Es macht doch keinen Sinn, dass man Wasser in einer Flasche kauft, die nur einmal benutzt wird. Beim Wein ist das genauso. Ich finde das sehr schade. Das Glas kann zwar wieder eingeschmolzen werden, das ist aber mit viel Aufwand verbunden.
Warum werden Glasflaschen eigentlich weggeworfen? Könnte man sie nicht wiederverwerten und beispielsweise hier, bei Ihnen in Kehlen, eine Annahmestelle für Weinflaschen eröffnen? Was würde dagegen sprechen?
Natürlich wäre das möglich. Doch die Glasflaschen sind im Einkauf viel zu billig. Die kosten geschätzt 1,20 Euro, mit Korken und Kapsel. Ein Euro ist ja heute gar nichts mehr. Wer die Zeit hat, 100 Flaschen zu spülen, verdient 100 Euro. Dann kommen noch die Kosten für Wasser und Spülmittel hinzu. Bei Weinflaschen ist das auch so. Die sind sogar noch billiger. Den Winzer*innen fehlt die Zeit, sie zurücknehmen. Da müsste es schon eine Kooperative geben mit einer größeren Anlage, in der man das günstiger und im großen Stil machen könnte – so, wie man es mit Bierflaschen in einer Brauerei macht.
Das Argument ist also ein ökonomisches. Es ist einfach zu teuer?
In meinen Augen schon. Im Einkauf sind die Flaschen einfach zu billig. Vielleicht sollte man einfach Pfand auf Wein- und andere Getränkeflaschen einführen.
Nun einmal zur Biotonne: Es entstehen neue Verpackungen, die biologisch abbaubar sind. Bei manchen geht das schneller, bei anderen dauert es länger. Gibt es da nicht eine große Unsicherheit bei den Bürger*innen? Was darf in die Bio-Tonne und was nicht?
Das hängt von der Art und Weise ab, wie Bio-Abfall verwertet wird: Kommt er in die Biogasanlage, werden die Folien mit dem Kamm abgeschöpft, weil sie nicht in den Prozess hineinpassen. Sie zersetzen sich nicht schnell genug und werden deshalb in die Müllverbrennungsanlage gefahren. Die Verarbeitung von organischen Abfällen in der Kompostanlage dauert mindestens 12 Wochen und Verpackungen aus organischem Material haben so genügend Zeit, um sich zu zersetzen.
Kommen wir zu einem heiklen Thema: der SuperDrecksKëscht (SDK). Eine Kritik bei den Aktionen der SDK – ob das Abfallsammelstellen in Mehrfamilienhäusern sind, die Drive-ins oder auch die Einführung des ECOBOX-Pfandsystems – ist, dass keine vernünftigen Evaluationen gemacht werden. Die Ausweitung des blauen Sacks oder die Einführung der Ökotut von Valorlux wurde hingegen von knallharten Evaluationen begleitet. Bürger*innen müssten das doch als Ungleichbehandlung verstehen, wenn ein Unternehmen bevorzugt behandelt und gesetzlich gefördert wird und die anderen nicht? Die SDK wird sogar namentlich in einem neuen Gesetzentwurf genannt.
Ich bin kein Jurist, aber angeblich ist es ein No-Go, ein Privatunternehmen in ein Gesetz zu schreiben. Viele Bürger*innen sind der Meinung, dass die SDK staatlich sei, was nicht der Fall ist. Das Privatunternehmen wird vom Staat bezahlt. Man muss schon sagen, dass die SDK von Anfang an eine Erfolgsstory war. Das Format wurde sogar ins Ausland verkauft, promoviert und umgesetzt. Jetzt hat sich die Lage natürlich verändert. Lamesch, Hein oder eine neue Firma, die sich auf dem Markt der Mülltrennung und Müllverwertung etablieren möchte, könnte ebenfalls Aktionen wie die der SDK anbieten, aber das geht nicht. Niemand kommt an sie ran. Bei Valorlux, Ecotrel und so weiter ist das anders. Das sind ASBLs, die Konventionen mit dem Staat schließen und für eine ganz bestimmte Zeitspanne mit der Müllsammlung und Müllverwertung beauftragt werden.
Sie haben uns vorhin erzählt, dass sich in den vergangenen Jahrzehnten einiges in Sachen Müllentsorgung getan und verbessert hat. Vor den Vorgaben der EU haben Sie, beim SICA, keine Angst, weil sie diese bereits erfüllen und sich als fortschrittliches Unternehmen begreifen. Könnten Sie sich vorstellen, dass es auf nationaler Ebene ein Art Syndikat für das Abfall-Management geben könnte?
Von mir aus könnten wir ab nächstem Jahr gerne ein einheitliches System für das kleine Luxemburg einführen. Allerdings bin ich sehr pessimistisch, dass das passieren wird. Die Sichtweisen sind manchmal ganz schön festgefahren. Vorschläge müssen häufig erst durch die jeweiligen Gemeinderäte, dort diskutiert, abgestimmt und angenommen werden. Der SICA ist ja auch ein Gemeindesyndikat, aber die Entscheidungen treffen wir hier, vor Ort. Wenn wir bei jeder Entscheidung jede Gemeinde befragen müssten, könnten wir kaum etwas umsetzen. In Anbetracht der Vorgehensweise mancher Gemeinden halte ich es leider für eine Utopie, ein Syndikat einzuführen, das für das ganze Land zuständig ist.
Wie sähe denn, Ihrer Meinung nach, eine realistischere Zukunftsvision aus?
Ich bin Hobby-Archäologe und blicke gerne in die Vergangenheit. Auf gepflügten Feldern findet man noch viel „Abfall“ aus der Römerzeit. Eben dieser „Abfall“ ist sehr wichtig, um mehr über vergangene Zeiten zu erfahren. Er kann reden, wenn man so will. Genauso gerne blicke ich in die Zukunft: Zurzeit investieren unsere Mitgliedsgemeinden große Summen in Modernisierungsprojekte. Besonders freue ich mich auf unser neues Recyclingcenter – „Ressourcen-Center“ müsste es nachher genannt werden. Unser kleiner Recyclingladen wird in diesem Zusammenhang eine besondere Rolle spielen. Neben einer Kleidungsabteilung soll es auch eine Werkstatt geben. So viel zum Thema repair. Zusammen mit Ligue HMC möchten wir hier etwas Großes erreichen, Vorreiter sein. So, wie wir es in den letzten 25, 30 Jahren waren. Das liegt mir sehr am Herzen.
Wenn Sie von repair und re-use reden, liegt das natürlich genau auf einer Linie mit zero waste. Könnten Sie uns vielleicht genauer verraten, was Sie in diesem Bereich vorhaben?
Wir nehmen ja unter anderem Sperrmüll an. Viele Gegenstände befinden sich noch in einem guten Zustand: Ledersofas, Qualitätsmöbel oder Rasenmäher, die lediglich eine kleine Reparatur benötigen. Vieles wird weggeworfen, weil man es nicht selbst reparieren kann oder eine professionelle Reparatur zu teuer wird. Mein Ziel ist es, Sperrmüll prinzipiell mit zwei verschiedenen Fahrzeugen zu fahren – mit einem Lkw, der nur einsammelt, was tatsächlich entsorgt werden muss, und einem, der auflädt, was später in unseren Laden kommt. In unserer Werkstatt können wir diese Objekte reparieren, instand setzen und anschließend abgeben. In dieser Sache möchte ich Akzente setzen, und ich bin davon überzeugt, dass die politisch Verantwortlichen hier mitziehen werden.
Das Gespräch fand am 15. September 2021 statt, die Fragen stellten HM und FS.
Als partizipative Debattenzeitschrift und Diskussionsplattform, treten wir für den freien Zugang zu unseren Veröffentlichungen ein, sind jedoch als Verein ohne Gewinnzweck (ASBL) auf Unterstützung angewiesen.
Sie können uns auf direktem Wege eine kleine Spende über folgenden Code zukommen lassen, für größere Unterstützung, schauen Sie doch gerne in der passenden Rubrik vorbei. Wir freuen uns über Ihre Spende!
