Wo hapert’s?

Menschen mit Erfahrungswissen im Austausch bei CET und Info-Handicap (Nachlese zu forum 366 „Behinderung für alle“)

Das forum-Heft vom Oktober 2016 stand im Zeichen der sogenannten „Accessibility“. Ausgehend von der These, dass Menschen nicht behindert sind, sondern behindert werden, lag der Fokus auf Barrieren und möglichen Überwindungsstrategien. Um den Zugang zu Informationen zu erleichtern, war neben jedem Artikel eine Zusammenfassung in „Leichter Sprache“ beigestellt. Mit der „Accessibility“ im Bereich der Kommunikation haben sich inzwischen auch drei „Empowerment-Meetings“ vom Centre pour l’égalité de traitement (Gleichbehandlungszentrum), des CCDH (Beratende Menschenrechtskommission) und Info-Handicap beschäftigt. Hier trafen Menschen mit unterschiedlichem Erfahrungswissen, wie man Behinderung heute treffenderweise bezeichnet, mit Vertretern von Ministerien und des Presserates zusammen.

Was sind die Erkenntnisse daraus? Viele Menschen mit Lernschwierigkeiten oder anderen Begabungen haben etwa ein großes Problem mit der Nutzung der französischen Sprache durch Behörden. Ein Beispiel: Gehörlose sind von Gebärdendolmetschung abhängig und lernen in der Regel die deutsche Sprache sowie die deutsche Gebärdensprache. „Mit Informationen in französischer Sprache kann ich überhaupt nichts anfangen“, erklärte eine Betroffene. Eine andere Gehörlose bestätigte, dass die Dominanz der Informationen in französischer Sprache ein großes Problem darstelle. Diese sei eine Respektlosigkeit und ein Mangel an Wertschätzung. Zudem gebe es nicht genügend Gebärdendolmetscher.

Viele Menschen in Luxemburg sind gehörlos, sprachlos oder können sich nicht ausdrücken. Andere wollen sich nicht ausdrücken, „weil sie Angst haben, nicht für voll genommen zu werden“, wie es hieß. Unerklärbar sei die Tatsache, dass in Einrichtungen, in denen vorwiegend Menschen leben, die besser mit der luxemburgischen oder der deutschen Sprache klarkommen, alle offiziellen Dokumente nur in französischer Sprache verfasst werden. Zudem seien viele staatliche Webseiten nur einsprachig und nicht barrierefrei – obwohl es ein Regelwerk für barrierefreie Internetauftritte in Luxemburg gibt. Schwierigkeiten machen auch „Captchas“, etwa auf der Webseite der Abgeordnetenkammer. Durch ein Captcha wird geprüft, von wem Eingaben in Internetformulare erfolgen. Dies können verzerrte Buchstaben oder Zeichenfolgen vor schwer lesbarem Hintergrund sein. Captchas sollen Eingaben durch Roboter erschweren, sie verhindern aber auch sehbehinderten Menschen den Zugang zu einer Webseite.

Kritisiert wurden schließlich Formulierungen aus der Presse. Diskriminierend seien etwa die Redewendungen, jemand sei an den Rollstuhl „gefesselt“ (was falsche Assoziationen auslöst) oder „leide“ an einer „Behinderung“ (viele Menschen leiden nicht darunter). Ein in Luxemburg verwendetes Biologiebuch aus Nordrhein-Westfalen impliziere, dass Trisomie 21 eine „Krankheit“ sei und somit eine falsche und ausgrenzende Aussage darstelle. Gefordert wurde auch die häufigere Nutzung von „Leichter Sprache“, einer Angelegenheit, der sich KLARO, das Luxemburger Büro für Leichte Sprache, verschrieben hat. Bisher sind aus Personalknappheit nur wenige Informationen in Leichte Sprache übersetzt worden, obwohl sich auch die Ombudsfrau aktiv dafür einsetzt. In ihrem jüngs-
ten Bericht ist die Forderung enthalten, dass sich „die Verwaltung eines demokratischen Staates so ausdrücken muss, dass sie von allen Bürgern, Luxemburgern wie Ausländern, Einheimischen wie Grenzgängern, Asylbewerbern wie Einwanderern verstanden wird.“ Viele Schwierigkeiten würden sich vermeiden lassen, wenn sich „die Behörden klar und verständlich ausdrücken würden“. Die Verwaltungen müssten sowohl im persönlichen Umgang als auch im Schriftverkehr die Sprache der Bürger sprechen, vor allem, wenn es um komplizierte juristische Fachbegriffe gehe.

Die Vertreter der staatlichen Institutionen zeigten sich aufgeschlossen für die Anregungen der Menschen mit Erfahrungswissen. Man wolle versuchen, immer mehr Webseiten barrierefrei und auch in deutscher Sprache anzubieten. Vorreiter sei hier das Familienministerium. Die Regierung überlege sogar, Texte in Zukunft in den drei Landessprachen und in Englisch zu publizieren. Möglich sei auch die Erstellung von Videos in Gebärdensprache. Die barrierefreie Verwendung von Captchas werde 2018 europaweit vorgeschrieben sein, auch Luxemburg werde seine Anstrengungen fortführen. Bedauert wurde, dass die Bedürfnisse von Menschen mit Erfahrungswissen von vielen Administrationen noch nicht erkannt würden. Entsprechende Weiterbildungskurse wären wenig frequentiert. u
Jochen Zenthöfer

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