Historische Karten sind faszinierende Quellen. Sie sind begehrte Sammlerobjekte, ermöglichen darüber hinaus aber auch tiefe Einblicke in historische Zusammenhänge vergangener Zeiten. Als Historiker beschäftige ich mich bereits seit langem intensiv mit alten Karten. Diese sind als Untersuchungsgegenstand besonders spannend, da sie Bild- und Textelemente miteinander kombinieren. Kartografen und ihre Auftraggeber waren und sind bei der Konstruktion einer Karte durch die begrenzten Blattmaße stets zur Abstraktion und zur Selektion von Informationen gezwungen. Denn eine Karte, die zu viele Informationen darstellt, wird chaotisch und unlesbar. Aussagekräftig sind Karten erst durch die Hervorhebung einzelner Aspekte und die Vernachlässigung anderer.
Für meine Forschungen sind Karten aber noch in einer anderen Hinsicht wichtig. Mittels der kartografischen Methode lassen sich nämlich Daten, die aus unterschiedlichen Quellentypen gewonnen werden, sinnvoll in ihrem Raumbezug darstellen. Durch den Eintrag dieser Daten auf einer Karte, die mit einem digitalen Kartografie-Programm wie beispielsweise QGIS erstellt wird, ist es möglich, räumliche Zusammenhänge zu erkennen, die ansonsten unsichtbar geblieben wären. Zum Beispiel lassen sich so, aus einer Vielzahl von Einzelbelegen, zerstreute mittelalterliche Herrschaftsverhältnisse kartografisch rekonstruieren, für Zeiten, in denen es noch keine flächigen Territorialherrschaften mit festen Grenzen gab.
Ein Schwerpunkt meiner Forschung ist seit 2016 der digitale und interaktive historische Stadtatlas von Luxemburg: luxatlas.lu. In diesem Projekt, das ich zusammen mit einem Team bearbeite, verbinden sich die Analyse von Altkarten mit modernen digitalen Kartografiemethoden. Historische Städteatlanten wurden seit den 1950er Jahren für viele europäische Städte publiziert, koordiniert von der Internationalen Kommission für Städtegeschichte. Sie nutzen Pläne und Karten zusammen mit Bilddokumenten und erläuternden Texten, um die historische Entwicklung einer Stadt darstellen zu können. Die meisten der bisher knapp 600 Städteatlanten liegen in gedruckter Form vor, als großformatige Mappen mit Karten, Bildtafeln und Textheften.
Digitale Veröffentlichungen sind noch selten. Einige der neuesten Städteatlanten sind aber auf Grundlage der gedruckten Veröffentlichung auch online verfügbar. Mit dem Luxatlas sind wir einen Schritt weitergegangen und haben den bisher ersten rein digitalen und interaktiven Stadtatlas erarbeitet, konzipiert allein für das Internet. Nach dreijährigen Vorarbeiten ist er seit 2019 auf der Seite www.luxatlas.lu zugänglich. Um die Vorteile einer Webpublikation zu erproben und bestmöglich umzusetzen, nutzen wir Open-Source-Software und entwickeln für die speziellen Anforderungen des Atlas maßgeschneiderte WebGIS-Anwendungen (GIS steht hier für Geoinformationssysteme). Dadurch lässt sich der Atlas schnell und ohne großen Aufwand weiter ausbauen, überarbeiten und verbessern, sowohl technisch als auch inhaltlich. Im internationalen Vergleich sind wir damit Vorreiter.
Zurzeit bietet sich Nutzern des Luxatlas die Möglichkeit, eine Vielzahl historischer Altkarten und Luftbilder aus dem Zeitraum zwischen 1560 und 2017 in beliebig wählbaren Zoomstufen zu betrachten und auf transparenten Ebenen passgenau übereinanderliegend miteinander zu vergleichen. Hierzu waren umfangreiche Vorarbeiten nötig: Die Bild- und Kartenquellen wurden zunächst digitalisiert und georeferenziert, dann in einem zweiten Schritt gedreht und durch Verzerrungen mittels Tausender Referenzpunkte so angepasst, dass sie möglichst exakt in den heute gebräuchlichen geografischen Referenzrahmen passen. Bei der Benutzung lassen sich zusätzlich interaktive Betrachtungsebenen einblenden, die es ermöglichen, ausgewählte Gebäude oder andere Infrastrukturelemente anzuklicken. In separaten Fenstern werden dann erläuternde Texte und zusätzliches Bildmaterial angezeigt.
Der Luxatlas dokumentiert historische Veränderungsprozesse diachron für Forschungszwecke, für Geschichtsinteressierte und für städtische Dienststellen bei der Planung von Stadtentwicklungsprojekten. Die reine Visualisierung von Forschungsergebnissen steht nicht im Vordergrund. Vielmehr dient der Stadtatlas selbst als wichtiges Instrument des Wissenserwerbs. Erst durch die kartografische Darstellung von historischen, architektonischen, demografischen, wirtschaftlichen und städtebaulichen Informationen wird die Verteilung bestimmter räumlicher Phänomene sichtbar und die Entwicklungsprozesse der Stadt können interpretiert und analysiert werden. Auf diese Weise werden die interaktiven Karten zur Grundlage für weitere Forschungen.
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