Woran forschen Sie?

Anne-Marie Hanff

Seit einigen Jahren beschäftige ich mich nun mit dem Alltag von Menschen mit Parkinson. Bereits während meiner vorherigen Berufstätigkeit als infirmière de recherche stand ich in engem Kontakt mit Menschen mit Parkinson und deren Angehörigen. Als Gesundheits- und Krankenpflegende lege ich viel Wert darauf, dass Themen angegangen werden, die für die Betroffenen wichtig sind. Die Ergebnisse sollen in die Pflege und den Alltag eingebracht werden können und den Menschen mit Parkinson sowie ihren Familien das Leben mit der Erkrankung erleichtern.

Wer weiß besser als die Betroffenen, was für sie wichtig ist? Es hat mich deswegen sehr gefreut, in einem internationalen Projekt mitzuwirken, um herauszufinden, welche Themen die Forschung nach Meinung der Betroffenen, ihrer Angehörigen, Freund*innen und Gesundheitsberufler*innen erforschen sollen. Das Ergebnis war eine Liste von zehn Forschungsprioritäten – der Ausgangspunkt meiner Promotion, denn die Nutzer*innen der Forschung waren sich einig: Es braucht Lösungen, wie man die Funktionseinbußen durch die mit der Krankheit verbundenen Gang- und Balanceprobleme verhindern kann.

Und dies stellt ebenfalls das Thema dar, welches ich im Rahmen meiner Doktorarbeit erforsche. Die Definition einer Forschungsfrage, welche mich brennend interessiert, einen Nutzen für Menschen mit Parkinson darstellt und in dem befristeten Zeitrahmen für eine Doktorarbeit (maximal vier Jahre) mit den zur Verfügung stehenden Mitteln umsetzbar ist und dabei auf die bereits vorhandene Struktur zurückgreift, war eine große Herausforderung. Die gut etablierte Parkinsonforschung in Luxemburg scheint mir allerdings der perfekte Bereich, um ein erstes pflegewissenschaftliches Projekt umzusetzen.

Eine Frage, die sich häufig stellt, ist, wie man eine Pflegebedürftigkeit verhindern kann. Bei näherer Betrachtung der Daten ist mir allerdings aufgefallen, dass trotz der Gang- und Balanceprobleme nicht alle Menschen mit Parkinson in ihrer Mobilität eingeschränkt sind. Um dieses Phänomen besser zu verstehen, habe ich mich während meiner klinischen Tätigkeit als infirmière de recherche mit den Betroffenen über das Thema ausgetauscht. Zum Beispiel hat ein Teilnehmer geschildert, dass er früher viel Judo gemacht habe. Ich kann mir gut vorstellen, dass man diese Fähigkeit im Alter noch in sich trägt und über eine andere Körperbeherrschung verfügt. Genau solche Faktoren möchte ich identifizieren. Ich will herausfinden, welche Eigenschaften man, wenn möglich, stärken sollte, damit die Menschen mit Parkinson länger selbstständig leben können.

Dabei verfolge ich einen besonderen Ansatz. Vorhin habe ich kurz erwähnt, dass bislang eher erforscht wird, warum sich der Zustand der Betroffenen verschlechtert, um dann den Risiken entgegenzuwirken. Ich versuche hingegen herauszufinden, was bewirkt, dass sich ihr Zustand trotz des Risikos nicht verschlechtert. Die Ressourcen, die dafür verantwortlich sind, dass sie mit den Risiken besser umgehen können, interessieren mich demnach besonders.

Dieser Ansatz stammt von dem israelisch-amerikanischen Soziologen Aaron Antonovsky. In seinem Modell der Salutogenese fragt er danach, warum Menschen gesund bleiben. Zufällig ist ihm eine Stichprobe von älteren gesunden Frauen aufgefallen, die trotz Aufenthalts im Konzentrationslager gesund alt geworden sind. Ebenfalls setze ich den Fokus bewusst auf das Erleben der Betroffenen und weniger auf die objektive Messung ihres Zustandes. Als Pflegende bin ich mir bewusst, dass individuelle Probleme individuelle Lösungen brauchen und dass der ausschlaggebende Punkt dabei ist, wie Menschen mit Parkinson Einschränkungen im Alltag erleben.

Um bestimmte Phänomene zu messen, werden Fragebögen entwickelt und validiert. Bei der Validierung wird zum Beispiel geprüft, ob das Instrument auch das misst, was es messen soll. Gleichzeitig werden in Luxemburg Forscher*innen durch den multikulturellen Kontext mit einer besonderen Herausforderung konfrontiert: Instrumente sind häufig weder in die notwendigen Sprachen übersetzt noch validiert worden und dadurch nicht in der Forschung vorhanden. Die Entwicklung eines neuen Instrumentes nimmt allerdings sehr viel Zeit in Anspruch. Während der Auseinandersetzung mit dem Konzept der Mobilität entdeckte ich, dass Bereiche eines bereits bestehenden, in alle Sprachen übersetzten, validierten und viel genutzten Instrumentes das Konzept bereits erfassen. Dementsprechend habe ich unter anderem die Überprüfung, ob die Kombination dieser Bereiche die Mobilität messen und bspw. Menschen mit und ohne Gang- und Balanceprobleme unterscheiden kann, 2021 abgeschlossen.

Gleichzeitig bin ich dabei, mir einen Überblick über den aktuellen Stand der Wissenschaft zu verschaffen. Dabei sehe ich mir gemeinsam mit Kolleg*innen rund 1.880 Studien durch, welche ich in drei verschiedenen Datenbanken mit wissenschaftlichen Texten anhand einer systematischen Recherche ausfindig gemacht habe. Nach einem ersten Einblick in die Daten überrascht es nicht, dass emotionale Verfassungen wie etwa Depressionen großen Einfluss auf die Selbsteinschätzung der Mobilität haben. Ebenfalls scheint es so, dass sich die Mobilität bei einem Anteil der Menschen mit Parkinson in vier Jahren verschlechtert, während sie bei den anderen stabil bleibt oder sich sogar verbessert. Die Gründe hierfür werde ich 2022 statistisch untersuchen. Um die Ergebnisse dieser statistischen Berechnungen besser interpretieren zu können, schließe ich mein Projekt mit Interviews ab, bei welchen ich das Erleben potenziell schützender Faktoren mit Betroffenen bespreche und so den Zahlen mehr Tiefe verleihen kann.1 

  1. Projektseite auf der Centre for Open Sciences (OSF) Plattform: https://osf.io/4vknp (letzter Aufruf: 8. Februar 2022).

Als partizipative Debattenzeitschrift und Diskussionsplattform, treten wir für den freien Zugang zu unseren Veröffentlichungen ein, sind jedoch als Verein ohne Gewinnzweck (ASBL) auf Unterstützung angewiesen.

Sie können uns auf direktem Wege eine kleine Spende über folgenden Code zukommen lassen, für größere Unterstützung, schauen Sie doch gerne in der passenden Rubrik vorbei. Wir freuen uns über Ihre Spende!

Spenden QR Code