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Zwischen den Wellen
Eine analog-digitale Bestandsaufnahme von Radio ARA 2016
Im Büro von Radio ARA: Lama Alogi zählt – sichtlich aufgeregt – die Social Media Versäumnisse der Sendestation auf: schlecht gefütterte Facebookseite, kein Eintrag bei LinkedIn und schon wieder hat niemand getwittert. Die junge Syrerin, die seit einem Jahr in Luxemburg lebt, möchte dem Radio gerne ihre Social-Media-Kompetenzen zur Verfügung stellen. So nebenbei. Ihr eigentliches Anliegen: Eine eigene Sendung gestalten, für Geflüchtete aus dem arabischsprachigen Raum, auf arabisch, englisch und französisch, mit Informationen zum Asylrecht und über Zugangsmöglichkeiten zum Arbeitsmarkt. Dazu ein bisschen Kultur, Musik und Unterhaltung: „The listeners should feel like at home.“ Leider ist das kein Alltag bei Radio ARA, weder die Anfrage noch die Umsetzung. Und das, obwohl sich die Pionier_innen des Senders vor 25 Jahren genau das gewünscht hatten: Das Radio solle „die Anderen zu Wort kommen lassen, die Minderheiten, die Außenseiter, die Andersdenkenden“.1
Faktisch gesehen ist Radio ARA heute ein alternativer Musiksender mit dem integrierten „Jugendhaus“ Graffiti. Als solcher hat er zweifelsohne, neben dem Gedudel auf den Nachbarfrequenzen, seine Daseinsberechtigung. „Die Musikfreaks sind die treuesten Sendemacher_innen geblieben“, sagt Robert Garcia, genannt Roga, der zu Piratensenderzeiten das Radio mit aus der Taufe gehoben hat. „Die hatten Plattensammlungen von 2000 LPs, die sie alle spielen wollten.“ Hinzu kommt: In der Regel ist eine Musiksendung deutlich weniger aufwändig als ein gut recherchierter und aufbereiteter inhaltlicher Beitrag.
Aufwand, der so einiges voraussetzt: Freiwillige, die in ihrer Freizeit mit dem Mikro losziehen und anschließend – inzwischen immerhin mit einem Open Source Schnittprogramm statt wie früher an der Bandmaschine – daraus einen kohärenten Beitrag zusammenschnipseln. Zudem Menschen, die ihnen das nötige technische und journalistische Handwerkszeug beibringen. Und nicht zuletzt eine „Mission“: die Idee, dass dieser Beitrag die Welt ein bisschen besser machen kann. „Ein solches Radio ist auch ein intervenierendes Radio, das nicht nur ,aufnimmt‘ und weitergibt, (…) sondern das auch bewusst verändernd eingreift.“2
Das Wörtchen, mit dem die Radiopirat_innen in den 1980er Jahren diese Mission beschrieben, lautete „Gegenöffentlichkeit“. Eine Öffentlichkeit gegen das herrschende Establishment, gegen die Diskurse, die über die Mainstreammedien konstruiert und verbreitet wurden. So zum Beispiel das weltweite Credo
„Atomkraft ist sicher“, das vielerorts Menschen veranlasste, Piratensender zu gründen. Erst die illegalen Sendungen kritischer Physikstudent_innen versuchten diesem Status quo etwas entgegen zu setzen.
Wer braucht noch UKW?
Nun lassen sich im Jahre 2016 längst problemlos selbstgezimmerte Analysen gesellschaftlicher Phänomene über vielerlei Kanäle digital beschleunigt verbreiten. Ist also der Anspruch des Freien Radios von damals sowieso hinfällig geworden?
„Nein“, findet Joël Adami. Er war 16, als er 2004 bei Graffiti anfing, und er wollte mit seiner Sendung „die Leute zur Revolution bringen“: „Auch wenn die Jugendlichen heute vielleicht die Medien nicht mehr so sehr als geballte, blockartige mediale Öffentlichkeit erleben, glaube ich: Trotz Youtube-Star und Indymedia, trotz verschiedenster Möglichkeiten, sich auszudrücken und Öffentlichkeiten zu suchen, gibt es ein Bewusstsein dafür, wer die eigentlichen großen Player sind.“ Denn: „Erst wenn etwas auf RTL kommt, kommt es richtig groß raus.“
Germain Bintz sorgt bei Radio Ara seit Jahren dafür, dass die Playlisten gefüllt sind und immer etwas zu hören ist. Er hat beobachtet, wie viele zivilgesellschaftliche Gruppen in den letzten Jahren ihre Sendung eingestellt haben. Die Umwelt-, feministisch oder sonstwie Bewegten waren von Anfang ein wichtiges Rückgrat von Radio ARA – auch finanziell. Nur die Daueraufträge der Unterstützer_innen vermochten dem offiziell kommerziellen und erklärterweise unkommerziellen Sender ohne staatliche Förderung ein Minimum an Überlebenschance zu sichern. „Inzwischen bekommen diese Gruppen ihre Pressemitteilungen auch bei RTL unter, die brauchen Radio ARA nicht mehr!“ Allerdings ist ein Zweieinhalb-Minuten-Beitrag bei RTL keineswegs mehr das, was ursprünglich unter intervenierendem Radio verstanden wurde.
Der alte Hase Roga und der Radionachwuchs Joël sind sich einig, dass der Hund woanders begraben liegt: „Das war eine völlige medienpolitische Fehlkalkulation – die Sendung von Greenpace, die Sendung von ASTI, die Sendung der Dritten Welt-Gruppe… da musst du schon starke Nerven haben!“, meint Roga, der sich auch mal in die Hörer_innenperspektive versetzt. Joël plädiert stattdessen für einen linken Medienaktivismus, der sich seine Themen selbst sucht. „Alle scheuen sich so vor dem Wort links. Mein Eindruck ist, dass in Luxemburg vieles so uneindeutig positioniert ist. Wenn wir laut sagen würden Wir sind die gesellschaftliche Alternative zum Mainstream, könnte man sicher mehr Leute erreichen, insbesondere diejenigen, die selbst Sendungen machen wollen.“
Den Radius digital erweitern
Joël produziert selbst seit fast 10 Jahren eine feste politische Rubrik bei Graffiti: Angscht a Schrecken zu Lëtzebuerg kommentiert auf humorvolle und zugleich informative Weise aus einer links-emanzipatorischen Perspektive das Geschehen in Luxemburg. Für viele ist Angscht a Schrecken inzwischen eine Institution „on demand“. Auf einer eigenen Website – über Facebook beworben – stellt er seine Kommentare wöchentlich als Podcast zur Verfügung. Mit durchschnittlich 100 Downloads und Peaks von 1500 Zugriffen.
Podcasts bergen das Potential, für eine neue junge „Gegenöffentlichkeit“ zu einem bedeutenden Zugangskanal zu Radioinhalten zu werden. Das allerdings erfordert Ressourcen: Die Inhalte müssen aufbereitet, hochgeladen und beworben werden. Hierfür reichen die verbleibenden Daueraufträge der treuen Radiounterstützer_innen nicht aus. Die Radiomoderator_innen laden nach einer aufwendigen Sendeproduktion ihre Sendungen auch noch selbst hoch. Aber auch das nur die jungen. Für viele ARA-Moderator_innen über 60 ist mit dem DIY-Prinzip bei Computer und Internet Schluss. Ihre Sendungen gibt es daher nur klassisch zur Sendezeit über UKW-Frequenz.
Für die jüngeren Radiobewegten bietet das Internet hingegen weitere Chancen. Und damit auch für Radio ARA. Eine Zeit lang strahlte Graffiti eine Sendung aus, die regelmäßig aus Albanien nach Luxemburg tansferiert wurde – in drei Minuten und bester Sendequalität. Auch die Sendungen der neuen politischen Sendereihe auf Graffiti „Ënnert dem Pavé“ kommen mal aus Wien, mal aus Kaiserslautern, mit Skype-Interviews mit luxemburgischen Aktivist_innen von irgendwo auf dem Globus. Da zum Studium immer noch viele Luxemburger_innen ins Ausland gehen, ist es hier auch die Diaspora, die für ein Minimum an sozialer Protestkultur sorgt und machtkritische, emanzipatorische Positionen in ihr Herkunftsland schickt.
Nur das mit den Plena funktioniert noch nicht so gut digital. Denn das Radio besteht nicht nur aus seinen einzelnen Sendungen, es muss auch strukturell getragen werden – von Leuten vor Ort. „Es bräuchte eine neue Generation, die das Ganze mal wieder in die Hand nehmen würde“, meint Roga. „Aber die sind ja jetzt bei Transition und bauen lieber Komposthaufen.“
Aus dem Fenster des Sendestudios kann man diese Urban Gardening-Ansätze im Hof der Rotonde live bewundern – oder über sie berichten.
1 Thers Bode (1987): „Rundfunkfreiheit zwischen Machtkampf und Profitgier“ in: Megahaerz Nr. 0/87, Luxemburg.
2 Ebd.
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