Zwischen Volkspartei und Populismus

Die politische Rechte in Luxemburg:

Es begann am Abend des 13. Juni 1999. Nachdem sich der Wahlerfolg des ADR langsam aber sicher abzeichnete, beschlich viele Anwesende im RTL-Partyzelt ein gewisses Unbehagen. Nicht nur bei der CSV, deren Spitzenkandidat fünf Jahre zuvor bei der gleichen Gelegenheit lauthals verkündet hatte, er werde dafür Sorge tragen, dass in fünf Jahren das ADR von der politischen Bühne in Luxemburg verschwunden sei. Seine Partei erlebte stattdessen die Fortsetzung eines seit 1979 andauernden, langsamen Abwärtstrends, der mittlerweile die 30%-Schwelle erreicht hat. Das Wahlresultat von 1999 ließ immer deutlicher in der forum-Redaktion die Frage aufkommen, ob es zwischen CSV-Machterhalt und ADRSenkrechtstart nicht einen Zusammenhang geben könnte. Noch im RTL-Zelt befragten wir etliche Parteivertreter über ihre Meinung zum Wahlerfolg des ADR (nachzulesen in forum Nr. 193). Die Vertreter von Grünen und DP suchten die Schuld im Wahlsystem, das mit seinen breiten Panaschiermöglichkeiten den „Lokalgrößen“ im ADR zu leichte Erfolgschancen zugestehe. Allein der Vertreter der ‘déi Lénk’ sah in den vom ADR aufgeworfenen Fragen um die Rentengerechtigkeit ein echtes soziales Problem, dem sich die anderen Parteien endlich stellen müssten. Das ADR als linke Partei, die die Probleme des kleinen Mannes aufgreift? Oder das ADR als im Luxemburger Wort geborener CSV-Sukkurs für den Fall, dass die CSV nicht mehr mehrheitsfähig wäre? Oder das ADR als rechtspopulistische Wahlvereinigung, der nur noch eine charismatische Führerfigur à la Jörg Haider fehle? Die Suche nach einer Antwort auf solche Fragen schien der forum-Redaktion umso dringender, als die traditionellen Parteien und ihre Kommentatoren offensichtlich einen Bogen um das Phänomen ADR schlagen, es sozusagen zum Tabuthema erklärt haben oder allerhöchstens mit Pauschalurteilen in seiner Märtyrerrolle bestätigen. Da keine direkte Auseinandersetzung mit dem ADR stattfindet, kann es getrost in seiner Schmollecke wachsen und wachsen und wachsen. Die verschiedenen Interpretationen des Phänomens ADR waren und bleiben in der forum-Redaktion umstritten und der Leser dieses Dossiers wird sich (wieder einmal) seine eigene Meinung bilden müssen. Klar war uns aber, dass man das ADR nicht losgelöst vom rechten Teil des Luxemburger Parteienspektrums analysieren kann. Die Abwärts- Die politische Rechte in Luxemburg: Zwischen Volkspartei und Populismus Cartoon: Olivier John 24 Dossier forum 203 entwicklung der CSV schien manchen das eigentlich interessantere Phänomen, zu dem das ADR sich nur als Epiphänomen verhalte. Das ADR als das schlechte Gewissen der CSV? Seit dem Ende des Ersten Weltkriegs, seit 80 Jahren war die CSV bis auf sechs Jahre stets führend an der Regierung beteiligt. Sie gehört zweifellos zu den staatstragenden Institutionen des Landes. Welche Rolle spielt sie heute? Kann sie dem Anspruch einer Volkspartei noch gerecht werden? Wieso betont Premierminister Jean-Claude Juncker vor den Militanten der Partei in letzter Zeit, die CSV müsse Partei des kleinen Mannes werden bzw. bleiben? Und der immer deutlicher werdende rechtspopulistische Kurs von Luc Frieden (gewaltsame Ausweisungen von Flüchtlingen, Verschärfungen im Strafvollzug, Öberwachungskameras an öffentlichen Plätzen, Stillstand in der Drogenpolitik…): hat dieser Kurs etwa zum Ziel, die DP rechts zu überholen, so wie es in der letzten Legislaturperiode Jean-Claude Juncker gelang, mit seiner sozialpolitischen Rhetorik die LSAP links zu überholen? Und die DP selber? Gehört auch sie zum rechten Teil der Parteienlandschaft in Luxemburg? Der auffallende Profilmangel bei typisch liberalen Themen wie einer liberaleren Asylpolitik, einem humaneren Strafvollzug, einer Liberalisierung der Drogenpolitik u.ä. spricht für eine solche Einordnung. Wir haben diese Fragen zur DP nicht vertieft, auch wenn sie in verschiedenen Texten angeschnitten werden. Die DP scheint uns umso schwerer einzuordnen zu sein, als man in ihr fast so viele Meinungen wie Köpfe zählt. Ist sie dann tatsächlich noch eine Partei oder eher nur ein Wahlverein? Hat sie ein Programm, oder geht es ihr nur um die Beförderung von Personen? Damit verbunden scheint uns die Frage nach den Wählerwanderungen in Luxemburg. Wahlstudien sind eher selten. Wir konnten hier auf die jüngst vorgestellten Analysen des Centre de recherche public Gabriel Lippmann zurückgreifen. Gerade die Zunahme der Wechselwähler fällt auf, die den traditionellen Parteien nach Jahrzehnten der Treue jetzt den Rücken kehren. Ist unter diesen Umständen eine Volkspartei noch überlebensfähig? Wie kann sie darauf reagieren, dass der Wähler heute von den Parteien eher unmittelbare Interessenvertretung als ideologische Programmatik erwartet? Und schließlich stellt sich die Frage nach der Bedeutung des Links-Rechts-Schemas in der Parteiendefinition. Linke Elemente in rechten Politikvorstellungen und konservatives Besitzstanddenken bei linken Parteien sind keine Einzelfälle mehr sondern verwischen in hohem Maße die Grenzen zwischen den einzelnen Lagern. Nach dem deutschen Grundgesetz “tragen die Parteien zur politischen Meinungs- und Willensbildung beiâ€?. In der Luxemburger Verfassung und Gesetzgebung kommen die Parteien überhaupt nicht vor und sie scheinen sich solcher übergreifender Aufgaben auch gar nicht bewusst zu sein. forum hofft mit dem vorliegenden Dossier einen kleinen Beitrag zur politischen Bildung in Luxemburg zu leisten. forum Cartoon: Olivier John 203 23 2 forum-Redaktion Zwischen Volkspartei und Populismus. Die politische Rechte in Luxemburg. Politik Parteien (CSV, ADR, DP) Luxemburg Dossierbeitrag Oktober 2000 Die politische Rechte in Luxemburg 23

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