Ein Rückblick nach 200 Ausgaben und 25 Jahren
Es war damals 1976 ein neuer Name für eine Zeitschrift, die schon seit einigen Jahren als Bulletin d‘information de la Jugendpor Lëtzebuerg erschienen war und vornehmlich die interne Diskussion dieser christlichen Jugendgruppe nach außen tragen sollte.
Der neue Name sollte die zusätzliche Aufgabe widerspiegeln, eine „information complémentaire à la grande presse du pays“ zu liefern und ein Forum für alle kritische Christen im Lande darzustellen. In der Tat herrschte damals Aufbruchstimmung in Kirche und Gesellschaft: Die 68er Studentenrevolte hatte auch die forum-Gründer in ihren Bann gezogen, die konziliare Erneuerung der Kirche war noch nicht ganz verflogen, die Redaktion begleitete die Luxemburger Diözesansynode noch mit Optimismus. Der ‚neuen‘ christlich ausgerichteten Zeitschrift ging es vorrangig um gesellschaftspolitisches Engagement aus christlicher Wurzel, um Kirchenreform und um die Forderung nach pluralistischer Information in der größten, der Kirche Luxemburgs gehörenden Tageszeitung Luxemburgs, dem Luxemburger Wort. (Aus der kirchennahen Anfangsphase ist bis heute die Gestalt des ‚Koschter‘ übrig geblieben.)
Von der Zeitschrift kritischer Christen zur …
Unser Engagement gegen Waffenhandel, für einen fairen Welthandel, bei dem die Dritte Welt zu ihrem Recht käme, gegen die Wohnungsnot und für eine sozialgerechte Altstadtsanierung, für eine schulische Integration und das Wahlrecht der Ausländer, für den Ausbau des kollektiven Personentransports, für eine wohlverstandene Trennung von Kirche und Staat, aber auch gegen die Berufsverbote in Deutschland, für das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser, gegen den Apartheid-Staat in Südafrika, … waren (auch heute noch aktuelle) Themen, die damals wohl aus christlicher Perspektive analysiert wurden, aber völlig anders als das in den streng konservativen CSV-Kreisen üblich war. Dadurch fand forum Aufmerksamkeit weit über das katholische Milieu hinaus. Die unabhängige Berichterstattung und Kommentierung von Kirchenthemen und Glaubensfragen ist aber auch heute noch ein Charakteristikum von forum. Ein Forum für alle kritischen Christen im Großherzogtum ist forum zwar nie so recht geworden, aus dem einfachen Grund, dass diese Spezies hier im Land selten wurde und kaum noch von ihren Aktivitäten zu berichten war.
Der offene Geist, der von Anfang an in der Redaktion herrschte, der mit einer Reihe von Missständen in Kirche und Gesellschaft aufräumen wollte, machte forum aber auch für viele Menschen attraktiv, die nicht aus christlicher Überzeugung und trotzdem antikapitalistisch, antiimperialistisch, antidogmatisch, antiautoritär, antikonservativ, antiverkrustet, antitabu dachten, fühlten, schrieben. forum trug ohne Zweifel dazu bei, die nach der CSV-Wahlniederlage von 1974 schlagartig wieder verhärteten Fronten zwischen klerikalem Block bestehend aus CSV, LW, Kirchenführung, Katholischer Aktion einerseits und den progressistischen Kräften andererseits, die antiklerikale Morgenluft witterten, aufzuweichen. In Nr. 22 (19.2.1978) bzw. 24 (20.5.1978) warb forum z. B. als einziges Luxemburger Presseorgan für eine nuancierte Haltung in Sachen Privatschulen bzw. Abtreibung: Reformvorhaben der sozialliberalen Koalition, die damals die Giftschleuder im LW zur Akkordarbeit antrieben.
… Zeitschrift der Zivilgesellschaft
Diese Entwicklung setzte sich auch fort als die meisten der damaligen forum -Mitarbeiter der katholischen Kirche als Institution den Rücken drehten. forum wurde seither zum Sprachorgan der Zivilgesellschaft, der Basisbewegungen jeder Art. forum veröffentlichte als erste Luxemburger Zeitschrift (Nr. 10/27.11.1976) ein von Charel Staudt zusammengestelltes Dossier gegen die Gefahren der Atomenergie und das in Remerschen geplante Kernkraftwerk, das anschließend von ‚Jeunes et Environnement‘, wie sich der ‚Mouvement écologique‘ damals noch nannte, nachgedruckt wurde. Später folgten selbstverständlich Dossiers über Cattenom und Tschernobyl. In Nr. 27 (14.10.1978) trat Action Prison mit einem forum-Dossier an die Öffentlichkeit und sensibilisierte für einen humanen Strafvollzug: ein Engagement, das im LW heftigste Attacken gegen den damaligen Justizminister Robert Krieps auslöste, und bis heute leider nichts an Aktualität verloren hat (vgl. Nr. 138/1992). Anfang der 80er Jahre stand forum dann mit an der Spitze der Friedensbewegung. In den frühen 90er Jahren fand die Initiativen zum Schutz des Fort Thüngen (Drei Eicheln) in forum ihr engagiertes Sprachrohr. Rezenter ist unser Interesse am Thema Heimeinweisungen (Nr. 191, Nr. 205). Soziale Themen hatten von Anfang an große Bedeutung (Flüchtlingspolitik, Altenpflege, Ein-Eltern-Familien, Chancengleichheit der Geschlechter, Überschuldung, Suchtprävention, Homosexualität, …). Seit Beginn war auch die Dritte-Welt-Problematik eines der wichtigen Anliegen der Zeitschrift. Schon 1990 (Nr. 119) und dann systematisch seit 1999 (Nr. 192), 199) setzte sich forum systematisch für einen Schuldennachlass zugunsten der Dritten Welt ein.
… Zeitschrift für sozialwissenschaftliche Forschung
forum wurde aber auch zur (fast einzigen) Zeitschrift in Luxemburg, in der sich sozialwissenschaftliche Forschung artikulieren und einem größeren Publikum vorstellen konnte. In Nr. 30 und 31 war es im Vorfeld der Landeswahlen von 1979 ein politologischer Essay, der das politische System Luxemburgs untersuchte und die Wahllosigkeit der Wahlen offenlegte. Dank der langjährigen Mitarbeit des Soziologen Fernand Fehlen wurden die forum-Wahlanalysen in der Folgezeit zur regelrechten Pflichtlektüre für Kommentatoren und Beobachter der Luxemburger Politszene. In Nr. 56 und 57 (1982) veröffentlichte forum die bahnbrechenden Ergebnisse der Armutsstudien des CEPS/Instead in einer allgemeinverständlichen Sprache. In Nr. 102 (1988) folgte die erste Studie desselben Forschungsinstituts über Reichtumsverteilung in Luxemburg. In forum Nr. 58 begann eine bis heute andauernde Auseinandersetzung mit dem Konzept der nationalen Identität. Das Dossier in Nr. 137 (1992) setzte sich kritisch mit dem damals regierungsseitig verbreiteten Mythos vom demographischen Suizid Luxemburgs auseinander. Das (schlechte) Funktionieren des Luxemburger Staates war ein Anliegen, das Claude Wey seit der Nr. 141 (1993) immer wieder zur Sprache brachte. Dossiers zur Wirtschaft im kleinen Raum (Nr. 93-94/1987), zur Mittelschichtgesellschaft Luxemburg (Nr. 116/1989: Elauter Jenni- a Mennien) spielten auch für die wissenschaftliche Forschung eine Vorreiterrolle.
… Zeitschrift für historische Debatten
Obschon es an historischen Veröffentlichungen in Luxemburg keinen Mangel gibt, konnte forum selbst auf diesem Gebiet originelle Beiträge über vernachlässigte Themen aus der nationalen Vergangenheit publizieren, etwa die Dossiers zum Maulkorbgesetz von 1937 (Nr. 97/1987), über Mai 1968 in Luxemburg (Nr. 103/1988), zur Geschichte der Ausländerpräsenz in Luxemburg (Nr. 111/1989), zum Krisenjahr 1918/19 (Nr. 112/1989), zur fehlenden Stadtarchäologie (Nr. 143/1993), zur Revolution von 1848 (Nr. 185), …
… Zeitschrift für Kultur und Kulturpolitik
Die forum-Besprechungen von Romanen und Gedichtbänden Luxemburger Autoren gehören zu den wenigen in der Luxemburger Presse, die mit literaturwissenschaftlichen Kriterien operieren. Entsprechendes gilt für die Filmkritiken, die Viviane Thill in forum veröffentlicht. Zusätzlich gab es regelmäßig Dossiers über Kino in Luxemburg, Kulturinstitute, Künstlerstatut – in Nr. 107/1988 wurde erstmals die Forderung nach einem Museum für zeitgenössische Kunst in Luxemburg erhoben! -, die einheimische Literaturszene, Rockkultur, klassische Musik, Museen, … Architektur und Kunstaustellungen waren insbesondere seit dem Kulturjahr 1995 Thema interessanter Kritiken durch Ina Nottrot. Seither hat sich forum auf dem Luxemburger Zeitungsmarkt auch als Kulturzeitschrift etabliert, neben dem Lëtzebuerger Land als einzige sogar, die systematisch die kulturpolitische Aktualität beleuchtet und nicht nur literarische Beiträge veröffentlicht oder Hobby-Künstler lobt.
Die Grenzen des Konzepts
Gerade das Beispiel Architektur zeigt allerdings auch eine der Grenzen von forum auf. Unsere Zeitschrift ist so gut wie ihre Mitarbeiter. Sie steht und fällt mit ihrem Beziehungsnetz. Die vier Mann, die die Redaktion heute ausmachen, aber auch die sechs, die es früher einmal waren, hätten nie alle Beiträge selbst schreiben können. Fällt dann ein Mitarbeiter, aus welchen Gründen auch immer, aus, riskiert der ganze von ihm bearbeitete Themenbereich wegzufallen. Aus diesen Gründen sind z.B. auch die Debatte um die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau oder jene um die Schulprobleme in unseren Spalten eingeschlafen. Während es uns für die Erstellung der Dossiers weiterhin nicht allzu schwer fällt, immer wieder kompetente Mitarbeiter zu gewinnen (gerade weil es sich nicht um ein dauerhaftes Engagement handelt), müssen wir im Rubrikenteil der Zeitschrift oft auf bestimmte Themen verzichten, weil keiner unserer ständigen Mitarbeiter Kompetenz oder Zeit hat, sich in eine aktuelle Fragestellung einzuarbeiten.
Etabliert oder integriert?
Nach 200 Nummern hat forum ein eindeutiges Profil und ist fest auf dem Luxemburger Pressemarkt etabliert. Gehört es dafür zum Establishment? Hoffentlich nicht. Bissige Kommentare zur Ausweisungspolitik des Justizministers Frieden, lange vor LW und LL, oder zur Betonpolitik und zum Liberalismus des pseudo-sozialistischen Bautenministers Goebbels, aber auch rezente Enthüllungen über den Bankenplatz, über eine Connection zwischen COSL, Bäckerverband und Mittelstandsministerium, … haben jedem Zweifler gezeigt, dass wir weiterhin keine parteipolitischen Rücksichten nehmen. Welche andere Zeitung hat über die Vergebungsbitte der katholischen Kirche so sachlich, ausführlich, kritisch, aber ohne Gehässigkeit berichtet wie forum ? In welcher Zeitschrift liest man Beiträge von Politikern aller Schattierungen? In welcher Zeitschrift können soziale Bewegungen ihr Anliegen offen und ohne (politisch oder platzbedingte) Zensurgefahr vertreten? In welchem Presseorgan hat der Leser die Möglichkeit, an den Sitzungen der Redaktion teilzunehmen, die Garantie, dass seine Kritik und Vorschläge ernst genommen werden? Wo wird er nicht von Werbung für zweifelhafte Produkte belästigt?
forum war angetreten, um Ergänzung und Widerpart zum Luxemburger Wort zu sein. Seit das LW in jüngster Zeit Fortschritte in Sachen Pluralismus macht (Gastkommentar am Freitag, kritischere Berichterstattung in der Voix du Luxembourg u. a.) und auch über Initiativen und Kongresse anderer Parteien als der CSV sachlicher berichtet als vor 25 Jahren, könnte man sich die Frage stellen, ob forum nicht seine Existenzberechtigung verloren hat. Da aber forum in den 25 Jahren seines Bestehens andere Funktionen hinzugewonnen hat, läßt sich die Antwort nicht mehr aus der Gegnerschaft zum LW ableiten. Andererseits sind auch neue Presseorgane hinzugekommen wie der Woxx, Le Jeudi, die öfter als forum erscheinen und eigentlich dadurch mehr Aktualität bieten könnten; sie und das Lëtzebuerger Land sind auch dazu übergegangen, Dossiers zu wichtigen Gesellschaftsthemen zu veröffentlichen. Unsere Redaktion ist natürlich der Meinung, dass die Inhalte bei forum konsistenter sind, wenn auch bei anderen die Titel reißerischer klingen.
Die Antwort ob forum noch gebraucht wird, können allerdings nur unsere Leser geben. Durch den Kauf und das Lesen von forum bestätigen Sie selber, dass die Zeitschrift forum durch ihre Unabhängigkeit, ihr offenes Konzept und ihre Themen auch nach 25 Jahren ihren Platz in der Luxemburger Presselandschaft hat.
michel pauly
(aus forum Nr. 200, Mai 2000)