Da ich selber heute den ganzen Tag Dietmar Mirkes (siehe Foto) vom Klimabündnis auf seinem Klimakonferenzalltag begleite und Material für eine zweite Ausgabe des „Klimaradios“ sammle, ist der heutige Blog-Beitrag von einem Gastautor, der die Konferenz von aussen beobachtet. Gilles Bouché, der in Forum bereits einige Artikel zum Thema Klimawandel publiziert hat, bietet für unsere Blog-Leser heute den ersten Teil eines Überblicks über die wissenschaftlichen Hintergründe der Klimawandelproblematik und ihrer politischen Implikationen. Ziel ist, zu erklären, woran ein gutes Abkommen erkannt werden kann. Dieser erste Teil beschäftigt sich mit der Frage der Angemessenheit, Teil 2 wird sich den Themen Fairness und Effizienz widmen:
Wie sehen ein angemessenes Emissionsbudget und eine angemessene Emissionskurve aus?
Wenn die Klimakonferenz in Kopenhagen in knapp einer Woche zu Ende geht, dann hoffentlich mit einem rechtlich verbindlichen Abkommen oder zumindest einer sehr konkreten Rahmensetzung für abschliessende Verhandlungen in einem halben Jahr. Doch woran erkennt man überhaupt, ob ein Abkommen etwas taugt?
Ein Abkommen sollte vor allem drei Kriterien erfüllen: Es sollte (1) angemessen, (2) fair und (3) effektiv sein. Demnach sollte ein Abkommen drei Arten von Verpflichtungen oder Festlegungen enthalten, bzw. zumindest sollten drei Arten von Verpflichtungen aus einem Abkommen ableitbar sein: (1) Verpflichtungen auf ein angemessenes globales Emissionsbudget und eine angemessene globale Emissionskurve mit Emissionstrendwende, (2) Verpflichtungen auf eine faire Verteilung des globalen Budgets und der Klimawandelkosten insgesamt (Mitigations- und Adaptationskosten) auf Staaten bzw. Staatenbuendnisse und (3) Verpflichtungen auf die Schaffung eines effektiven institutionellen Rahmens.
Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveraenderungen (WBGU, unter der Leitung von Hans Joachim Schellnhuber, im vergangenen Oktober in Luxemburg zu Gast, hat in einem im Juli veroeffentlichten Bericht einen “Budgetansatz” vorgelegt, der allen drei Hauptkriterien gerecht werden soll und der zudem den Vorteil hat, recht unkompliziert zu sein. Auch wenn dieser Ansatz, den ich im Folgenden beschreiben werde, sich mit grosser Wahrscheinlichkeit nicht in Kopenhagen wird durchsetzen koennen (da er schon allein am Widerstand der USA zu scheitern verspricht), so gibt er doch ein Modell an die Hand, mit dem sich ein letztendliches Abkommen vergleichen und bewerten laesst.
Das wichtigste Treibhausgas, aufgrund seiner schieren Menge und Langlebigkeit, ist Kohlenstoffdioxid (CO2). Ein Emissionsbudget muss daher vor allem die Menge an ausstossbarem CO2 festlegen. Andere Treibhausgase koennen separat behandelt werden.
Die Grösse des CO2-Budgets haengt von mehreren Parametern ab, vor allem davon, welches Ziel man anstrebt (was man unter “gefährlichem Klimawandel” versteht) und welches Risiko man in Kauf nimmt (mit welcher Wahrscheinlichkeit man “gefährlichen Klimawandel” vermeiden will). Setzt man als Ziel, den Temperaturanstieg auf 2ºC relativ zum vorindustriellen Niveau einzuschränken, und will man das Ziel mit 67% Wahrscheinlichkeit erreichen, dann ergibt sich ein CO2-Budget fuer den Zeitraum 2010 bis 2050 von maximal 750 Gigatonnen. (Eine Wahrscheinlichkeit von 75% erfordert ein Budget von maximal 650 Gt.) Nach 2050 müssen die globalen CO2-Emissionen gegen Null und schliesslich sogar unter Null sinken, mit negativen Emissionen bereits in diesem Jahrhundert. Als Orientierung: In den 10 Jahren von 2000 bis 2009 wurden 350 Gt ausgestossen. Bei anhaltend hohen Emissionen waere das Budget demnach bereits in 20 Jahren fast aufgebraucht. (Die Zahlen stammen aus dem WBGU-Bericht und basieren auf Meinshausen et al. und Allen et al. Fuer eine laienfreundliche Darstellung der Artikel, siehe den Kommentar von Stefan Rahmsdorf.)
Ein Abkommen sollte die Festlegung nicht nur auf ein globales CO2-Budget, sondern auch auf eine globale CO2-Kurve enthalten, um zu gewaehrleisten, dass die Trendungwende (peak) möglichst frueh erfolgt. Eine späte Trendwende fuehrt zu einer steilen Emissionskurve. Je spaeter die Trendwende erfolgt, desto schneller müssen CO2-Emissionen anschliessend bis 2050 sinken. Wird die Trendwende 2015 erreicht, was optimistisch scheint, müssen globale CO2-Emissionen um 2030 um 5% (relativ zu 2008) jährlich sinken. Wird die Trendwende erst 2020 erreicht, muessen globale CO2-Emissionen um 2030 um 9% jährlich sinken. Zum Vergleich: Das vielleicht einzige historische Beispiel einer mengenmässig vergleichbaren jährlichen CO2-Reduktion um 5% ueber einen längeren Zeitraum hinweg bietet der politische und wirtschaftliche Zusammenfall der Sowjetunion. Eine entsprechende Reduktion um 9% ist beispiellos.
Die Grösse des CO2-Budgets hängt, wie gesagt, von dem angestrebten Ziel ab. 133 Staaten haben bekräftigt, die Erderwärmung auf einen Temperaturanstieg von 2ºC oder weniger relativ zum vorindustriellen Niveau einschraenken zu wollen. Die 2ºC-Leitplanke wurde 1995 vom WBGU vorgeschlagen und ist offizielle Zielsetzung der EU und der G8. Taugt sie als angemessenes Ziel?
Was sieht ein angemessenes Ziel aus? Was sind die Auswirkungen und Risiken?
Der wissenschaftliche Konsens geht dahin, dass die 2ºC-Leitplanke als absolute Obergrenze dienen sollte. Es gibt kaum Wissenschaftler, die einen Temperaturanstieg von 2ºC nicht fuer “gefährlichen Klimawandel” halten. Ein Temperaturanstieg von 2ºC wird zum Teil verheerende Auswirkungen auf Natur und Gesellschaften haben: Häufung extremer Wetterereignisse, Bedrohung zahlreicher Arten und Ökosysteme, fortschreitende Versauerung der Ozeane mit Folgen fuer die Fischereiwirtschaft, Wasserknappheit infolge von Duerren (z.B. in Suedaustralien), der Stoerung des Monsoons, dem Flussrueckgang von Gletschern gespeister Wasserlaeufe (z.B. in der Gangesebene), sinkende Nahrungsmittelproduktion bei steigender Bevoelkerung, Ueberschwemmungen von Inseln und dicht besiedelten Kuestenregionen, Migration von Millionen von Klimaflüchtlingen, Konflikte um schwindene Ressourcen (wie jetzt bereits im Sudan), usw. usf. Unter Wissenschaftlern besteht Konsens darüber, dass die Auswirkungen eines Temperaturanstiegs von 2ºC weit gravierender sind als noch vor wenigen Jahren angenommen (siehe Burning Embers Diagram, Synthesis Report, S.16).
Selbst bei einer Einschränkung des Temperaturanstiegs auf 2ºC wird der globale Meeresspiegel bis 2100 um 50 bis 100 cm steigen. Ueber mehrere Jahrhunderte hinweg wird der Meeresspiegel gar um mehrere Meter steigen. (Moderate oder hohe CO2-Emissionen fuehren allein bis 2100 zu einem Temperaturanstieg von 4 bis 7ºC und einem Meeresspiegelanstieg von bis zu 2 Metern. Für einen Eindruck, wie eine 4ºC-Welt aussehen könnte, siehe New, Liverman, Anderson.)
Es ist also nur natürlich, dass die Allianz Kleiner Inselstaaten (AOSIS), deren Existenz vom Meeresspiegelanstieg bedroht wird, mit der Unterstuetzung vieler Entwicklungsländer und indigener Voelker auf einer Einschränkung des Temperaturanstiegs auf 1,5ºC besteht. Allerdings gehen die Aussichten, dieses Ziel gegen den Widerstand der Industrienationen und Schwellenländer durchzusetzen, wohl gegen Null.
Als Orientierung: Bereits heute verzeichnen wir einen Temperaturanstieg von 0,8ºC. Die heutige Zusammensetzung der Atmosphäre fuehrt längerfristig zu einem Temperaturanstieg von 1,3ºC. (Die langsame Erwärmung der Ozeane verzögert den Temperaturanstieg um einige Jahrzehnte. In den letzten 25 Jahren ist die globale Temperatur um rund 0,2ºC pro Jahrzehnt gestiegen, obwohl die Sonne derzeit in einem solaren Minimum steht.) Die heutige Zusammensetzung der Atmosphäre ohne Luftverschmutzung durch kurzlebige Aerosolpartikel (vor allem Schwefelpartikel), die Sonnenstrahlen reflektieren und dadurch eine abkühlende Wirkung – das sog. global dimming – erzeugen, wuerde laengerfristig zu einem Temperaturanstieg von 2,4 Grad fuehren. Die heutige Konzentration von CO2 (385 ppm, in den 90ern +1,5 ppm/Jahr, inzwischen +1,9 ppm/Jahr) und anderen Treibhausgasen reicht demnach bereits aus, um die 2ºC-Leitplanke zu durchbrechen.
Während Aerosolpartikel schnell aus der Atmosphäre ausgewaschen werden, ist CO2 ein sehr langlebiges Treibhausgas. Rund ein Viertel jeder Tonne CO2, die jetzt in die Atmosphäre gelangt, wird auch in 1000 Jahren noch dort sein, was eine Senkung der CO2-Konzentration sehr schwierig gestaltet. Selbst eine Senkung der CO2-Emissionen auf Null fuehrt nur sehr langsam zu einer Senkung der atmosphaerischen CO2-Konzentration. Dies bedeutet, dass jeder Temperaturanstieg ueber viele Jahrhunderte hinweg unumkehrbar sein wird.
Manche Auswirkungen der Erderwärmung sind besonders besorgniserregend, weil sie nicht linear verlaufen (tipping points) und/oder verstärkend auf die Erderwärmung zurückwirken (feedback effects) (siehe insbesondere Copenhagen Diagnosis, S.44-6). Viele Rückkopplungseffekte sind schwer quantifierbar und wenig erforscht, darunter das Absterben des Amazonischen Regenwalds als Folge hoher Temperaturen und Dürren (wie 2005 beobachtbar), die Umkehr von Landsenken insgesamt in CO2-Quellen, die Verringerung der Aufnahmefaehigkeit der Ozeansenken und der Ausstoss von im Permafrost gespeichertem Kohlenstoff.
Der Permafrost enthält doppelt sowiel Kohlenstoff wie die gesamte Atmosphäre. Bei einem Schmelzen des Permafrost kann Kohlenstoff (C) als Kohlenstoffdioxid (CO2) oder als Methan (CH4) freigesetzt werden. Beides sind wirkungsvolle Treibhausgase. Wissenschaftler haben einen Anstieg der Methanwerte in der nördlichen Hemisphaere festgestellt, konnten ihn aber nicht eindeutig auf das in manchen Gegenden beobachtete Auftauen des Permafrost zurückführen.
Angesichts der bedrohlichen Rückkopplungseffekte halten manche Wissenschaftler des 2ºC-Ziel fuer unanehmbar. James Hansen, als der renommierteste Kritiker, hält das Ziel für desaströs. In einem aeusserst einflussreicher Artikel empfiehlt er eine Senkung der CO2-Konzentration in den naechsten Jahrzehnten unter 350 ppm, um die Erhaltung eines Klimas, an das menschliches Leben angepasst ist, zu sichern.
Als Orientierung: Zurzeit befindet sich die CO2-Konzentration bei etwa 385 ppm und steigt jährlich um 2 ppm. Ein Ausstoss von weiteren 750 Gt CO2, wie vom WBGU-Budget vorgesehen, würde zu einer CO2-Konzentration von etwa 425 ppm führen, was eine Senkung unter 350 ppm über längere Zeit unmöglich machen würde.
In diesem Kontext lohnt sich ein kleiner Exkurs zur Kontroverse um Cap-and-Trade und Carbon Tax, die zurzeit in den USA und in Australien anlässlich der stockenden Einfuehrung nationaler Emissionshandelssysteme am Laufen ist: Hansen ist ebenfalls ein prominenter Kritiker von Emissionshandelssystemen, nicht zur Freude mancher Wirtschaftswissenschaftler wie Paul Krugman und Nicholas Stern. Emissionshandel und Kohlenstoffsteuer sind beides Mechanismen, um einen Preis auf Kohlenstoff zu erzeugen und so die durch CO2-Emissionen entstehenden Kosten zu internalisieren und den Markt zu korrigieren. Beide haben Vor- und Nachteile. Der Konsens unter Wirtschaftswissenschaftler geht, wie es scheint, in Richtung eines hybriden Systems in Form eines Emissionshandelssystems mit Preisboden und Preisdecke, wodurch Preisschwankungen eingeschraenkt werden und das Emissionshandelssystems einer Kohlenstoffsteuer angeglichen wird. Linkspolitisch ausgerichtete NGOs und Aktivisten, unter die sich Hansen als Konservativer selbst nicht einordnen laesst, sprechen sich haeufig gegen Cap-and-Trade aus, und haeufig mit einer Vehemenz und Einseitigkeit, hinter der mehr ideologische als sachliche Motive zu vermuten sind.
Zusammenfassend: Ein Abkommen sollte die Verpflichtung enthalten, die Erderwaermung auf einen globalen Temperaturanstieg von 2ºC oder weniger relativ zum vorindustriellen Niveau einzuschraenken. Ein Temperaturanstieg von 2ºC ist bei weitem nicht “ungefährlich” und für manche Inselstaaten fatal. Ein ambitiöseres Ziel wird jedoch in Kopenhagen nicht durchsetzbar sein und scheint zurzeit auch kaum realisierbar.
Damit dieses Ziel eingehalten wird, sollte ein Abkommen die Verpflichtung enthalten, bzw. sollte sich die Verpflichtung aus nationalen Emissionszielen ableiten lassen, ein globales CO2-Budget von 750 Gt oder weniger ueber den Zeitraum von 2010-2050 einzuhalten und die globale CO2-Trendwende nicht später als 2015 vorzunehmen.
Literatur:
WBGU, Kassensturz fuer den Weltklimavertrag: Der Budgetansatz (Juli 2009).
The Copenhagen Diagnosis: Updating the World on the Latest Climate Science (November 2009) (siehe Rubrik: Dokumente).
Mark New, Diana Liverman, Kevin Anderson, “Mind the Gap”, Nature Reports Climate Change (3 December 2009).
Malte Meinshausen et al., “Greenhouse-Gas Emission Targets for Limiting Global Warming to 2ºC”, Nature 458 (2009), 1158-62.
Myles R. Allen et al., “Warming Caused by Cumulative Carbon Emissions Towards the Trillionth Tonne”, Nature 458 (2009), 1163-6.
Stefan Rahmstorf, “Wie viel CO2 ist zu viel?” (29. April 2009).
James Hansen et al., “Target Atmospheric CO2: Where Should Humanity Aim?”, The Open Atmospheric Science Journal (2008), 217-31.
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