Wer sich bei Dunkirk ein klassisches Kriegsepos erwartet hat, wird enttäuscht. Man beobachtet keine brütenden Generäle über Landkarten und das übliche hyperrealistische Gemetzel bleibt auch aus. Nolans jüngstes Epos entspricht weniger einem genretreuen Kriegsfilm und – wie der Regisseur selbst meint, mehr einem Survival Drama.
Im Mai 1940 werden 400.000 vorwiegend britische – aber auch französische, belgische und kanadische – Soldaten auf dem kilometerbreiten Strand von Dunkirk von feindlichen Truppen eingekesselt, obwohl die französische Stadt am Meer gerade mal 80 Kilometer von der britischen Insel entfernt liegt. Die Männer warten auf die Befreiung durch britische Kräfte – oder den Tod. Großbritannien merkt schnell, dass mächtige Kriegsschiffe ein zu leichtes Ziel für deutsche Angriffsflugzeuge bilden und ein anderer Weg gefunden werden muss, um die Soldaten aus ihrer Lage zu befreien.
Während die Männer auf den Stränden unerbittlich um ihr Leben kämpfen und Kampfpiloten versuchen deutsche Flugzeuge auszuschalten, machen sich in nahegelegenen englischen Küstendörfern hunderte von Männern, Frauen und Kindern in fast tausend kleinen und mittleren Booten und Segelschiffen auf den Weg ins Ungewisse um die Soldaten zu retten.

(c) Warner Bros.
Dunkirk liegt keine traditionelle Erzählform zugrunde. Das Werk ist ein erzählerisches und zeitliches Triptychon. Der Bodenkampf der Soldaten um ihr Überleben, die Überfahrt der kleineren Schiffe nach Dunkirk und der Tanz der Spitfires werden narrativ und zeitlich gekonnt ineinander verwoben, um sich irgendwann zu treffen und sich dann ebenso schnell wieder aufzulösen. Der Zuschauer wird gezwungen sich mit wenig Kontext und Vorgeschichte unmittelbar ins Geschehen zu stürzen. Nolan hat sich in Dunkirk bewusst gegen die Individualisierung der Soldaten entschieden. Die drei jungen Männer, denen die Zuschauer einen Großteil des Films über folgen (dargestellt von Fionn Whitehead, Harry Styles und Aneurin Barnard), haben keine Vergangenheit und kaum Persönlichkeit oder Eigenarten. Sie sind damit repräsentativ für alle Gestrandeten. Sie wollen nach Hause, fliehen und vor allem: nicht sterben. Dunkirk entmystifiziert in diesem Sinne die klassische Rolle des opferbereiten Soldaten, der heroisch sein Leben für sein Vaterland lässt. Nichtsdestotrotz kommen die Zuschauer den jungen Männern bedrückend nahe, die neben ihrem Überlebenskampf auch mit der moralischen Rücksichtslosigkeit des Krieges konfrontiert werden und versuchen ihre persönliche Integrität zu bewahren. Nolan porträtiert zu Gunsten des Zuschauers (und des Films) weniger die grafischen Grausamkeiten des Krieges und mehr die Zufälle und Gegebenheit in denen die Soldaten sich zurecht finden müssen.
Neben Soldaten werden auch Zivilisten als Dreh- und Angelpunkt der Handlung hervorgehoben. Patriotismus wird in Dunkirk weitgehend anhand von Männern wie Dawson (Mark Rylance) definiert, der sein Schiff „Moonstone“ unerschrocken und trotz einiger Hindernisse in Richtung Dunkirk steuert.
Trotz nachvollziehbarer Charaktere und intensiven Handlungssträngen, wird der Film in verschiedener Hinsicht eher von Eindrücken, Elementen und Fragmenten dominiert. Während der Regisseur durch Filme wie Inception und Interstellar bekannt ist für verworrene Nebenschauplätze, lebt Dunkirk im Wesentlichen von seiner Schlichtheit: Erde, Wasser, Luft, gegen Ende des Films auch Feuer. Ohne das Kriegstreiben wähnte man sich inmitten eines Turner-Gemäldes. Fast schon poetisch wirkt es, wenn Farrier, der Pilot der Spitfire (gespielt von Tom Hardy), durch die Weite des azurblauen Himmels fliegt und man über dem Brummen des Rolls-Royce Merlin Motors die Bodenschlacht fast vergisst. Eine Strophe aus Coleridges Rime of the Ancient Mariner drängt sich auf:
The furrow followed free;
We were the first that ever burst
Into that silent sea.
Das matte Licht und die graublauen Töne tragen wesentlich zur stetig klaustrophobischer werdenden Atmosphäre bei, genau wie der Soundtrack von Hans Zimmer. Ein immer währendes Ticken begleitet die Handlung und gibt wie ein Metronom den Ton an. Während Zimmer bekannt ist für seine doch manchmal recht pompös daherkommenden musikalischen Einlagen, scheint er sich in Dunkirk perfekt auf den Rhythmus des Films eingestellt zu haben und beeindruckt vor allem mit einem tiefen Bass, der in größeren Kinosälen besonders gut zur Geltung kommt.
Während der Film zwar, wie oben besprochen, auf die Individualisierung der Charaktere verzichtet, so beschreibt er doch mit wenig Pathos zeitlose Werte wie Zivilcourage, Selbstlosigkeit und Tapferkeit. Umso mehr schade, dass Politiker und Populist Nigel Farage die Gelegenheit ergriffen hat, anhand von Dunkirk für Nationalismus und einen harten Brexit zu werben.
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