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Energiearmut in Luxemburg
Energiearmut hat schwerwiegende Auswirkungen auf die Gesundheit, das Wohlbefinden, die soziale Integration und die Lebensqualität der betroffenen Bürger. Energiearm ist ein Haushalt, der sich grundlegende Energiedienstleistungen wie Heizung, Kühlung, Licht, Mobilität und Strom nicht leisten kann aufgrund eines geringen Einkommens, hoher Energiekosten oder niedriger Energiestandards der Gebäude.[1] Bereits vor der Pandemie, als die Energiepreise im EU-Vergleich bei uns sehr niedrig waren, waren fast 23.000 Personen (3,6 % der Bevölkerung[2]) in Luxemburg nicht in der Lage, ihre Wohnung angemessen zu beheizen. Seitdem sind die Preise für Gas und Heizöl explodiert, und die Zahl der Menschen, die von Energiearmut betroffen sind, ist mit großer Wahrscheinlichkeit gestiegen. Der Statec schätzt, dass 4,1 % der in Luxemburg ansässigen Haushalte 2022 von Energiearmut betroffen sein werden. Das wären immerhin mehr als 26.000 Menschen![3] Unter Berücksichtigung aller Maßnahmen, die bei den Dreiergesprächen im September 2022 vereinbart wurden, erhofft man sich, diese Zahl auf 3 % zu reduzieren.
Steigende Energiepreise haben über das letzte Jahr die Lebenshaltungskosten drastisch erhöht, und immer mehr Menschen riskieren, auch hier in Luxemburg in die Armut abzurutschen. Die jüngsten Prognosen vom Statec besagen, dass das Armutsrisiko 2021 auf voraussichtlich 19,2 % gestiegen ist. Eine Quote, die seit 2005 im Durchschnitt um 1,6 % im Jahr steigt (im Vergleich: +0,7 % in der EU). Besonders vom Armutsrisiko betroffen sind Familien mit geringem Einkommen, Alleinerziehende und kinderreiche Familien. Das Armutsrisiko von ausländischen Einwohnern ist doppelt so hoch wie das der Luxemburger. Im Pandemiejahr 2020 – also noch vor der Energiekrise – hatten schon mehr als ein Viertel der Bürger (28,6 %) Probleme, am Ende des Monats über die Runden zu kommen. Bei kinderreichen und alleinerziehenden Familien war es fast jeder zweite Haushalt. Der jüngste Preisanstieg trifft die Haushalte unterschiedlich stark, und insbesondere Haushalte mit einem niedrigeren Lebensstandard werden von der Inflation stärker belastet.
Bis vor kurzem waren die zwei größten Kostenfaktoren für die ärmsten Haushalte hier im Lande: Wohnen (manchmal bis zu 50 % des Einkommens) und Lebensmittel. Nun kommen noch die steigenden Energiekosten hinzu. Eine Studie der Confédération européenne des syndicats hatte belegt, dass im Juli 2022 ein Luxemburger mit einem Durchschnittslohn 14 Tage arbeiten musste, um seine jährlichen Energiekosten zu bezahlen. Beim Mindestlohn lag die Zahl schon bei 25 Tagen. Zur Erinnerung: Der Preisanstieg beim Gas wurde auf plus 15 % im Vergleich zum durchschnittlichen Preisniveau im September 2022 gedeckelt.
Solidaritéitspak 2.0 und Hilfen für die ärmsten Haushalte
Es gibt die Hoffnung, dass der Solidaritéitspak 2.0 die Situation allgemein beruhigen wird. Das Hilfspaket ist allerdings sozial nicht selektiv, sondern fällt wieder – wie schon so oft zuvor – unter die Kategorie des Gießkannenprinzips! Eigentlich wäre jetzt der Moment gewesen, entschlossen von breit angelegten Maßnahmen zu gezielten und sozial gestaffelten Hilfsmaßnahmen überzugehen. Für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft ist es unerlässlich, wieder mehr soziale Gerechtigkeit herzustellen und längerfristig die Ungleichheiten zu verringern. Ziel müsste es sein, langfristig eine Gesellschaft und Wirtschaft zu fördern, die das Gemeinwohl berücksichtigt und die Widerstandsfähigkeit der Gesellschaft fördert. Kurzfristig benötigen wir allerdings Hilfen, die schnell und ohne administrative Hürden bei denen ankommen, die die Unterstützung am meisten benötigen!
Luxemburgs soziales Netz ist zwar breit, aber auch komplex aufgebaut, und viele Maßnahmen sind kaum bekannt. Der bürokratische Aufwand ist noch immer viel zu schwerfällig und kompliziert, und viele Menschen wissen nicht, was sie alles (oft einzeln) beantragen können. Dazu kommt, dass Betroffene oft Monate auf die Unterstützung warten müssen. Wer Hilfe vom Sozialamt braucht, muss diesen Schritt selbst machen. Viele betrachten Sozialämter jedoch noch immer als „Armenbüro“ und schämen sich, auf die ihnen zustehenden Leistungen zurückzugreifen. Es wird immer wieder versichert, dass niemandem, der die Rechnungen nicht bezahlen kann, Strom und Gas im Winter abgesperrt wird. Dies war in der Vergangenheit jedoch nicht immer der Fall: Zwischen 2016 und 2020 wurden durchschnittlich 875 Strom- und 105 Gasabschaltungen pro Jahr vorgenommen.[4] Eine Ursache für Abschaltungen scheint zu sein, dass Haushalte ihre Überschuldung oft nicht gut verwalten und zu spät (oder gar nicht) auf die Warnung vor einer bevorstehenden Abschaltung reagieren.
Ein weiteres Problem ist, dass die Obergrenzen für den Anspruch auf viele Sozialleistungen schnell erreicht werden. Viele Alleinerziehende und junge Erwachsene finden sich dann in der Situation wieder, dass sie ein paar Euro zu viel verdienen, um Anspruch auf Beihilfen wie zum Beispiel die Teuerungszulage zu erhalten. Die Anspruchsberechtigung für die verschiedenen Zulagen müssten nach oben korrigiert und gestaffelt werden! Es darf nicht sein, dass wenn man ein paar Euro über dem Satz liegt, kein Anrecht mehr auf einen Cent hat. Der Betrag müsste degressiv abnehmen. Auch wissen viele nicht, dass sie Anrecht auf die Energieprämie haben, auch wenn sie kein Anrecht auf die Teuerungszulage haben. Die einmalige Prämie kann auch von Haushalten beantragt werden, die nicht die Teuerungszulage erhalten, aber ein Einkommen von bis zu 25 % über dem Schwellenwert für diese beziehen. Positiv ist, dass die Gewährung der Energieprämie automatisch erfolgt für Personen, die die Teuerungszulage erhalten. Ein Haushalt, der allerdings durch einen administrativen Fehler bei der Teuerungszulage eine Absage bekommen hat, hat kein Anrecht, einen zweiten Antrag auf die Energieprämie zu stellen. Dies bestraft Menschen in großer Prekarität doppelt.
Wichtig ist anzumerken, dass die Zahl der Menschen, die in Luxemburg leben und trotz Arbeit arm sind, seit Jahren steigt. Nach den neuesten Zahlen vom Statec ist jede siebte Person, die hier in Luxemburg lebt und arbeitet, von Arbeitsarmut betroffen.[5] Das sind fast 39.000 Menschen. Die Grenzgänger sind nicht in dieser Statistik enthalten, obwohl sie 46,3 % der Arbeitskraft ausmachen. Obwohl der Mindestlohn im europäischen Vergleich hoch erscheint, liegt er in Luxemburg fast an der Armutsgrenze. Im Jahr 2021 lag eine Person mit unqualifiziertem Mindestlohn 167 Euro netto unterhalb der Armutsgrenze! Die angekündigte Erhöhung von 3 % ist daher bei weitem nicht ausreichend.
Überhaupt keinen Zugang zu den Hilfen haben Menschen ohne soziale Rechte. Für all diese Menschen, viele von ihnen mit Kindern, wird der Winter sehr hart werden. Um die Löcher im sozialen Auffangnetz zu schließen und den Menschen unter die Arme zu greifen, die durch die Schlupflöcher fallen, hat Caritas Luxemburg eine subsidiäre Hilfe auf die Beine gestellt. So kann denjenigen, die – aus welchen Gründen auch immer – keine Hilfe vom Staat erhalten, eine finanzielle Unterstützung gegeben werden.
Mehr Informationen dazu HIER!
[1] Comité européen des régions (2019). L’heure est venue d’éradiquer la précarité énergétique en Europe, https://cor.europa.eu/fr/news/Pages/time-to-eradicate-energy-poverty-in-europe.aspx (letzter Aufruf: 18. November 2022)
[2] https://ec.europa.eu/eurostat/databrowser/view/sdg_07_60/default/table?lang=en (letzter Aufruf: 18. November 2022)
[3] Geschätzte Gesamtbevölkerung 2022: 640.000 Menschen. 4,1 % von 640.000 = 26.240.
[4] https://www.wort.lu/fr/luxembourg/que-se-passe-t-il-si-on-ne-paie-pas-l-electricite-ou-le-gaz-632c8dc4de135b9236d70343 (letzter Aufruf: 18. November 2022)
[5] 13,7 %
Autorinnennotiz:
Carole Reckinger ist Referentin für Sozialpolitik und Verantwortlich für die politische Arbeit bei Caritas Luxemburg.
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