Fiume o morte! Oder wie man mit nationalistischen Mythen aufräumen kann. – CinEast – 3

Die kroatisch-slowenisch-italienische Doku Fiume o morte von Igor Bezinović erzählt die bizarren Geschehnisse im kroatischen Rijeka (früher: Fiume) nach dem Ersten Weltkrieg. Sie bringt es fertig auf innovative und heiter-ironische Art eine politische und menschliche Tragödie zu vermitteln. Obwohl die Okkupation der Stadt durch italienische Nationalisten und Faschisten im Jahr 1919 vielen wohl als Randnotiz der Weltgeschichte erscheinen mag, nahmen die Ereignisse in diesem Mikrokosmos die politischen Entwicklungen und Dramen in Italien und der Welt bis 1945 voraus.

© Restart / Videomante / Nosorogi

Es ist ein passender Film für ein Jahr, in dem man dem Ende des Zweiten Weltkrieges gedenkt, ein Film, der mit Humor die geistigen Wurzeln dieses Konfliktes vorführt: exaltierter Nationalismus, ideologisch-rassistisches Geschwurbel, politischer Extremismus und pathetischer Personenkult.

Die gut zwei Stunden lange Doku rekonstruiert streng chronologisch die Besatzung der Stadt Fiume/Rijeka durch Gabriele D’Annunzio, seines Zeichens Romanautor, Poet, Weltkriegsveteran sowie selbststilisierter “großer Liebhaber” und “italienischer Nationalheld”. Der Film entstand über den Zeitraum von zehn Jahren als eine Mischung aus Interviews, Reenactments und Fotografien. Von letzteren gab es viele, da D’Annunzio früh erfasste, dass er Bildpropaganda brauchte, um die Wahrnehmung seines nationalistischen “Abenteuers” in Italien und der Welt zu lenken. Denn so inszenierte er sich: als scheinbar lang erwarteter Befreier einer unterdrückten italienischsprachigen Gemeinschaft. Als Vollender einer italienischen Einheit, um die sich viele Nationalisten nach dem Sieg im Weltkrieg betrogen sahen, da Gebiete an der Adriaküste dem neu gegründeten Jugoslawien zugesprochen worden waren. In den Slawen sah er “Affen”, die sich nun in den Ruinen des römischen Reiches oder der Republik Venedig herumtreiben würden.

Die Entstehung des Films wurde von dem Wunsch angetrieben, die historische Episode aus der Perspektive der lokalen Bevölkerung zu erzählen. Für den Regisseur war es daher wichtig die Sprachgemeinschaften seiner Heimatstadt mit einzubeziehen, um so die veralteten Narrative aufzubrechen, den kulturellen Schaden, den D’Annunzio und seine Anhänger angerichtet hatten und der bis heute im Nicht-Erinnern und (Nicht-)Zusammenleben der Gemeinschaften noch spürbar zu sein scheint, auch so zu überwinden. Die nachgestellten Szenen werden also von Bürgern und Bürgerinnen Rijekas selbst gespielt. Sie tragen so zu einer zugleich sachlichen und schrägen filmischen Reise in Vergangenheit und Gegenwart der Stadt bei. Größtenteils im lokalen italienischen Dialekt (Fiumano) gehalten, vertritt diese ungewöhnliche Produktion – zur Überraschung des Regisseurs – Kroatien bei der diesjährigen Oscarverleihung.

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Der Film versteht es, Fakten zu vermitteln und gleichzeitig ein unerwartet unterhaltsamer Croudpleaser zu sein. Das ist um so erstaunlicher, als dass der Gegenstand des Films, also die Besatzung Fiumes durch von nationalem Furor beseelte Italiener, beim großen Publikum kaum bekannt sein dürfte. Bestenfalls kennt man wohl D’Annunzio, wegen seiner Exzentrik in Italien bis heute eine Art literarischer Popstar. Zudem ist es ein Thema, und das zeigen Interviews auf den Straßen Rijekas zu Beginn des Films, das sogar in der lokalen Bevölkerung fast vergessen war – zumindest bis die Doku in Kroatien wie ein Blockbuster einschlug.

Gleich zu Beginn des Films erklärt die Erzählstimme, dass dem Regisseur davon abgeraten wurde, den Begriff Faschismus allzu oft zu erwähnen, um das italienische Publikum nicht zu irritieren – eine lakonisch ironische Bemerkung, die einen der zahlreichen lauten Lacher während der Projektion auslöste und die den Ton des Films setzt. D’Annunzio war neben Filippo Marinetti, dem Frauenhasser und Begründer des Futurismus, einer der geistigen Wegbereiter des Faschismus in Italien. Und der Film, der sich auf die Ereignisse in der adriatischen Hafenstadt konzentriert, zeigt, wie unter einem Brennglas, Strategien der autoritären Machtergreifung und –erhaltung,  die in der Folgezeit fast genauso von Benito Mussolini im Königreich Italien reproduziert wurden.

Vor allem aber weiß der Film den Mythos und das Pathos rund um D’Annunzio und die Ereignisse in Fiume zu dekonstruieren. Bei den Reenactments etwa geht es nicht darum, detailverliebte, korrekte Historienbilder in Sepiafarben zu schaffen, wie sie in vielen TV-Dokus beliebt sind. Die realen Kulissen findet man noch vor Ort vor. Ansonsten reicht das Approximative. Mit modernen LKWs und einem roten Fiat Cabrio marschiert der “poeta maledetto” in Kroatien ein. D’Annunzio wird in verschiedenen Phasen dieser politisch-militärischen Posse von unterschiedlichen Schauspielern dargestellt, die in Uniform durch die heutige Einkaufsstraße marschieren oder historische Reden vor verdutzten Passanten und Touristen in Flipflops halten. Die erste Rede D’Annunzios zur Annektion Fiumes hält der Schauspieler zwar vom Balkon des historischen Gouverneurspalastes aus, zuhören tun aber nur die leeren geparkten Autos davor. Das Pathos der Propaganda und die banale Realität der Gegenwart ergeben einen abstrusen Effekt. Man muss über das nationalistische Gehabe und die raunende Beschwörung der alten Größe Roms schmunzeln. Originalaufnahmen oder Fotos haben diesen Effekt sicherlich nicht, da ihre Inszenierung einer “heroischen” Mission und dem Personenkult dienten. Andere Propagandabilder, die zuhauf existieren, werden gezeigt, nur um dann verfremdet (und teils hölzern) von den Laiendarstellern nachgestellt zu werden. Die Gegen-Inszenierung entlarvt den Unsinn, anstatt nur zu dokumentieren.

Teils gelingen frappierende Aufnahmen, in denen Vergangenheit und Gegenwart geisterhaft zu verschmelzen scheinen, so z.B. als ein D’Annunzio-Darsteller sich abends am Hafen unter Fußballfans mischt, die mit Kampfliedern marschierend ihren Hass auf den Gegner, die Mannschaft aus Split, skandieren. Interessant sind auch die spontanen Interaktionen, die sich zwischen Darstellern und Passanten ergeben haben und die in den Film integriert wurden. D’Annunzio, schnauzt eine alte Frau einen jungen Soldaten an, den habe man damals in Fiume so dringend gebraucht wie ein Loch im Kopf. Er habe besser sich eine Freundin zu suchen als in Faschistenuniform rumzustehen.

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Die Selbstinszenierung dieses Condottieres war schon während der Besatzung nur begrenzt wirksam. Zumindest in der betroffenen und nach allen Seiten hin abgeriegelten Stadt, wo Anspruch und Realität auseinanderklafften. Schon die Stadt an sich war nicht italienisch, wie D’Annunzio sich das naiv erwartet hatte, sondern multiethnisch und mehrsprachig. Sie war kulturell Teil jenes “Mitteleuropas”, das die k.u.k. Monarchie hervorgebracht hatte und das in den blutigen nationalistischen Begeisterungsstürmen der Nachkriegszeit verschwand. Hatte D’Annunzio anfangs noch regen Zulauf abenteuerlustiger junger Männer aus ganz Italien, kippte die Stimmung spätestens, nachdem er einen Volksentscheid über die Zukunft Fiumes abhielt. Da sich schnell ankündigte, dass die Fiumaner ihn und seine Soldaten loswerden wollten, wurden Wahlurnen beschlagnahmt, zerschlagen oder verbrannt. Dann wurden die Wahlen wegen eben dieser “Unregelmäßigkeiten” annuliert. Der starke Mann, der scheinbar den Willen des Volkes verkörperte, hatte plötzlich Angst vor gerade diesem Willen. Wer es nun wagte, die Autonomie der Stadt und eine Zukunft ohne D’Annunzio einzufordern, wurde schlichtweg eingesperrt. Zahlreiche italienische Offiziere verließen Fiume daraufhin mit ihren Soldaten, zurück blieben zumeist kampfunerfahrene jugendliche Raufbolde, die D’Annunzio “Legionäre” nannte.

Der Regisseur bedauerte zwar während des Q&A nach dem Film, dass er die Angriffe auf Gewerkschafter, Sozialisten und Kommunisten in Fiume – später von Mussolini in Italien imitiert – aus Zeitgründen nicht zeigen konnte, erwähnt werden aber die anti-slavischen Ausschreitungen. Wer nicht für ihn sei, sei gegen ihn, proklamierte D’Annunzio. Und so nimmt die Tragödie ihren Lauf, mit teilweise kuriosen Schlenkern, wie der Verkündung einer nie umgesetzten futuristischen Verfassung, die alle Menschen, unabhängig von Geschlecht oder Religion, für frei erklärt und die Musik als heilig verkündet, oder der Aufstellung eines Militärreglements für die “Legionäre”, das neben dem Werfen von Steinen und dem Besteigen von Bäumen das Tanzen und Musizieren als tugendhafte Merkmale des zukünftigen Menschen und Soldaten proklamiert.

Das mag alles komisch anmuten, es bedurfte aber eines 5-tägigen Einsatzes von regulärem italienischem Militär – und in der Folge des Todes Dutzender Soldaten und Zivilisten, um die Stadt von diesem surrealen Spuk zu befreien. Viel davon übrig ist heute nicht mehr, die visuelle Bestandsaufnahme am Ende des Films fällt karg aus: Ein verwaschenes Graffiti an einer alten Fassade, ein österreichischer Doppeladler auf einem Laternenpfosten, den man durch Enthauptung in einen römischen Adler verwandelt hatte. D’Annunzio-Straßen oder Plätze oder D’Annunzio-Schulen aus der späteren Zeit des Faschismus wurden umbenannt. Im benachbarten Italien aber errichtete man ihm noch 2019 ein umstrittenes Monument in Triest. Auch das wird gezeigt. Gemeinsame europäische Erinnerung an Faschismus, Diktatur und Krieg sieht anders aus.

Der Film endet jedoch mit den bunten Bildern des Karnevals von Rijeka/Fiume. Vielleicht, weil D’Annunzio diesen sofort nach seinem Einmarsch verboten hatte, vielleicht, weil das Feiern verbindend wirkt und zeigt, dass ein Zusammenleben möglich ist, vielleicht, weil das traditionelle Fest an jene Stadt vor dem spaltenden Einmarsch D’Annunzios und seiner Nationalisten erinnert. Die italienisch- und kroatischsprachigen Menschen, die im Film mitgewirkt haben und für die der Film auch ein entdeckender Lernprozess war, nehmen daran teil.

Letzte Vorstellung: Samstag, 25. Oktober, 20h45 im Utopia

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