Wie zukunftsfähig ist TTIP?

Wachstum, nachhaltige Entwicklung und TTIP

Die Befürworter des TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership) erwarten sich durch das Abkommen einen Wachstumsimpuls für die amerikanische und die europäische Wirtschaft. Primäres Ziel der Verhandlungen ist der Abbau von bilateralen Handels- und Investitionshindernissen. Der ehemalige Generalsekretär der Welthandelsorganisation Pascal Lamy nennt TTIP „the first show of the new world of trade“.1 Immerhin geht es bei TTIP nicht nur um die Absenkung von Zöllen, sondern auch, oder vor allem, um eine Harmonisierung von sogenannten nicht tarifären Handelsblockaden.2 Hierunter fallen auch sozial- und umweltpolitische Vorschriften.

Beim transatlantischen Handel soll es laut EU-Kommission „nicht einfach nur um unsere Wirtschaftsinteressen, sondern auch um Wertvorstellungen“ gehen.3 Die Verhandlungen beinhalten demnach ein Kapitel über Handel und nachhaltige Entwicklung,4 das zeigt, „dass sich Handelszuwachs, Umweltschutz und soziale Entwicklung gegenseitig stärken und der Handelszuwachs nicht zu Lasten der Umwelt oder von Arbeitnehmerrechten geht“.5 Dieses Kapitel enthält laut der EU-Kommission die „ehrgeizigsten Bestimmungen, die jemals einem Handelspartner vorgeschlagen wurden“.6 Im Kern geht es um Fragen des Arbeitsrechts, Umweltrechts und Klimawandels sowie deren Verflechtung untereinander. Auf diese Weise soll eine verantwortungsbewusstere Handelspolitik angestrebt werden und die EU-Kommissarin Cecilia Malmström betont immer wieder, dass die EU keine Abstriche an ihren Sicherheitsstandards bei Umweltschutz, Lebensmitteln und im Gesundheitswesen zulassen werde. Ganz im Gegenteil: „Any change to the level of protection can only be upward“.7

Kritiker befürchten dennoch, dass TTIP vor allem im Sozial- und Umweltbereich zu einer Absenkung auf den kleinsten gemeinsamen Nenner führen wird, und bezweifeln, dass TTIP eine nachhaltige Entwicklung voranbringen könnte. Es wird der EU-Kommission greenwashing vorgeworfen, weil neben dem Kapitel zur nachhaltigen Entwicklung gleichzeitig die sogenannte regulatorische Kooperation und Sonderklagerechte für Investoren auf dem Verhandlungstisch liegen. Dieser Artikel wird der Frage nachgehen, ob TTIP tatsächlich zu einer nachhaltigen Entwicklung beitragen kann oder eher Umwelt- und Sozialstandards sowie Verbraucherrechte einfriert und gefährdet.

Regulatorische Zusammenarbeit

Aus Unternehmenssicht ist die regulatorische Zusammenarbeit der Kern des geplanten TTIP-Abkommens. Wege sollen gefunden werden, um die Zusammenarbeit in Regulierungsfragen zu verbessern und unnötige Kosten zu vermeiden. Das kann die Normierung von Schrauben betreffen, aber beispielsweise auch eine gemeinsame Gesetzgebung für Abgaswerte.

In Europa und Amerika herrschen grundverschiedene philosophische Ansätze und dies stellt bei der gegenseitigen Anerkennung von Produkten, Normen oder Rechtsvorschriften ein erstes Problem dar. In der EU gilt das Vorsorgeprinzip (Schadensprävention durch Risikovermeidung) als wesentlicher Grundsatz des Verbraucherschutzes. Demnach können Produkte und Dienstleistungen nicht auf den Markt gebracht werden, wenn negative Folgen für die Gesundheit von Menschen, Tieren und Pflanzen aufgrund wissenschaftlicher Untersuchungen nicht ausgeschlossen werden können. In den USA gilt die umgekehrte Beweislast: Ein Produkt oder eine Dienstleistung stellt kein Risiko dar, bis das Gegenteil bewiesen ist. Obwohl die EU-Kommission versichert, dass das Vorsorgeprinzip unantastbar ist, befürchten Kritiker, dass es zu einer Aufweichung des europäischen Vorsorgeprinzips kommen könnte.8

Einigen sich die zwei Partner auf einen gemeinsamen Standard, beispielsweise zur Kennzeichnung von Agrar-Gentechnik, dann können diese Standards in Zukunft nur noch im Einvernehmen mit dem Handelspartner geändert und verbessert werden. Eine einseitige Änderung ist somit nicht mehr möglich, falls man nicht bewusst einen völkerrechtlichen Vertrag brechen und Handelssanktionen riskieren will. Die große Gefahr von TTIP besteht deshalb weniger darin, dass bestehende Standards direkt abgesenkt, als dass erforderliche Verbesserungen unserer Standards nicht mehr möglich oder zumindest schwer umsetzbar sein werden.9

Im Hinblick auf die künftige Gesetzgebung bedeutet regulatorische Kooperation die Verpflichtung, den Partner frühzeitig in die legislativen Überlegungen mit einzubinden. Das heißt, dass bevor die EU ein Gesetz mit Auswirkungen auf den transatlantischen Handel verabschiedet, sie zuerst mit dem Handelspartner diskutieren muss – und dies noch bevor das EU-Parlament einen Einblick bekommt. Zudem ist ein Rat (Regulatory Cooperation Body) vorgesehen, der mit Vertretern der Exekutive der beiden Vertragsparteien besetzt sein soll. Es wird befürchtet, dass geplante Gesetzgebungsvorhaben möglicherweise verhindert oder verwässert werden, bevor sie überhaupt in den demokratisch legitimierten Instanzen der Parlamente diskutiert werden können. Diese Sorge ist nicht aus der Luft gegriffen, und bereits heute gibt es Beispiele von Gesetzesvorschlägen, die auf Eis gelegt worden sind und das nur im Hinblick auf TTIP. Der Versuch der EU, 31 Pestizide, die endokrin aktive Substanzen enthalten (EDCs), also hormonschädigende Chemikalien, die Krebs und Unfruchtbarkeit bei Männern verursachen, zu verbieten, wurde zum Beispiel unter Druck der US-Handelsfunktionäre vom Tisch genommen.10 Dies wird im Fachjargon regulatory chill genannt und es ist wichtig, dies auch im Zusammenhang mit dem Investorenschutz zu sehen.

Investorenschutz

Auch die Investorenschiedsgerichte (ISDS) stehen im Mittelpunkt der Kritik. Man befürchtet, dass Firmen allein schon mit der Androhung von Klagen ihnen unerwünschte Gesetze verhindern könnten. Um dem Widerstand gegen Investorenschutz im TTIP auszuweichen, hat die EU-Kommission im Herbst 2015 einen Vorschlag unter neuem Namen vorgelegt. Positiv am EU-Vorschlag ist, dass es einen Berufungsmechanismus geben wird und Richter unabhängige Fachexperten sein müssen. Der neue Vorschlag tastet allerdings noch immer nicht das Grundproblem an: Der Deutsche Richterbund hat in einer Stellungnahme im Februar 2016 klargestellt, dass es weder eine Rechtsgrundlage noch Notwendigkeit für die Schiedsgerichte gibt. Die Richter meinen, „die Schaffung von Sondergerichten für einzelne Gruppen von Rechtsuchenden“11 sei der falsche Weg. Der neue Entwurf der EU-Kommission ermöglicht nämlich weiterhin Konzernklagen gegen Maßnahmen zum Schutz von Gesundheit, Umwelt und anderen öffentlichen Interessen.

Ist TTIP zukunftsfähig?

Die TTIP-Verhandlungen sind bekanntlich geheim und die Details der Verhandlungen werden wir erst erfahren, wenn sie vorbei sind. Allerdings ist jetzt schon klar, dass die Gefahren, die von der regulatorischen Kooperation und von ISDS ausgehen, nicht durch ein einziges Kapitel zu nachhaltiger Entwicklung kompensiert werden können. Nachhaltige Entwicklung ist nur durch eine gleichzeitige und gleichberechtigte Umsetzung von umweltbezogenen, wirtschaftlichen und sozialen Zielen erreichbar. Stagnierende (oder sinkende) Standards in auch nur einem dieser drei Bereiche werden Nachhaltigkeit schwächen oder gar unmöglich machen. Das oberste Ziel von TTIP ist es, den freien Handel zu stärken und Eigentumsinteressen von Investoren mit scharfen Sonderklagemöglichkeiten zu versehen.12 Es beinhaltet keine durchsetzbaren Verpflichtungen zum nachhaltigen Ressourcenverbrauch oder besseren sozialen Standards.

TTIP-Befürworter sehen das Abkommen aus geostrategischer Sicht und betrachten es als letzte Chance, die Spielregeln des Handels zu bestimmen, bevor es aufstrebende Schwellenländer wie Indien oder China tun. Wenn Europa wegweisend in nachhaltiger Entwicklung sein will, ist ein zukunftsfähiges Projekt nur durch eine grundlegende Reform des derzeit etablierten Handels- und Wirtschaftssystems erreichbar. Es bedeutet vor allem ein Umdenken und eine Änderung von Lebens- und Konsumstilen, die planetarische Grenzen respektieren. Unser ökologischer Fußabdruck muss reduziert werden und um das zu erreichen, benötigen wir einen grundlegenden Wandel unseres Wirtschaftens und Konsumierens.

Trotz eines Versuches TTIP grüner und sozialer zu gestalten, sind die Akzente noch immer klar auf Wachstum und Investorenschutz und nicht auf wegweisende Änderungen gesetzt. Es stellt sich deshalb die Frage, ob TTIP zukunftsfähig ist oder es sich vielmehr um einen letzten verzweifelten Versuch handelt, ein Wirtschaftssystem mit geringen Zukunftschancen am Leben zu erhalten.

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