Neofeminismus – die Zukunft des Feminismus?

Die nun folgenden Überlegungen gehen auf eine Veranstaltung der Design-Friends Luxembourg zurück, welche die belgische Designerin Murielle Scherre Anfang März  zu einer Konferenz ins Mudam eingeladen hatten. Frau Scherre entwirft Avant-Garde Lingerie mit „empowerment“-Potenzial.1 Die Aktionsplattform Journée Internationale des Femmes, ein Bündnis aus 21 feministischen bzw. Frauenorgansationen, die in ihrer diesjährigen Kampagne ein realistisches, selbstbestimmtes und nicht-sexistisches Frauenbild eingefordert hatte, stellte die Arbeit der Designerin, welche ihre Kreationen als feministisch bezeichnet, als „neofeministisch“ in Frage: „Voici un très bel exemple d’une approche néoféministe, qui semble prôner l’autodétermination et la liberté sexuelle des femmes, qui alors sont autorisées à être et paraître comme elles le veulent, mais qui ne les voit que comme des consommatrices, dans le meilleur des cas, et, foncièrement, comme de [sic] masses de chair à modeler. Nous contestons aussi la qualité d’art et encore plus celle d’,empowerment‘ des photos sur le site de la designer – à notre avis il s’agit tout simplement de pornochic“2.

An der Zurückweisung der Kritik – seitens der Designerin wie der Veranstalter – wird klar, dass sich die Deutungshoheit über den Begriff „feministisch“ erweitert hat und nicht mehr allein den professionalisierten und institutionalisierten Frauenorganisationen überlassen wird.

Konsumgeprägt: die Feminist_innen der 4. Welle

Es ist anerkannt, dass es den Feminismus in einer einzigen, universalen Ausprägung nicht gibt. Diese Erkenntnis ist der langen Geschichte feministischer Kämpfe sowie der in den 1980er Jahren entstandenen Frauen- und Genderforschung geschuldet. Sowohl die Wahlrechtsbewegung Ende des 19./Anfang des 20. Jahrhunderts als auch der Kampf um das Recht auf Selbstbestimmung über den eigenen Körper in den 1970er/80er Jahren, sowie rezenter das Einfordern von wirtschaftlicher und politischer Entscheidungsgewalt waren vor allem auf weiße, heterosexuelle Mittelschichtfrauen ausgerichtet bzw. wurden von ihnen getragen. Dem Ausschluss – bewusst oder unbewusst – anderer Kategorien (z.B. „women of color“, nicht heterosexuelle Frauen,…) wird durch den Intersektionalitätsansatz begegnet, der die strukturelle Benachteiligung von Frauen aufgrund verschiedener Diskriminierungsachsen (Hautfarbe, sexuelle Orientierung, soziale Herkunft, Religion…) verdeutlicht.

Die Erkenntnis einer Trennung von Geschlecht und Gender sowie das Wissen um die Konstruktion und Dekonstruktion von Gender geben seit Ende der 1990er Jahre dem Individuum – Frau oder Mann (wenn wir denn in diesen beiden biologischen und sozialen Kategorien bleiben) – die Perspektive zur Veränderung. Die Handlungsmöglichkeiten werden aber auch geprägt, beeinflusst und begrenzt durch die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen der Postmoderne. Die Feminist_innen der 4. Welle sind aufgewachsen in einer Kultur, die geprägt war von einem neoliberalen, kapitalistischen Wirtschaftsmodell, das vorrangig auf Konsum ausgerichtet ist.  Und dies in einer Gesellschaft, innerhalb derer durch die zunehmende Individualisierung jede und jeder seines Glückes Schmied sein muss. Neo- oder Postfeminismus verorten sich hier.3

„Post feminism is not against feminism, it’s about feminism today.“

Laut Wikipedia wird Neofeminismus wie folgt definiert: „Neofeminism describes an emerging view of women as becoming empowered through the celebration of attributes perceived to be conventionally feminine, that is, it glorifies a womanly essence over claims to equality with men. It is a term that has come into use in the early 21st century to refer to a popular culture trend, what critics see as a type of ,lipstick feminism‘ that confines women to stereotypical roles, while it erodes cultural freedoms women gained through the second-wave feminism of the 1960s and 1970s in particular.“4

Aber ist es nicht zu einfach, der Popkultur, die uns allseits umgibt, jegliches Veränderungspotenzial abzusprechen und ihre Anhänger_innen als unpolitisch und unkritisch darzustellen? In Post feminism in popular culture: A potential for critical resistance? bescheinigt Fien Adriaens von der Universität Gent dem Postfeminismus eine individuelle und gesellschaftliche Relevanz.5 „Post feminism is not against feminism, it’s about feminism today“(Brooks 1997, in: Adriaens 20096).

Daraus ergibt sich die Wechselwirkung zu einer neoliberalen, spätkapitalistischen Gesellschaft, die sich durch Konsumkultur, Individualismus, Postmodernismus und den Bedeutungsverlust von Institutionen und Bewegungen auszeichnet. Geschlechterunterschiede werden wohl weiterhin wahrgenommen und sollen abgeschafft werden, jedoch findet das in einer Form statt, die sich durch Empowerment, Unabhängigkeit, Individualität, (sexuellen/sexualisierten) Genuss, Konsum, Mode, Spaß und schließlich auch durch die Fokussierung auf den weiblichen Körper auszeichnet. Damit setzen sich Anhänger_innen des Post-/neofeminismus über das binäre und essentialistische Denken der Vorgängergeneration hinweg und lehnen die als zu pessimistisch und negativ angesehene Vision von Sexualität ab.

Weiblichkeit wird ausgedrückt, anerkannt und aufgewertet; die Handlungsfähigkeit der Frau als Subjekt, insbesondere als sexuelles Subjekt, wird betont. Gleichzeitig wird die Frau zur „Unternehmerin“ ihrer selbst. In der bewussten Betonung des Weiblichen und des Körperlichen/Sexuellen, sehen Post-/Neofeministinnen keinen Widerspruch zum Feminismus oder zur „female power“. Adriaens, die wohl selbst zur postfeministischen Generation gehört, bricht eine letzte Lanze für diese Bewegung, indem sie dieser des Weiteren zugutehält, durch die Verwendung von Humor und Ironie die neoliberale Gesellschaft und ihre weiterhin bestehenden Geschlechterdifferenzen kritisch zu hinterfragen.

Kein Feminismus ohne Herrschaftskritik

Ein grundlegender Aspekt von Feminismus fehlt jedoch bei Adriaens: die Herrschaftskritik. Die deutsche Soziologin Nina Degele hält demnach in ihrer Definition fest: „Feminismus lässt sich als Ensemble von Debatten, kritischen Erkenntnissen, sozialen Kämpfen und emanzipatorischen Bewegungen fassen, das die patriarchalen Geschlechterverhältnisse, die alle Menschen beschädigen, und die unterdrückerischen und ausbeuterischen gesellschaftlichen Mächte, die insbesondere Frauenleben formen, begreifen und verändern will.“7

Postfeminismuskritik greift denn auch insbesondere die Verflechtung mit der Konsumkultur heraus und macht an ihr die Unvereinbarkeit dieses Konzepts mit dem Feminismus deutlich. Konsumkultur unterstützt bzw. bedingt ein Herrschaftssystem, das aufbaut auf der Ausbeutung von Arbeitskraft und Ressourcen und extrem ungleiche und ungerechte Vermögensverhältnisse schafft. Hier sei nur kurz erwähnt, dass Frauen, weil sie 85% der Kaufentscheidungen treffen und zunehmend Kaufkraft besitzen, besonders ins Zielfeld der Konsumgüterindustrie gelangt sind.8 Es stellt sich die Frage, ob Post-/Neofeministinnen, die sich in ihrer Weiblichkeit als Subjekt wahrnehmen, nicht in Wirklichkeit nur Objekt der Konsumgüterindustrie sind, deren Waren sie brauchen bzw. kaufen müssen, um sich als Subjekt wahrnehmen zu können. Gleichzeitig führt die Fixierung auf die sexualisierte Körperlichkeit bei all den Frauen zu Anpassungszwang, die nicht dem idealisierten Körperbild entsprechen, das uns ständig medial vorgegeben wird.

Feminismus verändert und entwickelt sich, von Generation zu Generation. Dass dabei „altes Denken“ abgelehnt wird, neue Ideen und Methoden eingebracht werden, ist richtig und wichtig. Kritik gehört dazu, auch die, dass der „alte Feminismus“ allzu oft moralisierend, körperfeindlich und vereinnahmend war. Allerdings ist es fraglich, ob ein „neuer Feminismus“, in dem Emanzipation nur individuell gedacht wird und der auf unkritischem Konsum und Körperkult basiert, zu gesellschaftlichen Veränderungen führt, wenn nicht auch die Strukturen und Mechanismen von Abwertung, Ausbeutung und Unterdrückung von Frauen und von Weiblichkeit sichtbar gemacht und dadurch Dominanzstrukturen in Frage gestellt werden. Relevante Themenfelder bleiben weiterhin Körper-Sexualität-Gewalt, bezahlte/unbezahlte Arbeit und Mitbestimmung. Die Herausforderung liegt darin, diese so anzugehen, dass die Pluralität und Diversität der Frauen respektiert und ihr Selbstbestimmungsrecht gewahrt werden.

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