Nun, naturgemäß bin ich im Moment – Mitte Februar – viel mit der Planung und Vorbereitung meiner Seminare für das beginnende Sommersemester beschäftigt. Man wird als Geisteswissenschaftler zwar von außen betrachtet am ehesten mit seiner Forschungstätigkeit in Verbindung gebracht – mit Publikationen, Vorträgen oder Konferenzen –, aber eigentlich dreht sich der Hauptteil meiner Arbeit, zumindest während der Semesterzeit, eher um Lehre. Das empfinde ich allerdings nicht unbedingt als schlimm. Es gehört zu den wichtigsten Aufgaben unserer Universität, Menschen auszubilden und zu ihrer Bildung beizutragen. Zugleich treten wir dadurch, direkter als durch alle Forschungspublikationen, in Kontakt mit der luxemburgischen Gesellschaft und verbreiten neue Ideen oder entwickeln sie sogar im Dialog mit jungen Menschen.
Geisteswissenschaften versuchen – idealerweise – nicht nur, die Vergangenheit zu analysieren, sondern immer auch, die Gegenwart mit einem Blick auf das Vergangene neu und besser zu verstehen. In diesem Semester unterrichte ich einen Kurs, der „Was heißt Deutsch?“ betitelt ist und um die lange Tradition der Suche nach einer nationalen Identität in Deutschland kreist. Wir versuchen dabei jedoch nicht, eine „richtige“ Antwort auf die Frage zu finden, was nun „deutsch sein“ bedeutet: Vielmehr geht es in dem Kurs darum, die Tradition dieser Fragestellung – und der jeweils verschiedenen Ansätze zu einer Antwort – zu analysieren. Es geht mir, mit anderen Worten, nicht darum, deutschen Nationalismus zu unterrichten und zu verbreiten, sondern – geradezu im Gegenteil – darum, über diesen Nationalismus zu diskutieren, um ihn zu analysieren und zu kritisieren. Eigentlich ist es daher kein Kurs über die deutsche Geschichte an sich, sondern primär ein Seminar über Nationalismus – am Beispiel von Deutschland. Die Texte, die wir lesen und besprechen werden, sind teilweise aus dem 19. Jahrhundert: Sowohl der Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel als auch der Komponist Richard Wagner haben sich mit der Frage nach der Definition von ‚Deutschsein‘ beschäftigt und dabei sehr unterschiedliche Antworten formuliert. Aber wir werden auch neuere Texte besprechen, wie zum Beispiel die des deutschtürkischen Schriftstellers Zafer Şenocak, des amerikanischen Politikwissenschaftlers Benedict Anderson und Thilo Sarrazins berüchtigten Bestseller Deutschland schafft sich ab (2010), in dem so manche Argumente der Rechtspopulisten und Neofaschisten von heute vorformuliert sind. Was sich in dem Seminar jetzt schon zeigt: Die Frage nach dem, was „deutsch“ bedeutet, ist immer auch die Frage, wer deutsch sein soll – und wer nicht. Jede Definition ist immer auch eine Grenzziehung. Gerade im Angesicht der aktuellen politischen Entwicklung, wo eine neue Partei offen ihre Nostalgie für die Nazi-Zeit zur Schau stellt und dadurch für immer mehr Wähler attraktiv zu sein scheint, ist es wichtig, an die blutige und verbrecherische Geschichte dieser Grenzziehungen in Deutschland zu erinnern.
In der verbleibenden Zeit, die nicht der Vorbereitung von Seminaren oder den Gesprächen mit Studierenden gewidmet ist, arbeite ich an Forschungsprojekten. Im Augenblick schreibe ich an einer Geschichte der Figur des „Schurken“ in der Literatur und in Filmen. Faszinierend an der Gestalt des Schurken ist zunächst, dass er sowohl in „klassischer“, d.h. kanonischer Literatur auftritt – in den Dramen Shakespeares, Molières, Schillers, in den Erzählungen Kleists oder den Romanen Stendhals – als auch in populären Texten. Der „Schurke“ ist als Bühnenbösewicht zur Zeit Shakespeares bereits eine etablierte Genrefigur. Das ändert sich in Shakespeares Dramen fundamental: Richard III wird hier mit allen Zügen des Bühnenschurken dargestellt, aber zugleich ist er eine komplexe Figur mit psychologischer und philosophischer Tiefe. Es gibt im weiteren Verlauf so etwas wie eine literarische Genealogie des Bösewichts: Shakespeares Inszenierung des Schurken wird etwa von Schiller aufgegriffen (Franz Moor aus den Räubern ist ein Wiedergänger von Richard III). In der modernen Kultur tritt wieder vermehrt die Genrefigur in den Vordergrund: „Superschurken“ bevölkern die populären Fiktionen der Moderne, wie etwa Fu-Manchu aus den Romanen Sax Rohmers oder Dr. Mabuse aus den Romanen Norbert Jacques’. Was sich in all diesen Texten zeigt, ist nicht nur eine Imagination des Bösen, d. h. eine schaurige Inszenierung menschlicher und unmenschlicher Abgründe. Hier ist stets zugleich auch eine politische Perspektive inhärent: Der Schurke ist stets der „andere“, der – politische und kulturelle – Feind.
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