Mann: Es wird Zeit. Dein Leben währt schon lang.
Leg deinen Zeigefinger in den Schoß,
lass einfach los – wovor ist dir so bang?
Beweis’ zum Schluss ein wenig Menschlichkeit,
gib nach statt immer weiter Recht zu haben,
dräng’ dich auch niemand auf mit Hetztiraden;
die letzten Worte sollten milde sein.
Was du einst wusstest, glaubt jetzt keiner mehr.
Was du geleistet, ist schon fast Geschichte,
schreib weder Leserbriefe noch Gedichte
und zieh dein Ego ganz aus dem Verkehr –
kurz: Lass die Welt sich weiterdrehn, verzichte!
–
Rainer Maria Rilke
Herbsttag
Herr: es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß.
Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren,
und auf den Fluren laß die Winde los.
Befiehl den letzten Früchten voll zu sein;
gieb ihnen noch zwei südlichere Tage,
dränge sie zur Vollendung hin und jage
die letzte Süße in den schweren Wein.
Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.
Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben,
wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben
und wird in den Alleen hin und her
unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.
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