Stimmt es, dass Jeff Da Costa seine freie Meinung äußern durfte? Im Prinzip ja. Aber es war nicht Jeff Da Costa, der seine freie Meinung äußern durfte, es waren Politiker. Und es war keine Meinung, sondern der gut gemeinte Hinweis an den Hydrometeorologen, sorgfältiger mit seiner Wortwahl umzugehen. Und der Hinweis war nicht gut gemeint, sondern der Versuch, die freie Meinungsäußerung zu unterbinden. Alles andere stimmt.
Miteinander reden, der Kraft des besseren Arguments den Vorzug geben, offen bleiben, es wagen, eigene Standpunkte in Frage zu stellen, Fehler zuzugeben: Das ist ein Ideal. Die Realität sieht oft anders aus. Die Parteiräson oder die Angst vor einem Shitstorm führen dazu, dass man manchmal einfach die Klappe hält. Auch – und vielleicht gerade – in Luxemburg. Sich gegenseitig zu kritisieren, fällt leichter, wenn man den Gegner nicht persönlich kennt. Wenn man sich aber dann und wann im Restaurant trifft oder sogar von der Gunst des Gegenübers abhängig ist, dann fällt der Maulkorb nicht selten von ganz allein auf die eigene Schnute. Und manchmal helfen die nach, die am längeren Hebel sitzen. Michel Cames, bekannter Kritiker des Kleinstaats als Kleinstaat mit seinen manchmal auch zu kurzen Wegen, hat Anfang dieses Monats dazu auf forum+ über den Fall Da Costa geschrieben. Da Costa, so nehmen wir an, denn noch ist vieles unklar in diesem Fall, ist ein Mensch, der für die Wahrheit kämpft. Es scheint, als kämpfe die Politik für das gute Ansehen und den Wunsch, Fehler nicht eingestehen zu müssen. Wie auch immer sich die Wahrheit am Ende in der Affäre Da Costa herausstellen wird, eines ist klar: Noch immer ist es schwierig in unserem Land, Kritik zu artikulieren. Zu diesem Thema empfehlen wir die Lektüre des Textes von Michel Cames1; übrigens auch die neueste Frechheit von Pit Panther, die Sie in diesem Heft auf Seite 54 lesen können. Auch Panther findet: Nicht die Gedanken sind frei, die Regierung ist frei.
Erst durch Druck unserer Medienlandschaft und gezielte Nachfragen an die implizierten Akteure kam nach und nach zumindest ein wenig Licht ins Dunkel in der Affäre Da Costa. Hier hat sich wieder einmal bewiesen, wie wichtig eine unabhängige Presse ist, wie entscheidend ihre Kontrollfunktion. Wer aber kontrollieren will, braucht Informationen. Deshalb kämpft der Luxemburger Journalistenverband (ALJP) seit Jahren für ein Informationszugangsgesetz: damit Journalist*innen bei Anfragen an ein Ministerium auch eine Antwort erhalten. Was die Politik ihnen aber anbietet, ist erneut kein Gesetz, sondern ein Rundschreiben. Und dann trägt es noch einen albernen Namen, es ist das Circulaire Bettel 2.0. Wir sind aber nicht bei Microsoft oder Apple, sondern in einem demokratischen Staat. Der Journalismus braucht von Seiten der Politik keine Updates, er braucht seriöse Reaktionen auf seriöse Anfragen. Das Circulaire Bettel 2.0 aber verspricht nun zwar eine Eingangsbestätigung von ministerieller Seite auf journalistische Anfragen binnen 24 Stunden; die eigentliche Antwort jedoch kann auch mit diesem Update noch immer einige Zeit auf sich warten lassen. Also braucht der professionelle Journalismus hier im Land auch kein Circulaire Bettel 3.0, sondern ein Informationszugangsgesetz.
Der professionelle Journalismus steht in diesem Monat übrigens im Zentrum unseres Dossiers, nachdem wir das letzte Mediendossier vor sechs Jahren den alternativen Medien gewidmet hatten. Die Herausforderungen der Digitalisierung und die Zukunft von Print, die spezifische Sprachensituation im Land und die Frage, wie alle Bewohner*innen von den Medien erreicht werden können, die Rolle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, die Konkurrenz durch die sozialen Medien, die Frage der Ausbildung von Journalist*innen: Das sind nur einige Themen, die wir in Beiträgen und Interviews in diesem Monat in den Blick nehmen.
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Aus allseits bekannten Gründen haben wir seit drei Jahren kein Sommerfest mehr organisiert. Wir wollen diese schöne Tradition nun wieder aufnehmen. Im Spätsommer findet es als Rentrée-Fest am Mittwoch, dem 14. September, statt. Los geht’s um 17 Uhr. Dieses Jahr wollen wir in Luxemburg-Stadt feiern; wo genau, das hängt vom Interesse unserer Leser*innen ab, also von Ihnen. Je nach Zahl der Anmeldungen werden wir die geeignete Location sichern. Wer also Lust hat, mit uns zu feiern, möge uns doch bitte bis zum 16. August eine Mail an forum@pt.lu schicken. Weitere Details folgen dann ab Mitte August auf unserer Internetseite, in den sozialen Medien und per Mail an alle, die sich anmelden. Wir freuen uns schon jetzt darauf!
Vom 18.-22. Juli machen wir die Redaktion zu, sind ab dem 25. Juli wieder für Sie da. Das nächste Heft, das sich mit den neuen Gesetzesentwürfen zum Jugendschutz, Jugendstrafrecht und Opferschutz befasst, erscheint am 8. September.
Wir wünschen Ihnen einen wunderbaren Sommer!
Ihr forum-Team
https://www.forum.lu/2022/07/08/politik-und-das-uebermass-an-bindungen (letzter Aufruf: 11. Juli 2022).
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