Es ist so weit: Lasst uns ein Apfelbäumchen pflanzen!

Die Zeit zum Handeln ist jetzt

Lesezeit: 6 Minuten

In seinem 1985 erschienenen und viel beachteten Buch So lasst uns denn ein Apfelbäumchen pflanzen. Es ist soweit, greift Hoimar von Ditfurth das vermeintliche Lutherzitat „Wenn ich wüsste, dass morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen“1 auf und glaubt, die Stunde des Untergangs der Menschheit sei jetzt gekommen, falls sie nicht als Kollektiv in der Lage sei, ihr Verhalten zu ändern.2 Ditfurth war da bereits wenig optimistisch. Vierzig Jahre später hat die Lage sich drastisch verschlechtert.

Entwicklung seit dem Zweiten Weltkrieg

Nach dem Zweiten Weltkrieg begann in unseren Ländern ein optimistischer Wiederaufbau. Die kapitalistische Gesellschaftsordnung, die auf immer mehr Wachstum basiert, schien der sichere Weg zum Frieden und zum persönlichen Glück zu sein. Doch in den 68er und 70er Jahren protestierte die Jugend gegen diese Vision und verlangte ein Umdenken. Der erste Bericht des Club of Rome zeigte deutlich die Grenzen des Wachstums auf.3 Der Europarat proklamierte das Jahr 1970 zum ersten Europäischen Naturschutzjahr, das auch in Luxemburg, zum Beispiel durch die Naturcamps des Service national de la jeunesse, großen Anklang fand.

Am 28. Juni 2024 besuchte ich die Transition Days des Center for Ecological Learning Luxembourg (CELL). Ich fühlte mich zurückversetzt in die 70er und 80er Jahre, als ich als junger Biologielehrer an so manchen Veranstaltungen von Natura, der Pfadfinder und später des Mouvement écologique teilnahm, an der französischen Grenze mit vielen Gleichgesinnten gegen Cattenom demonstrierte und versuchte, meine Schüler von der Notwendigkeit zu überzeugen, sich für Natur- und Umweltschutz zu engagieren. Aber es gibt einen Unterschied zu damals: Wir glaubten, dazu beitragen zu können, die Gesellschaft zu ändern. Heute liegt der Fokus eher auf Resilienz.

Die 1990er Jahre waren geprägt von einer Neuordnung der Welt nach dem Ende des Kalten Krieges. Die fortschreitende Digitale Revolution, in Form zunehmender beruflicher und privater Nutzung von Computern, Mobiltelefonen und des Internets hätte eigentlich die Zukunft der Gesellschaft wieder unter einem optimistischeren Licht erscheinen lassen können. Doch neue geopolitische und ethnische Konflikte, die Zunahme der Armut und die immer häufiger auftretenden Umweltkatastrophen nahmen bedrohliche Formen für die gesamte Menschheit an.

Aber es gibt einen Unterschied zu damals: Wir glaubten, dazu beitragen zu können, die Gesellschaft zu ändern. Heute liegt der Fokus eher auf Resilienz.

Im September 2002 reagierten die Vereinten Nationen auf diese Entwicklung mit der Formulierung der Millennium Goals.4 Klar definierte Ziele und verifizierbare Indikatoren sollten dem Kampf gegen Armut, Hunger, Krankheit und Umweltzerstörung dienen. Die Mitgliedsstaaten verpflichteten sich, diese Ziele bis 2015 zu erfüllen. Danach wurden im Agenda2030 neue „17 Ziele für nachhaltige Entwicklung“ mit noch präziseren Indikatoren ausgearbeitet.5 Bei der UN Klimakonferenz Cop 21 von Paris einigten sich 197 Staaten auf ein neues, globales Klimaschutzabkommen.6 Am 12. März 2024 hat die Europäische Kommission unter dem Titel „Europäischer Green Deal“ eine Mitteilung über die Bewältigung von Klimarisiken in Europa veröffentlicht.7

Die Politik, besonders die Vereinten Nationen und die Europäische Union, sind also bemüht, die Entwicklung der Gesellschaft in eine nachhaltige Richtung zu steuern. Das Grundübel, nämlich das ungebremste Wirtschaftswachstum, gehen sie jedoch nicht an. Den einzelnen Bürger interessiert das alles recht wenig.

Der Ist-Zustand

Am 1. August, an dem Tag, an dem ich diese Zeilen schreibe, ist dieses Jahr der Earth OvershootDay, also der Tag, an dem die Welt so viele Ressourcen verbraucht hat, wie die Erde in einem Jahr regenerieren kann. Von heute an lebt die Welt auf Pump. Aber wir Luxemburger hatten diesen Punkt schon am 20. Februar erreicht. Eigentlich müsste ein lauter Aufschrei durch die Lande gehen und jeder „vernünftige“ Mensch müsste sich fragen, was er denn tun könne, um dieser verheerenden Entwicklung entgegenzutreten. Aber die Reaktion auf diese gesicherten Erkenntnisse ist kaum registrierbar. Obwohl die zunehmend eintretenden Naturkatastrophen zweifelsfrei mit dem Klimawandel in Zusammenhang gebracht werden können und in Schulen und Medien die wissenschaftlichen Grundlagen der Umweltproblematik unmissverständlich vermittelt werden, ändern wir unsere Einstellungen kaum. Der ökologische Fußabdruck stellt den Raubbau, den wir mit unseren natürlichen Ressourcen betreiben, klar dar und fundierte Szenarien, die mögliche Entwicklungsmodelle anschaulich beschreiben8, werden von den Medien aufgegriffen. Sie vertiefen unser Wissen um die möglichen Folgen unserer derzeitigen Lebensweise, doch es kommt nur sporadisch zu nachhaltigen Maßnahmen. Einige Firmen und Privatpersonen nutzen die hohen Subventionen, um die energetische Transition zu verwirklichen. Der Finanzplatz hat erkannt, dass mit Green Finance Geschäfte zu machen sind und die meisten politischen Parteien treten, zumindest theoretisch, für nachhaltige Entwicklung ein. Aber zu einem allgemeinen Umdenken oder zu großen Verhaltensänderungen ist es noch nicht gekommen.

Warum ist das so?

Viele Mitbürger sind der Überzeugung, dass sie sowieso nichts zur Gestaltung der eher düsteren Zukunft beitragen können. Eine gewisse Hoffnungslosigkeit, ein Gefühl der Machtlosigkeit trägt dazu bei, dass viele Zeitgenossen sich zurückziehen.

In einem Artikel im Luxemburger Wort9 zitiert Thomas Klein die Studien Polindex und Studialux des Teams um Philippe Poirier an der Uni Luxemburg, die zur Schlussfolgerung kommen, dass „schwerwiegende Ereignisse wie Krieg in der Ukraine für einen Wertewandel in der Gesellschaft sorgen“. Poirier zufolge habe in den Köpfen der luxemburgischen Gesellschaft eine stille Revolution stattgefunden, die besonders die Rückkehr des Materialismus und die Entwicklung eines liberalen Individualismus be­inhalten. Wendy Brown schreibt in ihrem Buch NihilistischeZeiten.Denken mitMaxWeber, dass wir uns gegenwärtig in einer „verwirrenden Lage befinden, in der die philosophischen, sozialen, ökonomischen, ökologischen und politischen Koordinaten von Wert und Werten sowohl in Bezug auf Wissenspraktiken als auch auf die Welt zutiefst ungewiss geworden sind.“10 Brown glaubt, dass in den alteingesessenen und in den neueren liberalen Demokratien heute hemmungslos antidemokratische Kräfte auf dem Vormarsch sind, „die offen für Autokratien, gewaltsame Ausgrenzungen oder Vorherrschaft einer Rasse, einer Ethnie oder eines Geschlechtes eintreten.“ Die Geschichte lehrt uns, dass Verunsicherung ein guter Nährboden ist für Autokraten à la Trump oder Putin oder für rechtsradikale Populisten, die vermeintlich einfache Lösungen zu den komplexen Problemen unserer Zeit anbieten und diese nicht selten mit Gewalt durchsetzen wollen. Sich um die kritische geopolitische Entwicklung oder um die exponentiell zunehmenden Umweltkatastrophen zu kümmern, passt nicht in deren Welt. Manch ein Mitbürger entschuldigt sein Verharren in seiner unbeschwerten Gemütlichkeit mit der Erklärung, dass die Entwicklung der Gesellschaft wellenartig verlaufe. In gewissen Epochen neige die Bevölkerung zu optimistischem Handeln, dann käme wieder eine No FuturePeriode, während der man sich eher auf sich selbst und sein eigenes Wohlergehen fokussiere. Irgendwann würde es wieder bergauf gehen und es würden bestimmt Lösungen zu den derzeitigen Problemen gefunden werden. Andere glauben, dass nur noch Resilienz angesagt ist, das heißt die Menschheit fit zu machen, um sich mit den unumgänglichen Umweltkatastrophen möglichst gut zu arrangieren.

Was wir tun können, ist längst bekannt: Suffizienz ist angesagt, das heißt, wir sollten vor allem genügsamer leben und unser Konsumverhalten ändern.

Haben wir es aufgegeben, unser Verhalten zu ändern und unseren Kindern und Enkelkindern eine Zukunft ohne allzu große Umweltkatastrophen zu bereiten?

Apfelbäumchen pflanzen

Doch gerade „weil es soweit [sic] ist“, ist jetzt die Zeit zum „Apfelbäumchen pflanzen“ gekommen: Zwar sind dabei die internationale, die europäische und die nationale Politik sowie die Industrie und die Finanzwelt gefordert. (Sie haben ja zaghaft damit begonnen, die Nachhaltige Entwicklung zu begünstigen.) Aber ein jeder von uns ist zum „Bäumchen pflanzen“, also zum konkreten Handeln aufgerufen. Was wir tun können, ist längst bekannt: Suffizienz ist angesagt, das heißt, wir sollten vor allem genügsamer leben und unser Konsumverhalten ändern. Das Bevorzugen von Fair-Trade-Produkten, von Produkten aus der Biolandwirtschaft und das Vermeiden von Plastikverpackungen sind kleine, aber wichtige Schritte in die richtige Richtung. Dabei sollten wir bedenken, wie wir den Ressourcenverbrauch und den Müll reduzieren, die durch ungenutzte Lebensmittel, durch nur kurzzeitig getragene Kleidung oder durch nicht wiederverwertbaren Elektroschrott entstehen.

Unsere tägliche Mobilität sollten wir nachhaltiger gestalten und so oft wie möglich auf öffentliche Transportmittel zurückgreifen. Auch sollten wir unsere Reisegewohnheiten überdenken, weniger lange Flugreisen unternehmen, Zug- oder Busreisen bevorzugen und auch Ferien im eigenen Land ins Auge fassen. Mit dem Fahrrad das Land erkunden oder von den zahlreichen, gut beschilderten Wanderwegen profitieren, beschert uns nicht nur Entspannung, sondern ein vertieftes Interesse an der Natur und am Erhalt der Biodiversität. Ob diese Maßnahmen jetzt als eine Steigerung der Resilienz oder als Beitrag zur Nachhaltigen Entwicklung gesehen werden, ist eigentlich egal. Sie werden ihre Früchte in den nächsten Generationen tragen. Die Generation Z ist nicht die letzte Generation. Die neue Generation Alpha steht schon in den Startlöchern. Die begeisterte Teilnahme vieler Schüler an Projekten im Bereich Nachhaltiger Entwicklung stimmt zuversichtlich.11 Aber die kommenden Generationen dürfen sich nicht mit „Apfelbäumchen pflanzen“ begnügen. Vielleicht gelingt es ihnen, sich von den gegenwärtigen Verhaltensmustern und Abhängigkeiten zu lösen und eventuell mit Hilfe der KI die erforderliche Zeitenwende herbeizuführen.  


Francis Schartz ist Biolgielehrer im Ruhestand und früherer Vorsitzender des Nachhaltigkeitsrates.


1 Hoimar von Ditfurth, So lasst uns denn ein Apfelbäumchen pflanzen. Es ist soweit, München, Droemer Knaur, 1988.

2 ebd., S. 367.

3 Denis L. Meadows, Donella H. Meadows, Jorgen Randers, William Behrens III, The Limits to Growth, New York, Universe Books, 1972.

4 https://www.un.org/millenniumgoals/ (alle Internetseiten, auf die in diesem Beitrag verwiesen wird, wurden zuletzt am 12. August 2024 aufgerufen).

5 https://sdgs.un.org 

6 https://www.un.org/climatechange

7 https://tinyurl.com/greendealde

8 https://csdd.public.lu/fr/actualites/2023/earth-overshootday-2023.html

9 Thomas Klein, „Luxemburg ist keineswegs immun gegen die populistische Versuchung“, in: Luxemburger Wort vom 16. Juli 2024, S. 2-3.

10 Wendy Brown, Nihilistische Zeiten, Berlin, Suhrkamp Verlag, 2023, S. 9. 

11 https://noa.lu 

 

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