Bauer sucht Bio
Vier Fragen an Änder Schanck, Gründer und Vorsitzender von Oikopolis SA
Was unterscheidet die Bio-Agrikultur im Norden von jener anderer Regionen?
Änder Schanck: Der Norden Luxemburgs unterscheidet sich einerseits vom Rest des Landes durch die Höhenlage, deshalb spricht man ja auch von den „Éislecker Koppen“, und andererseits durch die geologische Grundlage. Obwohl der Höhenunterschied nur wenige hundert Meter beträgt, macht er sich durch einen nicht geringen Temperaturunterschied bemerkbar, der die Vegetationszeit an verschiedenen Stellen bis zu einem Monat verkürzt.
Die geologische Grundlage besteht aus Schiefer und der Mutterboden vieler Koppen ist ziemlich dünn. Dies beeinträchtigt die Fruchtbarkeit des Bodens. Kurzum, die landwirtschaftlichen Bedingungen waren zumindest früher, bis das sogenannte Thomasmehl1 und danach die weiteren Mineraldünger in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts eingesetzt wurden, eher karg. Das schien dann auch keine allzu gute Voraussetzung für die biologische Landwirtschaft zu sein. Dennoch kann man heute feststellen, dass Letztere im Ösling überproportional vertreten ist. Eine Erklärung könnte durchaus sein, dass die etwas härteren Bedingungen auch irgendwie entsprechende Motivationen für’s Überleben mobilisieren können.
Ist „bio“ auch mit „fairen“ Produkten gleichzusetzen, etwa wie „D’fair Mëllech“?
A.S.: Der Begriff „bio“ bezieht sich in erster Linie auf den Umgang des Landwirts mit der ihm zur Verfügung stehenden Natur, d.h. Boden, Pflanzen und Tieren. Hier stellen sich Fragen der Bedürfnisse des Bodens und der Pflanzen, damit sie für Mensch und Tier zur gesunden Ernährung reicht. Ebenso beschäftigt man sich mit der Haltung, Fütterung und Betreuung der Haustiere, damit auch sie zur Ernährung der Menschen beitragen und zugleich den Dünger in Form von Mist liefern, der den Boden lebendig hält. Diese Art und Weise, Landwirtschaft zu betreiben, wurde in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts entwickelt und in den neunziger Jahren durch die EU reglementiert. Jeder, der in der EU Bioprodukte auf den Markt bringt, muss die echtmäßige Herkunft bei jährlichen Kontrollen nachweisen.
Demgegenüber hat der Begriff „fair“ seinen Bezug im gesellschaftlichen Zusammenleben der Menschen. Somit gehört er also eindeutig in eine soziale oder, besser gesagt, wirtschaftliche Kategorie. Wenn jemand sich in einem Abkommen mit einem anderen nicht gerecht behandelt sieht, empfindet er das logischerweise als unfair. Wenn heute für viele landwirtschaftliche Produkte keine auskömmlichen Preise bezahlt werden, dann findet man das auch nicht fair.
Das Problem, das sich hier nun aber stellt, ist, dass es in unserer heutigen Marktwirtschaft keine konkrete Person als Gegenüber gibt, die ein Abkommen oder eine Vereinbarung getroffen hat. Die Regeln des anonymen Marktes bestimmen im großen Ganzen, wie sich die Preise entwickeln. Die frühere engere Bindung zwischen Produzent und Konsument ist heute nicht mehr da und Initiativen wie „D’fair Mëllech“ oder Fairtrade versuchen, diese Verbindung zumindest über die Kommunikation wieder herzustellen. Wenn nun ein Konsument ein als „fair“ gelabeltes Produkt kauft und es steht nicht „bio“ mit einer entsprechenden Kontrollnummer auf dem Etikett, kann er keineswegs erwarten, dass dieses Produkt nach biologischen Kriterien produziert wurde. Er kann jedoch annehmen, dass hinter dem Produkt eine Initiative steht, die für ihre Mitglieder einen höheren Preis erhalten möchte.
In dem genannten Beispiel der „fair Mëllech“ ist es so, dass diese Milch dieselbe ist wie die gesamte andere Milch, welche die betreffende Molkerei herstellt bzw. verarbeitet und in Umlauf bringt. Hinzu kommt, dass der Begriff „fair“ kein offiziell geschützter Begriff ist. Seit dem Ursprung der Bio-Bewegung war es ihr immer auch ein Anliegen, dass die Auszahlung korrekter Preise an die Hersteller gegeben war. Insofern werden hier die beiden Begriffe „bio“ und „fair“ berechtigterweise oftmals gekoppelt verwendet.
Wie regional (oder lokal) ist die Bioproduktpalette in den Luxemburger Supermärkten?
A.S.: Als erstes sollen auch die Begriffe „regional“ und „lokal“ einmal kurz unter die Lupe genommen werden. Wann treffen sie zu? Zum einen ist deutlich, dass es sich um geografische Bestimmungen handelt. Es ist auch klar, dass sie als Gegensatz zum „globalen“ Marktgeschehen ins Bewusstsein genommen werden. In der Regel setzen wir in unserem kleinen Luxemburg „regional“ gleich mit „luxemburgischer Herkunft“, was ohne Zweifel keine mit einem anderen Land vergleichbare Größe abgibt.
Zum anderen ist auch offensichtlich, dass in der Regel ökologische Gesichtspunkte, z.B. kurze Transportwege, für die Nähe der Produktion zum Konsumenten sprechen. Aber dies trifft nicht immer zu. Wenn bspw. im frühen Sommer neuseeländische Äpfel, welche per Schiff nach Europa gelangen, bezüglich ihres CO₂-Fußabdrucks mit regionaler Ware aus den energiefressenden CA-Lagern2 verglichen werden, dann schneiden die aus Übersee eindeutig besser ab.
Dasselbe gilt beim Vergleich von biologischer mit konventioneller Ware. Dabei lässt sich ausrechnen, wie weit man eine größere Menge eines Bioproduktes,wie z.B. Bio-Weizen, mit einem großen Transporter anfahren kann, wenn ich diesen mit derselben Menge Sprit betanke, den ich für die Herstellung des Stickstoffdüngers für den konventionellen Weizen brauche. Anders gesagt, bedeutet das, dass man ein konventionelles Produkt aus der Region nur bedingt als „regionales“ Produkt bezeichnen kann, denn ohne die importierten Kunstdünger und auch Pestizide würde hier nicht allzu viel wachsen. Bei Bioprodukten ist das anders, weil man hier ohne diese chemischen Hilfsmittel auskommen kann. Hierbei wird deutlich, dass die ökologische Bewertung von „regional“ und „lokal“ nach CO₂-Maßstäben kein eindeutiges Ergebnis bringt.
Der Wert einer regionalen Landwirtschaft liegt eben auch in der Ernährungssouveränität und im Erhalt des jeweilig unterschiedlich gewachsenen kulturellen Landschaftsbildes. Leider spielt in diesem Thema auch immer wieder eine etwas chauvinistische Haltung mit, bei der das Bild gepflegt wird, alles von uns oder aus unserer Heimat wäre immer das Beste.
Was nun die „Regionalität“ der Bioproduktpalette in den Luxemburger Supermärkten betrifft, so bleibt als erstes festzustellen, dass die Palette der „importierten“ Bioprodukte weit größer ist als die der luxemburgischen. Zum einen haben wir für viele weiterverarbeite Produkte hierzulande keine Hersteller, zum anderen bringen die hier ansässigen nicht luxemburgischen Supermärkte ihre Bioprodukte aus ihren Einkaufszentralen mit. Trotz alledem liegt bei einzelnen Produkten wie Frisch-Milch, Brotgetreide oder auch Gemüse der Anteil regionaler, sprich luxemburgischer Bioprodukte zum Teil weit über dem vergleichbaren Anteil im konventionellen Bereich.
Kann das Großherzogtum einen Meilenstein in Sachen 100% Bio setzen? Wenn ja: Wie?
A.S.: Ich denke, dass das eine sehr theoretische Fragestellung ist. Für einen solchen Meilenstein fehlen die Voraussetzungen in Luxemburg, und nicht nur hier. Man kann eine solche massive Veränderung nicht per Dekret von oben einfordern, und man sollte sich hüten, dies ohne die Akteure selbst, nämlich die Landwirte, einzuführen. Würde z.B. ein Bauer gegen seine eigene Überzeugung biologisch wirtschaften müssen, würde das sicher zu einem Misserfolg führen. Das wäre nur normal und gilt übrigens auch für alle anderen freien Berufe. Des Weiteren lebt unsere Landwirtschaft heute in einem wissenschaftlichen Denksystem, das quasi nur mit abstrakten Kategorien umgeht. Von daher ist es nicht leicht, aus diesen Denkschablonen auszubrechen. Zudem sind die Landwirte in ökonomische Sachzwänge eingebunden, die ihnen nicht unbedingt viel Spielraum für Experimente lassen.
Die Frage an sich ist aber berechtigt, wenn man sie dahingehend abwandelt, dass man danach fragt, wie wir dazu kommen, dass die Landwirtschaft im weitesten Sinne nachhaltiger wird. Dabei spielt die Bio-Landwirtschaft eine wichtige Vorreiterrolle, ja sie kann durchaus als eine Art Leitbild für die gesamte Landwirtschaft gelten. Es kommt dabei als allererstes darauf an, dass ein gehöriger Bewusstseinswandel vollzogen wird, und dies nicht nur bei den Landwirten. Alle Glieder der Wertschöpfungskette, vor allem die Konsumenten, aber natürlich auch die regulierende Hand des Staates, müssen mithelfen, damit eine fließende „Transition“ in der Landwirtschaft möglich wird.
Das Interview wurde per E-Mail geführt. (BM)
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