- Gesellschaft
Bin ich ein Rassist?
Ein ehrlicher Versuch von Selbstkritik
Ich bin kein Rassist, aber…seitdem ich einige Rassismus Tests1 ausprobiert habe, bin ich mir nicht mehr so sicher.
Ich bin aufgewachsen unter weißen Mitmenschen weiblichen und männlichen Geschlechts. Als Kleinkind bemerkte ich zum ersten Mal ein Kind mit schwarzer Hautfarbe bei der Weihnachtskrippe, das dankend mit dem Kopf nickte. Später im Religionsunterricht wurden wir zu einer finanziellen Unterstützung aufgefordert zum Missionieren eines heidnischen Patenkindes in Afrika. Erst während meinem Universitätsstudium sprach ich zum ersten Mal mit einem schwarzen Studenten und einer arabischen Studentin. Die Filmserie Bonanza und die vielen Westernfilme meiner Kindheit impften mir wahrscheinlich rassistische Stereotypen über die Ureinwohner Nordamerikas ein. Bereits als Elfjähriger machten mich die Ermordung des Bürgerrechtlers Martin Luther King und der Black-Power-Protest bei den Olympischen Spielen 1968 auf die Rassendiskriminierungen in den USA aufmerksam.
Ich bin Vater von einem afrobrasilianischen Adoptivsohn, einer kolumbianischen Adoptivtochter und einem bleichen hausgemachten Sohn. Als Mitglied einer bunten Familie wurde ich des Öfteren mit dem Problem Rassismus konfrontiert. Ich oute mich an dieser Stelle als alter, weißer, heterosexueller, nicht behinderter, gutverdienender Mann mit abgeschlossenem Medizinstudium: Kriterien, die unweigerlich zur Folge haben, dass ich einer Gruppe angehöre, die nicht nur einer gesellschaftlichen Norm zugeschrieben wird, sondern mich auch in eine gewisse Machtposition rückt. Ich war niemals Opfer von nennenswerten Diskriminierungen und bin mir meiner privilegierten Situation auch vollends bewusst. Nun bescheinigte mir der „Implizite Assoziationstest“ (IAT) trotzdem „starke automatische Bevorzugung von Weißen gegenüber Schwarzen“. Wie kann es also sein, dass rassistische Gefühle und Vorurteile mein Leben mitbestimmen?
In unserem Alltag versuchen wir unsere soziale Umwelt dadurch überschaubarer und handhabbarer zu machen, indem wir die unter bestimmten Aspekten als zusammengehörig wahrgenommenen Personen unserer Umwelt zu Gruppen zusammenfassen. Diese Art Schubladendenken wird soziale Kategorisierung genannt und erlaubt schnelles Agieren, andernfalls würde die Vielzahl der Informationen uns überfordern. Allerdings kann dieses schnelle Denken zu Fehlurteilen führen.
“Unter Sozialer Kategorisierung versteht man den mentalen Vorgang, bei dem eine Person jemand anderes oder sich selbst einer sozialen Kategorie bzw. sozialen Gruppe zuordnet. Man sieht eine andere Person oder sich selbst als Frau oder Mann, alt oder jung usw. Es handelt sich um einen automatischen Prozess, der sich praktisch nicht unterdrücken lässt. Zum einen ist Soziale Kategorisierung nützlich, weil sie erlaubt, Erwartungen aufzubauen und Handlungen vorzubereiten. Zum anderen ist die Soziale Kategorisierung Grundlage für die Anwendung von Stereotypen und Vorurteilen.”2 Stereotype können sich verfestigen, wenn keine Reflexion erfolgt, wenn sie nicht entlarvt werden. Dann entstehen Vorurteile, die meist negative Konnotationen mit sich bringen und die zu Konsequenzen im Handeln führen, z. B. Diskriminierung.
Politische Korrektheit, mein ewiger Versuch
Ich spreche und handle politisch korrekt, wenn ich mich auf eine Weise benehme und ausdrücke, ohne jemanden, besonders Minderheiten, zu beleidigen, zu diskriminieren, psychisch zu verletzen und wenn ich Verantwortung und Respekt zeige. Gesellschaftliche Veränderungen spiegeln sich in der Sprache wider und folglich ist Sprache immer in Veränderung. Muss ich meine anscheinend noch nicht korrekte Sprache einer semantischen Säuberung unterziehen? Hier einige Beispiele.
Schwarzarbeit wird von weißen oder schwarzen White- oder Blue Collar Workers erledigt, also eine bunte Vielfalt. Im grauen Hochdeutsch wird diese illegale Arbeit als Schattenwirtschaft bezeichnet. Schwarzfahren3müsste Beförderungserschleichung oder Fahren ohne Fahrschein heißen. Seit der öffentliche Nahverkehr für alle kostenlos ist, gibt es keine weißen Schwarzfahrer mehr in Luxemburg.
Loriot fragte: “Zigeunerschnitzel und Negerkuss soll man nicht mehr sagen. Geht Führerschein noch?”
Judd mat Gaardebounen steht für das Nationalgericht der luxemburgischen Küche. Judd ist das gepökelte und geräucherte Nackenstück des Schweins. Dieses Stück Fleisch schmeckt nach Antisemitismus oder darf ein Kulturerbe unseres Landes noch umbenannt werden?
Eine Mouerenapdikt oder die Pharmacie des N* existiert nicht mehr in Luxemburg. In Deutschland wurden ebenfalls viele Mohrenapotheken abgeschafft oder umbenannt, in vielen anderen Fällen wurden sie wegen schönen Fassadenfiguren unter Denkmalschutz gestellt. Der Name Mohrenapotheke soll von den dunkelhäutigen Mauren aus den islamischen Staaten in Spanien herkommen, die zu jener Zeit eine bessere Pharmazie beherrschten.

Was die sprachlichen Anpassungen für die Hautfarbe betrifft, gilt ebenso für das Geschlecht. Die gender-gerechte Sprache steckt voller Fallen und ein alternder weißer Mann wie ich wird es wahrscheinlich nie schaffen, am Ball zu bleiben. Ich werde verzweifeln, der nächste Shitstorm lauert schon oder ich riskiere, “gecancelt“ zu werden.
Studentinnen und Studenten. Oder StudentInnen. Oder Student*innen. Oder Student_innen. Oder Student:innen. Oder Student/innen. Oder Student(inn)en. Oder Studierende. Die Diplomaten umgehen die Frage nach dem passenden Ausdruck ganz einfach mit dem englischen students.
Der Gebrauch des Partizip Präsenz könnte die Lösung sein für eine „neutrale“ Ausdrucksform: z.B. aus Mitarbeiter*innen werden Mitarbeitende. Sind verstorbene Mitarbeitende einer Firma noch im Arbeitsverhältnis oder sind sie schon tot?
Bürger*innensteig, Redner*innenpult.
Verkehrsschilder können diskriminatorisch sein: „Radfahrer absteigen“ oder müssen Radfahrerinnen nicht absteigen?
Wir setzen uns ein für Gott*in und unser Mutterland. Oh Frauofrau!
Kommt eine genderbewusste Frau in eine Kneipe und bestellt „Eine Radlerin“. „Tut mir leid“, sagt der Wirt, „Die Zapfhenne ist kaputt“. Ist es politisch unkorrekt, Genderwitze zu erzählen?
Sprache gehört uns allen, aber wer in der Sprachgemeinschaft definiert das „richtige“ Sprechen?
Mit der Gendersprache soll Respekt gezeigt werden für alle Formen der Geschlechtlichkeit. Viele aber wehren sich gegen diese Ausdrucksweise und reden von Meinungsdiktatur. Wolf Schneider, Deutschlands oberster Sprachlehrer, behauptet: „Gendern ist für Wichtigtuer.“4 Der Vorwurf ist also nicht gemeint für das weibliche Geschlecht.
Julia Ruhs, die junge weiße ARD-Reporterin, fragt sich, ob dieses gut gemeinte Sternchen, das es ja allen recht machen will, nicht nur die Worte in ihrer Mitte, sondern auch unsere Gesellschaft spaltet: auf der einen Seite die Elite im Gender-Hochdeutsch, auf der anderen Seite die Leute außerhalb dieser akademischen Wohlfühlblase, die ohne diese sinnlose komplizierte Sprachverrenkung reden. Ist die Welt besser, wenn man einige Sternchen mehr hinzufügt?5
Gendern ist eine sprachliche, politische und kulturelle Frage. Aber bin ich ein Rassist, wenn ich die gendergerechte und diskriminierungssensible Sprache nicht beherrsche? Wie verhalten sich diese Ausdrucksweisen gegenüber der Leichten Sprache, sind sie zugänglich für Menschen mit Sprachbehinderung, für Menschen mit Migrationshintergrund, die unsere Sprache erlernen wollen? Vielleicht einige gute Ratschläge: so wenig Sternchen wie möglich, versuchen, so geschlechterneutral wie möglich zu schreiben, sich an sein Gegenüber anpassen und fragen, wie die Person angesprochen werden will.
Mein kleiner Alltagsrassismus
Den meistverkauften Kriminalroman überhaupt, „Zehn kleine N*lein“ von Agatha Christie, müsste ich aus meiner Bibliothek verbannen. Der Titel und das Buch wurden schon mehrfach umgeschrieben. Der heute weltweit verwendete Titel ist dessen letzter Vers: „Und dann gabs keines mehr.“
Müsste ich dann ebenfalls Werke von Maupassant, Voltaire, Kant („Die Menschheit ist in ihrer größten Vollkommenheit in der Rasse der Weißen…… Die N* sind weit tiefer, und am tiefsten steht ein Teil der amerikanischen Völkerschaften“) und andere wichtige Schriftsteller und ernste Philosophen aus meiner Bibliothek entfernen? Ebenso das Winnetou Buch? Die beständige Aufklärung bleibt ein kategorischer Imperativ!
Es war mir auch nicht bewusst, dass ich ein Täter von White Saviorism bin. Dieser Begriff beschreibt nämlich ein Konzept, bei dem wohlwollende weiße Menschen denken, BIPOC (Black Indigenous and People Of Color) bräuchten deren Hilfe. Dadurch werden aber rassistische Bilder und Gedanken von vermeintlich hilfsbedürftigen nicht-weißen Menschen reproduziert. Ich gehöre einer weißen Zielgruppe an, die genug Geld hat, sich teure Fairtrade Produkte zu leisten und dadurch meint, eine gute Tat zu vollbringen. Ich hatte bis jetzt aber nicht bemerkt, dass meistens BIPOC auf Fairtrade Packungen abgebildet sind. Trotzdem werde ich weiterhin im Eine-Welt-Laden kaufen wegen der Fairness, dem gerechteren Preis.
In meiner Praxis benutze ich leider keine Hautpflaster mit unterschiedlichen Hautfarben (die in Luxemburg noch nicht zu finden sind). Intelligente „Diskrimination“ zum Nutzen meiner Patientinnen und Patienten muss ich mir aber jeden Tag erlauben. Die Menschen sind keine Klone, wir alle sind verschieden und dementsprechend wird immer mehr versucht, die medizinischen Behandlungen zu personalisieren. Hautkrankheiten von BIPOC sehen anders aus und bereiten weißen Dermatologinnen und Dermatologen einiges Kopfzerbrechen. Ich bin auch kein Experte in Anthropologie und deshalb unterlaufen mir jeden Tag falsche Einschätzungen bei meiner multikulturellen Patientenschaft.
Was mich aber noch mehr beunruhigt, ist die Schlussfolgerung von meinem obengenannten IAT-Test: „Studien, die die Daten vieler Teilnehmer zusammenfassen, kommen zu dem Ergebnis, dass der IAT-Test Diskriminierung bei Personalauswahlentscheidungen, Bildung, Gesundheitsversorgung und Strafverfolgung vorhersagt.“ Ich persönlich hatte allerdings nie das Gefühl, meine Patientinnen und Patienten wegen ihrer Hautfarbe diskriminatorisch zu behandeln und werde dies zukünftig auch kritischer reflektieren. Jedoch muss ich an dieser Stelle eingestehen, dass mir eventuell in Hinblick auf die Genderfrage keine solche differenzierte Sichtweise gelingen wird. In dieser Problematik leide ich unter einer schmerzhaften Empathielücke.
Sind wir nicht alle mehr oder weniger Rassisten und Rassistinnen?
Wenn wir in Europa ukrainische Flüchtlinge den arabischen und afrikanischen Flüchtlingen vorziehen und diese besser behandeln, dann muss von alltäglichem und institutionellem Rassismus gesprochen werden.
Jede Sozialisation ist eine rassistische Sozialisation. In unserer westlichen Kultur wurden uns Narrative über die Welt mitgeteilt, die rassistisch und sexistisch geprägt sind. Folglich hat wahrscheinlich jeder Mensch seine Rassismen, über die geredet werden muss.
Jeder gutgesinnte Mensch soll sich fragen, ob er oder sie sich für ein friedliches oder ein spalterisches Miteinander einsetzt.
Lasst uns Empowerment (Selbstbestärkung) unterstützen und Powersharing (diskriminierten Menschen beistehen) praktizieren, damit wir uns alle besser fühlen.
Ich bin kein Rassist, … aber … wird man das wohl noch sagen dürfen?
1. Tests zum Entlarven meines Rassismus. Probieren auch Sie es aus, Sie werden überrascht sein.
1) Impliziter Assoziationstest: https://implicit.harvard.edu/implicit/
2) Rassismustest, basierend auf Forschungen der University of Maryland und der UC Santa Barbara. https://www.idrlabs.com/de/rassismus/test.php
3) Wie rassistisch bist du? Das Experiment von tagesschau: https://youtu.be/RKHQGJD9J-M
4) Rassismus bei dir erkennen: https://de.wikihow.com/Rassismus-bei-dir-erkennen
2. https://www.hsu-hh.de/soziale-kategorisierung (alle Internetseiten, auf die in diesem Beitrag verwiesen wird, wurden zuletzt am 11. Dezember 2023 aufgerufen)
3. Kurzfilm zum Schmunzeln:
https://youtu.be/nWnSv0MMTns
4. Rowena Goebel, Deutschlands wichtigster Sprachlehrer sagt: „Gendern ist für Wichtigtuer“. In: Nau.ch, online unter: http://tinyurl.com/Wichtigtuer
5. Gendern: macht mein Sprachgefühl nicht mit. http://tinyurl.com/Gendern-DE
Mein Text ist ein KI-freier Beitrag.
Buchtipp: John McWhorter, Die Erwählten / Wie der neue Antirassismus die Gesellschaft spaltet. Hamburg, Hoffmann und Campe Verlag, 2022.
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