Bin ich reich? …

… oder vielleicht sogar zu reich?

Diese Fragen haben Sie sich wahrscheinlich noch nie gestellt angesichts der vielen Superreichen dieser Welt. Wie Sie in dieser Nummer feststellen werden, gibt es immerhin 47.000 Millionäre in unserem Land. Einer Schätzung des Crédit Suisse nach sollen es 2021 sogar 82.000 (das sind 16,2 % der ganzen Bevölkerung) gewesen sein.1 Sind Sie auch dabei?

Es gibt verschiedene Möglichkeiten Reichtum zu definieren. Einer in Europa verbreiteten Definition nach gilt eine Person als einkommensreich, wenn man mehr als das Doppelte des Median-Einkommens (50 % der Bevölkerung verdient weniger als diesen Betrag, die anderen 50 % verdienen mehr) bezieht.2 3.540 Euro netto pro Monat: das ist das Median-Einkommen der Arbeitnehmer in Luxemburg 2021, wie aus den veröffentlichten Daten von Eurostat hervorgeht, und ist damit das höchste in Europa.3 Als Armut definiert man, wenn man weniger als 50 % bis 60 % von dieser Summe verdient.

Eine andere Art der Bemessung sieht Menschen mit einem Monatseinkommen von 7.080 Euro netto als wohlhabend an, wirklich reich sind demnach nur jene, die gar nicht mehr arbeiten müssen, weil sie so viel Kapital besitzen, dass sie gut von den Erträgen leben können (ungefähr 5 Millionen Euro).4

Nachdem forum ein Dossier über Armut in Luxemburg letztes Jahr herausgegeben hatte, stellte sich die Frage, ob es nicht angebracht wäre, die entgegengesetzte Schneide der sich immer weiter öffnenden sozialen Schere zu untersuchen.

Wenn das Vermögen berücksichtigt wird, dann liegt der Medianwert (nach Berechnung der EZB 2023) eines Luxemburger Haushalts bei 739.000 Euro – wohlhabender ist in der Europäischen Union keiner.5 Genaue Zahlen, was die Milliardäre in Luxemburg anbelangt, sind nicht bekannt, den Schätzungen des World Ultra Wealth Report 2014 nach könnten es 17 gewesen sein.6

Wie reich darf man sein?7

Reichtum gilt als gut, sogar als begehrenswert. Selbst wer nicht nach ihm strebt, würde ihn kaum zurückweisen, und wer anderen ihren Reichtum nicht gönnt, gilt schnell als neidisch. Der Philosoph Christian Neuhäuser stellt in seinem Buch Reichtum als moralisches Problem solche Selbstverständlichkeiten in Frage und behauptet: Man kann nicht nur reich, man kann auch zu reich sein.8 

Reich ist man, wenn man deutlich mehr Geld besitzt, als man für ein Leben in Würde, in Selbstachtung braucht. Seiner Einschätzung nach ist das bereits bei Menschen mit mehr als dem Zwei- oder Dreifachen des Median-Einkommens der Fall.

Zu reich ist man, wenn dieser Reichtum im direkten Zusammenhang mit erheblichen Schädigungen steht. Was das in Zahlen bedeutet, muss man sich kontextabhängig anschauen. Bei einem Jahreseinkommen in Millionenhöhe und einem Vermögen von mehr als 30 ­Millionen Euro ist der Fall aber klar.

Inwiefern schadet uns Reichtum?

Reichtum riskiert die Demokratie auszuhöhlen, durch einseitigen Lobbyismus, durch mehr oder weniger direkten Ämterkauf, durch Drohen von Auslagerung ihrer Produktionsstätten ins Ausland, durch den Kauf von einflussreichen Medien. Reiche Akteure verfügen über sehr viel mehr politische Macht als andere Akteure, ohne dass diese Macht in irgendeiner Form demokratisch legitimiert wäre.

Konsum reicher Menschen trägt erheblich zu Klimawandel und Umweltverschmutzung bei. Den nationalen Overshoot Day „feiern“ die Luxemburger schon am 20. Februar (gleich nach Katar). Reiche Länder praktizieren einen grünen Kolonialismus, indem sie die Bodenschätze in den Ländern des Globalen Südens mit katastrophalen lokalen Umweltverschmutzungen und erheblichem CO2-Ausstoß extrahieren. Mit diesen Edelmetallen werden Photovoltaikanlagen und Elektroautos gebaut, die uns saubere und CO2-arme Städte bescheren. 

© Carlo Schmitz

Die Selbstachtung von Menschen als gleichrangige Gesellschaftsmitglieder kann durch Reichtum verletzt werden. Dann nämlich, wenn Reichtum besonders ungerecht verteilt ist, und wenn mit ihm Geltungskonsum entfesselt wird und steile Status-Hierarchien aufgebaut werden. 

Reichtum könnte eigentlich genutzt werden, um sehr rasch große Übel wie absolute Armut, die Folgen von Naturkata­strophen oder extremer Wetterereignisse zu beseitigen. Wird er nicht dafür genutzt, dann ist die Schädigung umso größer.

Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.9 So steht es im deutschen Grundgesetz und diese Verpflichtung, gepaart mit den verschiedensten steuerlichen und gesetzlichen Anpassungen, könnte Lösung sein, um Schaden durch Reichtum fernzuhalten. Denn das utopische Ziel von Christian Neuhäuser, den Reichtum ganz abzuschaffen, wird sich ganz bestimmt niemals verwirklichen lassen.

Reiche Menschen in einem reichen Land

Nachdem forum ein Dossier über Armut in Luxemburg letztes Jahr herausgegeben hatte, stellte sich die Frage, ob es nicht angebracht wäre, die entgegengesetzte Schneide der sich immer weiter öffnenden sozialen Schere zu untersuchen. Anders als in den USA, wo die Reichen mit ihrem Reichtum prahlen und ihn zur Schau stellen, üben die europäischen Reichen sich in Diskretion. Trotzdem ist es forum gelungen, einige Aspekte der Problematik Reichtum in Luxemburg zu beleuchten:

  • Fernand Fehlen hat glücklicherweise einige Zahlen über unseren Reichtum und dessen ungleiche Verteilung gefunden. 
  • Zwei Wissenschaftler vom ­LISER beschreiben die historische Ent­wicklung der ungleichen Verteilung des Grundbesitzes in Düdelingen.  
  • Der „Gender Wealth Gap“, der nicht förderlich für eine Demokratie ist, wird so lange in Luxemburg bestehen bleiben, wie die Frauen nicht gerecht für ihre wertvolle Care-Arbeit, die das Fundament jeder funktionierenden Gesellschaft bildet, entschädigt werden, argumentiert Pierre Balthasar.
  • Die Schülerin Zoë Nastasi erzählt, wie sie ihre Schule erlebt hat und fragt sich: wird Reichtum in diesem prunkvollen, luxuriösen Lycée überhaupt gesehen oder ist das schon Normalität? 
  • Francesco Sarracino und Kelsey O’Connor untersuchen das Ver­hältnis zwischen BIP und Glücks­index: Braucht Luxemburg noch mehr Wachstum für glücklichere Mitmenschen? 
  • Im Artikel „Kunstsinn und Mäzenatentum“ von Gilles Genot wird der Reichtum und die soziale Ungleichheit nicht grundsätzlich in Frage ge­stellt, sondern danach beurteilt, wie der Reichtum zustande gekommen ist und – in diesem Fall – was daraus entstehen kann.
  • Dylan Theis von der Arbeiterkammer findet unser Steuersystem ungerecht, welches die Kapitaleinkünfte geringer besteuert als die Einkommenseinkünfte. Ein Trend, der vom Soziologen Steffen Mau geteilt wird, demzufolge ein „Umschlag von einer Leistungs- in eine Besitzgesellschaft“ droht.10
  • „Pourquoi taxer les riches… et pour qui ?“ betiteln die Autoren David Hoffmann und Raymond Klein ihren Beitrag und erklären, warum die Reichen aus dem Globalen Norden ihre finanzielle Verantwortung übernehmen müssen im Hinblick auf die Klimakrise und den CO2-Fußabdruck.
  • Die Philosophin Claudia Simone Dorchain gibt uns einen stoisch-­mystischen Rat zum Umgang mit Geld: Reichtum macht nicht frei.
  • In seinem Essay „Das grenzenlose Selbst“, angelehnt an das Grimm’sche Märchen Vom Fischer und seiner Frau, zeigt Christian Reidenbach uns einen befreienden Perspektivenwechsel vom maximalen Luxus in die Frugalität.

forum wünscht Ihnen reichlich viel Freude beim Lesen dieses Dossiers und hofft, dass Sie reicher werden an wertvollen Erkenntnissen, von denen Sie niemals zu viel bekommen können. 


1 https://tinyurl.com/RichWiki

2 Vgl. Ernst-Ulrich Huster, „Reiche und Superreiche in Deutschland. Begriffe und soziale Bewertung”, in: Thomas Duyen u.a. (Hg.), Reichtum und Vermögen. Zur gesellschaftlichen Bedeutung der Reichtums- und Vermögensforschung, Wiesbaden 2009, S. 45-53.

3 https://tinyurl.com/4hn9u3t3 

4 Vgl. Huster, „Reiche und Superreiche in Deutschland Begriffe und soziale Bewertung”, S. 45-53.

5 https://tinyurl.com/4r3nh52y  (LW. 12.1.2024)

6 http://tinuryl.com/17Milliardaires 

7 Christian Neuhäuser, Wie reich darf man sein?: Über Gier, Neid und Gerechtigkeit, Reclams Universal-Bibliothek, Ditzingen 2019.

8 https://tinyurl.com/mmcsymyw 

9 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland Art. 14 Abs. 2.

10 https://tinyurl.com/4rxzmxw3 

(alle Internetseiten, auf die in diesem Beitrag verwiesen wird, wurden zuletzt am 1. Juli 2024 aufgerufen)

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