Bürgerschaftliches Engagement im Stadtviertel

Ein Porträt des Interessenvereins Eich-Dommeldingen-Weimerskirch

24 Stadtviertel zählt die Stadt Luxemburg. Jedes hat seine eigene Geschichte, seine kulturellen und geografischen Besonderheiten, sein unverwechselbares Kolorit. Die meisten waren früher Dörfer mit überwiegend bäuerlicher Bevölkerung, die sich nicht als „Stater“ fühlte. Sie bildeten einen Ring von vier eigenständigen Gemeinden rund um die alte Festungsstadt. Erst vor hundert Jahren, am 1. Juni 1920, wurden Hollerich, Hamm und Rollingergrund in die Hauptstadt eingemeindet. Am 1. Juli 1920 folgte die Gemeinde Eich.

Auch wenn sich die Stadt Luxemburg seither tiefgreifend gewandelt hat, die Grenzen zwischen den Vierteln oft kaum mehr wahrgenommen werden und die große Mehrheit – über 70% – der rund 120.000 Stadtbewohner Nicht-Luxemburger sind, so bleiben die Quartieren doch objektiv wie subjektiv, als Planungs- und Lebensräume, eine feste Größe. In der überschaubaren Gemeinschaft des Viertels kann aus passiv erlebter Nachbarschaft aktiv gelebte Zusammengehörigkeit und Solidarität entstehen. Örtliche Bezugspunkte wie Schule, Café, Grünanlage, Kirche, Sport- und Kulturzentrum können ihren Beitrag dazu leisten.

In fast jedem Viertel der Stadt gibt es ein sogenanntes Syndikat, einen lokalen Interessenverein. Der Name kann jeweils variieren, mal heißt es „Syndicat d’initiative“, mal „Syndicat d’intérêts locaux“. Doch Sinn und Zweck dieser privatrechtlichen Vereine ohne Gewinnzweck ist stets derselbe: Man versteht sich als Stimme der örtlichen Bevölkerung, als Bindeglied zu den Politikern auf dem Knuedler und den Mitarbeitern der kommunalen Verwaltungsdienste. Rund 20 dieser Syndikate sind im Dachverband der „Union des syndicats d’intérêts locaux de la Ville de Luxembourg“ (USILL) zusammengeschlossen. Dort geht es um die großen Themen wie Stadtentwicklung, öffentlichen Nahverkehr, Sicherheit, Bürgerbeteiligung, Fluglärm, usw. Vor Ort, in den einzelnen Stadtvierteln, funktioniert jeder Mitgliedsverein in voller Autonomie, mit eigener Satzung, Vorstand, Arbeitsmethode und Programm. Etliche altgediente Präsidenten genießen den Ruf eines inoffiziellen Quartiersbuergermeeschter.

Persönlicher Kontakt ist Trumpf

Ob das auch für Pit Ludwig gilt? Der sympathische Ur-Dommeldinger ist seit 2005 Vorsitzender des Syndicat d’initiative Eich-Dommeldange-Weimerskirch (SEDW). Im Vorstand ist er seit über 30 Jahren aktiv, davon viele Jahre als Sekretär. Sein Credo lautet: „Man soll die Ansprechpartner in der Gemeinde mit Respekt behandeln, immer sachlich und konstruktiv diskutieren.“ Will heißen: Zeter und Mordio schreien führt in der Regel zu gar nichts.

Das Syndikat wurde am 19. März 1961 im altehrwürdigen Café Odéon in Eich gegründet. In den fast 60 Jahren seines Bestehens konnten ungezählte kleinere und größere Projekte realisiert werden, darunter der Bau eines Kultur- und Vereinszentrums in jedem der drei Viertel. Besonders das „Drescherhaus“, das aus der Restaurierung einer alten Dorfschreinerei in Dommeldingen entstand, ist, so Pit Ludwig, „ein wahres Juwel“, an dessen Planung das SEDW tatkräftig mitgearbeitet habe, auch wenn von der ersten kühnen Idee bis zur Einweihung im Juli 2018 zwanzig lange Jahre vergingen.

Nicht locker lassen, am Ball bleiben, immer nach dem Motto „steter Tropfen höhlt den Stein“ – vielleicht ist es die freundliche Hartnäckigkeit der SEDW-Verantwortlichen und die Langlebigkeit von deren Engagement im Vorstand, die das Erfolgsrezept des Vereins ausmachen. Hinzu kommen ein offenes Ohr für die Beschwerden und Wehwehchen der Bürger, die Formulierung praktikabler Verbesserungsvorschläge, die grafisch anschauliche und mit Fotos illustrierte Kommunikation…

Dass mehr als zwei Drittel der 7.500 Einwohner der drei Stadtviertel Ausländer sind, sieht man beim SEDW eher als positiven Challenge. So ist es auch eine Selbstverständlichkeit, dass das Syndikat als lokaler Partner der Initiative „Café des Langues“ fungiert.

Seriöse Arbeit ist gut und wichtig, doch das größte Plus ist es, wenn man die Leute persönlich kennt, gibt Pit Ludwig unumwunden zu. Das beginnt beim hauptstädtischen Schöffenrat. Einmal im Jahr wird das SEDW im Stadthaus von der Bürgermeisterin und den Schöffen empfangen. Auch die Verwaltungschefs und ihre Techniker sind dabei, hören aufmerksam zu, nehmen Notizen, stehen Rede und Antwort. Bei der meist sehr gut besuchten Generalversammlung des Syndikats – wo die ASTI eine Sprachübersetzung ins Französische anbietet – wird dann ausführlich dargelegt, welche Punkte im Berichtsjahr zur allgemeinen Zufriedenheit abgehakt werden konnten und wo weiter Handlungsbedarf besteht. „Kleinere Probleme lassen sich oft übers Telefon regeln“, erklärt Pit Ludwig, „die Beamten der Stadtverwaltung sind kompetent und entgegenkommend.“

Doch auch vor großen Tieren hat man beim SEDW keine Scheu. Über wichtige Verkehrsdossiers wie die Tram, den Bahnübergang in Dommeldingen oder neue Fahrradwege diskutiert man auch schon mal mit dem Hausherrn im Bautenminis­terium. Dass Minister François Bausch ein gebürtiger Weimerskircher ist, macht die Sache zurzeit noch unkomplizierter.

Gibt es in der nördlichen Vorstadt noch ein Bewusstsein für die vor einem Jahrhundert aufgelöste „Al Gemeng Eech“ und einen entsprechenden Lokalpatriotismus? „Nein“, sagt Pit Ludwig, „mit dem Begriff können nur noch die wenigsten etwas anfangen.“ Das heißt aber nicht, dass die Vergangenheit in Vergessenheit geraten soll. Auf den Schmelzen in Eich und Dommeldingen stand die Wiege der luxemburgischen Stahlindustrie. Diesem Thema ist der „Circuit de l’ancienne commune d’Eich“ gewidmet, ein vom Luxembourg City Tourist Office zusammen mit dem SEDW gestalteter Rundgang von 10,5 km durch die Stadtviertel Dommeldingen, Eich, Beggen und Weimerskirch, bei dem es allerhand Interessantes zu entdecken gibt.

Mir dibbere Jéinesch

Darunter auch die Existenz einer sogenannten Geheimsprache, dem Jéinesch oder Lakerschmus. Bis Anfang des 20. Jahrhunderts war die Sprache unter fahrenden Händlern verbreitet, von denen die meisten in Weimerskirch oder Pfaffenthal lebten. Sie zogen durchs Land, um Kleinutensilien wie Porzellan und Nähzubehör gegen Lumpen und Alteisen zu tauschen, und nannten sich selbst Lakerten (Lumpensammler). Auch in anderen europäischen Ländern gab und gibt es Varianten des Jenischen.

Obschon heute fast niemand mehr den Lakerschmus in vollem Umfang beherrscht, setzt sich das SEDW für den Erhalt und das Andenken der Sprache ein. So organisierte es 2011 und 2015 zwei jenische Abende in Weimerskirch, die ein Riesenerfolg wurden, und veröffentlichte das Buch mit DVD „Mir dibbere Jéinesch“ des Weimerskircher Urgesteins Änder Bausch. Als Nächstes ist das Anbringen einer Tafel am lokalen Kulturzentrum geplant. Doch Pit Ludwig hat noch größere Ambitionen: „Wir haben mit der Unesco Kontakt aufgenommen, damit sie das Jéinesch auf ihre Liste des immateriellen Kulturerbes aufnimmt.“

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