Datenökonomie: Chance oder Risiko?
Ein Aufruf zur Datenemanzipation!
Die Diskussion um einen starken Datenschutz und informationelle Selbstbestimmung wirft immer eine grundlegende Fragestellung auf: Wo liegt die Grenze zwischen der Notwendigkeit staatlicher Regulierung und der erforderlichen Selbstbestimmung mündiger Bürger? Es wäre falsch zu behaupten, dass es in diesen Fragen allgemeingültige Antworten gäbe. Kulturelle und soziale Unterschiede machen sich auch in Datenschutzdiskussionen bemerkbar. Vor allem wenn es um die Ökonomisierung von Daten geht, kommt es zum Konflikt zwischen dem Schutz persönlicher Daten — der oftmals als unverhandelbar angesehen wird — und dem Respekt der informationellen Selbstbestimmung — die den Verkauf von Daten mit explizitem Einverständnis ermöglicht.
Ein erster Schritt, die Diskussion zu strukturieren, ist die klare Definition von öffentlichen und privaten Daten. Adressdaten, die im Rahmen eines Gewinnspiels erlangt werden, müssen zunächst als persönliche Daten mit Zweckbindung angesehen werden. Aufgrund von sozialen Netzwerken wie Face-
book stellt sich allerdings die Frage, ob ein „Like“ von einem privaten Profil auf einer öffentlichen Seite als öffentlich oder privat zu betrachten ist. Mein Vorschlag einer Definition ist, alle Daten, die für einen eingeschränkten Adressatenkreis bestimmt sind, per se als persönlich einzustufen. Diese Daten dürften anschließend auch nur von den Adressaten intern benutzt werden und nur aufgrund von expliziten Einverständnissen weiterverbreitet werden. Daten die jedoch einem grundsätzlich unbeschränkten Adressatenkreis zugänglich gemacht werden, wie z.B. ein „Like“ auf einer öffentlichen Facebook-Seite, gelten als öffentlich und können dement-
sprechend auch weiterverwendet werden.
Es wäre vermessen zu glauben, dass man jeden Datensatz abschließend als öffentlich oder privat definieren könnte. Auch hier fehlt es aufgrund von unterschiedlichen Kulturen des Datenschutzes an trennscharfen Definitionen, so dass es an jedem Einzelnen ist, diese Definition für sich selbst zu finden. Obwohl es z.B. im angelsächsischen Raum keine ausgeprägte Kultur des Datenschutzes nach kontinental europäischem Ideal gibt, leben auch im Vereinigten Königreich und den USA viele Menschen, die einen höheren Wert auf den Schutz ihrer persönlichen Daten legen. Im Gegensatz dazu gibt es in Deutschland — der Hochburg des Datenschutzes —
Menschen, die sich als „post-Datenschutz“ definieren und glauben, dass der Datenschutz seine Nützlichkeit eingebüßt hätte. In Schweden kann jeder die Steuer-erklärung seines Nachbarn öffentlich einsehen —
ein Ansatz, bei dem Luxemburgern wohl die Haare zu Berge stehen würden. In Konsequenz bedeutet dieses Manko an Trennschärfe, dass der Staat nur regulierend eingreifen kann, wenn es einen gesellschaftlichen Konsens gibt.
Anschließend stellt sich die Frage, ob und vor allem unter welchen Bedingungen die informationelle Selbstbestimmung — übrigens eine Konstruktion des deutschen Bundesverfassungsgerichts auf die wir später noch eingehen werden — es erlauben könnte, dass persönliche Daten ökonomisch genutzt werden. Vom Wortsinne müsste aus „informationelle Selbstbestimmung“ hervorgehen, dass immer das Subjekt der Daten, also die Person über deren persönliche Daten wir reden, ein Mitspracherecht haben muss. Wenn wir diese Auffassung zu Ende denken, dann muss es jedem auch freigestellt sein, seine Daten, ähnlich wie eine Arbeitsleistung, als eine Form von wirtschaftlichem Eigentum zu behandeln — dies würde explizit auch das Recht auf Verkauf oder Vermietung beinhalten. Heute ist dies bereits gängige Praxis, wenn wir uns das Geschäftsgebaren von Telefonbuchverlagen und Werbeplattformen anschauen. Oft wird allerdings vergessen, dass die betroffene Person ein stärkeres Mitspracherecht eingeräumt bekommen und auch am Gewinn beteiligt werden müsste.
Diese rein wirtschaftliche Betrachtungsweise kann und sollte man in Frage stellen. Vor allem ist es heute noch unklar, wie die Regeln einer solchen Datenökonomie durchgesetzt werden könnten und wie Verträge zur Öberlassung und Vermietung von Daten im Rahmen der aktuellen Gesetzgebung ausgestaltet sein müssten. Gleichwohl die EU mit einer umfassenden Datenschutzreform diesen Rahmen setzen möchte, bleibt abzuwarten, was bei diesem Vorhaben herauskommt. Aus diesem Grund kann man auch noch nicht abschließend beantworten, ob die Datenökonomie ein Risiko oder eine Chance darstellt. Vielmehr gilt es jedem Einzelnen das Recht zuzugestehen, in einer Welt im Wandel seinen eigenen Weg zu gehen und seine eigenen Fehler zu machen, ohne überregulierend einzugreifen. Ob jemand seine Daten veräußern möchte oder nicht, sollte jedem freigestellt sein. Es ist an der Allgemeinheit, die Einhaltung der gemeinsam beschlossenen Regeln durchzusetzen und Vertrauen in eben diese aufzubauen.
Obwohl es demnach nicht als wichtig erscheint, eine Datenökonomie als Chance oder als Risiko zu qualifizieren, müssen wir uns als Gesellschaft Mindestregeln geben, an die sich jeder zu halten hat. Diese Regeln zu definieren ist die Herausforderung, vor die uns eine wirtschaftliche Interpretation der informationellen Selbstbestimmung stellt.
Während Datenschutz heute oftmals einer paternalis-
tischen Denkweise entspringt und den Bürger per se als die schwächere Instanz gegenüber Unternehmen sieht, so könnte sich dies durch eine Betrachtung des Datenschutzes als Rahmengesetzgebung eines wirtschaftlichen Zweigs ändern. In Kant’scher Tradition könnten die Menschen den Ausweg aus ihrer „selbst verschuldeten Unmündigkeit“ finden und die Hoheit über ihr digitales „Daten-Ich“ erlangen. Anschließend wäre es an der Gesetzgebung dieses als eigenständiges Subjekt anzuerkennen. Dieses „Daten-Ich“ erlangte in Deutschland mit dem Prinzip der informationellen Selbstbestimmung durch das „Volkszählungsurteil“ des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Dezember 1983 bereits Eingang in deutsches Recht.
Das Bundesverfassungsgericht hat 1983 bereits festgehalten: „Das Grundrecht gewährleistet insoweit die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen.“ Von diesem Standard sind wir heute leider abgekommen, da vielen Menschen die Konsequenzen ihres Handelns nicht immer bewusst sind und der anschließende Widerruf einer einmalig erteilten Freigabe ihrer Daten sich als sehr schwierig erweist. Konsequenterweise wäre es also an unserem Rechtssystem, nicht die Speicherung und Verwendung von Daten zu erschweren, sondern den Widerruf rechtssicher und technologisch sauber umzusetzen. Nur so können wir uns von der Unmündigkeit befreien, wenn es um die Verwendung unserer persönlichen Daten geht.
Der Datenschutz hätte also auch in einer Welt der Datenökonomie seine Daseinsberechtigung. Er müsste weiterhin die unerlaubte Erhebung und Vernetzung von Daten untersagen und einen rechtssicheren Rahmen setzen, in dem jeder selbst über seine Daten entscheiden kann. Als Konsequenz dieser sehr liberalen Interpretation der informationellen Selbstbestimmung ergeben sich aber auch Verpflichtungen der Datenverarbeiter. Um das Recht auf Widerruf praktikabel zu gestalten, müsste jeder Mensch in regelmäßigen Abständen darüber informiert werden, wer, wie und zu welchem Zweck seine Daten speichert und verarbeitet. Ein jährlicher Datenbrief wie er von mehreren Akteuren, unter anderem dem Chaos Computer Club, gefordert wird, scheint hierzu sinnvoll. Des Weiteren müssten Menschen, die ihre Daten zur Verfügung stellen, auch dafür entlohnt werden. Während dies bei Kundenkarten im Supermarkt meistens durch Ermäßigungen geschieht, stellt sich die Frage, wie dies bei Telefonbuchverlagen oder Werbeplattformen durchgesetzt werden könnte. Vorstellbar wäre z.B. eine prozentuale Gewinnbeteiligung an allen Aktionen, bei denen ein Datensatz zum Einsatz kam.
Man sieht, es bleiben noch viele Fragen im Kontext der Datenökonomie offen. Es wäre verfrüht, eine wirtschaftliche Interpretation der informationellen Selbstbestimmung als reines Risiko abzutun. Vielmehr sollten wir innovative Ideen unterstützen, die Datenschutz nicht nur als paternalistischen Schutz, sondern als aufklärerische Selbstbestimmung sehen und somit Chancen nutzen. u
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