Das World Wide Web verbindet uns mit der ganzen Welt, wir erhalten Informationen oft schon im Moment des Geschehens und können sofort und direkt auf den diversen Medienplattformen reagieren. Ein idealer Zustand, eigentlich. Uns wird die Möglichkeit geboten, aktiv mitzudiskutieren, unsere Meinung zu sagen, Kritik auszuüben, Vorschläge zu machen. Natürlich werden emen kontrovers diskutiert, man ergreift Partei für jemanden oder spricht sich für oder gegen eine Sache aus. Solange alles sachlich argumentiert wird und keine Werte verletzt werden, ist der Spielraum der Toleranz in sozialen Netzwerken groß. Doch manche Diskussionen werden hitzig geführt und arten aus, schnell sind Beleidigungen, unwahre Anschuldigungen oder Diffamierungen gepostet. Auf Facebook, Twitter und anderen Kommunikationsplattformen hat die Anzahl der hate speeches zugenommen und der Ton ist rauer geworden. Ungehemmt posten User sexistische, rassistische oder diffamierende Äußerungen, die einen unter dem Deckmantel der Anonymität, die anderen mit Profoto. Unzensiert lassen manche soziale Medien die Posts online stehen, kommentieren oder leiten die Diskussion nicht. Tragen sie somit dazu bei, dass die Spirale des Hasses beschleunigt wird? So schnell sich Nachrichten über Medien und Internet verbreiten, so schnell verbreitet sich auch der Shitstorm. Ein negativer Kommentar kann eine Shitstorm-Lawine auslösen, deren Ausmaße nicht abzuschätzen sind. Opfer einer solchen Lawine werden geradezu überrollt.
Gegenreaktion des Einzelnen
Jedes Opfer einer verbalen Attacke sollte die Möglichkeit haben, sich zu äußern, sich zu wehren oder den Hasskommentar zu blockieren. Der Blogging-Dienst Twitter beispielsweise hat darauf reagiert und bietet seinen Benutzern eine erweiterte „Mute“-Funktion an, mit der nicht nur unerwünschte Nutzer, sondern auch Begriffe, Hashtags oder Bilder „stumm“ geschaltet werden können. Das eigentliche Problem wird damit aber nicht gelöst, denn die Hassbotschaft ist nach wie vor da, nur eben nicht sichtbar. Wie geht man also mit Hasskommentaren am besten um?
Eine Reaktion erfordert immer eine Ge- genreaktion.1 Sie ist allein schon deshalb wichtig, um Mitlesenden zu zeigen, dass Hassbotschaften nicht toleriert werden. Fehlt die Entgegnung, bleibt das einseitige Bild bestehen und genau diese Botschaft wird gesehen und weitergetragen. Eine Faustregel gibt es allerdings nicht, es ist von Fall zu Fall verschieden. Manche Hassposter sind durch Ignorieren ruhigzustellen, sie warten nur auf Reaktionen, um dann zurückzuschießen. Bleiben die Entgegnungen aus, haben sie mit ihren Posts nicht das Ziel erreicht und verlieren das Interesse. Der Nachteil liegt hier aber darin, dass bei Lesern und Followern der Eindruck erweckt wird, als stimme der/ die Betroffene den Diskriminierungen zu. Deshalb ist es ratsam, argumentativ entgegenzuwirken.
Doch nicht immer sind hate speeches eindeutig klassifzierbar, die Grenze zwischen Meinungsfreiheit und Diffamierung ist oft nicht klar. Wann lässt man bloß Dampf ab, wann verletzt man die Gefühle anderer, ab wann macht sich ein Hetzer strafbar?
Cyber-Mobbing beginnt bei der Diffamierung und geht bis zur Belästigung oder gar Morddrohung. Eine von der OSCE- Beauftragten für Pressefreiheit, Dunja Mijatovi, veröffentlichte Studie besagt, dass eine hohe Zahl von Journalistinnen im Internet mit sexueller Gewalt bedroht wird2. Die britische Zeitung The Guardian hat nach einer Analyse von 70 Millionen Tweets, die in den letzten zehn Jahren auf ihrer Website eingegangen sind, festgestellt, dass die meisten Hassmails von Männern stammen und acht von zehn der am meisten bedrohten Journalisten des Unternehmens Frauen waren.3
Die österreichische Wochenzeitung Falter hat das ema aufgegriffen und eine „längst fällige“ Debatte über Gewalt gegen Journalistinnen eröffnet.4 Die vier Journalistinnen, die zu diesem ema von ihren negativen Erfahrungen erzählen, stehen in der Öffentlichkeit, sind bekannt und vertreten eine Meinung. Dass sie dafür über soziale Netzwerke beschimpft und sogar bedroht werden, ist eine neue Erfahrung für sie, mit der sie anfangs nicht umgehen konnten. Dass aber ein Sich-Zurückziehen und Nicht-Reagieren keine Lösung ist, darüber sind sie sich einig. Steht man in der Öffentlichkeit, bietet man Angriffsfläche. Woher diese Aggression kommt, warum ihnen Leute, die sie nicht einmal persönlich kennen, hasserfüllte Nachrichten auf ihre Accounts schicken, das würden sie gerne ergründen.
Hassreden in der Politik
Auch Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn wurde unlängst Opfer von hate speeches. Er hat sich für die offene Konfrontation entschieden und die Hasstiraden schließlich auf seiner Facebook-Seite veröffentlicht. Der Hetzer, dessen Name bekannt war, hat sich daraufhin mit einem handgeschriebenen Brief bei Asselborn entschuldigt, den dieser auf seiner Facebook-Seite gepostet hat. Kritik ist erlaubt, aber der Ton macht die Musik.
Blickt man auf den Wahlkampf in den USA, wurde auch dieses Ereignis über die sozialen Medien ausgetragen. Auf den verschiedenen Plattformen hatten Demokraten und Republikaner ihre Foren, über die sie mit ihren Befürwortern und Gegnern kommunizierten. Hier ging man keineswegs sanft mit dem Gegner um. Nicht nur, dass die Präsidentschaftskandidaten sich gegenseitig diffamierten; um zu siegen, war ihnen jedes Mittel recht. Ganz bewusst und gezielt nutzten die Teams das Internet, um sich darzustellen bzw. den Gegner bloßzustellen5. So war plötzlich elf Tage vor der Wahl die E-Mail-Affäre von Hillary Clinton wieder ein ema, das Donald Trump genussvoll ausschlachtete und das Clinton womöglich den Sieg kostete.
Auch bei der Bundespräsidentenwahl in Österreich, die sich über ein Jahr hinzog, spielte das Internet eine wichtige Rolle. Beide Kandidaten, der von den Grünen unterstützte Alexander Van der Bellen und der Rechtspopulist Norbert Hofer von der FPÖ, nutzen die sozialen Medien, um mit den Bürgern in Kontakt zu treten. Auch hier war der Ton rau und vor allem von Seiten der FPÖ wurden Behauptungen über den Gegenkandidaten in den Raum gestellt, die sich als nicht haltbar erwiesen. Es war schließlich Wahlkampf. Dieser wurde zu einem Medienereignis, wie es vorher noch nicht stattgefunden hatte. Die Kandidaten traten in einer TV- Show ohne Moderation gegeneinander an, und – welch Überraschung – es kam zu keinem vernünftigen Dialog, zu keinem Austausch, nur zu Angriffen und Beleidigungen. Hier liegt die Verantwortung bei den Medien, sie müssen als Kontrollorgan fungieren und seriösen Journalismus praktizieren. Weltweit wurde das Geschehen verfolgt und man wartete gespannt auf das Ergebnis der Wahl. Sollte es einen Trump- Effekt in Österreich geben? Die Sorge, dass sich die populistische Strömung ausbreitet wie beim Domino-Effekt, war begründet. Erleichtertes Aufatmen gab es nach der Wahl darüber, dass der Aufstieg des Rechtspopulismus gestoppt werden konnte.
Gegenreaktion durch die Medien
Vielfalt der Meinungen und freie Meinungsäußerung sind die Basis einer Demokratie, sie gelten für jeden einzelnen genauso wie für die Presse. Medien und Journalisten haben Macht und Verantwortung, sie müssen gründlich recherchieren, müssen die Fakten und Quellen prüfen, bevor sie etwas publizieren. Doch dass diese Regel nicht immer eingehalten wird, dass sogar Tatsachen verdreht oder Fakten vertuscht werden, ist leider ein Faktum. Dass Medien durch einseitige Berichterstattung Meinungen, ja sogar Wahlen beein ussen können, haben wir erlebt. Dass Politiker Shitstorms über ihre Accounts verbreiten, um anderen Parteien oder Politikern zu schaden und dadurch die Wähler manipulieren, sollte nicht ungestraft bleiben. Respektvoller Umgang und Toleranz sollten in sozialen Medien genauso großgeschrieben werden wie im täglichen Umgang miteinander.
[1] Auf www.bee-secure.lu, eine gemeinsame Initia- tive des luxemburgischen Ministeriums für Wirtschaft, des Ministeriums für Familie, Integration und die Groß- region und des Ministeriums für Bildung, Kinder und Jugend, findet man Hilfe und Ratschläge, wie man auf Hasskommentare reagieren kann.
[2] New Challenges to Freedom of Expression: Coun- tering Online Abuse of Female Journalists, published by Dunja Mijatovi , © Office of the Representative on Freedom of the Media Organization for Security and Cooperation in Europe (OSCE) 2016, http://www.osce. org/fom/220411?download=true
[3] The Guardian, 12.4.2016 https://www. theguardian.com/technology/2016/apr/12/ the-dark-side-of-guardian-comments
[4] „Uns reicht’s! Vier prominente Journalistinnen weh- ren sich gegen den Hass im Netz.“ Artikel von Florian Klenk, Falter 24/16
[5] Dazu werden eigens kurze Werbespots, sog. Attack Ads, produziert und über TV und Internet verbreitet. http://www.stern.de/politik/ausland/mit-attack-ads-diffamieren-us-wahlkaempfer-den-politischen-gegner-6847636.html
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