- Klima, Natur
Die Wasserversorgung Luxemburgs
Ein historischer Überblick
Wir duschen, waschen den Wagen, gießen die Blumen, indem wir einfach den Wasserhahn aufdrehen, ohne zu überlegen, wo das Wasser herkommt. Diese Selbstverständlichkeit – oder besser gesagt dieser Komfort – ist aber relativ neu. Bis Mitte des 19. Jahrhunderts entnahmen die Leute das Trinkwasser für Mensch und Vieh aus fließenden Gewässern, Brunnen oder Zisternen. Die wachsende Bevölkerung Ende des 19. Jahrhunderts zwang die Kommunen dazu, neue Wasserquellen zu erschließen. Anfang des 20. Jahrhunderts konnte der Wasserbedarf der Eisenindustrie und der damit einhergehenden Bevölkerungsexplosion im Süden Luxemburgs nur durch eine interkommunale Zusammenarbeit gelöst werden.
Das Beispiel der Stadt Luxemburg
Als die Bewohner der Unterstädte ihr Wasser schon aus Brunnen ziehen konnten, waren die Bewohner der Oberstadt auf das in Zisternen aufgefangene Regenwasser angewiesen. Die, die es sich leisten konnten, ließen sich von Wasserträgern das Wasser aus dem Théiwesbuer im Pfaffenthal in die Oberstadt bringen. Im späteren Mittelalter entnahmen sie das Trinkwasser aus drei Brunnen: um Bock, im Heilig-Geist-Kloster und im Franziskanerkloster. Die Franzosen legten im 17. Jahrhundert drei weitere Brunnen an.1 Jeden Samstag wurden Soldaten der Garnison zum Wasserradtreten am Brunnen am Paradeplatz abkommandiert. Das Wasserschleppen gehörte zum Alltag.
Die Cholera-Epidemien zwischen 1832 und 1866
Im 19. Jahrhundert wurde Luxemburg von der asiatischen Cholera-Seuche heimgesucht, zuerst 1832, dann 1849, 1854 und zuletzt 1856/66. Während dieser letzten, mörderischsten Welle erkrankten 8.000 bis 10.000 Menschen, 3.546 überlebten die Krankheit nicht, das waren 1,83 % der Bevölkerung.2
Die Lebensbedingungen waren miserabel und boten der Seuche ein vorzügliches Terrain. Die „moderne“ Bevölkerung lebte noch unter „mittelalterlichen“ Bedingungen. Der Medizinhistoriker Jos A. Massard beschrieb die Stadt Esch/Alzette in folgenden Worten: „Die Häuser sind dicht aufeinander gedrängt, Licht und Luft nur schwer zugänglich. In ihrem Innern herrscht zwar Sauberkeit, aber draußen häuft sich der Dreck am Straßenrand, quellen die Misthaufen über und watet man in Jauchepfützen.“3 Die Misthaufen und Jauchegruben verunreinigten mancherorts die danebenliegenden Brunnen, sodass das Trinkwasser, das aus den Brunnen gewonnen wurde, ungenießbar war.
Um den Epidemien entgegenzuwirken, wurden Maßnahmen zur Verbesserung der öffentlichen Hygiene ins Auge gefasst. Der öffentliche Raum wurde umstrukturiert, Kirchhöfe und Schlachthäuser wurden versetzt, Bürgersteige mit Abwasserrinnen wurden angelegt, und die ersten Wasserleitungen entstanden.
Die ersten städtischen Wasserleitungen
Um den chronischen Wassermangel in der Oberstadt zu beheben, aber sicher auch, um die hygienischen Bedingungen zu verbessern, genehmigte der Gemeinderat der Stadt Luxemburg am 14. März 1863 den Plan, eine Quelle am Eichtor im Pfaffenthal zu erfassen und das Wasser mittels einer mit Dampf angetriebenen Doppelpumpe in einen 786 Kubikmeter fassenden Wasserbehälter in den Hof der Bastion Berlaimont zu befördern. Ein Jahr später ging die erste Wasserleitung in Betrieb, die 29 Wasserzapfstellen speiste.4
Auf Drängen der Ärzte Dr. N. Metzler und Dr. J. Meyers ließ die Gemeindeverwaltung von Esch/Alzette in den Jahren 1884 und 1885 eine Wasserleitung für die Stadt anlegen. Das qualitativ gute Wasser des Waschbrunnens wurde durch Dampfkraft von der Pumpstation im Quartier zum 200 Kubikmeter fassenden Wasserbehälter der Schneier heraufgedrückt und dann über ein 15 Kilometer langes Wassernetz in der Stadt verteilt.5
Der Gemeinderat von Düdelingen beschloss 1888 den Bau einer Wasserleitung. Das Wasser stammte aus drei Quellen, die am Rande des Zoufftger Waldes nahe der französischen Grenze entsprangen.6
Die Wasserversorgung der Stadt Luxemburg
Nach der Schleifung der Bundesfestung konnte die Stadt sich entfalten. Der Bau der Wasserleitung ging parallel mit der Niederlegung der Festungswälle voran, und die Viertel wurden nach und nach an das kommunale Wassernetz angeschlossen: Boulevard Royal und Boulevard du Viaduc (1875), die Unterstädte Clausen und Grund (1884), der Limpertsberg (1886), das Plateau Bourbon (1908).
1887 wurde auf der Limpertsberger Anhöhe ein Wasserbehälter errichtet, 1902 entstand der Wasserturm, der mit seinen Zinnen und seinem Türmchen an einen mittelalterlichen Burgturm erinnert. Zwischen 1888 und 1910 hat sich das Wassernetz der Stadt verdoppelt und 365 Kilometer erreicht. Um 1900 waren 27 % der Haushalte an das kommunale Wassernetz angeschlossen.7
Die Wasserversorgung in den Kantonen Esch und Capellen
Im Jahre 1898 wurde eine Spezialkommission eingerichtet, die sich mit der Frage der Wasserversorgung der Dörfer im Eisenerzbecken befasste. Sie schlussfolgerte, dass nicht individuelle Lösungen, sondern nur eine globale Lösung das Problem definitiv und nachhaltig beheben könne.8
Nach einer Studie von Louis Klein9, waren 61 % der Haushalte im Land an ein Wasserversorgungsnetz angeschlossen. Im Kanton Esch hatten nur die sieben größeren Industrieortschaften Esch, Rümelingen, Düdelingen, Differdingen, Kayl-Tetingen, Schifflingen und Petingen sowie das ländliche Dorf Aspelt ein Wassernetz aufgebaut. Aber nicht alle Häuser waren angeschlossen, in Esch kamen auf 12.500 Einwohner gerade 1.000 private Anschlüsse, Rümelingen verzeichnete 600 Anschlüsse für 11.000 Einwohner. Rund 12.000 Einwohner lebten in Ortschaften des Kantons Esch ohne Wasseranschluss. Auch die 16.000 Einwohner des Kantons Capellen hatten keinen und bezogen ihr Trinkwasser aus Brunnen, gefassten Quellen und fließendem Wasser. Die schlechte Qualität des Trinkwassers war eine der Ursachen für jährlich wiederkehrende Typhus-Ausbrüche in den beiden Kantonen.
Der Bericht der ärztlichen Sanitärkommission über die Mamer steht stellvertretend für viele Wasserläufe: „In Mamer war vor Jahren der mitten durchs Dorf führende Bach gereinigt worden, aber bereits ist er wieder der Schuttablagerungsplatz von unbrauchbaren und unnötigen Hausgeräten, mitunter von kleineren verendeten Haustieren. Im Sommer, wenn derselbe größtenteils austrocknet, ist der Geruch nicht gerade ein sanfter…“. Und weiter heißt es: „In den Dörfern werden, wenn Schlachttag ist, die Schweine direkt vor der Haustüre oder vor dem Stall, dicht an der Straße abgestochen, so dass das Blut wochenlang in den Straßenrinnen herumirrt…“10
Das erste interkommunale Wassersyndikat
Die Wasserversorgung der beiden Kantone war schlecht, die Industrieortschaften wuchsen weiter und die neue Adolf-Emil-Hütte in Esch/Alzette war in Planung, so dass Louis Klein und Pierre Braun11 eine interkantonale Lösung anstrebten.
Dies wurde durch das Gesetz über die Gemeindesyndikate möglich, das am 14. Februar 1900 in der Abgeordnetenkammer gestimmt wurde. Es erlaubte Gemeinden, sich für größere Unternehmungen zusammenzuschließen, wie beim Bau von Brücken und Spitälern, aber auch für die Versorgung der Einwohner mit Trinkwasser.
Das definitive Projekt von Louis Klein von 1908 sah vor, drei Gruppen von Quellen, die im luxemburgischen Sandstein liegen, zu erfassen: in der Gegend von Gaichel und Eischen, bei Koerich und in der Gegend von Septfontaines. Eine erste Pumpstation in Koerich bei der Fockenmühle sollte das Wasser auf den Rehberg pumpen, von da wurden Verteilungsleitungen nach Esch und Mess verlegt.
Neben den Ortschaften Niederkerschen, Bettemburg, Diffderdingen, Dippach, Esch/Alzette, Monnerich, Petingen, Reckingen/Mess, Rümelingen, Sanem und Schifflingen interessierten sich auch drei Hüttengesellschaften für das Projekt: die Gelsenkirchener Bergwerks-AG und Le Gallais, Metz et Cie in Esch sowie die Deutsch-Luxemburgische Bergwerksgesellschaft A.G. in Differdingen. Am 8. Juni 1908 wurde das erste interkommunale Wassersyndikat in Luxemburg gegründet, der Kommunalverband für Wasserversorgung der Ortschaften der Kantone Capellen und Esch. Die Pumpstation in Koerich wurde 1911 im Beisein der Großherzogin Marie Adelheid eingeweiht. In den folgenden Jahren schlossen sich andere Ortschaften dem Syndikat an.12 1918 förderte das Wassersyndikat 1.257.487 Kubikmeter für die Ortschaften, 585.646 Kubikmeter für die Arbed-Hütte und 869.020 Kubikmeter für die Adolf-Emil-Hütte in Esch.13
Trinkwassergewinnung aus dem Stausee
Nach einer Studie von Michel Lucius14 wurden 1949 95 % der Wasserversorgung des Landes durch die Gewinnung aus dem Grundwasser abgesichert, nur sieben Ortschaften im Süden des Landes (1.500 Einwohner) waren nicht angeschlossen, in sechs anderen Ortschaften war die Wasserversorgung qualitativ oder quantitativ schlecht. Lucius stellte fest, dass der Wasserverbrauch ständig stieg, die unterirdischen Reserven aber zurückgingen. Das Land brauchte eine andere Lösung für die Wasserversorgung seiner Einwohner.
Beim Bau der Talsperre in Esch/Sauer wurde neben der Herstellung von Strom auch die Stärkung der Trinkwassergewinnung ins Auge gefasst. Das Gesetz vom 31. Juli 1962 erlaubte dem luxemburgischen Staat, der SES15, der SEA16 und der Stadt Luxemburg, sich zu einem interkommunalen Syndikat zusammenzuschließen, der SEBES17, und aus dem neuerbauten Stausee an der Obersauer Trinkwasser zu gewinnen. Die Wasseraufbereitungsanlage der SEBES hat eine Tageskapazität von 72.000 Kubikmeter.
1991, als der Stausee zu Ausbesserungszwecken an der Staumauer geleert wurde, wurden an vier Stellen 19 Bohrungen in der näheren Umgebung der Hauptwasserleitung durchgeführt. Sie dienten als Ersatzlösung und produzierten bis zu 40.000 Kubikmeter am Tag. Spätestens zu diesem Zeitpunkt wurde die prekäre Situation der Wasserversorgung in Luxemburg deutlich.
Das Wasserversorgungsnetz von heute und morgen
Eine neue Wasseraufbereitungsanlage der SEBES mit einer täglichen Kapazität von 110.000 Kubikmetern befindet sich derzeit im Bau und wird voraussichtlich Mitte nächsten Jahres den Betrieb aufnehmen. Das Wasserversorgungsnetz Luxemburgs besteht heute aus der Wasseraufbereitungsanlage der SEBES an der Obersauer, 270 gefassten Quellen, 40 Bohrungen, 50 Wassertürmen und 350 unterirdischen Behältern, 100 Pumpstationen, 4.600 Kilometer Wasserleitungen und 180.000 Privatanschlüssen. Die Wasserversorgung liegt in den Händen von interkommunalen Wassersyndikaten. Der Wasserbedarf wird in der Zukunft sicherlich noch zunehmen, mit einer wachsenden Bevölkerung, mit neuen Industrien, die sich ansiedeln, mit einem Ackerbau, der durch den Klimawandel mehr Bewässerung verlangt. Der einzigen Weg, um diesen Wasserbedarf auch in Zukunft zu decken, wird eine nationale, wenn nicht grenzüberschreitende Lösung sein.
- Marc Trossen, „Es brennt!“, in: Ons Stad – Au fil de l’eau, Mai 2020, 121, S. 18-21, hier S. 18-19.
- Jos. A. Massard, „Der Kanton Esch und die Cholera 1865/66, Teil 1“, in: Galerie 3 (1985), 1, S. 41-52, hier S. 42.
- Ders., „Der Kanton Esch und die Cholera 1865/66, Teil 2“, in: Galerie 3 (1985), 2, S. 207-218, hier S. 208.
- Trossen, „Es brennt!“, a. a. O., S. 20-21.
- Jos Flies, Das Andere Esch, Luxemburg, Saint-Paul, 1979, S. 398.
- Léon Koerperich/Robert Krantz, Düdelinger Chronik. Aus dem Mittelalter in die Neuzeit 798-1907, Band 1, Esch/Alzette, Impr. Coopérative luxembourgeoise, 1980, S. 163-164.
- Robert L. Philippart, „Ohne Wasser – keine Stadt“, in: Ons Stad – Au fil de l’eau, Mai 2020, 121, S. 26-27.
- Ernest Reuter/François Scholer, Syndicat des Eaux du Sud 1908-1983 – 75 années au service de la population du Sud du Grand-Duché de Luxembourg, Esch/Alzette, éditpress, 1983, S. 6-7.
- Louis Klein war Leiter der staatlichen Ackerbauverwaltung (1901-1916).
- Reuter/Scholer, Syndicat des Eaux du Sud 1908-1983, a. a. O., S. 11.
- Pierre Braun war Distriktkommissar für Grevenmacher (1902-1903) und Luxemburg (1903-1909).
- Reuter/Scholer, Syndicat des Eaux du Sud 1908-1983, a. a. O., S. 20-22.
- Betriebsbericht über die interkommunale Wasserleitungs-Anlage während des Jahres 1918, Kommunalverband für Wasserversorgung der Ortschaften der Kantone Capellen und Esch an der Alzette, 1919.
- Michel Lucius, „Les nappes d’eau souterraines du Luxembourg et leur utilisation rationnelle“, in: Revue technique luxembourgeoise 41 (1949), 4, S. 227-237.
- SES, Syndicat des eaux du sud, ancien Syndicat de communes pour l’établissement et l’exploitation d’une conduite d’eau intercommunale pour les cantons de Capellen et d’Esch-sur-Alzette.
- SEA, Syndicat pour l’exploitation et l’entretien de la conduite d’eau des Ardennes, gegründet 1925.
- SEBES, Syndicat des eaux du barrage d’Esch-sur-Sûre.
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