Ehrenamtliche Jugendarbeit auf lokaler Ebene

Ein Multiplikator für soziale Kohäsion in der Gesellschaft?

Zu den zentralen Aufgaben des Daachverband vun de Lëtzebuerger Jugendstrukturen (DLJ) gehört die Unterstützung der ehrenamtlichen Jugendstrukturen bei deren Aktivitäten, Informationskampagnen, Beratungs- und Präventionsangeboten. Die Themen der Jugendarbeit (z.B. familiäre Probleme, Schule, Gewalt, Aufklärung oder Drogenkonsum) ergeben sich aus dem individuellen Bedarf der Jugendlichen und aus jugendpolitischen Zielsetzungen auf nationaler, kommunaler und lokaler Ebene.

Welche Bedeutung haben diese Ebenen in der non-formalen Bildung? Da tradierte gesellschaftliche Organisationsmuster zunehmend erodieren1, so zum Beispiel auch die Rolle der traditionellen Familie als soziales Sicherungsnetz, spielen lokale Strukturen, die im Gemeinschaftsdenken der Gemeinden ihre Wurzeln finden, eine wachsend große Bedeutung. Die traditionellen 3 K (Kinder, Kirche, Küche) verlieren als Orientierungsmuster an Bedeutung, und es sind auch nicht mehr die Großeltern, die sich um die Kinder kümmern, sondern zunehmend die ausgebildeten Jugendarbeiter*innen, deren Rolle sich verändert hat und noch weiter verändern wird. Die Beziehungsarbeit der Pädagog*innen in den Jugendhäusern wird im „Nationalen Rahmenplan zur non-formalen Bildung“ als Voraussetzung dafür beschrieben, dass Jugendliche sich frei bewegen, interagieren, ausprobieren und lernen können.2 Jugendarbeit eröffnet in Ergänzung zur Familie und Schule wertvolle Zugänge zur unmittelbaren Lebenswelt und dem sozialen Miteinander und wird so zur „Verhandlungsfamilie auf Zeit“.

Chancen des Ehrenamtes

Bürgerliches Engagement, also eine Aktivität für das Gemeinwohl, gibt Gelegenheit, den eigenen Horizont zu erweitern und neue Fähigkeiten zu erlernen. Das Ehrenamt als Stütze der Gesellschaft stärkt das Gemeinschaftsgefühl und weckt den Teamgeist. Der Respekt vor anderen, Gleichberechtigung und die Übernahme von Verantwortung sind wichtige Elemente in der bürgerlichen Mitgestaltung einer Demokratie. Ehrenamtliches Engagement ist fest verankert in einer Demokratie, in der Mitbestimmung der Bürger*innen mehr sein soll als Lippenbekenntnis.

Die Begegnungen zwischen verschiedenen Gesellschaftsgruppen auf Augenhöhe ist für eine offene Demokratie von zentraler Bedeutung. Menschen mit Migrationshintergrund z. B. als „Brückenbauer“ zu gewinnen und den Prozess der Annäherung, Auseinandersetzung und Kommunikation zu fördern, sind Schlüsselelemente einer offenen Gesellschaft. Dadurch wird Diskriminierung bekämpft und das Wir-Gefühl gestärkt. Das Miteinander als wichtiger Lern- und Integrationsprozess in einer multikulturellen Gesellschaft wie in Luxemburg spielt gerade in Jugendhäusern eine besondere Rolle. Und hier können nicht nur die Jugendlichen, sondern auch die Jugendarbeiter*innen etwas lernen und ihre interkulturellen Kompetenzen entwickeln und ausbauen.

Teilhabe an der lokalen Öffentlichkeit

Durch das persönliche Engagement in Einrichtungen der Jugendarbeit, durch Mitarbeit bei Projekten und durch die Teilnahme an kommunalen Aktivitäten der Jugendmitbestimmung erfahren Jugendliche die Gestaltungskraft der Partizipation; sie erleben sich selber als öffentlich wirksam. Die Erfahrung, dass die eigene Meinung zählt und jede*r zum Erfolg eines Projekts beitragen kann, ist eine zentrale Grundlage für politische Partizipation. Partizipation auf einer lokalen Ebene ist dabei besonders erfolgsversprechend und zufriedenstellend, weil die Hindernisse bei der Durchsetzung eigener Interessen niedriger sind als etwa auf der nationalen Ebene. Das Lokale, verstanden als der Ort, an dem man lebt und einen Großteil seiner Zeit verbringt, wird für Jugendliche zur interessanten Kulisse, ermöglicht durch eine demokratische Teilhabe der Jugendlichen z. B. in einem Jugendgemeinderat. Aktive Beteiligung kann hier zur jugendgerechteren Gestaltung der lokalen Infrastrukturen beitragen. Eine weitere Methode der Mitwirkung an der lokalen Öffentlichkeit ist ein Jugendkommunalplan, ein Instrument der Jugendpolitik auf Ebene der Gemeinde, der den Jugendlichen die Gelegenheit bietet, ihr Umfeld nach den eigenen Vorstellungen mitzugestalten.

Non-formale und formale Bildung

Reflektiertes Lernen durch die Förderung der eigenen Selbsteinschätzung wird als Methode in der non-formalen Bildung eingesetzt. Jugendliche können dadurch ihr aktuell Erlebtes gemeinsam mit anderen Jugendlichen und Erwachsenen diskutieren, überdenken und dann diese Reflexionserfahrungen in ihre eigene Lebenswelt übertragen. Auf diese Weise ermöglicht Jugendarbeit lebensnahe Lernerfahrungen, die – im Gegensatz zu Prozessen in den Einrichtungen der formalen Bildung (Schule z. B.) – nicht benotet werden. Nicht-formale Bildung ist ein organisierter Prozess, in dem junge Menschen die Möglichkeit haben, Wissen und Kompetenzen zu erwerben sowie Fähigkeiten vielerlei Art zu entwickeln. Junge Menschen werden dabei unabhängig von ihren Fertigkeiten und Fähigkeiten sowie ihrer sozialen, ethnischen und religiösen Herkunft als Expert*innen für ihr Lebensumfeld wertgeschätzt. Das Vertrauen, das die*der Jugendarbeiter*in den Jugendlichen entgegenbringt, spielt eine zentrale Rolle und fördert die Kompetenz des reflektierten Lernens bei den Jugendlichen, die somit begleitet werden auf ihrem Weg zu einem veantwortungsvollen und autonomen Denken und Handeln.

Non-formale Jugendarbeit in den Jugendhäusern grenzt sich zur schulischen Jugendarbeit dadurch ab, dass der Zugang frei ist und ohne besondere Zugangsvoraussetzungen stattfindet. Jugendarbeit soll junge Menschen zur Mitgestaltung der Gesellschaft motivieren. Mit dem Entdecken der eigenen Fähigkeiten, aber auch der eigenen Grenzen, haben sie die Chance, eigene Lebensperspektiven zu entwickeln. Persönlichkeitsentwicklung gefördert durch die sogenannte Erlebnispädagogik stellt Jugendliche vor ungewohnte, reale Herausforderungen. Eine in diesem Sinne besonders erfolgreiche Aktivität stellt das Tauchen dar. Es gibt Berichte von Jugendarbeiter*innen, die begeistert von ihren Taucherfahrungen mit Jugendlichen erzählen. Die ungewohnte Umgebung lässt Jugendliche ihre Sorgen und Probleme vergessen und ermöglicht ein vollkommen neues Agieren und Ausprobieren in der sozialen Gruppe, sodass Selbstbewusstsein gestärkt und Angst vor Ablehnung oder Kritik abgebaut werden können. Diese Erfahrung sozialen Lernens, in der es sehr stark auch um empowerment geht, hat zu unvermuteten Erfolgserlebnissen und zu mehr Selbstvertrauen im individuellen Persönlichkeitsentfaltungsprozess bei den Jugendlichen geführt.

Die Bedeutung des lokalen Handelns

Jugendpolitik auf kommunaler Ebene wirkt im direkten Lebensraum der Jugendlichen. Kommunale Jugendarbeit umfasst Koordination und Vernetzung von Akteuren der Jugendarbeit. Die Gemeindeverwaltungen sind die ersten Ansprechpartner*innen und bieten teilweise finanzielle Unterstützung sowie die Mitwirkung an Projekten innerhalb der Gemeinde. Ein schönes Beispiel sind die intergenerationellen Veranstaltungen, bei denen Jugendliche den älteren Mitbürger*innen beim Umgang mit Smartphones Tipps geben.

Die Bedeutung lokalen Handelns für volkswirtschaftliche, insbesondere arbeitsmarktpolitische Maßnahmen zur Bekämpfung von Jugendarbeitslosigkeit auf nationaler Ebene lässt sich gut am Pilotprojekt „Outreach Youth Work“ (OYW) beschreiben. Bei OYW sollen jugendliche NEETs (Not in Education, Employment or Training) durch aufsuchende Jugendarbeit wieder in ein Bildungssystem oder in den Arbeitsmarkt eingegliedert werden. Die lokale Verankerung der qualifizierten Jugendarbeiter*innen spielt dabei eine zentrale Rolle, um die gering motivierten Jugendlichen, oft ohne oder mit geringer sozialer Einbindung, durch individuelle Betreuung wieder in die Schule oder in den Arbeitsmarkt zu integrieren.3 Das Abrutschen in delinquentes Verhalten der sich am Rande der Gesellschaft bewegenden Jugendlichen kann durch aufsuchende Jugendarbeit aufgefangen werden. Der Erfolg des Projektes war auf die Kooperation zwischen nationalen und lokalen Akteuren der teilnehmenden Gemeinden mit den Jugendhäusern angewiesen. Eine Vertrauensbasis zu Jugendlichen herzustellen, die kontinuierlich der Gefahr der Exklusion in der Gesellschaft ausgesetzt sind, stellte sich bei diesem Projekt als eine regelrechte Herausforderung für die Jugendarbeiter*innen heraus. Und somit sind die Integrationsversuche in die gesellschaftlichen Prozesse auch nicht immer gelungen. Dieser Sachverhalt aber sollte nicht zum Abbruch solcher Projekte wie OYW führen, sondern Ermunterung sein, nicht aufzugeben. Gerade an den Punkten und gerade mit den Jugendlichen, wo sich die Zusammenarbeit als schwierig herausstellt, sind Bemühungen, die jungen Menschen zu demokratischer Partizipation zu bewegen, von gesellschaftlich höchst relevanter Bedeutung.

Angelpunkt des Sicherungsnetzes

Könnte das soziale Netzwerk, das Jugendliche in den Jugendhäusern knüpfen, als Ersatz für erodierende traditionelle Gemeinschaften angesehen werden? Ein soziales Netzwerk kann die verloren gegangenen engen Familienbindungen der Vergangenheit nicht ersetzen. Jedoch kann es die Einbindung in freiwillig gewählte Freundschaftsnetzwerke ermöglichen. Die früher vorgegebenen Zwangsgemeinschaften (Familie wählt man nicht, man wird in sie hineingeboren) werden ersetzt durch freiwillige Gemeinschaften mit Gleichgesinnten. Peer-nahes Mentoring bietet sich an, um die Weitergabe von Erfahrungswissen auf der Ebene Gleichgestellter ähnlichen Alters zu gewährleisten. Bei Projekten wie „Big Sister Big Brother“4 bieten ältere Jugendliche den jüngeren individuelle Unterstützung etwa bei Hausaufgaben an, wodurch es zu außerschulischen Lernanregungen kommt, die wiederum positive Effekte auf die Schulleistungen haben.

Jugendkulturen sind stark orientiert an Erlebniskultur. „Peergroups“ stellen dabei wichtige Sozialisationsinstanzen dar. Es ist von großer Bedeutung, dass Jugendliche Erfahrungen abseits der elterlichen Kontrolle machen können. Jugendliche treffen sich an Orten, an denen sie sich informell über mediale Erlebnisse, Erfahrungen im nicht-digitalen Raum, über Probleme, Sorgen und Herausforderungen austauschen können. An diesen Stellen setzen informelle Lernprozesse durch die Auseinandersetzung mit Gleichaltrigengruppen ein, durch den Kontakt zu den „Peers“. Als „Peer education” bezeichnet man die Wissensweitergabe an Jugendliche durch Jugendliche im Sinne eines informellen Informations- und Erfahrungsaustauschs unter Gleichaltrigen. Erwachsene, wie die Jugendarbeiter*innen, die an solchen Prozessen mitwirken, sollen stützen und begleiten, jedoch nicht bevormunden.

Von besonderer Bedeutung bei der „Peer education“ ist der direkte Kontakt zwischen den Jugendlichen. Und hier wiederum spielt das Lokale eine große Rolle. Die virtuelle Begegnung in einem ort­losen Chatroom kann das soziale Miteinander, die reale Begegnung auf Straßen und Plätzen für die meisten Menschen nicht ersetzen.5

Lokales Denken und Handeln: Alteritäts­erfahrungen der Jugendlichen als Strategie

Bei steigendem Anteil an Migrant*innen wird die pädagogische Arbeit der non-formalen Bildung immer wichtiger. Ihre Stärke, Vorurteile und Diskriminierungen abzubauen, ist nicht zu unterschätzen. Die gegenseitige Akzeptanz wird gefördert, indem durch physische Nähe und gemeinsame Aktionen im Jugendhaus wechselseitige Spannungen zwischen Menschen verschiedener Herkunft verringert werden können.6 In einer multikulturellen Gesellschaft wird die Integrationsarbeit im Jugendbereich ein wichtiger Beitrag zur sozialen Kohäsion der verschiedenen kulturellen Traditionen in der lokalen Gemeinschaft bleiben. Gemeinsame Kochabende mit Rezepten aus verschiedenen Ländern, um nur ein Beispiel zu nennen, fördern das Gemeinschaftsgefühl. Eine „durchmischte Besucherstruktur“ in Bezug auf soziale und kulturelle Herkunft, Bildung, Geschlecht, Alter, Religion oder Nationalität ist Alltag in den Jugendhäusern. Dies ermöglicht Erfahrungen von Alterität. Und je früher Menschen mit Andersartigkeit konfrontiert werden, desto günstiger wird sich das auf die Akzeptanz des „Anderen“ auswirken. Gerade auch benachteiligte Jugendliche können sich in den Jugendhäusern aktiv unter pädagogischer Aufsicht in eine Gemeinschaft einbringen.

Perspektiven

Jugendarbeit steht vor großen, gesellschaftlichen Herausforderungen und setzt dort an, wo die Grenzen der formalen Bildung sind. Jugendliche auf dem Weg der Selbstfindung in einer pluralistischen und zunehmend hektischen Gesellschaft können durch ihre Einbindung in lokale Vereinigungen die Grenzen und Chancen der Demokratie lernen.

Herausforderung einer effizienten und zukunftsorientierten Jugendpolitik wird es weiterhin sein, ehrenamtliches Wirken im Gemeinschaftsdenken der Gemeinden zu verankern, damit lokale Jugendarbeit ihren Beitrag zur sozialen Kohäsion in einer sich durch soziale Spaltung gefährdeten Gesellschaft leisten kann. Jugend braucht Verbündete, engagierte Jugendarbeiter*innen und ehrenamtliche Akteure, die sich für sie stark machen.

  1. Merlin Holthoff, Quo vadis Societas? Die Atomisierung der Gesellschaft und die Ökonmisierung des Denkens, München, GRIN Verlag, 2009.
  2. http://www.men.public.lu/catalogue-publications/enfance/infos-generales-offre/180219-rahmenplan/de.pdf, S. 81(alle Internetseiten, auf die in diesem Beitrag verwiesen wird, wurden zuletzt am 24. Februar 2020 aufgerufen).
  3. Patrice Joachim/Daniel Weis/Helmut Willems, Individuelle Betreuung als Strategie der Transitionshilfe für Jugendliche in schwierigen Lebenslagen: Herausforderungen, Wirkungen und Impulse des Pilotprojektes „Outreach Youth Work – Maisons des Jeunes“ (INSIDE Research Reports), Esch/Alzette, University of Luxembourg, 2018.
  4. Christoph Steinebach/Kiaras Gharabaghi, Resilienzförderung im Jugendalter. Praxis und Perspektiven, Heidelberg, Springer, 2013.
  5. https://lebendige-stadt.de/web/view.asp?sid=465&nid=&cof=
  6. Jutta Allmendinger, „Soziale Ungleichheit, Diversität und soziale Kohäsion als gesellschaftliche Herausforderung“, in: vhw FWS 3, Mai-Juni 2015, S. 127-131.

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