- Geschichte, Verteidigung
Eine Militärgeschichte Luxemburgs? Auch das noch!
Überlegungen über Sinn und Möglichkeiten einer „neuen“ Militärgeschichtsschreibung zum Großherzogtum
Hat Luxemburg eine Militärgeschichte? Johann der Blinde (1296-1346) befehligte ein böhmisches Aufgebot in Frankreich gegen England. Der Letzte der Luxemburger, Sigismund (1368-1437), führte Glaubenskriege gegen Osmanen und Hussiten, dies aber fernab der Stammlande als König von Ungarn und römisch-deutscher Kaiser. Peter Ernst Mansfeld, Vater (1517-1604) und Sohn (1580-1626), waren politisch flexible Condottiere, die im Namen „fremder“ Herren für ihre eigenen dynastischen Ambitionen in den Krieg zogen. Für die geopolitischen Interessen von Römern, Burgundern, Habsburgern, Franzosen und Preußen wurde die Stadt Luxemburg immer wieder stark befestigt. Im Dreißigjährigen Krieg war das Herzogtum ein Durchzugsgebiet von Truppen aus aller Herren Länder. Um Luxemburg selbst wurde beinahe einmal Krieg geführt („Luxemburgkrise“ 1867). Nach tatsächlich stattgefundenen Kriegen wurde Luxem-
burg territorial immer kleiner und das schon bevor das Land den Status eines Großherzogtums erhielt (an dieser Stelle immer wieder angeführt: die sogenannten „Trois démembrements“1659 – 1815 – 1839). Immer wieder ist Luxemburg auch von Kriegsparteien vor und nach Friedensschlüssen besetzt worden: Franzosen, Preußen, Deutsche, Amerikaner waren hier stationiert.
In Luxemburg wurde zwar gekämpft, Luxemburg hat aber keinen Krieg geführt, sondern ist nur seinen Beistandspflichten nachgekommen (Koreakrieg 1950-53). Europa als Wirtschafts- und Friedensprojekt nach dem Zweiten Weltkrieg wurde von Luxemburg mitbegründet (Montanunion 1951, Römische Verträge 1957); zuerst wurde aber das globale Militärbündnis der NATO (1949) mitbesiegelt. Kriege vernichten Menschen und ihr Hab und Gut. In Luxemburg wurde viel durch Kriege zerstört (Luftbombardements schon im ersten der Weltkriege, dann durch die Rundstedt-/Ardennenoffensive im zweiten). Im Falle einer militärischen Besetzung durch Warschauer Pakt-Truppen sollten mit einer Stay behind-Organisation die „Schattenkrieger der NATO“ auch in Luxemburg Sabotageakte, vor allem aber Nachrichtendienste leisten. In diesem Zusammenhang stellte der frühere Armeekommandant Colonel Gretsch fest, dass „man die militärische Bedeutung Luxemburgs nicht überschätzen dürfe: er habe bei einer Gelegenheit festgestellt, dass Luxemburg aus US-Sicht als Teil des Saarlandes gegolten habe. Luxemburg habe sich das selbst zuzuschreiben: „Hier wurde immer nur von der Nato profitiert. Wir galten als Schmarotzer“(Luxemburger Wort, 12. Mai 2014). Da steht das Großherzogtum nicht alleine dar. Das neutrale Österreich hat sich als militärischer Trittbrettfahrer kollektiver Sicherheitssysteme im Nachkriegseuropa bis heute auch finanziell behaglich eingerichtet und gibt nur unwesentlich mehr für sein Mili-tär aus als Luxemburg, nämlich aktuell rund 0,7 Prozent des BIP (im Vergleich zu rund 0,5 des NATO-Schlusslichtes). Viele finden solche Ausgabenstrukturen gut – darüber kann natürlich weiterhin debattiert werden, solange eben „andere“ die Sicherheitsaufgabe wahrnehmen. Nur „im Windschatten anderer“ also? Gilt diese unrühmliche Einschätzung auch für eine „Militärgeschichte“ Luxemburgs als mögliche Leitthese? Der eben geleistete „militärgeschichtliche“ Abriss oben wird ja mehr der öffentlichen Selbstwahrnehmung gerecht, als den Erfordernissen einer kritischen Kriegs- und Militärgeschichte, die im Rahmen der allgemeinen Geschichte Luxemburgs noch zu leisten wäre. In Teilen liegen Arbeiten und Ansätze dazu schon vor. Doch über zentrale Etappen der modernen Entwicklung nach dem Wiener Kongress, der Miliz im Rahmen der niederländischen Armee, 1817-40, dem Bundeskontingent 1841-67, dem Jägerkorps 1867-81 und des Gendarmerie- und Freiwilligenkorps bis 1940 etwa, sind bestenfalls Skizzen vorhanden. Selbst die historische Aufarbeitung der Rolle Luxemburgs während des Ersten Weltkriegs ist mehr einem historischen Jubiläum geschuldet, als einem systematischen Interesse. Fokussiert der Blick zurück doch auf die (aller-)jüngste Vergangenheit, insbesondere auf die „Zwangsrekrutierung“: Luxemburger im erzwungenen Kriegsdienst für andere, die zwischen „Opfer-und-Täter-zugleich-Geschichte“ angesiedelt ist. Neben Freiwilligenkorps und Widerstand im Zweiten Weltkrieg natürlich. Das Interesse daran ist legitim und weitere Forschung dazu auch erwünscht und notwendig, doch drängt sich hier der Eindruck auf, als würde hier Luxemburgs „fehlender“ Unabhängigkeitskrieg ein Ersatz gestellt, um endgültig und glaubhaft als Nationalstaat zu gelten. Zum narrativen Repertoire jeder Nationalgeschichtsschreibung gehört die kollektive militärhistorische Tat: Daran haben auch post-heroische Diskurse nichts verändert. Auch das finden viele weiterhin suspekt und überflüssig – wie nationale Armeen insgesamt. Ein gesamteuropäischer Ersatz aber – sei es als „Euroarmee“, sei es als gemeinsame europäische „Staatsgeschichte“– ist nicht absehbar. Unsere gesellschaftliche Ordnung bleibt – trotz supranationaler Strukturen der EU und trotz der Globalisierung – bis auf weiteres in nationalstaatlicher Verfasstheit bestehen.
Gerade auch die Militär- und Kriegsgeschichte wurde und wird im nationalstaatlichen Bezugsrahmen geschrieben – trotz aller komparatistischen Ansätze oder übergreifender Themenfelder. Als Fachgebiet ist Kriegs- und Militärgeschichte ein Teilgebiet der Geschichtsschreibung, die sich mit inneren Strukturen des Militärs und seiner Kriegsführung befasst bzw. mit dem Wechselspiel zwischen der Institution Militär und der Gesellschaft. Ersterer Schwerpunkt umfasst die ältere Kriegsgeschichte als „Geschichte der Kriege, Feldzüge und Schlachten“, weitestgehend geschrieben von und für Kriegspraktiker als Selbstanalyse, zur Traditionspflege und für die militärische Ausbildung gedacht. Der zweite Schwerpunkt firmiert als „Mili-tär und Gesellschaft“ und repräsentiert einen neueren Zugang zu Militär als Teil des gesellschaftlichen Ganzen. Dabei wird der Bogen weit gespannt und reicht von Fragen einer „Kultur des Krieges“ bis zu Genderaspekte, der Rolle der Ökonomie oder der Einbettung von Krieg und Militär bei Fragen technischer Entwicklung – eine Militärgeschichte für eine zivile Gesellschaft also, zu der Luxemburg selbstredend mehr beitragen könnte. Hier verhält es sich so wie in anderen „belächelten“ Bereichen zur Luxemburger Forschung: Luxemburg ist keinesfalls zu klein, um die großen gesellschaftlichen Fragen zu stellen, aber auch nicht groß genug, dass diese nicht in einem transnationalen Kontext gestellt werden müssten. Insofern scheint der „Windschatten“ anderer für eine mögliche Kriegs- und Militärgeschichte Luxemburgs unumgänglich zu sein – aber ohne Trittbrettfahrertum.
Zur Einführung:
– Thomas Kühne und Benjamin Ziemann (Hg.), Was ist Militärgeschichte, Paderborn 2000. (als Digitalisat unter: http://digi20.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb00045267_00002.html)
– Jutta Nowosadtko, Krieg, Gewalt und Ordnung. Einführung in die Militärgeschichte, Tübingen 2002.
– Jeremy Black, Introduction to Global Military History – 1775 to the Present Day, London et al 2005.
Als Beispiel für einen transnationalen-kolonialen Kontext siehe:
– Thomas Kolnberger (Hg.) August Kohl – Ein Luxemburger Söldner im Indonesien des 19. Jahrhunderts, Mersch 2015.
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