„Hoffnung ist nicht eben Optimismus, es ist nicht der Glaube, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat ohne Rücksicht darauf, wie es ausgeht.“(Vaclav Havel)
Eines scheint klar: Hätte sich der einheitliche Werteunterricht in der Bevölkerung einer breiten Unterstützung erfreut, so wäre die Laienmoral etwas aufgeputzt mit einem attraktiveren Namen bereits im Herbst 2014 in allen Stufen angelaufen.
Dem ist aber nicht so gewesen. Zum einen konnte man die Zahlen nicht einfach von der Hand weisen: Die ganz große Mehrheit der Kinder und Jugendlichen meiden den Religionsunterricht keineswegs. Es hat weder bei den Eltern noch bei den Schülern den Wunsch zur Abschaffung der Wahlfreiheit gegeben. Zum anderen haben sich Eltern und Sympathisanten zugunsten des Religionsunterrichts und der Wahlfreiheit zur Wehr gesetzt. Bereits im Dezember 2013 entstand die Bürgerbewegung Fir de Choix, die in wenigen Wochen mehrere 1 000, und in einem halben Jahr fast 26 000 Unterschriften sammeln konnte.
Hätten die laizistischen Kreise, die seit Jahren lautstark und gebetsmühlenartig die Abschaffung des Religionsunterrichts fordern, einen soliden Rückhalt im Volk festgestellt (wie beispielsweise in der Euthanasiedebatte), so hätten sie flugs eine Gegenpetition gestartet.
Der Unterrichtsminister reagierte zunächst gereizt auf die Bürgerinitiative und hoffte wohl, dass ihr nach den ersten 1000 Unterschriften die Luft ausgehen würde. Nach monatelangem Hinhalten empfing er deren Vertreter dann doch zu einer Unterredung. Schließlich hatte sich die Regierung die partizipative Demokratie auf die Fahne geschrieben. Der Minister zeigte Verständnis für die Argumente, blieb allerdings bei dem ehernen Entscheid der Koalition, ansonsten er sofort zurücktreten müsse. „Religion ist Privatsache“ und die „Schüler dürfen nicht getrennt werden“ waren die widerlegbaren, doch wie in Stein gemeißelten Hauptargumente.
Die Initiative erhöhte den Druck, als 2500 Menschen am 24. April 2014 auf die Straße gingen, um die Wahlfreiheit einzufordern. Der Erzbischof, Vertreter anderer Religionsgemeinschaften, CSV- und ADR-Politiker, sowie viele Religionslehrer marschierten mit. Am 30. September 2014 wurde die 35 Kilo schwere Unterschriftenlisten dem Kammerpräsident überreicht.
Am 26. November 2014 fand die Debatte zwischen den Abgeordneten und Vertretern von Fir de Choix hinter verschlossenen Türen im Parlament statt. Diesmal überraschte der Minister mit der Aussage, auch er sei für die Wahl, allerdings eine solche, die jeder Schüler aufgrund einer neutralen Darstellung aller Religionen und Weltanschauung treffen sollte. Kurz darauf gingen die Religionsgemeinschaften in die Offensive, indem sie einen nicht konfessionellen Religionenunterricht parallel zur Laienmoral vorschlugen. Dieser historisch bemerkenswerte Schritt wurde umgehend abgelehnt.
Im Januar 2015 kam es zur ominösen Vereinbarung zwischen Staat und Religionsgemeinschaften, welche beiderseits als Kompromiss gewürdigt wurde, der dem Lande eine Verschärfung des seit Jahrzehnten schwelenden Kulturkampfes ersparte.
In der Zwischenzeit hatte die Regierung in der Tat eingesehen, dass sie für das neue Einheitsfach die Religionsgemeinschaften nicht außen vor lassen konnte. Indem sie also einverstanden war, dass den Religionen bei den Inhalten eine gewisse Rolle zugestanden werden sollte, erreichte sie einerseits das Einverständnis besonders des Erzbistums, und andererseits die Mitarbeit einer Reihe von Religionslehrern, die somit die Chance sahen, das neue Fach unter bestimmten Bedingungen unterrichten zu dürfen. Ohne es zu wollen, hat möglicherweise Fir de Choix dieses Ergebnis mit verursacht: Die Initiative hatte einerseits der Kirche den Rücken gestärkt; andererseits hat sie die Regierung mit ihren Argumenten und Unterschriften zu größerer Vorsicht verholfen. Eine erste Kurskorrektur des Ministers wurde ersichtlich, als dieser im Frühjahr 2014 zugab, dass der von der Koalition geprägte Begriff „Werteunterricht“ wenig dienlich sei, da in diesem die Anrüchigkeit eines staatlichen Wertemonopols (Stichwort „Sowjetunion“, wie es der Erzbischof zunächst kämpferisch auf den Punkt brachte) mitschwingt. Um einen minimalen gesellschaftlichen Konsens herbei zu führen, bat der Minister schließlich, sehr zum Leidwesen der Laizisten, eine paritätische Kommission, in der also auch Religionslehrer vertreten sind, ein neues Fach Leben und „Gesellschaft“ zu konzipieren und für alle Stufen auszuarbeiten. Ausländische Experten sowie ein neutraler Moderator wurden mit der Leitung oder Begleitung dieser Kommission beauftragt. Noch bevor aber der beauftragte Moderator Jürgen Oelkers von der Universität Zürich das Konzept vorstellte, versuchte das laizistische Bündnis, es als „religionslastig“ zu demontieren. Für Fir de Choix waren die anhaltenden Attacken ein weiteres Zeichen für die Quadratur des Kreises, welcher das neue Fach tatsächlich ausgeliefert ist. Da die Kommission sich auf eine Herkulesaufgabe mit manchen gordischen Knoten einstellen musste, hat der Minister im September 2015 das Inkrafttreten des neuen Faches ein zweites Mal um ein Jahr verschoben.
Fir de Choix kämpft weiter, aus Überzeugung
Spätestens seit dem Abkommen zwischen Staat und Religionsgemeinschaften im Januar 2015 sieht es so aus, als hätten die Verfechter der Wahlfreiheit ihren Kampf verloren. Die stärkste Waffe der Regierungskoalition ist stets ihre unumstößliche Entschlossenheit gewesen. Zu keinem Moment hat sie den geringsten Zweifel aufkommen lassen und hat deshalb erst recht nicht mit dem Gedanken gespielt, diese Sache einer Volksbefragung zu unterbreiten. Abgesehen von der Wahrscheinlichkeit, dass sie diese verloren hätte, lässt Ideologie eine derartige Öffnung einfach nicht zu! Diese Unbeugsamkeit hat die Gegenseite empfindlich geschwächt, ja sogar gespalten, und zuweilen entmutigt.
Warum macht die Initiative Fir de Choix trotzdem weiter? Natürlich weil sie eine Verpflichtung gegenüber den zigtausenden Menschen hat, die ihre Petition unterschrieben haben. Besonders aber weil sie zutiefst von der Richtigkeit ihrer Causa überzeugt ist. Alle Menschen- und Bürgerrechtserklärungen bekräftigen die Religionsfreiheit, welche ausdrücklich das Unterrichtswesen einbegreift, sowie die primären Erziehungsrechte der Eltern. Sie ist sich zudem sicher, dass es den neutralen Werteunterricht per se nicht gibt und nicht zu geben braucht. Das betrifft sowohl die Themenwahl, als auch die Auswahl von Texten, welche Handbücher oder Lehrer den Kindern und Jugendlichen unterbreiten. Jede Lehrkraft ist Subjekt und deshalb auch subjektiv, selbst wenn sie nach bestem Gewissen eine objektive Darstellung anstrebt. Auch das Argument der Trennung von Schülern ist wenig überzeugend, da solche Trennungen und die unterschiedliche Zusammensetzung von Auditorien in den Schulen gang und gäbe sind.
Es stimmt wohl, dass durch die Säkularisierung der Gesellschaft der religiöse Glaube der Menschen zusehends in die Privatsphäre verbannt wird. Ob diese Entwicklung aber wünschenswert ist, muss hinterfragt werden. Wie es etwa den homo oeconomicus schon immer gegeben hat, hat es auch schon seit den Anfängen der Menschheit den homo religiosus gegeben. Religion hat immer eine intime, private Dimension, aber genauso hat sie auch eine gesellschaftliche, also öffentliche Relevanz. Dies abzustreiten grenzt an gefährliche Borniertheit, besonders in unserer Zeit, wo Religion und der Umgang damit Tag für Tag inmitten der Aktualität und der öffentlichen Debatte stehen. Im Positiven wie im Negativen. Man lese die jüngste Enzyklika des Papstes Laudato si. Man vergegenwärtige sich andererseits die verheerenden Folgen des religiösen Fanatismus.
Es ist einfach wichtig und legitim, dass Eltern und Jugendlichen, denen authentisch christliche Werte am Herzen liegen, das Recht zugestanden wird, in den öffentlichen Bildungsanstalten die Möglichkeit zu haben, wenn sie dies denn wünschen, Näheres über die eigene und über andere Religionen lernen zu lassen oder zu erfahren. Und zwar nicht oberflächlich enzyklopädisch, sondern textimmanent und Verständnis fördernd. Man spricht ja auch nicht über Baudelaire, ohne in dessen Gedichte einzutauchen. Professor Oelkers ist sich dieses Auftrages bewusst, doch gerade deshalb stößt er auf den erbitterten Widerstand derjenigen, die das Dogma der „Religion als Privatsache“ der ganzen Gesellschaft aufdrängen wollen. In unserer multikulturellen Gesellschaft muss der Religionsunterricht nicht konfessionsgebunden sein. Daher hat Fir de Choix, wie übrigens auch die katholische Kirche Luxemburgs, sich bereits von einer konfessionellen Glaubensvermittlung in der öffentlichen Schule verabschiedet. Im Hinblick auf die Integrierung des Islam tritt die Initiative für das belgische Modell ein, welches auch in einigen deutschen Bundesländern praktiziert wird.
Es geht also nicht um starren Konservatismus, sondern um eine laicité plurielle, also um die faire Offenheit, die 1968 allerseits als guten Kompromiss gepriesen wurde. Laizität vermittelt nämlich selbst keine Inhalte. Sie schafft lediglich die Bedingungen zur Meinungs- und Religionsfreiheit, wobei noch einmal betont werden muss, dass Religion auch eine kulturelle und soziale Dimension besitzt. Laizität darf nicht zu einer zivilen Ersatzreligion verkommen. Gerade hier sehen wir die Quadratur des Kreises, wenn der an sich neutrale Staat einen einheitlichen Werteunterricht, selbst unter dem farblos-verwässerten Namen „Leben und Gesellschaf“, einführt.
Das Referendum hat gezeigt, dass eine Mehrheit im Parlament noch lange nicht in allen Fragen einer Mehrheit in der Wählerschaft gleich kommt. Inzwischen haben sich neben den Religionsgemeinschaften die Elternvereinigung, die Lehrersektion der Staatsbeamtengewerkschaft, das Jugendparlament, der Jugendkonvent und zuletzt der nationale Schülerrat für die Wahlfreiheit ausgesprochen. Während der Unterschriftensammlung hat mir ein in Luxemburg residierender Engländer gesagt: „I am an atheist, but I’ll sign because I respect the wish of believing people.“ Wir glauben daran, dass die Koalition es noch schaffen könnte, den Puls der betroffenen Zivilgesellschaft zu fühlen und sich aus der ideologischen Sackgasse heraus zu manövrieren.
Die Zielsetzungen des Kurses
a. Das Zusammenleben und den Zusammenhalt in einer multikulturellen Gesellschaft stärken
(…) Diese Vielfalt erfordert eine Auseinandersetzung und Verständigung darüber, was das „Gemeinsame“ ist, das uns als Bürgerinnen und Bürger Luxemburgs und Europas verbindet. Gleichzeitig erfordert es eine grundlegende Offenheit und Toleranz im Umgang mit der gesellschaftlichen Diversität. Dies sind die Fundamente sozialer Kohäsion in einer multikulturellen Gesellschaft. Die Luxemburger Schule hat die gesellschaftliche Verpflichtung, eine Diskussion über diese Grundlagen des demokratischen Zusammenlebens zu ermöglichen und so dazu beizutragen, dass diese gestärkt werden. Diversität und Meinungsvielfalt sind dabei wichtige Impulsgeber einer fortwährenden Infragestellung und Weiterentwicklung unserer Gesellschaft. Sie sind eine Quelle von Innovation und Fortschritt. Die Auseinandersetzung mit den großen Fragen unserer Zeit im Rahmen der öffentlichen Schule darf deshalb nicht auf einen erzwungenen Konsens hinaus laufen. Das neue Fach „Leben und Gesellschaft“ soll vielmehr eine Gedankenwerkstatt werden. (…)
b. Kulturen erschließen, Diversität ergründen
Kinder und Jugendliche brauchen einen Zugang zu der Kultur, in der sie leben, mit all ihren Facetten, um den Alltag und die Gesellschaft zu verstehen, und sich in ihr zu Recht zu finden. (…) Das neue Fach soll die Schülerinnen und Schüler dazu befähigen, die Bedeutung von kulturellen, weltanschaulichen und religiösen Phänomenen (Gebräuche, Traditionen, Riten), mit denen sie in ihrem Alltag konfrontiert werden, zu verstehen. Dies setzt unter anderem eine Auseinandersetzung mit christlich-jüdischen und aufklärerisch-humanistischen Traditionen voraus, die beide unsere Gesellschaft maßgeblich geprägt haben. Dies kann anhand von religiösen, philosophischen, historischen oder anderen Textquellen geschehen. Darüber hinaus soll das neue Fach aber auch die Schülerinnen und Schüler dazu befähigen, religiöse Symbole und Texte in ihrer Vielschichtigkeit zu verstehen und zu deuten. Das Dekodieren der bildhaften Sprache, der sich Religionen bedienen, ist eine wesentliche Kompetenz, die vermittelt werden muss, um Kindern und Jugendlichen eine selbstbestimmte Auseinandersetzung mit religiösen Themen zu ermöglichen. In der Tat ist es oftmals ein „religiöser Analphabetismus“, d. h. die Unfähigkeit, religiöse Texte in ihrer sinnbildlichen Sprache zu verstehen, der den Weg für dogmatische und radikale Positionen bereitet. (…)
Die Entwicklung der Kinder und Jugendlichen hin zu Eigenverantwortlichkeit, Kritik und Gemeinschaftsfähigkeit
(…) Die Schülerinnen und Schüler sollen darüber hinaus dazu angeregt werden, sich mit ihrem Umfeld auseinanderzusetzen und sich in Gesprächen konstruktiv einzubringen. Durch diese Interaktion sollen Schülerinnen und Schüler die nötigen sozialen Kompetenzen entwickeln, um sich verantwortungsvoll gestaltend in die Gesellschaft einzubringen, sich aber auch kritisch mit ihr auseinandersetzen zu können. Darüber hinaus sollen die Kinder und Jugendlichen lernen, sich selbst in Beziehung zu ihrem Umfeld und ihrer Umwelt zu sehen und ihre Rolle, Aufgabe und Verantwortung zu erfassen.
d. Den universellen Menschenrechten verpflichtet
Die Neutralität des Staates verbietet jegliche Form der religiösen oder weltanschaulichen Indoktrination. Diese Neutralität darf aber nicht als moralische Beliebigkeit oder Gleichgültigkeit gegenüber radikalen und diskriminierenden politischen, weltanschaulichen oder religiösen Positionen verstanden werden. (…)
Rahmendokument „Leben und Gesellschaft“ (S.2-4)
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