Als Schüler habe ich Autogramme gesammelt. Dazu bin ich mindestens einmal in der Woche – oft mit einem Freund – in den Stadtpark gepilgert. Dann haben wir vor dem Eingang zur Villa Louvigny auf die Stars gewartet: Udo Jürgens, Marianne Rosenberg, Frank Zander und natürlich Jochen Pützenbacher, Helga Guitton, Martin Schwarze, Haidy Jacobi, Matthias Krings. Letztere waren für uns mindestens genauso große Stars, deren Stimmen uns wahrscheinlich vertrauter waren als die der Sänger und Sängerinnen. Wir hörten sie täglich im Programm von Radio Luxemburg, und persönlich kannte man sich flüchtig vom Sehen im Vorraum der Pförtnerloge. Es war eine großartige Zeit, bis ich in den 1980ern mein Studium aufnahm und hinterher nie wieder richtig ins Programm reinhörte (auch nicht, während ich in den Semesterferien in der Redaktion von Radio Lëtzebuerg praktische journalistische Erfahrungen sammelte). Rückblickend wird deutlich, es war die Glanzperiode der sogenannten vier fröhlichen Wellen, die am 15. Juli 1957 mit einer Ansage Peter Perlebergs (ein Pseudonym des Luxemburger Journalisten Pierre Nilles) begann und irgendwann um 1980 herum endete. Diese Zeit ist auch das Thema einer Untersuchung, mit der Katja Berg an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg promoviert wurde und die sie nun unter dem Titel Grenzenlose Unterhaltung bei Wallstein in der Reihe Medien und Gesellschaft im 20. Jahrhundert veröffentlicht hat.
So sehr ich gespannt war auf die Dissertation, so sehr habe ich sie mit gemischten Gefühlen gelesen. Unter Rückgriff auf das Konzept der Transnationalisierung untersucht Berg, inwieweit Radio Luxemburg als deutschsprachiges Programm der CLT die öffentlich-rechtlichen Angebote in Deutschland und insbesondere in den Sendegebieten von WDR und SWF/SWR beeinflusst hat – und andersherum. Aufgrund der Konkurrenz aus dem Großherzogtum setzte einerseits der SWF auf Jugendsendungen und die entsprechende Musikauswahl, während man beim WDR eine Servicewelle mit Verkehrsmeldungen einführte und nach langem Zögern auch Werbung. Umgekehrt lancierten die Luxemburger eine Informationsoffensive, um das Image von „Radio Schnulzenburg“ loszuwerden; auch verzichteten sie zunehmend auf die „Durchhörbarkeit“ ihres Programms und setzten stattdessen, wie die Öffentlich-Rechtlichen in ihren Anfängen, auf das „Kästchenprinzip“. Als die deutlich bessere Tonqualität über UKW (statt über Mittelwelle) immer entscheidender als Einschaltfaktor wurde (ein Aspekt, der für meinen Geschmack in der Abhandlung zu kurz kommt) und zudem in Deutschland kommerzielle Konkurrenz erwuchs, dümpelte das Programm von Radio Luxemburg in der Publikumsgunst langsam dahin – dagegen half auch kein Relaunch zunächst als Oldie- und dann als Hitsender.
In ihrem Kernargument zur wechselseitigen Rückkopplung kann ich der Autorin folgen. Nicht jedoch, wenn es um die Voraussetzungen geht, die diesen zeitweilig außerordentlichen Publikums- und Wirtschaftserfolg ermöglichten. Berg bettet ihre vergleichende Analyse in die Luxemburger Rundfunkordnung ein und verwechselt dabei das wirtschaftliche Modell der CLT mit der Medienpolitik des Landes. Im Rundfunkgesetz von 1929 findet sich nirgendwo ein Hinweis auf ein „privat-kommerziell organisiertes Rundfunksystem“, wie Berg vermutet. Tatsächlich hat die Regierung damals wie im Untersuchungszeitraum schlicht auf ihre Souveränitätsrechte verzichtet, indem sie der CLR/CLT in einer Konzessionsvereinbarung ein staatlich garantiertes Rundfunkmonopol zugestand. So konnte sich Radio Luxemburg in Deutschland wie der Hecht im Karpfenteich aufführen, während der hiesige Finanzminister den Staatssäckel aufhielt – ein klassischer Fall von Nischenpolitik, wie sie Luxemburg seit vielen Jahrzehnten erfolgreich betreibt.
Der blinde Fleck der Berg’schen Erzählung ist die medienpolitische Lücke, die dieses Arrangement in der Luxemburger Öffentlichkeit hinterließ und die selbst nach der vermeintlichen Medienliberalisierung von 1991 nur bedingt geschlossen werden konnte. Trotz Bergs Beteuerungen ist RTL Radio Lëtzebuerg kein „umfassendes Vollprogramm mit qualitativ anspruchsvollen Inhalten […] – ähnlich den öffentlich-rechtlichen Sendern der Bundesrepublik“. Selbst Radio 100,7 kann man bislang nicht als genuin öffentlich-rechtliche Anstalt bezeichnen. Und gar von einem „dualen System“ zu sprechen, ist einfach lächerlich angesichts der Ressourcenverhältnisse.
Vielleicht wäre es hilfreich gewesen, Katja Berg hätte ein paar Untersuchungen und Artikel von einheimischen Autoren gelesen. Dann wären ihr Aussetzer dieser Art vermutlich erspart geblieben: „Mit Inkrafttreten des Mediengesetzes vom 27. Juli 1991, das es amerikanischen Investoren erlaubte, ein Fernmeldesatellitensystem zur Ausstrahlung von Fernsehprogrammen zu errichten, wurde schließlich das Monopol der CLT gebrochen“. Bloß dass der erste Astra-Satellit zu diesem Zeitpunkt bereits seit fast drei Jahren seine Bahnen im All zog…
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