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His minister’s voice?
Warum Luxemburg sich in der Vergangenheit so schwer tat mit öffentlich-rechtlichem Rundfunk und wie der einheimische service public in Zukunft aussehen könnte.
Die Debatte ist überfällig. Zu lange schon muss Luxemburg ohne öffentlich-rechtlichen Rundfunk auskommen. Viele werden sagen: Na und? Lässt die Grundversorgung, die uns die CLT-Ufa seit über sechs Jahrzehnten vorsetzt, irgendwelche Wünsche offen? Das kommt ganz auf die Erwartungen an. Reicht einem eine handwerklich saubere, werbekonforme Berieselung, durchmischt mit Journalismus der unverfänglicheren Sorte, dann werden wir zweifelsohne ordentlich bedient. Erwartet man ein kritisch-unabhängiges Programm für aufgeklärte Bürger, dann sieht die Situation nicht mehr ganz so rosig aus.
In Luxemburg lässt sich nicht immer klar trennen zwischen einem Angebot, das öffentlich-rechtlichen Ansprüchen genügt, und einem, das kommerzielle Zielsetzungen verfolgt. Mit RTL Télé Lëtzebuerg haben wir einen kommerziellen Fernsehkanal, der sich in nichts von einem kommerziellen Angebot, wie wir es aus dem Ausland kennen, unterscheidet und dennoch laut einem Abkommen mit der Regierung service-public-Auflagen erfüllen soll (RTL zwee als Catch-up-Angebot soll an dieser Stelle unberücksichtigt bleiben). Dann gibt es ein sogenanntes soziokulturelles Radio, das mit ebensolchen Aufgaben ausgestattet ist, obwohl diese nirgendwo im Gesetz ausdrücklich Erwähnung finden; zumindest steht im jüngsten Abkommen mit der Regierung, radio 100,7 sei ein Sender „à vocation de service public“. Schließlich gibt es RTL Radio Lëtzebuerg, ein durch und durch kommerzieller Kanal. Um die Sache noch verwirrender zu machen, betreut RTL Lëtzebuerg eine Webseite (rtl.lu), die ohne Unterscheidung beides (Radio und TV) im Archiv anbietet; außerdem unterhält RTL Lëtzebuerg eine gemeinsame Nachrichtenredaktion, deren Mitglieder für die drei Ausspielkanäle bzw. Plattformen Inhalte liefern, wobei ab 2021 allein das Fernsehprogramm und das auch nur für die geleisteten öffentlich-rechtlichen Missionen Staatsgelder erhalten soll.
Aus diesen Gründen darf die Diskussion, die das Parlament und hoffentlich die gesamte Gesellschaft demnächst – endlich – führen wollen, nicht in verschiedene, sorgsam getrennte Denkansätze eingebettet sein. Es geht nicht, losgelöst vom Rest dieser überfälligen Diskussion, um eine bessere governance bei radio 100,7 einerseits oder eine stringentere Beschreibung der service-public-Aufgaben bei RTL Télé Lëtzebuerg andererseits. Es geht um Public Service Broadcasting (PSB) als Ganzes, als Ausdruck eines gesellschaftlichen Selbstverständnisses. PSB: Das sind nicht irgendwelche minimalen (inhaltlichen) Auflagen, die ein Sender einhalten muss. Im Gegenteil: Das Programm von RTL Télé Lëtzebuerg bleibt – von seiner Konstruktion her – eine äußert seltene Ausnahmeregelung, unter der PSB veranstaltet wird. PSB entspricht keinem bestimmten Programm, PSB ist zuallererst ein state of mind – allerdings keiner, der in Luxemburg (bisher) vorzuherrschen scheint.
Kurzer historischer Abriss zum besseren medienpolitischen Verständnis
Von Anbeginn an setzte die Regierung hierzulande auf den Kommerzfunk, eine staatliche oder öffentlich-rechtliche Alternative kam nie in Frage. Es war auch nicht wirklich so, dass die Regierung bewusst auf Kommerzfunk gesetzt hätte, sie hatte im Grunde keine rechte Vorstellung, was sie mit den verfügbaren Frequenzen anstellen sollte, und war daher eher erleichtert, als findige Geschäftsleute in den 1920er Jahren mit der Idee an sie herantraten, einer Privatgesellschaft die Radiofrequenzen zur kommerziellen Nutzung zu überlassen. So blieb uns nach dem Zweiten Weltkrieg das französische Schicksal eines exzessiven Staatsrundfunks erspart, das in dem grandiosen Politikerbekenntnis über den Rundfunk kulminierte: „C’est la voix de la France.“ Wobei man Präsident Georges Pompidou zugestehen muss, dass er mit dieser Aussage vom 2. Juli 1970 nicht wirklich in die redaktionelle Unabhängigkeit eingreifen wollte, sondern die Journalisten der ORTF (Office de radiodiffusion-télévision française) in erster Linie daran erinnern wollte, dass sie einem höheren Ideal gehorchen als Reporter anderer Medien, vornehmlich Zeitungen.
Dafür mussten die Luxemburger hinnehmen, dass ein kommerzieller Sender von Anbeginn an die Mediengeschicke hierzulande im Alleingang bestimmte – dank eines staatlich garantierten Rundfunkmonopols, im Übrigen ein weltweit einmaliges juristisches Modell (ich kenne zumindest kein zweites). Nur einmal widersetzte sich die Regierung den Plänen der heutigen CLT-Ufa, nämlich als der jüngst verstorbene Generaldirektor Gust Graas in den 1980er Jahren darauf drang, bislang ungenutzte Frequenzen für die Satellitenpläne seines Hauses nutzen zu können. 1973, anlässlich der Verlängerung der Konzessionsverträge, hatte sich der Medienkonzern eine (Verhandlungs-)Option zusichern lassen auf Satellitenfrequenzen, die dem Staat zu einem späteren Zeitpunkt eventuell hätten zufallen können. Doch daraus wurde nichts, letztlich setzte der Staat mit der Société européenne des satellites auf sein eigenes Projekt.
1959 und 1969, als zuerst ein Radioprogramm in luxemburgischer Sprache und dann ein ebensolches Fernsehangebot eingeführt wurden, waren alle zufrieden. Endlich hatte das L in RTL seine wirkliche Verankerung gefunden, denn bis dato waren alle Sendungen in französischer, englischer oder deutscher Sprache ausgestrahlt worden. Als dann in den 1980er Jahren in Luxemburg die sogenannten Piratensender in Form bescheidener Lokalradios entstanden, während überall in Europa kommerzielle Sender lokal, regional und national zugelassen wurden, war sämtlichen Beteiligten klar, dass das sorgsam beschützte Sendemonopol der CLT-Ufa nicht länger zu halten war. Dennoch muss aus der Rückschau überraschen, wie oberflächlich die Umgestaltung der einheimischen Medienlandschaft im Zuge der Verabschiedung des Mediengesetzes von 1991 angegangen wurde.
Gewiss, das Monopol der CLT-Ufa war gefallen, dafür gab es nun vier Regional- und ein Dutzend Lokalradios, doch sie alle kämpften mit ihrer Reichweite und bald schon mit den (zu) geringen Werbeeinnahmen. Außerdem startete ein soziokulturelles Experiment, das als sozialistisches Gegengewicht zum CSV-nahen Wort und der DP-geneigten CLT-Ufa entstanden war – allerdings ohne die nötigen Finanzmittel und die technische Reichweite. Außerdem war de soziokulturelle Radio eher als Staatsfunk aufgestellt denn als öffentlich-rechtliche Anstalt. Und es war außerdem bei manchen Politikern so unbeliebt, dass die liberale (!) Abgeordnete Anne Brasseur 1996 in einem Gesetzentwurf seine unverzügliche Abschaffung forderte. Ganz abgesehen davon, dass das Programm erst am Nachmittag zu hören war, weil RTL Radio Lëtzebuerg die Frequenz zur besten Sendezeit am Morgen in Piratenmanier und mit regierungsamtlichem Segen gekapert hatte. Und mit dem täglichen Fernsehprogramm wurde selbstverständlich die CLT-Ufa betraut; auf die Idee, über eine service-public-Lösung nachzudenken, kam niemand – auch nicht die wenigen Medienpolitiker, die es damals zumindest in den drei großen Parteien noch gab.
Ein eigenständiges Gesetz für den service public
Endlich gab es täglich Fernsehnachrichten, die sich mit dem Geschehen in Luxemburg beschäftigten. Das war’s dann auch schon. Wer damals ein Polit- oder ein Kulturmagazin, ein Sportereignis live, einen Film oder eine Serie, eine Kinder- oder Bildungssendung sehen wollte, musste weiterhin auf ausländische Anbieter ausweichen, öffentlich-rechtliche oder kommerzielle. Im Grunde haben wir all die Jahre vor 1991 (und vermutlich auch danach) niemals über das vergleichsweise schwache Angebot von RTL Télé Lëtzebuerg (nicht im qualitativen Sinne, sondern in seiner mangelnden Vielfalt) geklagt, weil wir ARD, TF1 und RTB-F hatten, um unsere Bedürfnisse nach Information, Kultur und Unterhaltung zu befriedigen, wie es dem idealen Dreigestirn seit den Tagen des BBC-Gründers John Reith entspricht. Jetzt, da eine Novellierung des aus der Zeit gefallenen Mediengesetzes ansteht, wäre es wirklich ein Akt des Durchlüftens, nicht nur den völlig veralteten Text an die überarbeitete EU-Richtlinie über die audiovisuellen Mediendienste anzupassen (die im Prinzip bis September 2020 in nationales Recht überführt sein muss), sondern grundsätzlich über die (Neu-)Gestaltung der einheimischen Medienlandschaft nachzudenken. Aber mit dieser Regierung und insbesondere diesem Medienminister, der sich ansonsten gerne als Anwalt grundlegender gesellschaftspolitischer Themen geriert, darf man keine allzu großen Erwartungen hegen.
Man müsste dann beispielsweise darüber nachdenken, warum man einer Aktiengesellschaft, die inzwischen in Luxemburg mehr als Immobilienholding auftritt denn als Rundfunkveranstalter, bis zu zehn Millionen Euro im Jahr geben will, um ein Programm zu machen, das keinerlei Aufsicht unterliegt, was die sogenannten service-public-Aufgaben angeht (ein internes Comité éthique sowie eine beratende, von der Regierung berufene Commission de suivi de la Convention sind, in ihrer aktuellen Ausgestaltung, bestenfalls als Alibiveranstaltungen zu betrachten). Mehr als der zaghafte Ansatz einer besseren governance bei radio 100,7 wird nach der Parlamentsdebatte nicht herauskommen, so meine Befürchtung. Die Einführung eines wahrhaftigen Systems öffentlich-rechtlichen Rundfunks nach ausländischem Vorbild wäre eine gesellschaftspolitische Wende in diesem Lande von größerer Bedeutung als die Einführung der Ehe für alle oder der staatlichen Zahlungsaufkündigung der Pfarrersgehälter. Es wäre ein Einschnitt vom Ausmaß der Einführung der Verwaltungsgerichtbarkeit, die den Staat zwang, mit seiner Klientelpraxis aufzuhören und nach Regeln von Transparenz, Rechenschaftspflicht und Exzellenz zu arbeiten.
In diesem Sinne braucht Luxemburg ein eigenes Gesetz, das den Rahmen für Public Service Broadcasting setzt; das gegenwärtige ist allzu sehr auf kommerzielle Angebote ausgerichtet und wird dem PSB-Gedanken nicht gerecht. Damit kein Missverständnis entsteht: Hier wird nicht der Abschaffung der RTL-Aktivitäten das Wort geredet oder des Kommerzfunks ganz allgemein, hier geht es um die Schaffung der Grundlagen für ein duales Rundfunksystem im Großherzogtum, d. h. eines werbe- und/oder abofinanzierten Angebots einerseits und der Grundversorgung durch ein öffentlich ausgestattetes Programm andererseits. Beide Organisationsformen haben ihre Berechtigung, aber sie verfolgen grundsätzlich verschiedene Ziele: Kommerzielle Kanäle haben vornehmlich den Verbraucher vor Augen, sind demnach ausgerichtet auf die konsumfreudige Altersgruppe der 14- bis 49-Jährigen oder auf die „ménagère de moins de 50 ans“ (wie es 1989 hieß) bzw. den oder die „responsable des achats“ (seit 2017); PSB-Veranstalter hingegen sind in erster Linie am Bürger interessiert, wollen ihm Orientierung bieten im Prozess der politischen Willens- und Meinungsbildung. Beides in einem einzigen Angebot zu bündeln gelingt nur in sehr seltenen Fällen, und falls doch, unterliegen diese Sender strengen öffentlich-rechtlichen Auflagen und Kontrollen (etwa bei ITV und Channel 4 in Großbritannien).
In Luxemburg dagegen weigerte sich RTL Télé Lëtzebuerg letztes Jahr trotz vertraglich geregelter service-public-Auflagen zunächst, im Rahmen der Europawahlen parteipolitische Werbespots auszustrahlen, die auf Französisch gehalten waren, weil es so in seinen Allgemeinen Geschäftsbedingungen für kommerzielle Anzeigen steht. Erst nach massivem Einspruch der Medienaufsichtsbehörde ALIA und mit Unterstützung der wahlkämpfenden Parteien war der Sender bereit nachzugeben. Dabei fallen die Sendespots nicht unter seine redaktionelle Verantwortung (sondern die der Regierung und explizit in den Rahmen der sogenannten missions de service public), gehört Französisch zu den offiziellen Sprachen des Landes und konnten auch Nicht-Luxemburger an die Urnen gehen. Nebenbei bemerkt: Wer im Replay die politischen Spots sehen wollte, musste sich zunächst einige Sekunden lang Werbung anschauen – natürlich auf Französisch.
Public Service Broadcasting auf Luxemburgisch
Vermutlich weiß das einheimische Publikum nicht, was PSB auf Luxemburgisch bedeuten könnte. Wir gehen davon aus, es sei ein Programm, wie es uns RTL Télé Lëtzebuerg täglich anbietet; ist es aber eigentlich nicht. Dieses Programm ist um Werbung herum aufgebaut, worauf schon vor über 30 Jahren Guy Felten, der Gründer von Radio Organique, hingewiesen hatte: „RTL macht Hörfunk, um Werbung machen zu können; wir machen Werbung, um Hörfunk machen zu können.“1 Es ist auch nicht sonderlich überraschend, wenn wir (als Gesellschaft) uns in diesen disruptiven, neoliberalen Zeiten schwertun, dem kommerziellen Medienangebot ein kritisches, politisch und wirtschaftlich unabhängiges Programm entgegenzustellen. Im Medienbereich hat Luxemburg leider keine starken öffentlichen Institutionen und keine Konkurrenzunternehmen, die um die Aufmerksamkeit des Publikums buhlen (wie im Telekom- oder Strombereich) – nur eben einen übermächtigen internationalen Konzern mit einem winzigen Landesfenster. Alles, was mit einem öffentlich-rechtlichen Angebot in Verbindung gebracht werden könnte, wird in der Öffentlichkeit als überflüssig angesehen oder irgendwie als Staatsfunk, und in einen solchen scheint der Luxemburger kein rechtes Vertrauen zu haben – schon bemerkenswert bei der gegebenen Staatsbeamtendichte.
Ein PSB-Programm gehört den Bürgern, die es finanzieren; es darf weder im Ruf stehen, der werbetreibenden Wirtschaft gefällig sein zu wollen, noch von der Regierung in irgendeiner Weise beeinflusst zu werden. Oberstes Gebot ist die Staatsferne. Das lässt sich sehr eindrücklich am deutschen Beispiel ablesen. In jeder der drei westlichen Besatzungszonen entstanden nach dem Zweiten Weltkrieg öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten nach dem jeweiligen Vorbild der drei Alliierten. Obwohl der Rundfunk in den USA, Großbritannien und Frankreich strukturell unterschiedlich organisiert ist und diese Unterschiede im Aufbau der deutschen Verwaltungsstrukturen und Aufsichtsgremien mal mehr, mal weniger deutlich zutage treten, waren sich die genannten Siegermächte zumindest in einem Punkt einig: weder die Bundes- noch die Länderregierungen dürften sich in die Geschicke der Sender und ihrer Programme einmischen.
Wenn man radio 100,7 als eine Anstalt betrachtet, die hierzulande dem Programmziel eines PSB am nächsten kommt, ohne ausdrücklich eine zu sein, dann ist das absolute Kriterium der Staatsferne nicht gegeben. Die Vertreter im Verwaltungsrat (und der Posten des commissaire de gouvernement) werden sämtlich vom Medienminister bzw. der Regierung bestimmt, und wenn dann der damalige Präsident des Senders ungeniert behauptet, er sei der „Vertrauensmann des Premiers“, dann ist es mit der Staatsferne nicht sehr weit her. Vor allem, wenn ein auf diese Weise zusammengesetzter Verwaltungsrat den Direktor bestimmt. In den künftigen gesetzlichen Bestimmungen zum PSB muss klar geregelt sein, dass der Direktor der uneingeschränkte Anstaltschef ist. Während seiner Mandatszeit trifft er sämtliche Entscheidungen im Alltagsgeschäft im Rahmen einer ein- oder mehrjährigen Strategie, die der Verwaltungsrat zuvor gutgeheißen hat. Letztlich ist er auch für sämtliche Programmentscheidungen verantwortlich. Wiewohl Programmdirektor und Chefredakteur autonom, d. h. ohne Eingriffe von außen, arbeiten können müssen, hat der Direktor das letzte Wort in allen Angelegenheiten. Allerdings sollte der Entscheidungsfindungsprozess möglichst von unten nach oben gehen, d. h. der Reporter geht im Zweifelsfall mit seinem Problem zu seinem Redakteur, der gegebenenfalls eine Begutachtung durch den Chefredakteur erbittet, bevor dieser die Causa im Zweifelsfall dem Direktor vorlegt. Solche Fälle dürften allerdings nur höchst selten auftreten (die Chamber-Leaks würden möglicherweise in diese Kategorie fallen).
Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang die Handhabung der PSB-Auflagen bei RTL Télé Lëtzebuerg. Staatsfern ist die CLT-Ufa als Betreibergesellschaft auch nicht, wenn man die Fakten zuspitzt. Auch wenn wir einen ungemein RTL-affinen Medienminister haben, bestimmt nicht er, wer im Verwaltungsrat der Aktiengesellschaft CLT-Ufa sitzt. Gleichwohl sind die Fraktionschefs der drei Parteien, die bis 2013 das Schicksal des Landes bestimmt haben, d. h. CSV, LSAP und DP, qua Amt im Verwaltungsrat vertreten. Und es gibt einen commissaire de gouvernement, der die Interessen des Staates vertreten soll, da das Unternehmen eine souveräne Ressource in Form von Rundfunkfrequenzen nutzt. Als Regierungsvertreter kann dieser – zur Wahrung der Staatsferne – selbstredend nicht über die Einhaltung der PSB-Auflagen wachen.
Problematisch ist allerdings, dass im Grunde bislang, d. h. in den letzten 30 Jahren, niemand ein Auge auf diesen Aspekt des Lastenhefts gerichtet hat. Zumindest ist mir kein Jahres- oder sonstiger Bericht bekannt, der sich mit den PSB-Auflagen von RTL Télé Lëtzebuerg je beschäftigt hätte im Sinne einer eingehenden Analyse und einer Bewertung, inwiefern die Anforderungen erfüllt wurden. Auch ist die CLT-Ufa nicht dazu verpflichtet, selbst einen entsprechenden Bericht vorzulegen, um zu zeigen, auf welche Weise und in welchem Maße sie diesen Anforderungen begegnet. Was auch immer bei der anstehenden Diskussion im Parlament herauskommen wird, sollte man eine unabhängige Person oder Institution mit einer (jährlichen) Evaluierung beauftragen. Selbstverständlich kann man diese Aufsichtskompetenz an die bestehende Medienaufsicht abgeben, sofern man zuvor dafür sorgt, dass dort der Medienverstand einzieht…
Eine Rückkopplung in die Gesellschaft ist unverzichtbar
In einem Gesetz zu den service-public-Medien muss klar geregelt sein, welche der sogenannten gesellschaftlich relevanten Kräfte einen Vertreter in den Verwaltungsrat des öffentlich-rechtlichen Radios entsenden dürfen (bei den RTL-Programmen geht es ja nur um die Begleitung der inhaltlichen Auflagen, nicht um die Aufsicht des Unternehmens als solches). Das können Gewerkschaften sein, Wirtschaftsverbände, Religionsgemeinschaften, Kultureinrichtungen und gemeinnützige Vereine bzw. NGOs, die in der Zivilgesellschaft in allen erdenklichen Bereichen aktiv sind, selbst politische Parteien kommen in Frage. Neben der Wahl des Direktors wachen sie darüber, dass die Programm- und sonstigen Richtlinien (beispielsweise zur Diversität oder zum Sprachenregime) eingehalten werden (für die gesetzlich festgelegten Bestimmungen wie Jugendschutz, Diskriminierungsformen oder gegebenenfalls Werbung oder Sponsoring bleibt nach wie vor die ALIA zuständig). Damit ist gewährleistet, dass es eine Rückkopplung des öffentlich-rechtlichen Radios in die Gesellschaft gibt – anders als derzeit bei der CLT-Ufa, die den Bürgern keinerlei Rechenschaft schuldig ist, obwohl ihr Programm ab nächstem Jahr großzügig aus dem Steueraufkommen finanziert werden soll.
Für die Aufsicht des Etablissement de radiodiffusion socioculturelle (ERSL) bieten sich zwei Modelle an. Das zweistufige Modell sieht ein vielleicht 30-köpfiges Gremium vor, das sich mit Programmfragen beschäftigt – der sogenannte Programmrat; aus seiner Mitte würden die Vertreter der forces vives de la nation acht oder zehn Mitglieder auswählen, die den Verwaltungsrat ausmachen und sich vornehmlich mit Haushalts-, Personal- und anderen verwaltungstechnischen Fragen beschäftigen. Diese Organisation ist vergleichsweise schwerfällig, gerade in einem kleinen Land wie Luxemburg. Insofern wäre das einstufige Modell mit einem einzelnen Kontrollgremium für Programm und Verwaltung wahrscheinlich die geeignetere Option, vorausgesetzt, im schlankeren Gremium von vielleicht zehn Personen ist die fachliche Kompetenz der Mitglieder abgesichert, was in Luxemburg nicht unbedingt ausgemacht ist, da selbst die Parteien inzwischen keine ausgewiesenen Medienpolitiker mehr in ihren Reihen haben, von anderen gesellschaftlich relevanten Kräften ganz zu schweigen (zum richtigen Verständnis: Wir reden an dieser Stelle nicht von Kommunikationsspezialisten, die um die Außenwirkung ihrer Instanzen bemüht sind). Auch lässt sich ins Auge fassen, sogenannte Hörerräte in das Aufsichtsgremium zu entsenden, sofern diese sich im Rahmen einer Ausschreibung für diese Aufgabe qualifiziert haben. Wie auch immer der Gesetzgeber sich entscheidet, es bleibt das Prinzip: Die Anstalt muss den Bürgern bzw. der Allgemeinheit Rechenschaft ablegen.
Grundsätzlich kommen drei Arten zur Finanzierung des Rundfunks in Frage: Einnahmen aus Werbung oder aus Gebühren (bzw. einem Haushaltsposten) oder eine Mischform. (Inzwischen gibt es eine vierte, die Boris Johnson wohl gerne in Großbritannien am Beispiel der Mutter aller PSB ausprobieren möchte: freiwillige Abos für die öffentlich-rechtliche BBC, quasi wie bei Netflix oder der Kirchensteuer.) Eine obligatorische Haushaltsabgabe wie in Deutschland oder Frankreich kommt für Luxemburg aus praktischen Gründen kaum in Frage: Wir haben keinerlei Erfahrung mit dem Eintreiben einer solchen Abgabe; für eine eigene Inkassogesellschaft wäre der bürokratische Aufwand unverhältnismäßig hoch, allenfalls ein Zuschlag auf der Stromrechnung wäre eine gangbare Alternative. Darüber hinaus wäre es den Luxemburgern, die 1973 von einer Geräteabgabe befreit wurden, kaum zu vermitteln, warum sie auf einmal für ihr Radio- oder Fernsehprogramm zahlen müssten, zumal die RTL-Angebote für den einheimischen Markt kommerziell ausgerichtet sind und auf Werbung als Finanzierungsquelle setzen.
Letztlich müssten die Bürger so oder so für den service public aufkommen, nur eben indirekt, wenn die Mittel aus dem Staatshaushalt abgezweigt würden. In diesem Falle müsste aber Sorge dafür getragen werden, dass das Jahresbudget für das öffentlich-rechtliche ERSL nicht nach Gutdünken der Regierung radikal gesenkt werden könnte, weil sie das Angebot von radio 100,7 aus irgendeinem Grund nicht länger hinreichend schätzte. Gegen einen solchen politischen Vertrauensverlust sind vorbeugende Schutzmaßnahmen vorzusehen, sei es über eine mehrjährige Haushaltsplanung oder, vorzugsweise, ein eingehegtes Budget. Von Werbeeinnahmen für radio 100,7 ist eher abzuraten (gleichwohl man Sponsoring nicht ausschließen sollte). Zum einen würde der ohnehin begrenzte Werbemarkt so nicht zusätzlich durch einen neuen, zugleich öffentlich finanzierten Player belastet, zum anderem stünde es der Unabhängigkeit des Programms gut an, wenn es nicht auf die werbetreibende Wirtschaft angewiesen wäre.
Qualitative Kriterien bestimmen die Höhe der PSB-Beihilfen
Komplexer wird es hingegen, wenn es um Beihilfen für Programme geht, die nicht in öffentlich-rechtlicher Trägerschaft entstehen, sondern die von einem kommerziellen Sender mit spezifischen service-public-Aufgaben verantwortet werden, wie im Falle von RTL Télé Lëtzebuerg. Solche Modelle gibt es, beispielsweise in Großbritannien mit Channel 4 und dem ITV-Verbund, oder auch in der Schweiz, wo kommerzielle Anbieter einen Teil der Gebühreneinnahmen erhalten können, wenn sie bestimmte, genau beschriebene Auflagen im Nachrichtenbereich erfüllen. Solches geht natürlich auch in Luxemburg. Allerdings müssen dazu erst einmal die Kriterien erfasst werden. Dazu reicht es nicht, wie es jetzt der Fall ist, allein die materielle Bereitstellung bestimmter Programmformen zu gewährleisten, etwa die Produktion einer täglichen Nachrichtensendung oder eines wöchentlichen Kulturmagazins. (Warum, so ist zu fragen, soll alleine die CLT-Ufa darüber bestimmen können, wie eine solche Kultursendung beschaffen ist und nicht diejenigen, die für das Programm aufkommen, d. h. die Bürger und Steuerzahler?) Wie soll eine Audit-Gesellschaft die Einhaltung der Kriterien überprüfen und einen Bericht verfassen, wenn sie über keinerlei qualitative Ansatzpunkte verfügt? Das Schweizer Beispiel zeigt, dass ein Audit zur Feststellung, inwieweit die PSB-Maßgaben eingehalten wurden, nicht ohne erheblichen methodologischen Aufwand zu haben ist; es bedurfte dazu einer internationalen Ausschreibung. Vom Bericht des Auditbüros würde es künftig in Luxemburg abhängen, in welchem Umfang die Mittel für PSB-Aufgaben an die CLT-Ufa ausgezahlt werden (und nicht vom Ausmaß des Produktionsdefizits des Programms).
In Luxemburg kommt eine weitere Schwierigkeit hinzu: Wie soll man herauszufinden, welche Leistungen RTL Télé Lëtzebuerg, also das Fernsehprogramm, dem Staat in Rechnung stellen darf angesichts einer Gesamtredaktion, die Mitarbeiter von Fernsehen, Radio und Website vereint und die auf diese Weise nicht nur im Rahmen der PSB-Aufgaben für das TV-Angebot aktiv sind? Es ist all das sehr verzwickt, und wenn es nicht wieder in einer Lösung à la luxembourgeoise enden soll, muss viel geschehen. Die sauberste und eindeutigste Option (aber unter den derzeitigen Bedingungen wohl auch die unrealistischste) wäre die sofortige Gründung eines von der CLT-Ufa unabhängigen öffentlich-rechtlichen TV-Kanals (wobei die CLT-Ufa weiter technischer Dienstleister bleiben könnte, so wie es zu den Anfangszeiten des soziokulturellen Radios schon einmal der Fall war). Dadurch könnte die CLT-Ufa das TV-Programm, das Miese schreibt, abstoßen (so wie einst das sinfonische Radioorchester), und wir könnten die öffentlichen Mittel von zehn Millionen Euro jährlich für einen eigenständigen PSB-Kanal einsetzen.
Ob nach 2030, wenn die Konvention über die Nutzung der Luxemburger Frequenzen endet, überhaupt noch ein großes publizistisches Interesse an einem solchen Angebot besteht, kann bezweifelt werden. Schon jetzt steht die RTL Group im Begriff, einen Großteil ihrer lokalen Kräfte ins Ausland abzuziehen. Ein luxemburgisches Programm allein lohnt die Aufrechterhaltung eines Sendezentrums auf Kirchberg ganz sicher nicht; da lässt sich als Immobilienholding mehr Geld verdienen. Dazu wird es natürlich nicht kommen, wir werden wie immer eine Lösung à la luxembourgeoise finden, die darin kulminiert, dass RTL Télé Lëtzebuerg zu einem vollwertigen PSB-Kanal umetikettiert wird, damit es staatliche Beihilfen erhalten kann, ohne gleich den Ärger der EU-Kommission auf diesem heiklen Gebiet zu erregen.
Wieviel Quote braucht der service public, um relevant zu sein?
Welche Kriterien sollte ein öffentlich-rechtlicher Kanal also erfüllen, um seinem Anspruch gerecht zu werden? Nach wie vor gilt eine Mischung aus Information, Bildung und Unterhaltung, die John Reith anlässlich der Gründung der BBC allen nachfolgenden PSB-Programmen als Ziel mit auf den Weg gab. Heute stellt sich zudem die Frage nach der public value des Angebots. Damit gemeint ist im weitesten Sinn eine Qualitätssicherung im Interesse des Gemeinwohls. Dazu zählt die Relevanz des Programms: Wie sehr würden Sie als Hörer sein Verschwinden bedauern? Dazu zählt seine Zuverlässigkeit: Vertrauen Sie diesem Programm, wenn Sie sich über den aktuellen Stand der Corona-Pandemie informieren möchten? Dazu zählt seine Anschlussfähigkeit: Trägt das Programm zur gesellschaftlichen Kohäsion bei? Sind die Themen so ausgewählt und aufbereitet, dass die Bürger sie für ihren eigenen Erfahrungszusammenhang aufgreifen können? Dazu zählt seine Unabhängigkeit: was keineswegs gleichzusetzen ist mit Narrenfreiheit, PSB-Angebote sind stets durch ihr hohes Verantwortungsbewusstsein geprägt – was sie, zugegeben, manchmal dröge aussehen lässt. Dazu zählt seine Qualität: Nimmt es den Bürger ernst als Medienverbraucher mit seinen jeweiligen Ansprüchen und sieht ihn nicht bloß als Fisch, der sich auf jeden Wurm stürzt, den man ihm hinhält, um RTL-Gründer Helmut Thoma zu paraphrasieren? Dazu zählt seine thematische Vielfalt und kulturelle Diversität: Wo machen Sie regelmäßig Entdeckungen über Menschen und Vorkommnisse, die Sie so nicht kannten? Die Aufzählung könnte man verlängern, aber die Stoßrichtung ist klar. Wenn ein öffentlich-rechtliches Programm nicht einen Großteil dieser Erwartungen erfüllt, spätestens dann sollte man über seine Daseinsberechtigung intensiv nachdenken.
Wenngleich John Reith das Dreigestirn vorgab, das inzwischen um das Konzept des public value ergänzt wurde, die Frage nach der Quote stellte er dabei nicht (vermutlich, weil er sich damals nicht um die Konkurrenz sorgen musste). Also: Welchen Prozentsatz des potenziellen Publikums muss ein Kanal erreichen, um relevant zu sein? Vielleicht ist das die falsche Frage in Zeiten, in denen selbst kommerzielle Nischenprogramme Gewinne abwerfen. Allerdings wenden sich kommerzielle Programme in erster Linie, so will es ihre wirtschaftliche Logik, an die Verbraucher, öffentlich-rechtliche Angebote dagegen, so will es ihre Aufgabenstellung, zunächst an den Bürger. In diesem Sinne spielt die Quote allenfalls eine nachgeordnete Rolle.
Selbstverständlich muss ein PSB-Programm die Bürger erreichen, damit es sie im Rahmen des politischen Willens- und Meinungsbildungsprozesses informieren kann. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Was hilft es, wenn ich die Menschen erreiche, und ich nutze diese Popularität nicht, um sie mit relevantem Material zu versorgen im Rahmen des genannten Prozesses? Insofern müssen wir als Gesellschaft Erwartungen formulieren, wie unser service public aussehen soll und uns (möglicherweise) nicht mit dem zufrieden geben, was die CLT-Ufa uns als Umsetzung ihrer öffentlich-rechtlichen Auflagen vorsetzt – ohne uns nach unserer Meinung zu fragen (was keine Frage der Quote ist, um dem offensichtlichen Gegenargument den Wind aus den Segeln zu nehmen). Was erwarten wir also? Ganz sicher kein werbekonformes Programm und keinen Verlautbarungsjournalismus. Über den Rest können wir reden, am besten in einer breitangelegten öffentlichen Debatte, nicht nur im Parlament. Da lass!
Zit. n. Romain A. Kohn, „Die Piraten sind müde geworden – Freie Radios in Luxemburg Juli 1981-Juli 1986“, in: Lëtzebuerger Almanach ’87, Luxemburg, Guy Binsfeld, o. J., S. 444-454, 449.
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