Nie gab es einen solchen Informationsfluss wie heute. Nie war es leichter, an Informationen und Nachrichten zu gelangen als im Zeitalter des digitalen Austauschs. Und dennoch beschleicht viele das Gefühl, dass unsichtbare Dinge und Machenschaften sich im Vorborgenen abspielen und ihnen etwas entgehen würde.

Die Wahrheit lässt sich für viele jedenfalls nicht mehr in der gedruckten Presse finden. Seit einiger Zeit haben Begriffe wie Lügenpresse, System- oder Mainstreammedien Konjunktur. Sie drücken das Misstrauen aus, das Menschen aus allen Schichten gegen die offiziellen Darstellungen hegen. Klassische Medien müssen zunehmend feststellen, dass sie die Deutungshoheit verlieren, da jeder Einzelne im Netz zum Publizisten mutiert.

Auch in Luxemburg ist dieses Phänomen des Misstrauens erkennbar. Für viele beruht der Machtwechsel im Oktober 2013 auf einer großen Gambia-Verschwörung gegen Jean-Claude Juncker und die CSV. Auch hält sich hartnäckig das Gerücht, dass das Referendum auf einer „hidden agenda“ der wirtschaftlichen, politischen und intellektuellen Eliten dieses Landes beruhe, um das Luxemburger Beamtentum zu hintergehen. Zum Glück haben 80% der Luxemburger diese geheime Verschwörung durchschaut … „Wäre es da nicht doch einfacher, die Regierung löste das Volk auf und wählte ein anderes?“,
schlug bereits Bertolt Brecht in seinem Gedicht Die Lösung von 1953 vor. Die rechte Szene nutzt und schürt dieses Misstrauen in die Politik und die Medien für ihre politischen Zwecke, indem sie Gerüchte und Verschwörungstheorien auf Facebook verbreitet, wie Maxime Weber ab S. 39 analysiert.
Verschwörungstheorien sind jedoch mitnichten ein Produkt digitaler Zeiten. Die Vorstellung, dass nichts zufällig passiert, sondern hinter allem ein Masterplan steckt, beflügelt seit jeher die Phantasie der Menschen. Am Ende beruht alles auf der Intention eines Puppenspielers, der hinter verschlossener Tür die Fäden zieht, oder — wie auf unserem Cover — das Weltgeschehen gemeinsam mit seiner Katze lenkt.

Den Zufall als Erklärung zu akzeptieren, fällt den nach Logik suchenden Menschen nicht leicht. Calvinisten erklärten sich den Lauf der Welt in ihrer Prädestina-
tionslehre als göttlichen Heilsplan, bei dem der Schöpfer alles bereits geplant hat. Albert Einstein konnte sich nie mit den zufälligen Bedingungen der Quantenphysik abfinden. Dass auf kleinster Ebene keine klaren Gesetzmäßigkeiten herrschen, sondern Dinge rein zufällig passieren, habe den Physiker zutiefst verstört: „Gott würfelt nicht!“, soll er Niels Bohr, dem Begründer der Quantenphysik, entgegnet haben. Bob Reuter erklärt ab
S. 35 auf der Grundlage der Evolutionspsychologie, warum wir alle von Geburt an Verschwörungstheoretiker sind.

Die Luxemburger sind auch hier keine Ausnahme: In einer Reihe von kleinen Beiträgen versuchen wir exemplarisch einige der spannendsten Verschwörungstheorien der Geschichte Luxemburgs vorzustellen. Von den geheimen Machenschaften des Hofs bis zur Stay-Behind-
Piste in der Bommeleeër-Affäre präsentieren wir einige der heißesten Eisen Luxemburgs. Die Liste ließe sich natürlich beliebig erweitern und wir freuen uns über jeden Kommentar …

Warum sich auch die Justiz mit Gerüchten und Verschwörungstheorien beschäftigen muss, erklärt uns der scheidende Generalstaatsanwalt Rober Biever ab S. 32.

Oliver Kohns nähert sich dem Phänomen der Konspiration von theoretischer Ebene und analysiert das produktive Moment von Verschwörungstheorien auf unser Denken — ein Plädoyer für den Zweifel. Der französische Soziologe Pascal Froissart (im Interview ab S. 29) sieht dagegen Gerüchte und urban legends als unvermeidbare Begleiterscheinung der allgegenwärtigen Informationen. Er und Bob Reuter erklären, dass wir Gerüchte und Verschwörungstheorien lieben, weil die immer wiederkehrenden Motive von Sex, Macht und Habgier uns so faszinieren.

Pol Schock

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