Irgendwo auf der Welt…

Ein Blick auf die Glückserwartungen der „Jugend von heute“

…gibt’s ein kleines bisschen Glück – und ich träum davon in jedem Augenblick! Das Lied von Heymann und Gilbert, 1932 für den UFA-Tonfilm Ein blonder Traum von Lilian Harvey eingesungen, wurde über Nacht berühmt. Der Text traf mit seiner Mischung aus Sehnsucht und Bescheidenheit offenbar bei vielen Menschen einen Nerv, und das tut er auch heute noch.

Die Frage nach dem gelingenden Weg zum Lebensglück bewegt ohnehin so ziemlich jeden Menschen, der sich irgendwo auf dem Weg zwischen pubertärem Leichtsinn und erwachsener Gelassenheit befindet. Der Adoleszenz wohnt seit jeher die Frage inne, ob und wie man sich (s)einen Anteil am ganzen Glück dieser Welt wohl sichern kann.

Während sich die Frage nach dem ob immerhin mit dem Prinzip Hoffnung beantworten lässt, bleibt die Frage nach dem wie weithin ungeklärt. Eine Frage, die mit jeder neuen Generation auch in der Jugendliteratur immer wieder neu ihren Niederschlag findet. Die Abenteurer Tom Sawyer und Huck Finn erhoffen sich ein glückliches Leben als Piraten auf dem Mississippi. Der Schulversager Holden Caulfield träumt davon, Kinder vor dem Sturz in den Abgrund zu bewahren. Der gescheiterte Künstler Edgar Wibeau sehnt sich in einer verlassenen Gartenlaube vergeblich nach seiner großen Liebe Charly, und die beiden Außenseiter Maik Klingenberg und Andrej „Tschick“ Tschichatschow erhoffen sich ihr Quantum Glück von einem Trip in die ferne Walachei, unterwegs mit einem gestohlenen Lada Niva.

Geschichten, in denen sich Momentaufnahmen jugendlicher Glücksvorstellungen herauskristallisieren. Die zu ihrer Zeit dringend erzählt werden mussten. Die den Nerv ihrer jeweiligen Generation getroffen haben.

Aber was erhoffen sich Jugendliche und junge Erwachsene denn heute, im Jahr 2019, von ihrem „bisschen Glück“? Ist es ein Traum von Haus, Arbeit und Boot? Von Bedeutung, Macht und Karriere? Es scheint, als ob mit der Generation der heutigen Jugendlichen und jungen Erwachsenen ein deutlicher Umbruch im Wertegefüge stattgefunden hat. Das Streben nach Erfolg, Immobilien und Statussymbolen steht bei weitem nicht mehr so im Vordergrund, wie das für vorherige Generationen der Fall war.

Am Beispiel der Erwerbstätigkeit wird das besonders deutlich. Die von beruflichen und sozialen Abstiegsängsten geplagten Generationen vergangener Jahrzehnte haben eine steile Karriere mit hohem Einkommen und Jobsicherheit an erste Stelle gesetzt. Ein klassisch hierarchisch geprägtes Arbeitsumfeld war dafür immer conditio sine qua non. Denn nur in steilen Hierarchiegefügen und starren Arbeitsmodellen schienen vorgegebene Karrierewege und Aufstieg möglich zu sein.

Der luxemburgische Jugendbericht von 2015 beschreibt gut, dass die Erwerbstätigkeit vor allem nach wie vor die finanzielle Unabhängigkeit vom Elternhaus ermöglichen soll. Vorstellungen von Glück werden dabei immer noch sehr konservativ benannt: trotz der hohen Geschwindigkeit gesellschaftlicher Veränderung sind es immer wieder ganz klassische, geradezu konservative Wünsche nach Familie, Heirat, Haus und Kindern, die in den Befragungen genannt werden. Oder vielleicht gerade deswegen?

Jugendliche und junge Erwachsene streben heute in der Regel eine akademische Laufbahn an, weil sie sich davon die größten Freiheiten im späteren Berufs­leben erwarten. Sie haben den Blick über den Tellerrand (sowie alles das, was sich dahinter finden lässt) längst in ihr Weltbild integriert, möchten selbst denken und eigenständig handeln. Sie fühlen sich deutlich wohler in flachen Hierarchien, und Glücksgefühl in der Arbeitswelt wird definiert über ein sehr hohes Maß an Selbstbestimmung.
Daran hat die digitalisierte Welt einen erheblichen Anteil. Jugendliche wachsen seit zehn Jahren mit hochpotenten mobilen Geräten auf, durch die Kommunikationsstrukturen, Orte sozialen Austauschs sowie Produktionsmittel vollständig neu definiert wurden. Die digitale Prägung dieser Generation verursacht von vorn­herein ein völlig anderes Verständnis von einer glücklichen und erfüllenden Erwerbstätigkeit, und auch die Regeln des sozialen Miteinander haben sich fundamental verändert.

Dieses Erleben des Flexiblen und Mobilen verlangt geradezu nach einer zunehmenden Parallelität sämtlicher Lebensbereiche. Arbeiten im mobilen Büro sowie flexible Arbeitszeiten werden in der Perspektive von Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu einer Selbstverständlichkeit, die eine ausgeglichene Work-Life-Balance erst möglich macht. In ihrer Vorstellung findet Arbeitsleben in den Zeitfenstern statt, in denen es gerade gut passt; an einem Ort, der gerade zur Verfügung steht; und mit dem Arbeitsgerät, das momentan vorhanden ist. Privatleben dann übrigens auch.

Die digitalisierte Gesellschaft bietet hierzu unzählige Möglichkeiten. Mit einem ideologisch unverbauten Blick auf heutige Möglichkeiten ist es nicht nachvollziehbar, warum Leistung durch Anwesenheit im Büro definiert werden sollte und wieso sich Berufs- und Privatleben nicht mit einem hohen Maß an Flexibilität miteinander vereinbaren lassen sollten.

Auch die Frage nach der Verdiensthöhe wird von vorneherein ganz anders bewertet, als das traditionell der Fall war. Das eigene Einkommen spielt in Luxemburg nach wie vor eine wichtige Rolle – wie sollte es auch anders sein, wo das Preisniveau auf dem heimischen Wohnungsmarkt kaum Grenzen kennt und auch die sonstigen Lebenshaltungskosten vergleichsweise hoch sind. Dennoch hat sich hier etwas Wichtiges verschoben: hohes Einkommen wird von sehr vielen jungen Erwachsenen nicht mehr als Selbstzweck, sondern eher als Mittel zum Zweck betrachtet.

Auch die Inhalte der Arbeit sind hierbei wichtige Glücksbringer. Langweilige repetitive Routinejobs am Fließband oder in der Sachbearbeitung, die bereits jetzt durch Industrieroboter und künstliche Intelligenz erledigt werden können, sind nicht mehr gefragt. Warum auch? Sie waren nie Auslöser von Glücksgefühlen, eher unvermeidliche Rahmenbedingungen der ersten bis dritten industriellen Revolution. Das interessiert einen Jugendlichen von heute aber nicht. Wenn sich mehr als die Hälfte des Tages um beruf­liche Beschäftigung dreht, sollte sie Freude bereiten, Abwechslung bieten und einen Sinn entfalten.

Überhaupt, die Sinnfrage! Glück ohne Sinn charakterisiert eine flache und ichbezogene Vorstellung, in der Bedürfnisse und Wünsche leicht befriedigt und Anstrengungen vermieden werden können.

Quer durch alle Milieus beschreibt die aktuelle Shell-Jugendstudie 2019 eine Reihe von sinnstiftenden Elementen, die den Jugendlichen wichtig sind. Dazu gehört selbstverständlich die zunehmende Sorge um die ökologische Zukunft, daneben aber auch ein nachweislicher Trend zu gegenseitigem Respekt und einer Achtsamkeit in der eigenen Lebensführung. Darüber hinaus ein starker Sinn für Gerechtigkeit sowie ein wachsender Drang, sich für alle diese Belange aktiv einzubringen.

Dieser zunehmende Drang, sich für die eigenen Belange einzubringen, wird sicherlich ein wertvoller Schlüssel sein, die Verbindung von Sinn und Glück zu erleben. Dieser Drang wird sicherlich durch eine weiter zunehmende Politisierung der Jugend kanalisiert werden. Umwelt und Klimaschutz sind in den Fokus persönlicher Betroffenheit gerückt und haben die Sorge um die wirtschaftliche Lage abgelöst: Umweltverschmutzung, Angst vor Terroranschlägen und Klimawandel sind die Topthemen, die Jugendliche mit Blick auf Gegenwart und Zukunft benennen. Verbunden mit den Fragen nach bewusster Lebensführung und eigenem Gestaltungsanspruch.

Der Einblick in jugendliche Lebenswelten ist und bleibt spannend. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass der nächste noch zu schreibende Jugendliteraturklassiker eine politisierte Roadstory über Sinn, Bedeutung und Ohnmacht umweltpolitischen Engagements erzählen wird. Ausgang offen.

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