War der Zeitpunkt des 27. April 2020 bewusst so gewählt, dass die öffentliche Erregung sich in Grenzen halten würde? Man weiß es nicht. Tatsache ist, dass an jenem Frühlingstag, inmitten der alle Aufmerksamkeit monopolisierenden Coronakrise, eine Medienbombe platzte: Saint-Paul Luxembourg, Herausgeber des Luxemburger Wort, seit 172 Jahren publizistisches Flaggschiff der Katholischen Kirche im Großherzogtum, wechselt den Besitzer. Und das mit soliden Argumenten: Der belgische Mediahuis-Konzern, dem mehrere renommierte Zeitungen in Flandern, den Niederlanden und Irland gehören, ist sowohl finanziell als auch mit Blick auf dringend benötigtes digitales Know-how ein starker Partner für Saint-Paul. So weit, so verständlich.
Wird das Luxemburger Wort, wie jetzt verlautbart, seine ligne éditoriale, die sich „auf den Humanismus und die Grundwerte des Christentums, insbesondere die katholische Soziallehre“ beruft, auch in Zukunft beibehalten? Dass diese schöne Formel nicht zwingend gleichbedeutend ist mit der jahrzehntelang gültigen Charakterisierung als presse amie der Christlich-Sozialen Volkspartei, war in jüngerer Vergangenheit, zum Verdruss der CSV-Oberen, bereits überdeutlich geworden. Dass sie in absehbarer Zeit tröpfchenweise zu allgefälliger Beliebigkeit gerinnt, um am Ende ganz vom Mantel des Vergessens umhüllt zu werden, ist angesichts der rasanten Säkularisierung, die zuletzt auch Luxemburg – einschließlich der Redaktion seiner größten Tageszeitung – erfasst hat, eine nicht unrealistische Prognose.
An Mediahuis dürfte ein finaler Schritt der Abnabelung von der Catholica jedenfalls nicht scheitern, selbst wenn es im Pressekommuniqué zur Übernahme heißt: „Le groupe s’est pareillement engagé à maintenir la ligne éditoriale des médias du groupe luxembourgeois. Ces derniers, à leur tour, continueront de couvrir les sujets religieux et la communication de l’Eglise avec tout le professionnalisme.“ Doch diesen Satz kann man in zweierlei Richtung interpretieren. Am wenigsten wahrscheinlich ist die Deutung, wonach Mediahuis sich mit allen Kräften querlegen wird, käme man bei Saint-Paul irgendwann auf die Idee, die „Glaube & Leben“-Rubrik sterben zu lassen.
In Belgien und den Niederlanden, jenen mit uns so artverwandten Benelux-Ländern, gibt es beredte Beispiele dafür, wie alteingesessene katholische Tageszeitungen sich weltanschaulich gehäutet haben und trotzdem – oder vielleicht gerade deshalb? – bis heute nationale Referenzblätter geblieben sind. So war de Volkskrant aus Amsterdam bis Mitte der 1960er Jahre eine treue Stütze der Katholieke Volkspartij (KVP). Von 1919 bis 1968 gehörte sie der katholischen Gewerkschaftsbewegung. Nachdem sie 1965 den Untertitel „Katholiek Dagblad voor Nederland“ gestrichen hatte, machte de Volkskrant eine vollständige Metamorphose durch, wandelte sich vom medialen Abbild des niederländischen Milieukatholizismus zum Leib- und Magenblatt eines urbanen, links-progressiven und antiklerikalen Bildungsbürgertums.
Einer weniger radikalen, doch zeitlich abrupteren Säkularisierung unterzog sich die 1884 von der katholischen Verlegerfamilie Jourdain gegründete La Libre Belgique. Die Kursänderung erfolgte 1999, nachdem die belgischen Christdemokraten zum ersten Mal seit vierzig Jahren in die Opposition gewechselt waren. Bis dahin galt die Zeitung als unverrückbar papst-, königs- und regierungstreu. Aktuell versteht sie sich als Wortführer der frankophonen Interessen im belgischen Föderalstaat.
Auch beim flämischen De Standaard, dem Filetstück im Portfolio von Mediahuis, gab seit 1918 eine katholisch-konservative Linie den Ton an, während die christlich-soziale Arbeitnehmerschaft mit Het Volk (gegründet 1891, 2008 eingestellt) über eine separate Tageszeitung verfügte. Doch am 30. September 1999 ereignete sich Ungeheuerliches: De Standaard entfernte das altbackene Monogramm AVV-VVK (Alles voor Vlaanderen, Vlaanderen voor Kristus) aus dem Titelkopf. Kardinal Danneels war betrübt, erboste Abonnenten warfen dem Chefredakteur vor, er habe das heilige Ideal verraten. Einige Journalisten verließen das Blatt und lancierten erfolgreich die engagierte christliche Wochenzeitschrift Tertio.
Wird beim Luxemburger Wort demnächst also das Motto „Für Wahrheit und Recht“ verschwinden, weil in der liberalen Demokratie nicht die eine, sondern viele Wahrheiten und Rechtsauffassungen gleichwertig koexistieren? Man weiß es nicht. Tatsache ist, dass die einst glasklare Redaktionslinie mit Blick auf das „freie China“ (Taiwan, Hongkong), das sich stets auf den Sukkurs des LW gegen das kommunistische „Rotchina“ verlassen konnte, deutlich an Konturen eingebüßt hat. In Hongkong gehen Demokratie und Menschenrechte vor die Hunde, doch die Leitartikler bleiben stumm. Das ist traurig. Noch betrüblicher wäre es, hätte es etwas mit den Besitzverhältnissen bei der LW-Hausbank zu tun.
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