Klimawandel, Flucht und COVID-19

Teil 1: Ein Zusammenspiel verschiedener Krisen

Ioane Teitiota aus Kiribati beantragte 2013 Flüchtlingsstatus in Neuseeland mit der Begründung, dass der Klimawandel ihn gezwungen habe, sein Land zu verlassen. Er argumentierte, dass der steigende Meeresspiegel und das rasche Bevölkerungswachstum in Kiribati die Trinkwasserversorgung in einem Maße beeinträchtigt hätten, dass 60 % der Bevölkerung Frischwasser ausschließlich aus rationierten Vorräten beziehen können. Darüber hinaus hängt der Lebensunterhalt vieler Einwohner von der Subsistenzlandwirtschaft ab, die aufgrund der durch den steigenden Meeresspiegel verursachten Versalzung erheblich schwieriger geworden ist.1

2015 wurde Ioane Teitiotas Asylantrag in Neuseeland abgelehnt und er wurde mit seiner Frau und seinen Kindern in sein Heimatland Kiribati abgeschoben. Er reichte eine Beschwerde beim UN-Menschenrechtsausschuss ein und argumentierte, dass Neuseeland mit seiner Abschiebung sein Recht auf Leben verletzt habe. Im Januar 2020 erließ das UN-Menschenrechtskomitee (HRC) ein wegweisendes Urteil: Es erkannte erstmals an, dass die gewaltsame Rückkehr einer Person an einen Ort, an dem ihr Leben aufgrund der negativen Auswirkungen des Klimawandels gefährdet wäre, das Recht auf Leben, gemäß Art. 6 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (ICCPR), verletzt. Obwohl der Schutzanspruch von Herrn Teitiota abgelehnt wurde, da er nicht unmittelbar gefährdet sei, stellte der Ausschuss dennoch fest, dass Menschen, die vor den Auswirkungen des Klimawandels und Naturkatastrophen fliehen, nicht in ihr Herkunftsland zurückgeführt werden sollten, wenn wesentliche Menschenrechte bei der Rückkehr gefährdet sind.2

Was ist ein Klimaflüchtling?

Wie können Klimaflüchtlinge nachweisen, dass sie vor dem Klima fliehen? Wenn ihre Heimat dem steigenden Meeresspiegel zum Opfer fällt, mag es noch einfach sein. Doch wenn Ernten immer knapper werden, wie beweist man, dass dies unmittelbar mit dem Klimawandel zu tun hat? Migration entsteht durch ein Zusammenspiel von wirtschaftlichen, politischen, sozialen, kulturellen und eben auch ökologischen Faktoren. Entscheidend ist, wie verwundbar und schutzbedürftig die Menschen durch bzw. gegen Klimaveränderungen sind und wie gut sie sich an sie anpassen können.

Fast 80 Millionen Menschen – ein Prozent der Weltbevölkerung – waren Ende 2019 auf der Flucht.3 Davon flohen fast 46 Millionen innerhalb ihres eigenen Landes, und 40 % der Vertriebenen sind Kinder unter 18 Jahren.4 Das International Displacement Monitoring Center (IDMC) in Genf schätzt, dass 2018 weitere 19 Millionen Menschen wegen Wetterextremen, Stürmen und Überflutungen flüchten mussten. Wohingegen etwa 12 Millionen Menschen durch Konflikte vertrieben wurden.5

Die COVID-19-Pandemie verstärkt die Auswirkungen auf Vertriebene zusätzlich und trifft bestimmte Gruppen überproportional. Sie erhöht die Vulnerabilität jener Bevölkerungsgruppen, die in Regionen leben, die besonders von den negativen Auswirkungen des Klimawandels betroffen sind. Laut UNHCR stammten 2018 bereits 80 % aller Vertriebenen weltweit aus Ländern und Gebieten, die von akuter Ernährungsunsicherheit betroffen sind.6 Klimawandel und Ernährungsunsicherheit sind eng miteinander verknüpft. Der Weltklimarat betonte schon vor der COVID-19-Pandemie, dass die Migrations- und Flüchtlingsbewegungen im 21. Jahrhundert aufgrund des Klimawandels zunehmen werden. Schätzungen der Weltbank zufolge könnte es bis 2050 rund 140 Millionen Klimaflüchtlinge geben.7 Das war vor COVID-19. Während 135 Millionen Menschen bereits vor der Pandemie mit akuter Ernährungsunsicherheit konfrontiert waren, wird sich diese Zahl 2020 auf voraussichtlich 270 Millionen Menschen fast verdoppeln. Die Weltbank geht davon aus, dass die Zahl der Menschen, die in extremer Armut leben, zum ersten Mal seit 1990 wieder steigen wird.8

Die menschlichen Erfahrungen der durch Naturkatastrophen oder durch Konflikte Vertriebenen sind sehr ähnlich. Beide haben oft Familienmitglieder und ihren Besitz verloren und erleiden Traumata und Depressionen. Sie haben ähnliche Schutz- und Unterstützungsbedürfnisse. Sowohl bei Konflikten als auch bei Naturkatastrophen leiden gefährdete Gruppen stärker. Armut verschlimmert die Situation. Naturkatastrophen in ärmeren Ländern haben höhere Verluste zur Folge als Katastrophen ähnlichen Ausmaßes in reicheren Ländern. Die Chancen, Schutz zu erhalten und als Flüchtling anerkannt zu werden, sind für die davon betroffenen Personen bislang allerdings gering. Es existiert weder eine allgemein akzeptierte noch eine rechtliche Definition für Menschen, die infolge von schleichenden Umweltveränderungen oder plötzlich auftretenden Naturkatastrophen ihre Heimat verlassen müssen.

Welche Schutzinstrumente gibt es?

Weltweit wird die Mehrheit aller Asylanträge auf Grundlage der Genfer Flüchtlingskonvention entschieden, in der es ausschließlich um politische Verfolgung geht. Diese beruht auf fünf Kriterien: Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe oder politische Meinung. Es ist historisch bedingt, dass die Genfer Flüchtlingskonvention keinen Flüchtlingsstatus für Menschen vorsieht, die vor extremen Klimabedingungen oder vor Naturkatastrophen fliehen. 1951 war Klimawandel als Fluchtursache kein Thema. Völkerrechtlich gelten Menschen, die wegen Verlust der Lebensgrundlage durch den Klimawandel auf der Flucht sind, als Wirtschaftsmigranten ohne Anspruch auf internationalen Schutz oder Unterstützung.

Sie können die Zuerkennung des Flüchtlingsstatus durch die Genfer Konvention nur dann erhalten, wenn staatliche oder private Akteure die Umwelt zerstören, um gezielt gegen bestimmte Personengruppen vorzugehen, oder wenn dieselben Akteure bestimmten Personengruppen, die durch Umweltveränderungen in Notlage geraten sind, Hilfeleistungen vorenthalten oder verwehren.

Im Abschlussdokument der UN-Klimakonferenz in Mexiko (2010) erkannten die Unterzeichner klimabedingte Migration als Folge des Klimawandels an. Die Schweiz und Norwegen setzen sich seitdem für einen besseren rechtlichen Schutz jener Menschen ein, die wegen einer Naturkatastrophe ins Ausland flüchten mussten. Sie legten 2015 ihre Schutzagenda für Flüchtlinge von Naturkatastrophen vor – die Nansen-Initiative, die von 109 Regierungen (darunter auch Luxemburg) weltweit unterstützt wurde. Die Idee basierte auf dem Nansen-Pass. Nach dem Ersten Weltkrieg gab es Millionen Vertriebene und viele hatten keine gültigen Ausweispapiere. Der damalige Hochkommissar für Flüchtlingsfragen des Völkerbundes, Fridtjof Nansen, erfand 1922 für jene Vertriebenen den Pass für Staatenlose, für den er den Friedensnobelpreis erhielt. Bis 1942 erkannten ihn 52 Nationen grundsätzlich an, allerdings wurde europäischen Juden die Aufnahme vielerorts verweigert.9 Im Juli 2016 nahm die Platform on Disaster Displacement zur Umsetzung der Schutzagenda ihre Arbeit als Nachfolgemechanismus auf. Auch der 2018 verabschiedete Globale Pakt für Flüchtlinge schlägt Maßnahmen vor, die in Situationen von Vertreibung im Zusammenhang mit Naturkatastrophen oder Auswirkungen des Klimawandels umgesetzt werden können. Die Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) für 2030, welche sich sowohl mit Migration als auch mit Klimawandel befassen, sind ein weiterer freiwilliger Vertrag, mit dem die Rechte von Klimamigranten gestärkt werden könnten. Solche Abkommen sind jedoch weder rechtsverbindlich noch ausreichend entwickelt, um Klimamigranten tatsächlich zu schützen.

Klimagerechtigkeit

Die Fortschritte im Kampf gegen den Klimawandel erfolgen viel zu langsam. Fakt ist, dass die industrialisierten Länder mit ihren hohen CO2-­Emissionen die Folgen der globalen Erwärmung bislang verhältnismäßig wenig spüren. Die größte Last fällt auf die Länder, die am wenigsten zum Klimawandel beitragen. Um die negativen Folgen des Klimawandels zu bremsen, muss an erster Stelle die globale Erwärmung auf unter zwei Grad Celsius begrenzt werden. Als historische Mitverursacher des Klimawandels müssen wir Europäer Verantwortung für die Folgen des Klimawandels übernehmen. Dies erfordert, neben der drastischen Minderung der Treibhausgasemissionen, die Finanzierung von Anpassungsmaßnahmen in stark betroffenen Ländern, sowie deren Unterstützung beim Umgang mit Schäden und Verlusten durch die Folgen des Klimawandels. Ein Umdenken im Verbrauch von ökologischen Ressourcen und in unserem Konsumverhalten ist dringend nötig.

Die Auswirkungen des Klimawandels werden unsere Umwelt nachhaltig verändern. Dies wird zur Folge haben, dass Menschen oftmals fluchtartig ihre Heimat verlassen müssen. Eine der ältesten Überlebensstrategien der Menschheit ist das Verlassen von unwirtlichen Orten. Darauf müssen Politik und Gesellschaft vorbereitet sein. Die in der Europäischen Union vorherrschenden Abwehrreflexe, nach denen Migration vor allem zu begrenzen und einzudämmen ist, sind nicht mehr an die realen Herausforderungen angepasst. Die bevorstehenden Herausforderungen lassen sich weder mit höheren Zäunen noch mit Patrouillenbooten lösen. Wir benötigen Lösungen, die die Rechte und Bedürfnisse der Betroffenen in den Mittelpunkt rücken und an deren Ausarbeitung sie selbst beteiligt werden. Die oben zitierte Entscheidung des UN-Menschenrechtsausschusses ist wegweisend und ein erster Schritt mit potenziell weitreichenden Auswirkungen auf den internationalen Schutz von Vertriebenen im Zusammenhang mit Klimawandel und Katastrophen. Sie unterstreicht, wie wichtig es ist, dass Länder Maßnahmen ergreifen, um Umweltschäden zu verhindern, welche in Zukunft die Menschen zum Verlassen ihrer Heimat zwingen könnten. Die Aufgabe, das internationale Recht sowie politische Strategien mit den bestehenden und zukünftigen Realitäten in Einklang zu bringen, ist eine der größten Herausforderungen des 21. Jahrhunderts.

Pauschale Lösungen wird es kaum geben, denn wie alle Anpassungsstrategien wird auch Migration infolge des Klimawandels unter sehr unterschiedlichen Rahmenbedingungen erfolgen und entsprechend angepasste Antworten brauchen. Es ist klar, dass das Zusammenspiel der sanitären und der Klimakrise weiter Menschen zur Flucht treiben wird. Beide sind eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und stellen die internationale Gemeinschaft vor große Herausforderungen, die nur gemeinsam bewältigt werden können.

Der zweite Teil dieses Artikels wird in der nächsten Ausgabe erscheinen. Er wird sich mit dem Konzept Loss and Damage befassen und Lösungsansätze präsentieren.

  1. https://www.refworld.org/cases,HRC,5e26f7134.html (alle Internetseiten, auf die in diesem Beitrag verwiesen wird, wurden zuletzt am 13. November 2020 aufgerufen).
  2. Ebd.
  3. https://www.unhcr.org/dach/de/services/statistiken
  4. Ebd.
  5. https://www.internal-displacement.org
  6. https://www.unhcr.org/dach/de/services/statistiken
  7. https://tinyurl.com/y6qvwzwo
  8. https://news.un.org/en/story/2020/09/1072712
  9. https://tinyurl.com/yysxwqzf

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