- Natur, Politik
Klimawandel, Flucht und COVID-19
Teil 2: Wer kommt für die Verluste und Schäden auf?
Während der Corona-Pandemie konnte in der ersten Jahreshälfte 2020 ein Rückgang der CO2-Emissionen um 8,8 % festgestellt werden im Vergleich zur gleichen Zeit im Vorjahr. Die größten Reduktionen gab es im Bereich des Verkehrs mit minus 40 %, vor allem aufgrund der weit verbreiteten Telearbeit. Allerdings gab es auch einen starken Reboundeffekt, und mit wenigen Ausnahmen erreichten die meisten Länder nach den Ausgangsperren im Juli ihr gewohntes CO2-Niveau. Die World Meteorological Organisation (WMO) schlussfolgerte im Herbst, dass „der lockdown-bedingte Rückgang der Emissionen nur ein winziger Ausrutscher auf dem Langzeitdiagramm [war]“.1 Luxemburg wird voraussichtlich dieses Jahr nur wegen der Ausgangsperre im März/April seine Klimaziele erreichen können.
Gerade jetzt kann die Kombination aus COVID-19 und Klimakrise schnell zur existenziellen Bedrohung für die ärmsten Länder weltweit werden. Mangelnde Versorgung mit sauberem Wasser und Nahrung, fehlender Zugang zu Gesundheitsversorgung und keine finanziellen Notfallreserven erschweren die Anpassungsfähigkeit dieser Länder. Wie eine Krise die andere verstärken kann, zeigt sich deutlich im kleinen Pazifikinselstaat Vanuatu. Über die letzten Jahre haben Inselstaaten mit zunehmend zerstörerischen Wirbelstürmen zu kämpfen. Anfang April, während Vanuatu der wirtschaftlichen Unsicherheit ausgesetzt war, welche die COVID-19-Pandemie mit sich brachte, traf Harold – ein Zyklon der Kategorie 5, die höchste Messung auf der Zyklonintensitätsskala – auf die Inselgruppe. Obwohl sich Inselstaaten auf Katastrophen dieser Art vorbereitet haben, hat COVID-19 es den Regierungen besonders schwer gemacht, rasche und wirkungsvolle Hilfs- und Wiederaufbaubemühungen durchzuführen. Mehr als 159.000 Menschen waren von dem Wirbelsturm in Vanuatu betroffen, mit erheblichen Schäden an Schulen, landwirtschaftlichen Nutzpflanzen, Gebäuden, Strom, Telekommunikation und der lokalen Bootsflotte.2
Internationale Schadensausgleichmechanismen?
Es war schon vor COVID-19 allgemein anerkannt, dass Vanuatu und andere Inselstaaten schwere Verluste und Schäden durch den Klimawandel erleiden, während sie nur einen Bruchteil zur Klimakrise beigetragen haben. Seit drei Jahrzehnten schon versucht Vanuatu, gemeinsam mit anderen Entwicklungsländern, die internationale Gemeinschaft dazu zu bewegen, diese Ungerechtigkeit anzugehen. Bereits 1991 schlug der Inselstaat im Namen der Vereinigung der kleinen Inselstaaten eine Versicherungsgemeinschaft vor, welche sie für durch den Anstieg des Meeresspiegels entstandene Schäden entschädigen könnte. Es dauerte, bis die Idee eines Mechanismus, der sogenannte Verluste und Schäden (Loss and Damages) auffangen würde, breitere Unterstützung erhielt. Erst 2010 tauchte die Bezeichnung „Verlust und Schaden“ erstmals im Verhandlungstext der COP16 auf. Auf der COP19 im Jahr 2013 wurde dann der Internationale Mechanismus für Verlust und Schaden (WIM) etabliert. Es ist bis heute das wichtigste Instrument im United Nations Framework Convention on Climate Change-Prozess (UNFCCC), um Verluste und Schäden im Zusammenhang mit den Auswirkungen des Klimawandels in Entwicklungsländern umfassend und kohärent anzugehen. WIM ist allerdings kein internationaler Schadenausgleichsmechanismus! Er ist auch kein unabhängiger Mechanismus, da er der COP untergeordnet ist und daher keine Autonomie hat, Mittel zu vergeben, zu erhalten oder zuzuweisen.
Das Versprechen, „Maßnahmen und Unterstützung“ für Verluste und Schäden zu verstärken, wurde auch im Artikel 83 des Pariser Abkommens aufgenommen. Eine Klausel präzisiert allerdings, dass Verlust und Schaden „keine Haftung oder Entschädigung“ begründe. Wahrscheinlich gehen nirgendwo in der Klimapolitik die Meinungen weiter auseinander als bei der Frage, wie man mit Verlusten und Schäden umgeht. Obwohl es noch keine allgemein anerkannte Definition von Loss and Damage gibt, bezieht sich das Konzept auf negative Auswirkungen des Klimawandels, an welche sich lokale Bevölkerungen nicht anpassen können. Verluste und Schäden durch den Klimawandel können wirtschaftlicher Natur sein, wie etwa Einkommenseinbußen oder Sach- und Vermögensschäden, aber auch kultureller, sozialer und psychischer Art. Infrastrukturschäden und andere wirtschaftliche Auswirkungen sind leicht monetär zu berechnen. Viel schwerer ist es bei Auswirkungen wie dem Verlust von Menschenleben, Biodiversität oder Kulturgut. Geht ein Stück Land verloren, kann man dem noch einen monetären Wert zuschreiben. Wie werden allerdings die geschwächten sozialen Strukturen oder psychische Erkrankungen bei den Landwirten bemessen? Wie bewertet man die Leistungen einer intakten Umwelt, die Systeme stützt, sogenannte ecosystem services?
Die Gerechtigkeitsfrage
Die Folgen des Klimawandels sind unmittelbar mit der Gerechtigkeitsfrage verbunden: Die industrialisierten Länder sind die Hauptverursacher und müssen deshalb, dem Verursacherprinzip zufolge, für die angerichteten Schäden insbesondere im Globalen Süden aufkommen. Die Emissionssenkungen und Anpassungsbemühungen der letzten Jahre haben nicht ausgereicht, um zu verhindern, dass die Konsequenzen des Klimawandels Leben und Lebensgrundlagen der Ärmsten zunehmend zerstören. Zwischen 1999 und 2018 starben weltweit etwa 495.000 Menschen an den Folgen von mehr als 12.000 extremen Wetterereignissen. Aktuelle Schätzungen, wieviel Geld für Verluste und Schäden jährlich im Jahr 2030 gebraucht werden, liegen zwischen 290 und 580 Milliarden US-Dollar.4 Das Inter-Governmental Panel on Climate Change (IPCC) schätzt in seinem Sonderbericht über die „globale Erwärmung von 1,5 °C […], dass der mittlere Barwert der Kosten für Schäden durch Erwärmung im Jahr 2100 für 1,5 °C und 2 °C 54 Billionen US-Dollar bzw. 69 Billionen US-Dollar im Vergleich zu 1961-1990 sein wird“.5 Der jüngste Bericht des IPCC kommt zu dem Schluss, dass selbst bei großen Anpassungsbemühungen Restrisiken und damit verbundene Verluste auftreten werden. Dies stellt eine gravierende Ungerechtigkeit gegenüber den ärmsten Menschen der Welt dar, die nicht für die Ursachen dieser Krise verantwortlich sind.6
Aufgrund der erheblichen finanziellen sowie rechtlichen Auswirkungen ist diese Debatte recht heikel. Wie könnte ein Ausgleichsmechanismus aussehen, und wie würde er finanziert werden? Vanuatu hatte die Idee, diesen durch Pflichtbeiträge zu finanzieren, welche auf dem BIP der Industrieländer und ihrer historischen Verantwortung basieren. 2012 schlug der Inselstaat Nauru einen Mechanismus vor, der aus drei Elementen besteht: Versicherungs-, Schadensersatz- und Risikobewertung.7 Die industrialisierten Länder lehnen fast kategorisch ab, dass ein solcher Mechanismus auf der Grundlage des Verursacherprinzips eingerichtet wird. Australien und die Europäische Union sprachen sich gegen die Einbeziehung der Finanzdiskussion in die Verhandlungen der COP23 aus, weil es nur „unzureichende statistische Beweise“ dafür gäbe, dass extreme Wetterereignisse wie Taifune allein durch den Klimawandel verursacht würden.8
In Paris hatten sich die Industrienationen bereiterklärt, zwischen 2020 und 2025 jährlich 100 Milliarden Dollar für Entwicklungsländer bereitzustellen. Für die Zeit danach sollte ein noch höheres Ziel angestrebt werden. Das Problem allerdings ist, dass praktisch jedes Land eigene Vorstellungen davon hat, welche Geldmittel als Klimafinanzierung angerechnet werden sollten. Einheitliche Bilanzierungsregeln, Nachweispflichten oder Methoden zur Rechnungslegung gibt es nicht.9
Bemühungen müssen ausgeweitet werden
Die laufenden Bemühungen zur Eindämmung und Anpassung an den Klimawandel müssen in den kommenden Jahren und Jahrzehnten erheblich ausgeweitet werden. Experten sind sich einig, dass auch im Best-Case-Szenario nicht alle Schäden und Verluste verhindert werden können. Obwohl das Konzept von Loss and Damage innerhalb der Klimaverhandlungen angekommen ist und mittlerweile als relevant anerkannt wird, bleiben viele Fragen offen, besonders die nach Finanzierungsunterstützungen.
Der finanzielle Aspekt ist und bleibt wichtig und ist eine notwendige Unterstützung, zum Beispiel für die Bevölkerung kleiner Inselstaaten, die ihren Lebensraum verlieren. Mit den bis heute zur Verfügung stehenden Mitteln kann allerdings nicht einmal ansatzweise über eine Finanzierung von Schäden und Verlusten nachgedacht werden. Deshalb sind neue und innovative Finanzierungssysteme erforderlich. Diese könnten zum Beispiel eine Abgabe für fossile Brennstoffe, Abgaben auf den Luft- und Schiffverkehr oder eine Finanztransaktionssteuer umfassen. Allerdings müssen auch grundlegende Fragen zum Umgang mit irreversiblen Verlusten durch den Klimawandel diskutiert werden. Die Frage, wo diese Menschen leben sollen oder wie sie ihre verlorenen Lebensgrundlagen wiedergewinnen, bleibt unbeantwortet. Finanzielle Hilfe kann dazu beitragen, wieder auf die Beine zu kommen, aber sie kann das erlittene Leid nicht heilen. Der Verlust von Leben, Land, Biodiversität, Sprache, und Kultur kann nicht in Geld bewertet werden.
Es geht bei diesen Fragen nicht um Wohltätigkeit, sondern um Klimagerechtigkeit. Die Industrieländer und Hauptverursacher müssen große Anstrengungen machen, um die Klimaerwärmung auf 1,5°C zu begrenzen. Luxemburg gehört weiterhin zu den weltweiten Spitzenreitern beim Pro-Kopf-Ausstoß an klimaschädigenden Treibhausgasen. Trotz Fortschritten in den vergangenen Jahren reichen die Klimaschutzbemühungen Luxemburgs nicht aus. Ein Umdenken im Umgang mit ökologischen Ressourcen und in unserem Konsumverhalten ist dringend nötig, um neue nachhaltige Wege und Perspektiven für eine zukunftsfähige Gesellschaft zu entwickeln. Zusätzlich zur Klimafinanzierung für Reduktions- und Anpassungsprojekte müssen weiterhin Mittel für einen Fonds für Loss and Damage zur Verfügung gestellt werden. Ein rechtlich durchsetzbares multilaterales Abkommen auf der Grundlage des Verursacherprinzips wäre der ideale Weg, um die noch offenen Fragen zur Verantwortung für Verlust und Schaden zu lösen. Aber die Politik der Klimaverhandlungen zeigt, dass dies noch in ferner Zukunft liegt.
- https://tinyurl.com/y2vnmsht (alle Internetseiten, auf die in diesem Beitrag verwiesen wird, wurden am 10. Dezember 2020 zuletzt aufgerufen).
- https://www.dfat.gov.au/crisis-hub/Pages/tropical-cyclone-harold
- https://tinyurl.com/yxdxwvgs
- https://tinyurl.com/yy6x76co
- https://tinyurl.com/yy6x76co
- https://www.ipcc.ch/srocc/download/
- https://tinyurl.com/y4r6rv9g
- https://tinyurl.com/y26s3mwr
- https://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/17565529.2017.1410087
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