Liedtexte aus dunklen Welten

Michel Clees macht Notizen zur Liebe

Der schmale Band Abreise von Michel Clees beinhaltet zwei Kurzgeschichten und Lyrik: Liedtexte auf Deutsch sowie Französisch.

In gewohnt düsterer Melancholie erzählt der Luxemburger Autor von der Abreise eines kleinlichen Steuerbeamten. Dieser entwickelt im Zug angesichts einer Mitreisenden Phantasien über Zweisamkeit. Etwas stereotyp ist der einsame Sonderling geschildert, der „vor lauter Zurückgezogenheit den Klingelknopf an seiner Haustür abmontiert hat“. Wie so oft erschafft Clees aber prägnante Bilder. Ihre Lebendigkeit bedarf keiner theoretischen Einbettung, wie der Autor sie in der Kurzgeschichte öfter vornimmt. Er könnte mehr Vertrauen in seine Sprachverdichtung setzen. Ein Bild wie „Seit geraumer Zeit fühlte er sich vielmehr in den Grautönen heimisch […]“ ist klarer als die Erläuterung „So vermischten sich die Antriebslosigkeit und der abgesetzte Elan und die fehlende Verlässlichkeit seiner selbst und die fehlende Frau an seiner Seite und die fehlende Nomenklatura der zu definierenden Wichtigkeiten […]“.

Deutlicher zeigen die lyrisch verdichteten Texte die Talente des Autors. Sie entfalten das dunkle Themenspektrum der Sammlung: Verlassenheit, Schmerzen, Alter, Tod. Manches wirkt albtraumartig, etwa ein angedeuteter Kindesmissbrauch und das bei Clees, von Beruf Arzt, oft dominante Thema Krankheit: „Nie habe ich verstanden, / was der Krebs von einem will. Er ist die einzige Lebensform, / die als Ziel das Machbare vorzieht.“ Aber die präsentierte Weltsicht muss nicht immer bitter sein. Geradezu aufatmen lässt die heitere Melancholie, mit der er neue Medien betrachtet, „die Welt in 17 Zoll“:

Als früher wir uns gegenüber standen

mein Atem an dem Deinen

als wir zuerst uns sahen

und dann einander kannten

konnte das Glück noch Berge weinen

konnte das Glück noch Fahrrad fahren

als damals wir ein Stück weit grad

und seltsam wirklich waren

Clees, der auch als Liedermacher auftritt, zeigt hier, welch reiche Lyrik Liedtexte sein können. Nicht selten spürt man eine musikalische Prägung der Zeilen. Allerdings: Die Zusammenstellung wirkt beliebig. Eine gezieltere Auswahl der Texte hätte die Anthologie plausibler gemacht. Und auch die Fehlerkorrektur hätte gründlicher sein müssen. Diese Nachlässigkeit passt nicht zur schönen Gestaltung der Ausgabe.

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