- Gesellschaft
Local Heroes, Global Citizens?
Eine Veranstaltungsreihe der Luxemburger UNESCO-Kommission zum Thema Global Citizenship

© Philippe Reuter / forum
„Global Citizenship ist kein rechtlicher Begriff, sondern vielmehr ein Gefühl der Solidarität mit anderen und unserem Planeten. […] Das heißt nicht, dass man auf lokale Identitäten verzichten muss – sie werden sogar gestärkt, denn sie bilden die Grundlage für die Achtung vor kultureller und sprachlicher Vielfalt und für den Erhalt der Biodiversität.“1
Irina Bukova, ehemalige Generaldirektorin der UNESCO
Die Organisation der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft, Kultur und Kommunikation (UNESCO) ist die einzige Organisation der Vereinten Nationen (UNO), die mit Nationalkommissionen arbeitet. Zu den Aufgaben dieser Kommissionen gehört u. a., die Ziele und Programme der UNESCO in den jeweiligen Ländern bekannt zu machen. Das prestigeträchtige Programm des Welterbes ist zweifellos das Flagship der UNESCO, aber auch die Wissenschaften der Erde mit u. a. Man and the Biosphere2 oder die UNESCO Global Geoparks3 sind Programme, die nachhaltig und partizipativ angelegt sind. Die weltweiten Netzwerke, in denen Welterbestätten, immaterielles Kulturerbe, Geoparks und Biosphären sich austauschen und gemeinsame Projekte verwirklichen, sind wichtige Instrumente im Kampf gegen den Klimawandel und das Verschwinden der Biodiversität. Auch schärfen sie das Bewusstsein für Probleme, die nicht lokal oder national lösbar sind.
Die UNESCO, die im Moment 193 Mitgliedstaaten umfasst – nach dem Austritt der USA und Israels Ende 2018 –, legt ihre Programme in Bildung, Wissenschaft, Kultur und Kommunikation ganzheitlich und interdisziplinär an. Wenn auch einzelne Elemente lokalen oder regionalen Gegebenheiten Rechnung tragen, ist schon allein das Konzept des Welterbes global angelegt: Schließlich gehören die Stätten, die Dokumente und die Gebräuche, die auf diesen Listen stehen, der gesamten Menschheit. Daher legt die UNESCO großen Wert auf Global Citizenship und Global Citizenship Education.4
Natürlich stellt sich als erstes die Frage, was Global Citizenship überhaupt ist. Hatte Theresa May recht, als sie sagte: „If you believe you are a citizen of the world, you are a citizen of nowhere“? Oder kann man sehr wohl ein „glokaler“ Mensch sein – in seiner Umgebung und in seinem Land verankert, und doch Mitglied einer Weltgemeinschaft, in der Respekt vor anderen Menschen und vor der Natur, gewaltfreie Konfliktlösung und kulturelle Vielfalt ihren Platz haben?
Für manche ist der Begriff Global Citizenship nicht unumstritten. Citizenship, die Tatsache ein Citizen, ein Bürger, zu sein, beinhaltet implizit die Frage nach einem Staat. Wer ist denn die Regierung dieses „Weltstaates“? Die UNO, in deren Sicherheitsrat noch die Siegermächte von 1945 mit Vetorecht vertreten sind, nicht aber die großen und bevölkerungsreichen Staaten von heute wie Brasilien, Indonesien oder Indien? Fühlt sich ein Mensch, dessen materielle Existenz von der Globalisierung zerstört wird, einer Weltgemeinschaft zugehörig, die seinen kulturellen und ideellen Werten keinerlei Rechnung trägt? Wie kann man ein Weltbürgertum einfordern, wenn nicht einmal ein Staatenverbund wie die Europäische Union uneingeschränkt positiv wahrgenommen wird?
Als der Club of Rome 1972 seine bahnbrechende Studie The Limits to Growth veröffentlichte, sagte er – vor fünfzig Jahren! – die Entwicklungen voraus, unter denen wir heute zu leiden haben: Klimawandel, Rückgang der Biodiversität, Überbevölkerung, Verschmutzung der Gewässer und unkontrolliertes Wachstum der Städte. Und 2023 doktern wir noch immer an Lösungen herum, die bereits vor fünf Jahrzehnten dringendst nötig gewesen wären.
Es gibt kaum eine andere Möglichkeit, als Eigenverantwortung zu übernehmen, mutige (und oft unbequeme) Entschlüsse zu fassen, vor allem aber die jungen Menschen, denen wir einen Planeten in einem katastrophalen Zustand hinterlassen, zu informieren und zu sensibilisieren, ihnen die Möglichkeit zu geben, – wenigstens in Ansätzen – das zu heilen, was wir verletzt haben. In diese Richtung geht die Global Citizenship Education, ein pädagogisches Ziel, dem die UNESCO in all ihren Programmen großes Gewicht beimisst.
Im Rahmen ihres Veranstaltungszyklus „Les Rendez-Vous de l’UNESCO“ organisiert die Luxemburger UNESCO-Kommission während des ganzen Jahres 2023 diverse Veranstaltungen zum Thema Global Citizenship. Konzeptuell wurde die Veranstaltungsreihe von dem Schriftsteller Samuel Hamen in regem Austausch mit der UNESCO-Kommission entwickelt. Um das komplexe Thema so breit wie möglich erfassen zu können, hat die UNESCO-Kommission sich die Mitarbeit und die Unterstützung zahlreicher Partner gesichert.
- Schon im Oktober 2022 hat sich ein Rundtischgespräch, das Professor Robert Harmsen, Inhaber des Lehrstuhls für Menschenrechte an der Universität Luxemburg, zusammen mit der Association luxembourgeoise pour les Nations Unies veranstaltet hatte, mit dem Thema der Global Governance des Klimawandels befasst. In diesem Zusammenhang wurde auch das Menschenrecht auf eine gesunde Umwelt diskutiert.
- Während des gesamten Jahres 2023 wird die Zeitschrift forum die diversen Aspekte der Global Citizenship in ihren Ausgaben beleuchten und am 16. Mai im Rahmen eines public forum ein Rundtischgespräch zum Thema Luxemburg in einem globalen Kontext veranstalten.
- Das Zentrum fir politesch Bildung organisiert eine Fortbildung zum Thema Léieren duerch Engagement am Beispiel der Fotoausstellung The Family of Man, die seit 2003 auf der Liste des Weltdokumentenerbes der UNESCO steht.
- Am 23. Februar, dem hundertsten Jahrestag der Genfer Kinderrechtskonvention, organisiert der Ombudsman fir Kanner a Jugendlecher (OKAJU) eine Auftaktkonferenz zu dem Thema der Globalität der Kinderrechte und ihrer Entwicklung seit dem Inkrafttreten der Konvention.
- Anfang März wird Roland Bernecker, ehemaliger Generalsekretär der Deutschen UNESCO-Kommission und Mitherausgeber des Standardwerkes Global Citizenship. Perspektiven einer Weltgemeinschaft4 in einem Gespräch mit Samuel Hamen der Klärung des Begriffes auf den Grund gehen.
- Die Théâtres de la Ville de Luxembourg sindPartner der UNESCO-Kommission für zwei Veranstaltungen. Am 21. Januar 2023 um 18 Uhr findet im Rahmen der Samedis au Théâtre eine Veranstaltung statt, die im Kontext des Weltholocausttages (27. Januar) die globale Dimension des grausamen Konzeptes der Straflager aufzeigen soll: „Von Kolyma über Auschwitz nach Mandanazar und Xinjiang: Arbeits-, Vernichtungs- und Umerziehungslager im 20. und 21. Jahrhundert“. Im Rahmen des von Simone Beck gehaltenen Vortrags liest der Schauspieler Pitt Simon literarische Texte zum Thema.
- Am 19. und 20. Mai findet dann mit Dialaw Project eine Theateraufführung statt, die sich mit den Auswirkungen der Globalisierung auf die École des Sables im Senegal beschäftigt.
- Am 10. Mai empfängt das Institut Pierre Werner die renommierte und mehrfach ausgezeichnete Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann, die sich in ihren Arbeiten mit Gedächtnis, Erinnerung, Kulturwissenschaft und Geschichte beschäftigt.
- Ebenfalls im Mai wird eine Ausstellung von „Women on the Move“ in der Gemeinde Düdelingen veranstaltet und später im Centre de Documentations sur les migrations humaines (CDMH), ein weiterer Partner der UNESCO-Kommission, gezeigt werden.
- Die Summerschool des OKAJU (Mitte Juli) beschäftigt sich mit der Frage, welchen Einfluss das Konzept der Global Citizenship auf die Rechte der Kinder und Jugendlichen haben kann.
- Im Sommer werden Les cahiers luxembourgeois literarische Texte zum Thema Global Citizenship veröffentlichen.
- Die Section des sciences morales et politiques des Institut grand-ducal widmet sich im Herbst Aspekten des globalen Strafrechts und des internationalen Strafgerichtshofs.
- In Zusammenarbeit mit der Universität plant das CDMH im November ein Symposium, das den aktuellen Stand der Forschung zum Thema Migration in Luxemburg diskutiert. Weitere Veranstaltungen des CDMH widmen sich dem spezifischen Schicksal von Migrantinnen oder dem Impakt der Transnationalität auf die Entwicklung der Familien.
Andere Projekte, wie eine Filmreihe zu dem Thema oder eine Begleitveranstaltung zu einer Ausstellung, die das Naturhistorische Museum im Herbst zu dem Thema Weltraum plant, sind bei Drucklegung noch in Ausarbeitung. Präzise Informationen werden zu gegebener Zeit in der Tagespresse, auf unesco.lu, in den sozialen Medien sowie in dieser Zeitschrift bekannt gegeben.
1 Roland Bernecker / Roland Grätz (Hg.), Global Citizenship. Perspektiven einer Weltgemeinschaft, Göttingen, Steidl Verlag, 2017, S. 17.
2 Seit 2020 bilden die elf Gemeinden des Pro-Sud die Minett UNESCO Biosphere.
3 Der Natur- & Geopark Mëllerdall gehört seit April 2022 zu den UNESCO Global Geoparks.
4 In diesem Beitrag wird die englische Bezeichnung beibehalten, da es im Deutschen keinen Begriff gibt, welcher der Global Citizenship so entsprechen würde wie das französische „citoyenneté mondiale“. „Weltbürgertum“ ist historisch vorbelastet.
Simone Beck ist Vorsitzende der Luxemburger UNESCO-Kommission.
Als partizipative Debattenzeitschrift und Diskussionsplattform, treten wir für den freien Zugang zu unseren Veröffentlichungen ein, sind jedoch als Verein ohne Gewinnzweck (ASBL) auf Unterstützung angewiesen.
Sie können uns auf direktem Wege eine kleine Spende über folgenden Code zukommen lassen, für größere Unterstützung, schauen Sie doch gerne in der passenden Rubrik vorbei. Wir freuen uns über Ihre Spende!
