Lokale Öffentlichkeiten im digitalen Wandel

Potenziale und Herausforderungen für die Kommunen

Ist von Öffentlichkeit die Rede, ist meist eine nationale, massenmediale Öffentlichkeit gemeint. Darin steckt die Vorstellung eines öffentlichen Diskurses aller Bürger*innen eines Landes, repräsentiert in den traditionellen Massenmedien Presse und Rundfunk mit dem Ziel der Meinungsbildung. Doch seit Jahren wird diese Idee von der einen Öffentlichkeit von verschiedenen Seiten infrage gestellt, sodass nicht selten von einer „Krise der Öffentlichkeit“ zu hören und zu lesen ist.1 So richtig der Befund einer Öffentlichkeit im Wandel ist, greift die Diagnose einer „Krise der Öffentlichkeit“ zu kurz. Vielmehr erleben wir die Krise eines Idealbildes von Öffentlichkeit, dessen Grundlage sich jedoch längst geändert hat. Denn dieses Idealbild orientiert sich an historisch spezifischen Bedingungen – einem starken Nationalstaat, einer weitgehend homogenen Bevölkerung, einer übersichtlichen Medienlandschaft mit klaren Rollenverteilungen –, die so nicht mehr gelten. Grundlegende gesellschaftliche Transformationsprozesse in den letzten Jahren und Jahrzehnten haben diese Bedingungen für und auch Ansprüche an Öffentlichkeit verändert: Man denke nur an Europäisierung und Globalisierung politischer Prozesse, an Individualisierung und Pluralisierung der Gesellschaften durch Migration und weltweite Mobilität oder an technologische Innovationen wie Social Media-Plattformen und Smartphones als Wegbereiter mobiler Kommunikation.

Die Struktur der Öffentlichkeit

Befindet sich deswegen jedoch die Öffentlichkeit im Zerfall? Nicht unbedingt! Ihre demokratietheoretisch begründeten Funktionen wie Legitimation von politischen Entscheidungen durch die Beteiligung aller Betroffenen am Meinungsbildungsprozess und die Integration der Gesellschaft bleiben, doch ihre Form hat sich geändert. In der Kommunikationswissenschaft wird Öffentlichkeit angesichts der angesprochenen Transformationen mittlerweile als Netzwerköffentlichkeit2 gedacht. Dieses breitere Verständnis von Öffentlichkeit geht über die massenmediale Öffentlichkeit hinaus und nimmt verschiedene Prozesse, Formen und Logiken von öffentlicher Kommunikation in den Blick: hierarchisch wie heterarchisch organisierte Öffentlichkeiten; Diskurse, die online wie offline stattfinden; professionelle Kommunikation über die klassischen Massenmedien sowie die Kommunikation von Laien über soziale Netzwerke3. Netzwerköffentlichkeit bedeutet also vor allem die Ausdifferenzierung von Kommunikations­wegen (nicht mehr nur „top down“) und -akteuren. Neben etablierten Akteuren und Medienschaffenden werden auch die Stimmen von Individuen sichtbar. Dabei handelt es sich jedoch nicht nur um ein Nebeneinander dieser verschiedenen Arenen von Öffentlichkeit; häufig sind diese miteinander verbunden, überlappen sich oder nehmen aufeinander Bezug.

Die Frage, ob Öffentlichkeit ihre Funktionen für die Demokratie angesichts dieses Strukturwandels noch erfüllen kann, ist offen. Die Forschung beobachtet die Zunahme sowohl von hate speech, Skandalisierung und Unübersichtlichkeit durch eine Vielzahl an Kommunikationsakteuren und die Entstehung von zersplitterten Themenöffentlichkeiten als auch die Öffnung der Öffentlichkeit für Stimmen, die bisher nicht Teil des öffentlichen Diskurses sein konnten. Es ist deswegen umso wichtiger, den Medien- und Öffentlichkeitswandel differenziert zu betrachten. Hierbei kann es bereichernd sein, diesen Wandel nicht nur auf der nationalen Ebene zu untersuchen, sondern den Blick auch auf die lokale Ebene zu richten.

Das Besondere der lokalen Ebene

Lokale politische Öffentlichkeit beschreibt die Aushandlung kommunaler Anliegen der Bevölkerung sowie kommunaler Regeln. Auf der lokalen Ebene tangieren politische Maßnahmen und gesellschaftliche Wandlungsprozesse, wie zunehmende Heterogenität, schwindende Kohäsion oder demografische Entwicklungen, die Bürger*innen unmittelbar und in ihrem alltäglichen Leben. Dies macht den öffentlichen Aushandlungsprozess von gemeinsamen Zielen und Werten auf dieser Ebene besonders relevant.

Auf der lokalen Ebene sind die verschiedenen, oben beschriebenen Modi von öffentlicher Kommunikation besonders gut zu beobachten. Die lokale Ebene zeichnet sich durch die (räumliche und gegebenenfalls auch persönliche) Nähe zwischen Politiker*innen, Medienschaffenden und Bürger*innen aus.4 Neben der medienvermittelten Kommunikation zwischen politisch Verantwortlichen und den Bürger*innen bestehen also auch Wege der direkten, interpersonalen Kommunikation wie Bürgersprechstunden und öffentliche politische Anlässe. Auf der lokalen Ebene zeigt sich zudem die räumliche Dimension von Öffentlichkeit in Form von öffentlichen Begegnungsorten, wie Marktplätzen, Parks oder Nachbarschaftszentren, die immer noch wichtig für einen lebendigen öffentlichen Austausch sind. Meinungsbildung und Aushandlung, d. h. der öffentliche Diskurs, finden im Lokalen also nicht überwiegend medienvermittelt statt (wie auf nationaler Ebene), sondern auch durch Begegnungen, zufällige Gespräche und Kommunikation von Angesicht zu Angesicht.

Auswirkungen der Digitalisierung auf lokale Öffentlichkeiten

Auch die Mediennutzung unterscheidet sich auf der lokalen Ebene von der Nutzung von Medien zur Information über nationale Themen und Belange: das wichtigste Medium für lokale Informationen bleibt die regionale oder lokale Tageszeitung5. Durch die Digitalisierung gerät das Geschäftsmodell des Lokaljournalismus jedoch unter Druck. Sinkende Nachfrage, das Abwandern von Anzeigengeldern in andere (zumeist digitale) Kanäle und infolgedessen Sparmaßnahmen in den Redaktionen machen sich hier besonders bemerkbar, weil die journalistische Leis­tung auf lokaler Ebene themenbedingt für ein relativ kleines Publikum erbracht wird und somit teuer ist. Eine Folge ist, dass die Berichterstattung über lokale Politik abnimmt6, das politische Tages­geschäft nicht mehr kontinuierlich durch die Medien begleitet wie hinterfragt wird und die Menschen auf lokaler Ebene nicht mehr zwischen verschiedenen Medienangeboten wählen können. Inwieweit dieses Leistungsvakuum von anderen Medien­formen – insbesondere den auch zum Zwecke der Information immer häufiger genutzten sozialen Netzwerken – gefüllt werden kann, ist derzeit noch offen.

Neben diesen besorgniserregenden Befunden zur ökonomischen Krise des Lokaljournalismus, die glücklicherweise noch nicht überall greift, können auch positive Auswirkungen der Digitalisierung auf die lokale Öffentlichkeit verzeichnet werden. Die digitalen Medien bieten Bürger*innen und Politiker*innen neue Möglichkeiten zur direkten, informellen Kommunikation mit- und untereinander, so z. B. über digitale Plattformen, Apps der Stadt oder in ortsbezogenen Gruppen in sozialen Netzwerken. Durch die Digitalisierung ist zugleich der Anspruch der Bürger*innen an eine transparente und effiziente Kommunikation seitens der Politik gestiegen, die beispielsweise mit Open Data-Plattformen, E-Government-Angeboten und Ratsinformationssystemen darauf reagiert. Die zusätzlichen Kanäle bedeuten einen höheren Kommunikationsaufwand und Umstrukturierungen von Abläufen und Arbeitsprozessen für die Kommunen. Mit der direkten Kommunikation und den zusätzlichen Kommunikationsangeboten gehen jedoch gleichzeitig die Hoffnung auf mehr Partizipation und Transparenz im demokratischen Prozess, steigendes Vertrauen in die lokale Politik sowie die Stärkung der lokalen Gemeinschaft einher.

Die lokale Öffentlichkeit erforschen und stärken

Es lohnt sich, der lokalen Öffentlichkeit besondere Aufmerksamkeit zu schenken, da hier unmittelbar Politik- und Demokratieerfahrung stattfindet und Werte des gesellschaftlichen Zusammenlebens verhandelt werden. Sie sind auf lokaler Ebene nicht nur abstrakte Konstrukte, sondern gelebter Alltag. Der öffentliche Diskurs ist anspruchsvoll, denn insbesondere in westlichen Gesellschaften ist die (städtische) Bevölkerung heute pluralistisch geprägt: Menschen mit unterschiedlicher Herkunft, verschiedenen Weltanschauungen, Werten und Lebensentwürfen leben zusammen. In Bezug auf die soziale Kohäsion ist es wichtig, wie die Gesellschaft mit dieser Vielfalt und den dadurch in einigen Teilen der Gesellschaft ausgelösten Ängs­ten umgeht. Unter pluralistischen Bedingungen ist es mit Blick auf das Prinzip der demokratischen Gleichheit notwendig, dass verschiedene soziale Gruppen als gleichwertig anerkannt und in die öffentlichen Diskussionen einbezogen werden. Mit diesem Einbezug der gesamten Bevölkerung kann eine funktionierende lokale Öffentlichkeit dazu beitragen, die Akzeptanz der gesellschaftlichen Vielfalt zu fördern und damit einer Fragmentierung entgegenzuwirken. Funktioniert dies auf lokaler Ebene, kann dies eine gute Basis für den gesamtgesellschaftlichen öffentlichen Diskurs sein.

Um die Auswirkungen der Krise der traditionellen Massenmedien, die Chancen der digitalen Medien und die Herausforderungen der neuen Kommunikationswege und -ansprüche für die Kommunen sichtbar zu machen und messen zu können, benötigt es vergleichende empirische Forschung, die die Besonderheiten der Struktur der Öffentlichkeit auf lokaler Ebene berücksichtigt. Um darüber hinaus der Frage nach einer Krise – oder auch: der Leistungsfähigkeit – der Öffentlichkeit nachzugehen, bedarf es norm- und theoriegeleiteter Ansätze7, die die beschriebenen Ausdifferenzierungsprozesse mit in die Bewertung einbeziehen und somit auch mögliche Potenziale der Digitalisierung wie etwa effiziente und transparente Kommunikation zwischen Politiker*innen und Bürger*innen berücksichtigen. Durch eine solche konstruktive Auseinandersetzung ließen sich Herausforderungen und Chancen für die lokale Öffentlichkeit identifizieren sowie Handlungsempfehlungen für die kommunale Kommunikations- und Informationspolitik zur Stärkung einer lebendigen und zukunftsfähigen lokalen Öffentlichkeit ableiten.

  1. Vgl. auch den Beitrag von Oliver Kohns, „Krise der Öffentlichkeit? Einige Überlegungen zur Situation der Medien in der Gegenwart, in: forum 394, April 2019, S. 11-13.
  2. Z. B. Yochai Benkler, The Wealth of Networks: How Social Production Transforms Markets and Freedom, New Haven, Yale University Press, 2006.
  3. Z. B. Christoph Neuberger, „Konflikt, Konkurrenz und Kooperation: Interaktionsmodi in einer Theorie der dynamischen Netzwerköffentlichkeit“, in: Medien & Kommunikationswissenschaft 62 (2014), 4, S. 567-587.
  4. Nayla Fawzi/Philip Baugut/Carsten Reinemann, „Die Funktionen von Lokalmedien für die Kommunalpolitik“, in: Medien & Kommunikationswissenschaft, 66 (2018), 1, S. 22-40.
  5. https://tinyurl.com/t9kjtt7 sowie https://tinyurl.com/vcjgh87 (alle Internetseiten, auf die in diesem Beitrag verwiesen wird, wurden zuletzt am 27. Februar 2020 aufgerufen).
  6. https://tinyurl.com/y424fquo
  7. Einen solchen Ansatz entwickeln die Autor*innen derzeit in einem Forschungsprojekt der Freien Universität Berlin und der Universität Zürich unter Leitung von Prof. Ulrike Klinger und Prof. Otfried Jarren. Ziel des Projektes ist die Entwicklung eines Monitoring-Modells, welches verschiedene Dimensionen von Öffentlichkeit erfasst und auf lokaler Ebene empirisch messbar macht.

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