- Gesellschaft, Politik
Moral und Profit im Ökosystem der Krisenhilfe
Chancen und Risiken der engen Zusammenarbeit zwischen humanitären Organisationen und Großunternehmen
Noch nie zuvor waren so viele Menschen auf der Flucht wie heute. Noch nie zuvor wurde so viel Geld zur Hilfe für Bedürftige auf globaler Ebene bereitgestellt. Trotzdem steigt die Zahl der Bedürftigen weit schneller als die zur Verfügung stehenden Mittel. Der humanitäre Weltgipfel in Istanbul, welcher im Mai dieses Jahres zum ersten Mal stattfand, um nach Lösungen zur aktuellen Krisensituation zu suchen, ist Zeichen dieser Diskrepanz zwischen Bedarf und Budget. Einer der Lösungsansätze des Gipfels war es, die Zusammenarbeit zwischen humanitären Akteuren und Unternehmen zu fördern, um Hilfe effizienter zu gestalten.
Hilfsorganisationen und die Vereinten Nationen (UNO) wenden sich demnach zunehmend an private Spender, größtenteils vermögende Einzelpersonen, aber auch an Großkonzerne. Sogenannte Public-Private Partnerships (PPP) werden als innovative Antwort auf den Mangel öffentlicher Mittel vorgeschlagen und beruhen auf dem zentralen Argument, dass alle einflussreichen Akteure zusammenarbeiten müssen, um die enormen humanitären Herausforderungen zu meistern. Das Innovative an diesen rezenten Partnerschaften ist der Wille privater Unternehmen, über Geld- und Sachspenden hinaus zusätzlich das Know-how ihrer Mitarbeiter zur Verfügung zu stellen. Konkret bedeutet dies, dass Firmen Strategien entwickeln, um im Rahmen ihrer unternehmerischen Verantwortung Wissen und Ressourcen ihres jeweiligen Kerngeschäftes für lokale oder internationale Krisenhilfe bereitzustellen. Natürlich tun sie dies meist nicht aus purer Nächstenliebe, sondern erhoffen sich durch die Zusammenarbeit Zugang zu neuen Märkten, exklusive Informationen über Krisengebiete, eine Aufbesserung des Firmenimages oder mehr Loyalität und Motivation seitens der Angestellten.
Angesichts dieser generellen Tendenz zu Partnerschaften mit Unternehmen zerfließen die Grenzen zwischen Profit und Non-Profit, während private und öffentliche Anliegen zusehends vermischt werden. Daher stellt sich die Frage, welche Chancen und Herausforderungen diese Entwicklung mit sich bringt.
Ein Musterbeispiel der Zusammenarbeit
Das humanitäre Engagement der schwedischen Kommunikationsfirma Ericsson gilt als Beispiel für den wichtigen Beitrag, den Unternehmen in Not-situationen leisten können. Im Jahr 2000 ging Ericsson ein Bündnis mit dem World Food Programme der UNO (WFP) ein, um dringend benötigte Kommunikationsmittel und Internetverbindungen in Krisengebieten bereitzustellen. Beruhend auf dem Engagement mehrerer hundert freiwilliger Mitarbeiter war Ericsson seitdem im Rahmen von mehr als 40 Missionen aktiv. So arbeiteten im Südsudan zehn Ericsson-Experten für mehrere Monate unter der Aufsicht des WFP, um sicherzustellen, dass die humanitären Organisationen auf die zur effektiven Hilfeleistung nötigen Kommunikationsmittel zurückgreifen konnten.
Solche Abkommen kann man als „win-win“ Bündnisse bezeichnen, da beiden Partnern gleichwertige Vorteile zu Gute kommen: Das Bündnis ermöglicht es Ericsson, seine Mitarbeiter zu motivieren und den Ruf der Firma zu verbessern, während das WFP seinerseits Kosten reduziert und auf Experten sowie neueste Technologien zurückgreifen kann. Insbesondere auf dem Gebiet der Technik sowie jenem der Logistik und der Telekommunikation gibt es neben dem angeführten Beispiel eine Handvoll anderer Partnerschaften, die weitgehend positive Auswirkungen auf die internationale Krisenhilfe haben und deren Potential noch nicht vollkommen ausgeschöpft ist.
Kommerzialisierung der UNO-Hilfsstrukturen
Bedauerlicherweise harmonieren die Interessen und Anliegen von Unternehmen und humanitären Organisationen nicht zwangsweise. Die generellen Gefahren der Annäherung von UNO-Agenturen an Großkonzerne wurden von Peter Utting, einem ehemaligen UNO-Sozialforscher, treffend zusammengefasst: Derartige Partnerschaften riskieren eher den politischen Einfluss der Konzerne zu legitimieren, als zu den Zielen der UNO beizutragen.1 Interessenkonflikte, welche entstehen, wenn Unternehmen aktiv Nothilfe gestalten, gefährden die Unparteilichkeit, Unabhängigkeit und Neutralität der humanitären Hilfe.
Humanitäre Akteure müssten vorsichtig vorgehen, wenn sie ihren guten Ruf für Gegenleistungen auf’s Spiel setzen; sie laufen Gefahr, ihre Glaubwürdigkeit zu verlieren. Gleichermaßen warnt die kanadische Journalistin Naomi Klein vor der Ausnutzung humanitärer Krisen durch gewinnorientierte Unternehmen. Sie beschreibt, inwiefern die Wiederaufbauphasen nach Krisen wie dem Krieg im Irak, dem Tsunami in Indonesien, aber auch Hurrikan Katrina in den USA von unverantwortlichem unternehmerischen Handeln gekennzeichnet sind.2 Mehr noch als die Entwicklungshilfe, bietet die Katastrophenhilfe ein fruchtbares Terrain für Unternehmen, welche das allgemeine Chaos und die Hilflosigkeit der Betroffenen ausnutzen wollen, um lukrative Geschäfte abzuwickeln.
Mangelnde Systemkritik
Kritiker des PPP-Diskurses weisen zudem darauf hin, dass solche Bündnisse vom eigentlichen Problem ablenken und nur eine Symptombekämpfung darstellen. Demzufolge seien Großkonzerne oftmals die Gewinner eines globalen ökonomischen Systems, das die legalen Schlupflöcher der Globalisierung ausnutzt, um privaten Gewinn auf Kosten der Umwelt und der Ausbeutung einer Großzahl von Arbeitern zu machen. Eine Zusammenarbeit mit einflussreichen Unternehmen, deren Interessen und Aktivitäten dem Gemeinwohl widersprechen, könne also nur kontraproduktive Auswirkungen auf die humanitäre Hilfe haben. Oftmals weisen kritische Stimmen auch auf die Steueroptimierung und Steuer-hinterziehung der Konzerne hin, die der öffentlichen Hand jedes Jahr enorme Summen entziehen. Oxfam zufolge haben Großkonzerne im Jahre 2010 11 Milliarden USD aus afrikanischen Ländern entzogen. Dies entspricht dem Sechsfachen der Summe, die benötigt worden wäre, um die Finanzierungslücke der Ebola Nothilfe in Sierra Leone, Liberia, Guinea and Guinea Bissau zu füllen.3 Auch wenn solche Kritikpunkte oft sehr an Schwarz-Weiß-Malerei erinnern, ist es wichtig, die Partnerschaften im Zusammenhang mit anderen Themen wie Steuerhinterziehung und unternehmerischer Ausbeutung zu sehen.
Spendengelder oder Schweigegelder?
Diese polemische Formulierung weist auf die potenzielle Kehrseite der Zusammenarbeit hin. Einerseits könnte man denken, dass Großkonzerne ihrer globalen Verantwortung nachkommen, indem sie aktiv zur sozialen Problemlösung beitragen. Allerdings verleiht ihnen dies auch ein größeres Mitspracherecht darüber, wie und wo das Geld investiert werden soll. Das Machtverhältnis zwischen öffentlichen und privaten Anliegen verändert sich dadurch zusehends. Oftmals kann eine Partnerschaft somit strategisch als Mittel zur Milderung öffentlicher Kritik benutzt werden und die finanzielle oder Service-Hilfe der Konzerne kann als Druckmittel im Lobbyismus eingesetzt werden. Außerdem werden NGOs und Zivilgesellschaft häufig als Gegengewicht zur Privatindustrie verstanden, da sie sich durch Werte wie Solidarität, Menschenrechte und Umweltschutz auszeichnen. Partnerschaften zwischen Unternehmen und gemeinnützigen Organisationen können folglich als Kooptierungsstrategie wirken und dazu führen, dass NGOs Partnerunternehmen nicht mehr zur Rechenschaft ziehen oder ihre öffentliche Kritik einschränken.
Alternativen zum Feel-Good Diskurs
Die Linie zwischen selbstloser Hilfe und profitorientierter Strategie kann also sehr schmal sein. Man sollte sich nicht von den positiv-klingenden Begriffen blenden lassen, denn Zusammenarbeit und Partnerschaft können schlussendlich auch Abhängigkeit und Machtkampf bedeuten. Auf lange Sicht besteht ein klares Risiko des ungewollten Einflusses der Privatindustrie auf zentrale Fragen des internationalen Gemeinwohls. Hier stellt sich die Frage, welche Gegenleistungen sich Unternehmen erhoffen, die ihr Know-how und ihre Produkte gratis zur Verfügung stellen.
Angesichts der genannten Vor-und Nachteile bedarf es einer differenzierten Debatte auf internationaler Ebene. Wie kann man die momentane Feel-Good- Einstellung zu solchen Bündnissen realistischer gestalten? Ein erster Ansatz wären strengere ethische Kriterien bei der „Partnerwahl“. Kontraproduktive Auswirkungen könnten somit vermindert werden. Unausgeglichene Partnerschaften riskieren, als Marketing und PR-Aktion für Konzerne zu dienen, welche eine fragliche Gesamtbilanz ihrer Aktivitäten aufweisen.
Es gilt weder PPP zu verteufeln, noch diese als Allheilmittel darzustellen ohne jegliche Kritikpunkte zu beachten. Vielmehr geht es darum, eine ehrliche öffentliche Debatte über potenzielle Chancen und Risiken verschiedener Reformvorschläge zu führen. Andere politische Alternativen wie zum Beispiel die Finanzierung der Krisenhilfe durch eine internationale Finanztransaktionssteuer werden momentan in solchen Diskussionen nicht genügend berücksichtigt. Inwiefern die Entwicklung dieser Partnerschaften das humanitäre Ökosystem stärkt oder im Gegenteil zur Erosion bedarfsgerechter und neutraler Hilfe führt, werden wir in den kommenden Jahren feststellen. Eine Gewissheit bleibt: In Abwesenheit einer internationalen politischen Bereitschaft für tiefgreifende Reformen des humanitären Systems, können Missbräuche nicht verhindert werden.
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