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Nicht sang- und klanglos …
Auch wenn der Beruf des Musiktherapeuten in Luxemburg bislang weder als Gesundheitsberuf anerkannt, noch vom Gesetzgeber reglementiert ist, so dokumentieren internationale wissenschaftliche Studien doch auf beeindruckende Weise, inwiefern der gezielte Einsatz von Musik bei schwerstkranken Menschen zu einer Verbesserung der Lebensqualität beitragen kann. Weniger Schmerzen und Ängste spüren, musikalisch mit Angehörigen interagieren oder sich entspannen sind nur einige potentielle positive Effekte dieses non-verbalen Mediums.
Unser Leben beginnt mit Rhythmus, mit Tönen und Klängen. Bereits im Mutterleib hört das Ungeborene, noch bevor es das Licht der Welt erblickt, den Herzschlag, das Rauschen des Blutes und die Stimme der Mutter. Unser Leben beginnt also mit Klang. Und auch das Ende eines Lebens wird von Tönen begleitet. Nicht immer sind diese angenehm. Ein schwerkranker Patient, der sich in einem Krankenhaus befindet, ist oftmals von zahlreichen medizinischen Apparaten umgeben. Diese piepen, surren, rauschen, ohne dass er sich dem entziehen könnte. Dabei ist es gerade auch in dieser Lebensphase so wesentlich, dass man selbst bestimmen kann, welche Geräusche, welche Töne, ja welche Musik man um sich haben will – und welche nicht. Wissenschaftliche Arbeiten zeigen, dass die gezielte Anwendung von Musik am Ende eines Lebens, bei einem schwerstkranken Menschen, die Lebensqualität verbessern kann. Sie hilft, Emotionen zu regulieren, verbindet den Patienten mit seinem sozialen Umfeld, bietet Entspannung und Trost und hilft somit allen Beteiligten dabei, mit dieser sehr belastenden Situation umzugehen.1
Palliative Pflege unterstützt den Patienten laut Weltgesundheitsorganisation (WHO), „darin, so lange wie möglich aktiv zu bleiben. Sie bejaht das Leben und erachtet das Sterben als normalen Prozess. [Dabei] will [sie] den Tod weder beschleunigen noch verzögern. Palliative Behandlung [ist] eine Haltung und Behandlung, welche die Lebensqualität von Patienten und ihren Angehörigen bei einer lebensbedrohenden Krankheit verbessern soll.“2
Palliativversorgung zielt darauf ab, Schmerzen und andere belastende Beschwerden zu verringern. Studien belegen, dass Musik auf diesem Gebiet beeindruckende Ergebnisse erzielen kann. So wirkt sie schmerzstillend, vermindert Ängste beispielsweise vor oder während invasiver Verfahren – wie etwa einer Mastektomie oder einer Knochenmarkbiopsie –, bei Chemotherapie oder Bestrahlungen. Auch auf die Gefühle des Patienten spielt sie bildlich und buchstäblich ein.
Musik konkurriert mit unangenehmen äußeren Stimuli und besetzt somit neurologische Schranken bei der Schmerzübertragung in unserem Gehirn. Wenn gesunde Testpersonen Musik hören, werden – wie bildgebende Verfahren wie die Positronen-Emissions-Tomografie (PET) oder etwa die funktionelle Magnetresonanztomografie (fMRT) erkennen lassen – limbische und paralimbische Hirnstrukturen
beeinflusst. Genau diese Regionen des Gehirns spielen eine wesentliche Rolle in der Regulierung von Schmerzen, Ängsten und Depressionen.
Ein Einblick in die musiktherapeutische Arbeit
Musiktherapeuten – also speziell für den gezielten Einsatz von Musik universitär ausgebildete Therapeuten – bedienen sich dieses Wissens in ihrer Arbeit. Auch oftmals ganz ohne Worte kann diese
Therapieform nachweislich bei Patienten in palliativer Behandlung – sowie bei ihren Angehörigen – als wirksam angesehen werden.3
Musiktherapie setzt eine therapeutische Beziehung zwischen Patient und Therapeut voraus. Darüber hinaus basiert sie auf einer individualisierten Diagnostik, einem spezifisch auf den Patienten zugeschnittenen Behandlungsangebot sowie einer Evaluation. Musiktherapie beruft sich zwar auf psychotherapeutische Theorien und Methoden, stellt aber eine „eigenständige künstlerische Therapieform“ dar. Durch das bewusst therapeutische Arbeiten mit dem Medium Musik grenzt sich diese nonverbale Therapieform von anderen künstlerischen Therapien, wie etwa dem Bildnerischen Gestalten, der Tanz- oder Bewegungstherapie sowie der Drama- oder Theatertherapie ab. Musiktherapie ist nicht zwangsläufig Teil des Berufs eines Arztes oder eines Psychotherapeuten. Dennoch können eventuell Verflechtungen mit diesen Disziplinen auftreten.
Zwei Musiktherapie-Formen sind grundsätzlich zu unterscheiden: Aktive Musiktherapie besteht im Experimentieren mit und Ausprobieren von Instrumenten, im Singen im speziellen sowie im Gebrauch der Stimme generell. Dabei benötigt der Patient keinerlei musikalisches Vorwissen. Ein Beispiel aus Deutschland: Der Musiktherapeut spielt auf einem Monochord, einem sanften Saiteninstrument. Dabei schlägt er die 24 gleichgestimmten Saiten langsam und gleichmäßig an. Ein beruhigender, obertonreicher Klang entsteht im Zimmer des Patienten. Dann beginnt der Therapeut zu singen; er hat eine Melodie im mixolydischen Modus gewählt. Lautstärke, Tonumfang und Dynamik werden während der Stimmimprovisation mit dem Patienten dessen Atmung entsprechend verändert. Gegen Ende der 15 Minuten dauernden Intervention wird die Intensität der Klänge zunehmend verringert.4
Häufig wenden Musiktherapeuten in dieser Lebensphase eines Patienten zudem die Methode des „Song Writings“ an. Der Patient verfasst sein ganz persönliches Lebenslied, ein Lied, welches einen selbst geschriebenen Text enthält und bei welchem er Stimmung, Melodie, Rhythmus, Dynamik und Tonart auswählt. Oftmals gibt dieses Lied den Hinterbliebenen einen besonderen Halt. Eine ganz intime Botschaft bleibt so weit über den Tod hinaus erhalten.
Rezeptive Musiktherapie hingegen beinhaltet das gemeinsame Hören von sorgfältig ausgewählter Musik oder das Zuhören von Musik, welche der Therapeut für den Patienten spielt oder singt. Auch das Spüren von Klängen, die durch speziell entwickelte Instrumente erzeugt werden, kann der rezeptiven Musiktherapie zugeordnet werden. Rezeptive musiktherapeutische Sitzungen dienen vor allem der Entspannung, der Wahrnehmung des Körpers, der Ablenkung, der Verminderung von Schmerzen. Sie ermöglichen es dem Patienten, zur Ruhe zu kommen, zu regenerieren und Kräfte zu sammeln.
Helen Bonny entwickelte eine Methode, bei welcher der Patient speziell für ihn ausgesuchte Musik hört. Es wird davon ausgegangen, dass dabei innere, für den Patienten subjektiv bedeutsame Bilder oder Erinnerungen durch die Musik ausgelöst werden. Diese werden anschließend wiederum mit dem Musiktherapeuten besprochen; es findet eine verbale Reflexion dessen statt, was der Patient während des Musikhörens empfunden, gesehen und erlebt hat.5
Während des Musizierens – oftmals im Rahmen von Improvisationen – können Gefühle ausgedrückt werden, ohne dass darüber gesprochen werden muss. Es entsteht ein Raum für Ängste, Trauer, Ohnmacht, aber auch für Hoffnung, Freude oder Humor. Das musikalische Spiel erlaubt es dem Patienten sowie auch seinen Familienangehörigen, miteinander in Kontakt zu treten, miteinander zu kommunizieren, Themen zum Klingen zu bringen, über die in dieser Lebensphase nicht immer leichtfertig gesprochen werden kann. Die Ressourcen des Patienten kommen in der Musik zum Vorschein, Kräfte werden hörbar, Fähigkeiten werden erlebt. Während der musikalischen Handlung spürt der Patient seine gesunden Anteile: Gefühle des Selbstwerts und der Autonomie werden durch das Musizieren gestärkt. Widerkehrende (negative) Gedanken können an Wichtigkeit verlieren.
Musik erfüllt somit mehrere Funktionen: Sie ist kommunikativ, ermöglicht also den Kontakt mit der Innen- und Außenwelt. Musik besteht in Zeit und Raum, bietet somit eine gewisse Strukturierung. Sie wirkt entspannend, kann aber auch somatische Effekte erzielen, wenn etwa die Schwingungen der eingesetzten Instrumente direkt körperlich erfahrbar werden.
Auf einer Palliativstation findet Musiktherapie meist direkt am Krankenbett statt. Anwesende Angehörige oder Freunde können in die therapeutische Arbeit mit einbezogen werden, so dass auch sie aktiv am Prozess teilnehmen. Die momentanen Bedürfnisse des Patienten bestimmen dabei die genaue Vorgehensweise des Therapeuten. Dieser spielt auf die Situation, die er vorfindet, ein. Er zeigt also ein großes Maß an Flexibilität sowie an Einfühlungsvermögen.
„Musik drückt das aus, was nicht gesagt werden kann und worüber zu schweigen unmöglich ist“ (Victor Hugo)
Einen lieben Menschen leiden zu sehen, ihn in seiner letzten Lebensphase zu begleiten, ist auch für Freunde und Familienangehörige eine schwere Belastung. Gemeinsames Musizieren kann Unausgesprochenes hörbar machen. Ganz ohne Worte findet Austausch statt. Zudem ist es wichtig, dass bei Schwerstkranken der Gehörsinn bis zuletzt erhalten bleibt. Auch wenn der Patient nicht mehr aktiv reagieren kann, so kann er etwa durch seine Atmung mit der musizierenden Person in Interaktion treten. Der Kontakt mit der Familie kann also auch bei sehr geschwächten Menschen durch die Musiknoch weiterbestehen.
Wissenschaftliche Studien bestätigen ferner, dass der Einsatz von Musik auch bei Angehörigen direkt messbare körperliche und emotionale Reaktionen hervorruft. Der Blutdruck sinkt; aber auch Ängste und Trauer verringern sich nach musikalischen Interventionen.6
Musiktherapeuten können außerdem bei Bedarf eine Begleitung bei der Trauerarbeit für Hinterbliebene anbieten. So kann auch nach dem Tod die Musik den Hinterbliebenen zum Selbstausdruck und zur Sinngebung verhelfen.
Musiktherapie in der Palliativversorgung und in Hospizen in Luxemburg
Bislang sind Musiktherapeuten in Luxemburg nicht in der Palliativversorgung vertreten. Musiktherapeuten arbeiten im Großherzogtum momentan in Behinderteneinrichtungen, in den Schulen der Education différenciée (Ediff), in der Psychiatrie und dem Altenpflegebereich. Ebenso sind sie als Freischaffende in eigenen Praxen oder als Dozenten in der Fortbildung tätig. Allerdings ist der Beruf des Musiktherapeuten hier zulande derzeit weder als Gesundheitsberuf anerkannt noch vom Gesetzgeber reglementiert.
Die logische Folge: Arbeitgeber können Musiktherapeuten in Luxemburg nicht als solche einstellen. Zahlreiche Institutionen haben den Mehrwert und Nutzen der Musiktherapie erkannt, und das, obwohl sie ein noch relativ junges Fach darstellt. Die Nachfrage bei Patienten und Klienten steigt stetig. Nichtsdestotrotz sind Direktionsbeauftragte aufgrund der fehlenden Gesetzesgrundlage die Hände gebunden. Sie sind dazu angehalten, Musiktherapeuten als Ergotherapeuten, Pflegekräfte, Sozialpädagogen oder Pädagogen zu verpflichten. Leider führt dies zu „pseudomusiktherapeutischen Interventionen“, wobei die Sicherheit des Patienten, der Schutz der universitär ausgebildeten Musiktherapeuten sowie der Arbeitgeber nicht mehr gewährleistet werden kann.
Dabei rechtfertigen zahlreiche international hochrangige wissenschaftliche Studien die Wirksamkeit von Musiktherapie bei zum Teil ganz unterschiedlichen Krankheitsbildern (z. B. Autismus-Spektrum-Störungen, Demenzerkrankungen, Tinnitus, chronische Schmerzen, im Bereich der Psychiatrie und Psychotherapie oder eben in der Palliativversorgung). Auch die Tatsache, dass Musiktherapie in Deutschland zum Beispiel trotz knapper finanzieller Ressourcen in fast jeder stationären Behandlung zum Standardangebot gehört, sollte Beweis dafür sein, dass klinische Experten die Wirksamkeit der Musiktherapie erkannt haben.7
Die 2004 gegründete GML – Gesellschaft fir Musiktherapie zu Lëtzebuerg asbl kämpft seit über zehn Jahren für die Förderung und Anerkennung der Musiktherapie in Luxemburg. 2012 führte sie das GML-R ein, ein Register, das auf den von der Europäischen Musiktherapie Konföderation (European Music Therapy Confederation – EMTC) formulierten Bedingungen basiert und Mindeststandards für in Luxemburg tätige Musiktherapeuten festlegt. Im GML-R registrierte Therapeuten müssen „über eine anerkannte staatliche oder private Ausbildung verfügen, ein Jahr Berufserfahrung aufweisen, sich dem GML Ethikkodex verpflichten, regelmäßig Supervision in Anspruch nehmen und Fortbildungen besuchen“.8
Ich glaube fest daran, dass gute Musik das Leben verlängert…
… sagte einst Yehudi Menuhin. Auch wenn das Leben eines Patienten einer Palliativstation durch eine musiktherapeutische Begleitung nicht unbedingt an Dauer gewinnt, so scheint es doch ausreichend Nachweise dafür zu geben, dass sich Musik positiv auf die Lebensqualität in dieser belastenden Phase auswirken kann. Zumindest kann sie dazu beitragen, einen Menschen nicht sang- und klanglos ziehen zu lassen.
1
Archie, P. et al. (2013): „Music-based interventions in palliative cancer care“ in: A review of quantitative studies and neurobiological literature. Support Care Cancer, 21, S. 2609-2624.
2
World Health Organisation (1990): Definition of Palliative Care. Letzter Zugriff am 3.11.2015: http://www.who.int/cancer/palliative/definition/en/
3
Bundesarbeitsgemeinschaft der Musiktherapeutinnen und Musiktherapeuten in der Onkologie / Hämatologie, Palliativversorgung und Hospizarbeit (Okt. 2014). Berufsbild der Musiktherapie in der Onkologie / Hämatologie ; Palliativversorgung und Hospizarbeit mit Erwachsenen. Letzter Zugriff am 3.11. 2015: http://www.musiktherapie.de/fileadmin/user_upload/medien/pdf/Berufsbild_MT_in_der_Onkologie.pdf.
4
Warth, M. et al. (2015): „Musiktherapie in der Palliativmedizin. Eine randomisiert kontrollierte Studie zur Beurteilung entspannungsfördernder Effekte“ in: Deutsches Ärzteblatt International 2015; 112(46), S. 788-94.
5
Korczak, D. et al. (2013): „Musiktherapie im palliativen Setting“, in: Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information, Schriftenreihe Health Technology Assessment, Bd. 128, Köln.
6
Cutillo, A. et al. (2015): „Music therapy and coping in caregivers of children with cancer.“, in: Ann Pediatr Child Health 3 (5). S. 1069.
7
Gesellschaft fir Musiktherapie zu Lëtzebuerg asbl (2015): „Der Beruf des Musiktherapeuten – Die Notwendigkeit einer Reglementierung in Luxemburg.“ in: Unveröffentlichter Bericht, Luxemburg.
8
Gesellschaft fir Musiktherapie zu Lëtzebuerg asbl (2012): „Registre des musicothérapeutes de la Gesellschaft fir Musiktherapie zu Lëtzebuerg (GMLR)“ Letzter Zugriff am 11.11.2015: http://musiktherapie.lu/registre/registre.html.
Musikempfehlung
Durch das Ausleben ihrer Leidenschaft bietet die luxemburgische Cellistin Lisa Berg anderen Menschen auch eine Art Musiktherapie, vielleicht sogar ohne dies selbst zu wissen. Ihr Sound nimmt die Zuhörinnen und Zuhörer mit auf eine Gedankenreise. Auf dieser Expedition durch das eigene Innere darf auch an manchem Punkt verharrt werden, aber es geht immer weiter, von Ausweglosigkeit kann nicht die Rede sein. Und genau dies spiegelt ihr neues Album „White“ wider: Es ist dynamisch und gleichzeitig beruhigend. Es hält jenen melancholischen Klang bereit, den man von ihren Eigenkompositionen kennt und doch ist es keine typische, sondern eine einzigartige Melancholie, die im Bewusstsein des Traurigen, trotzdem das Leben bejaht und ihm mit offenen Armen und jeder Menge Energie entgegen läuft. Das Album „White“ ist bei jedem vernünftigen Plattenladen ihres Vertrauens erhältlich. Es kann ebenfalls bei CdBaby, iTunes oder Amazon käuflich erworben werden.
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